laut.de-Kritik

Chanson, Indie-Folk, Jazz und die gute Seite des Schlagers.

Review von

Charlotte Brandi ist immer in Bewegung. Vom ersten Me And My Drummer-Album "The Hawk, The Beak, The Prey" bis zu ihrem letztjährigen Solo-Debüt "The Magician" stellte jedes Werk eine Weiterentwicklung ihres Schaffens dar. Nun sorgte ausgerechnet der Stillstand für die nächste Entwicklungsstufe.

Mitten im ersten Corona-Lockdown begann sie, an neuen Ideen zu arbeiten und wagte sich an eines der gruseligsten Monster. Sie wechselte vom Englischen zur deutschen Sprache. Sie bricht die Grenze zu den Hörer*innen final auf, kann sich nun nicht mehr verstecken. Alte Gewohnheiten, an die man sich beim Texten festhalten konnte, funktionieren hier plötzlich nicht mehr. Das Laufen muss wieder neu erlernt werden.

Unterstützt durch Gedichte, Lyrik und einer Affinität zu deutschem Hip Hop fallen ihre ersten vier Schritte "Wind", "Frieden", "Frist" und "Wut" jedoch bereits ungemein sicher aus. Die vier poetischen Texte erschließen sich nicht sofort. Sie zeichnen eine hohe Eigenwilligkeit und individueller Charakter aus.

Musikalisch zieht es Brandi zum Chanson, zum Indie-Folk, Jazz und der guten Seite des Schlagers. Den wundersamen Weisen der 1970er, mit denen der heutige Schlager nichts mehr gemein hat. Ohne plump zu kopieren oder nach Zahlen zu malen, atmen die Lieder den Flair von Alexandra, Hildegard Knef, Joni Mitchell und Françoise Hardy.

Ihre neueste Regeneration verfügt dabei bereits über so ein geschärftes Profil, dass der Gastauftritt von Dirk von Lowtzow "Wind" fast schon eher im Weg steht, als das er den Song schmückt. "Oh, dass ich doch nur eine Pflanze werde / Oh, dass mir dieser enge Stengel verholzt / Kein keckerndes Lachen, keine Gebärde / Kein Bein mehr, kein Fleisch, kein Stolz", malt sie sich kauzig ein Leben als Pflanze aus. Der spätere Vergleich zur eigenen Daseinsweise unterspült den Text mit Melancholie, während Flöten und defekte Spieluhren erklingen. "Was hab ich davon ne Frau zu sein / Wenn ein fleischloses Wesen den Rumpf mir sprengt / Ich wiege mich nur im Wind allein / Habe Falten auf einer Stirn / Die was denkt."

Im schönsten Stück "Frieden" setzt sie sich malerisch mit Geschlechterrollen und Konstruktionen auseinander. "Sobald ich den Fuß aufsetze, mach ich eine Spur / Wenn ich meinesgleichen verpetze, ist's meine Natur / Lehn ich mich an, dann schmelze ich / Tu ich es nicht, dann strauchle ich." Eine Schulhof-Geschichte, in der hinter jedem sie hänselnden Jungen ein Mann steht. Ein Erklärbär, der ihr stellvertretend für das Patriarchat die Schuld für das Fehlverhalten der anderen gibt.

Nutzt Charlotte Brandi auf "An Das Angstland" nun die deutsche Sprache, könnte ihre Musik mit ihren schwelgerischen Arrangements kaum weniger national klingen. Traumverlorene Gebilde, die jedoch immer ihre Stimme und Aussagen in den Mittelpunkt stellen. Ein überaus gelungenes Experiment, ein erster Blick auf Brandi auf Deutsch, auf das hoffentlich noch viele weitere folgen mögen.

Trackliste

  1. 1. Wind
  2. 2. Frieden
  3. 3. Frist
  4. 4. Wut

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