laut.de-Kritik

Die Kanadierin dankt mit einigen ihrer besseren Songs ab.

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Wenn Ohren sehen könnten, würden sie bei "The Gift" lauter Neonfarben sehen, Pink, grelles Hellgrün, Leuchtstift-Gelb. Das Lied ist Celine Dions ultimative Neuerfindung. Irgendwie gut, auch wenn man den Stil von ihr so nicht erwartet: Folktronic mit peitschenden Synthie-Bässen. "The Gift" gehört zum neuen Film "Love Again", der gerade in den USA startet, aber erst Anfang Juli bei uns. Dabei kommt die Idee zum Film aus Niedersachsen. Deutsche Filme genießen zwar selten großes internationales Renommée. Aber "SMS Für Dich" (2016) stellt nun eine Ausnahme dar. Denn "John Wick"-Produzent Basil Iwanyk holte Popstar Celine Dion für eine Neuverfilmung vor die Kamera. "Love Again" gießt die Romanze als Remake auf.

Ein paar Punkte fallen sofort auf: Celine hat doch erst vor kurzem mitgeteilt, dass sie wegen einer seltenen Nervenkrankheit nicht mehr singen kann - und schwupps, schon sieht man sie erstmals in einer Hauptrolle in einem Spielfilm. Nur sieben Jahre nach "SMS Für Dich" ist der Filmtitel heute recht erklärungsbedürftig, deswegen wich man auf das völlig austauschbare und nichtssagende "Love Again" aus. "Ich finde, es ist eine wundervolle Wohlfühl-Story geworden", schwärmt die Sängerin vorab. Während der Film via Sony Pictures in die Kinos kommt, geht der Soundtrack über Sony Music damit einher. Diese runde Marketing-Aktion jubelt uns sehr geschickt eine Handvoll neuer Celine-Tracks unter, ohne dass die Plattenfirma noch Stoff für ein echtes finales Album sammeln müsste. Es erinnert auch an ein paar richtig große Songs - solche, die im Rückblick erstaunlich cool sind.

Nachdem das letzte Album der Kanadierin vor Corona ein übles Dancefloor-Hopsasa war, aber nicht den mindesten Pfiff hatte, den etwa Cher immer noch ganz gut hinkriegt, kehrt Celine zum Genre 'Schmonzette' zurück. Jedenfalls schauspielerisch. Im Film geht's um eine trauernde junge Frau, gespielt von der 40-jährigen Inderin Priyanka Chopra Jones (im wirklichen Leben mit Nick Jonas von den Jonas Brothers liiert). Die Hauptfigur der Film-Story trauert ihrem verstorbenen Verlobten nach. Um seinen Tod zu verarbeiten, schickt sie ihm SMS an eine alte Nummer. Die Sim-Karte dazu liegt aber heute im Geschäfts-Handy eines anderen Mannes. Der ist im deutschen Streifen ein Sport-, im neuen US-Film aber ein Musikjournalist. Der Musikreporter arbeitet an einem großen Beitrag über Celine Dion, und die spielt sich selbst. Anders als sonst bei solchen 'Cameo'-Rollen, sieht man sie nicht nur mal eben kurz, sondern ist maßgeblicher Teil der Handlung: Als Liebesberaterin dieses Journalisten. Sehr realistisch wirkt das nicht, wenn man das Haifischbecken namens Musikbiz kennt. Eher wie Quatsch mit Soße.

Der Soundtrack schafft ein bisschen Abhilfe und könnte über manche dramaturgische Schwäche hinweg helfen. Zum Beispiel wenn Roy Bittan aus der E-Street Band für eine der größten Kuschelrock-Balladen in die Tasten hämmert und "It's All Coming Back To Me Now" noch mal auflebt. Wer das Lied nicht mag, mag wahrscheinlich überhaupt gar keine Balladen - diese ist perfekt. 1996 produzierten Meat Loafs Kreativ-Direktor Jim Steinman und der Pomp-Experte Todd Rundgren die Nummer. Die hier eingespielte Version ist etwas länger als die damals gängige Radio Edit, aber 99 Sekunden kürzer als die Album-Fassung. Danach darf man sich zu Geigen und einem wesentlich sanfter geklimperten Piano in "Orpheus And Eurydice" erholen, einem Film-Instrumental mit der Aura des Märchenschleiers, passend zum Frosch, der geküsst werden will. 

