1. August 2011

"Ich musste erstmal super abgehasst werden"

Interview geführt von

Wir sprachen mit einem euphorischen Casper über seinen unerwarteten Charts-Erfolg, seinen Platz im deutschen Hip Hop, die neusten Entwicklungen der Szene, die Romantik des Ghettoraps, die Mittelfinger-Hoch-Tour und die Generation Umbruch.Es ist Montagnachmittag um fünf, als in der Redaktion das Telefon klingelt und ein aufgekratzter Casper sich am anderen Ende der Leitung für seine halbstündige Verspätung entschuldigt: "Hey Lisa! Ich bin' s Casper! Es tut mir so leid!". Mensch - kein Ding! Schön, den neuerdings ständig umgarnten Rapper an der Strippe zu haben.

Das Interview sollte bereits vor Wochen im Rahmen eines Auftritts im "Zwölfzehn" in Stuttgart stattfinden. Leider gab's kurzfristig noch das neue Album "XOXO" fertigzustellen, weshalb sämtliche Auftritte und Interviews warten mussten. Jetzt ist die Platte endlich da, in die Casper sein Herzblut gesteckt hat, und jetzt ist auch die Zeit für unser Interview.

"XOXO", dein langersehntes Werk, ist jetzt am 8.7. endlich erschienen.
Wie ist die Resonanz bisher?

Die Resonanz ist bis jetzt ja unerwartet großartig. Als wir die Platte fertig gestellt und sie abgegeben haben, habe ich wirklich gedacht: 'das ist die letzte Platte, die ich mache, das interessiert kein Schwein, ich werde mit wehenden Fahnen untergehen und das ist gleichzeitig das Beste und Schlimmste, was ich je gemacht habe'. Ich hätte nicht gedacht, dass es so abgeht. Ist ja ganz gut momentan.

Thees Uhlmann von Tomte hat ja sogar prophezeiht, dein Album würde auch in ein paar Jahren immer noch ganz oben mitspielen und stellt es in eine Reihe mit Klassikern wie "L'Etat Et Moi" von Blumfeld, "K.O.O.K." von Tocotronic, mit "Monarchie und Alltag" von den Fehlfarben. Wie schätzt du das selber ein? Wird "XOXO" ein Klassiker?

Ach - Quatsch! Das glaub ich nich, das glaub ich nich ... Wenn der Thees das sagt, ist das natürlich toll. Wir haben hier 'ne Platte gemacht, mit absoluten Indieeinflüssen, die sich sehr auf Indie bezieht, und als Thees ins Studio gekommen ist und sich die Platte angehört hat, wusste ich, wenn er jetzt sagt: "Das ist furchtbares Zeug.", dann ist es wirklich furchtbares Zeug. Er kam aber aus Lobeshymnen nicht raus, also scheint irgendwas ganz gut gelaufen zu sein. Aber diese Platten, die er alle genannt hat - gerade Fehlfarben oder die erste Blumfeld - das kann ich natürlich jetzt nicht einfach von meiner Platte behaupten. Selber zumindest. Wenn das jetzt so kommt ...ja ... Ich fühl' mich geschmeichelt.

Überall wird darüber geredet, du würdest mit deiner Musik eine völlig neue Tür im deutschen Hip Hop aufstoßen. Wie siehst du denn die deutsche Hip Hop-Szene und was unterscheidet dich von ihr?

Ich find die deutsche Hip Hop-Szene momentan eigentlich sehr gut, weil es vieles gibt, was im Kern sehr rappuristisch ist. Es gibt vieles, das eigentlich komplett Rap ist, was ich sehr sehr sehr gut finde, z.B. so Leute wie Haftbefehl, die finde ich sehr sehr sehr gut. Aber dann auch die andere Ecke, wie Marteria. Es gibt auch sehr viele gute Newcomer, z.B. MoTrip oder Raf camora. Ich finde, es gibt momentan eine sehr gute Fluktuation von sehr guten Künstlern und wenn das jetzt so weiter geht, dann wird Hip Hop auch wieder größer werden. Das bleibt jetzt nur abzuwarten.

Ich selber weiß nicht, ob man mich unbedingt noch zu der Szene zählen kann. Ich hoffe natürlich schon, weil ich mich im Herzen immer noch sehr Rap fühle und finde jetzt auch nicht, dass ich was anderes mache, aber wenn Rapper sich vor mich stellen und sagen: "Das, was du machst, ist kein Rap!", dann kann ich das ebenso verstehen.

Wie ist denn dein Kontakt zur deutschen Rapszene? Lange war es ja so, dass viele Rapper, die du immer gefeiert hast, dich als Emospinner abgestempelt haben ...

Uih - ich bin grad auf Platz eins der Album-Charts eingestiegen.

Rufe eines Mannes aus dem Hintergrund.

Casper: Was denn?

Antwort: Ja, Mann!

Casper: Was denn?

Antwort: Platz eins!

Hysterisches Kichern von Casper: Ich muss hier grad Interviews machen, Mann!

Aus dem Hintergrund ein bestimmtes: Auf keinen Fall!

Casper: Ja, Mann! Geiiiiil! Hast Du grad 'n Anruf gekricht oder was? Zeig mal ... ach nee - ja o.k ... Wer ist Platz zwei?

Wart - ich kuck mal ...

Casper murmelt eine Weile fassungslos vor sich hin: Wow - krass.

Wahnsinn! Gratulation!

Krass, krass ...

Dann hört man lange gar nichts mehr.

Hallo? Biste noch dran?

Ja - äh - ich krieg' hier grad Smsüberflut und du bist grad live dabei! Hier geht's grad richtig ab.

Eine Weile wieder nichts, dann ein inbrünstiger Schrei von Casper: Jaaaaaaaa!

Wieder meldet sich die Stimme mit irgendwas aus dem Hintergrund.

Casper: Warte mal, ich muss jetzt mal grad hier rüber rennen ... Eins, eins, eins! Ja, Mann! Überkrass! Überkrass ... So - jetzt bin ich wieder da.

Ja hey, herzlichen Glückwunsch! Wo bist du denn grad? Im Studio?

Nee. Ich wohne ja halb im Büro. Ich mache ja nur noch Interviews - nichts anderes.

Nicht übel für uns. Wir waren gerade bei der deutschen Rapszene und deinem Kontakt zu ihr. Viele Rapper, die du feierst, haben dich als Emospinner abgetan. Fler hat dir erstmal Stylingnote sechs verpasst. In der letzten Juice haben sie ihm allerdings "Alles verboten" mit Marteria vorgespielt und er meinte nur: 'Das ist Casper? Wie krass ist denn das gerade? Übertrieben, geht übelst ab.' Hat sich an den Vorurteilen der Szene dir gegenüber inzwischen was verändert?

Ich habe mich ja auch relativ lange beständig gehalten. Ich glaube, am Anfang, ist das ganz klar: Ich musste erstmal super abgehasst werden und mich super anti stellen - einfach aus 'nem Selbstschutz heraus. Irgendwann haben die Leute dann aber auch einfach gecheckt, dass ich A denen überhaupt nichts böses will, B niemandem was wegnehmen will und C scheinbar irgendwas mit Substanz aufbaue.

Was am Anfang ja tatsächlich purer Hass war - Stylenote 6, was für ein Schreihals, was für 'ne Scheiße, was für Hosen, was für Klamotten, was für Songs - ist ja mittlerweile nur noch "ist vielleicht nicht mein Ding", aber es sagt ja keiner mehr: "Was für eine Scheiße!" oder so. Und das finde ich schon ganz gut. Wenn ich mir das erarbeitet habe, dann kann ich damit auf jeden Fall leben.

"Ich kenne das aus meiner Casper-Welt nicht, dass jemand beim Konzert halb tot getreten wird."

Im Krabbe-Umfeld entwickelt sich ja momentan einiges. Die ganzen Jungs um DJ Stickel, wie Chakuza, Rockstah, Olson Rough u.s.w. Hast du zu denen Kontakt und ist vielleicht sogar schon eine Zusammenarbeit geplant?

Steddy, Stickel und ich sind auf jeden Fall Wesen der Produktion. Wir sind von sehr guten Arbeitskollegen zu wirklich engen, guten Freuden geworden. Das finde ich schon mal - außerhalb von der Musik - einen riesigen Erfolg, der mein persönliches Leben bereichert. Wir haben momentan so ca. drei/vier Rapper auf dem Schirm, wo wir sagen: "Hey, die finden wir richtig geil, die rappen auch richtig geil, aber irgendwie passt das alles noch nicht so geil zusammen." Diese musikalische Zusammenarbeit haben wir eben zu dritt sehr sehr gut hingekriegt und denken, dass man das eventuell auch mit anderen jungen Künstlern probieren könnte - also denen quasi 'einen eigenen Sound auf den Leib schneidern'.

Aber viele bzw. zwei haben schon gesagt, das wollen sie nicht und bei den anderen bin ich eher so beratend tätig. Z.B. bei Rockstah: wenn der irgendwas hat, wo er nicht weiter weiß, dann fragt er einfach nach, oder wenn er einen neuen Vertrag hat, bei dem er nicht weiß, wie, oder das ganze Verlagszeug hab ich ihm auch mal erklärt. Der macht auch sehr sehr gute Schritte. Ich will da gar nicht so sein wie der große Bruder, der ihm hilft, sondern einfach nur im Hintergrund so ein bisschen mitwirken, damit er nicht unbedingt super viele blöde Entscheidungen trifft. Verstehst Du, was ich mein?