Wenn ich "All By Myself" heute im Film-Soundtrack wieder höre, frage ich mich, wieso wir Celines Scheiben meist schlecht bewerten. Es gab wohl eine Zeit, 1996, da konnte sie gefühlvoll singen, ohne wie ein flaches Kalkül zu klingen. Wie "It's All Coming Back To Me Now", stammt "All By Myself" aus dem Album "Falling Into You". Auch dieses Lied über Begierde und Zurückweisung war ein Cover. Das Cover enthielt geschickt geklaute Teile aus einer Rachmaninov-Sinfonie. David Foster passte es an Celines Stimme an. David kannte Celine schon von vorigen Platten und war Anfang der '90er der Schmalz-Experte, verantwortlich auch für Michael Bolton und Teile des "Bodyguard"-Soundtracks mit Whitney Houston.

In der Quasi-Best-Of-Sektion des Soundtracks ertönt auch "Where Does My Heart Beat Now". Durch ein Kuriosum feierte dieses Lied beim ESC 1989 Premiere. Celine war mit dem Lied eines schweizerischen Songwriter-Duos im Mai 1988 für die Schweiz angetreten, auf Französisch. Sie sackte den Sieg ein, der ESC ging für 1989 an Lausanne in der frankophonen Schweiz als Austragungsort, und Celine brachte noch einen Darbietung fürs TV-Publikum mit, "Where Does My Heart Beat Now". Bis dahin sang sie zehn Jahre lang auf Französisch, in Europa ein Geheimtipp. Ab da wechselte sie auf Englisch und wurde sofort Weltstar.

"A New Day Has Come" aus dem Jahr 2002 ist ein warmes, pulsierendes, wunderschönes Lied, Celines Timbre klingt darauf angenehm, die perfekt vertonte Sehnsucht. Die Message: Wahre Liebe kann warten. Produziert haben den Hit Leute aus Mariah Careys Team. Bei "Courage" aus dem letzten Studioalbum kippelt Dion zwischen naivem Mädchen mit Augenaufschlag und dieser Brüchigkeit in der Stimme, die es bei Country-Sängerinnen oft gibt. Die Strophen kann man noch gut verkraften. Der Refrain ist gesanglich wie klaviertechnisch Kitsch, die Bridge (der C-Teil des Liedes) katastrophal schief und schrill.

Die fünf neuen Songs finden sich als Bündel am Anfang der "Love Again"-Soundtrack-CD. Des Titelsongs nahm sich Dan Wilson an. Der hatte im letzten Jahrhundert ein paar schöne kleine Hits mit seiner Band Semisonic. Die trat sogar 2001 bei Rock im Park auf und war richtig gut. Dann schrieb er 2011 "Someone Like You" für Adele, wovon er seitdem mutmaßlich auch lebt. Sein neuer Song ist ein herzliches Cello-Lied mit ein bisschen Keyboard und viel Chor. Auch wenn das Stück eine berechenbare Dramaturgie hat, performt Celine es sehr gut, und es hat eine schöne Melodie. "I'll Be", großspuriger Powerpop-Urban-Style mit einem gewissen Gebrauchswert, wenn man Schwung in langen Regentagen sucht, überrascht dann ein bisschen. Der Song ist absolut konventionell, die Kombi mit Celine als Sängerin aber neu, denn normalerweise singt sie nicht positiv-mitreißend.

Sehr stark überrascht dann der richtig gute Soulpop-Flash "Waiting On You". Ich habe noch nie Celine-Songs in Endlos-Schleife gehört, aber den hier finde ich echt super. Gewiss, auch hier wird das Rad nicht neu erfunden, aber wann macht Mainstream-Pop das schon...!? Mit dem Maßstab des Genres bemessen, erfüllt das Lied seinen Zweck: Es hat Chancen, auf emotionaler Ebene viele Menschen anzusprechen ohne dabei kalkuliert zu klingen, gewollt zu wirken oder peinlich zu sein. Zusammen mit weiteren Instrumentals aus dem Score ("Celine Wisdom", "Love Takes Courage") liegt hier eine ganz gute Mischung aus Mini-Best Of, neuer EP und guter Filmmusik vor und ein kompakter Querschnitt ihres Schaffens in den letzten 33 Jahren.

Trackliste

  1. 1. Love Again
  2. 2. I'll Be
  3. 3. Waiting On You
  4. 4. Love Of My Life
  5. 5. The Gift
  6. 6. It's All Coming Back To Me Now
  7. 7. Orpheus And Eurydice
  8. 8. All By Myself
  9. 9. Where Does My Heart Beat Now
  10. 10. Celine Wisdom
  11. 11. A New Day Has Come
  12. 12. Courage
  13. 13. That's The Way It Is
  14. 14. Love Takes Courage

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