Ich verstehe. Musikalisch gesehen ist momentan also noch nichts in den Startlöchern mit einem der Jungs?

Jetzt konkret noch nicht.

Du hast ja sehr lange gebraucht, um die Menschen zu finden, die deine musikalische Vision verstanden haben - wie hast du sie gefunden? Und wie konntest du Drummer Steddy Wilmking als Produzenten ins Boot holen?

Steddy wurde eigentlich von Stickel ins Boot geholt. Ich kannte Steddy überhaupt nicht. Ich habe ja die ganze Zeit den gesucht, der gleichzeitig Hip Hop als auch Indie machen kann und der aber auch beides verstehen muss. Irgendwann hab ich zu Steddy gesagt: "Lass uns mal hier treffen und ein bisschen Musik hören und kucken, wie das weitergeht." Und dann hab ich ihm ein bisschen Editors und so 'n Kram angemacht - das hat er mega gefeiert. Daraufhin hat er dann Rick Ross angemacht, was ich dann wieder mega gefeiert habe.

Und da sind wir einfach komplett auf einen Nenner gekommen und ich wusste: 'Der kann das machen, das kriegen wir hin. Der hat jetzt zwar noch keine große Platte gemacht und hat auch keinen Namen, aber das kriegen wir hin und das kriege ich auch nur mit DEM hin.' Steddy wurde natürlich von allen ganz krass ins kalte Wasser geworfen, genauso wie ich auch. Und im Nachhinein betrachtet, denke ich, niemand anders als Steddy bzw. ich zusammen mit Steddy hätte diese Platte so machen können.

Und wie war das mit Marteria? Ihr beiden habt schon zwei Releases zusammen gemacht, u.a. auf Materias Platte "Alles verboten". Wie seid ihr denn damals eigentlich aneinander geraten?

Marten kenne ich daher, dass ich damals … Naja - es kam damals diese Marsimoto-Platte raus und die fand ich ganz ganz schrecklich, weil ich ein sehr großer Quasimoto-Fan war und immer dachte: 'Wie können das nur alle feiern? Das ist doch nur nachgemacht, das ist doch nur kopiert! Was soll das?' Und dann hab ich das live gesehen und hab sofort verstanden: 'Wow, das ist ja richtig krass, das ist ja mega geil!' Und war sofort Marsimoto-Fan ...

... Mein Handy dreht grad komplett durch. Ich habe jetzt gerade in der Zeit 14 Sms, 35 Emails und 20 Anrufe bekommen ...

Naja - auf jeden Fall, bin ich dann backstage gegangen. Beim Splash! darf man immer nur an seinem Auftrittstag backstage, also hab ich mich mit Montana Max reingeschlichen und dann saß Marten da und ich wollt nur hingehen und ihm sagen, was es für 'ne coole Show war, und dann sagt er: "Hey, wir kennen uns doch! Weißt du nich? Damals bei Brisk Fingaz im Studio, da haben wir gefreestylt! Das war das Allerkrasseste!" Blablablablabla ... Und ich wusste wirklich überhaupt nichts.

Er konnte sogar von meiner Demo Textzeilen vorrappen und ich konnt mich wirklich einfach nicht erinnern. Von da an sind wir in Kontakt geblieben und sind auch sehr gute Freunde geworden. Als er mich dann auf "Zum Glück in die Zukunft" eingeladen hat, war das für mich schon 'ne ganz krasse Ehre, weil ich auch wusste, dass es mit ihm richtig abgehen würde. Und er hätte jeden anderen Rapper draufhaben können.

Dein Album wurde erst bei Selfmade Records angekündigt, jetzt erschien es aber bei Four Music - warum?

Naja - ich bin ja nicht händerudernd da weg. Ich hab ja nicht gesagt: "Oh mein Gott, ich kann hier nicht!", und so. Wir waren ja zusammen auf der Mittelfinger-Hoch-Tour mit Favorite und Kollegah, die übrigens eine ganz großartige Tour war - und ich möchte da auch kein böses Blut haben oder lesen - aber ich hab einfach gemerkt, dass es vielleicht wirklich nicht mein Umfeld ist.

Ich kenne das aus meiner Casper-Welt nicht, dass ich auf ein Konzert komme und befürchtet werden muss, dass irgendjemand die Bühne stürmt und jemand halb tot getreten wird. Das ist dann zwei Tage später wirklich passiert und alle drei Tage Androhungen ... Das ist halt wirklich nicht meine Welt. Und auch, wenn ich persönlich noch nie so krass angefeindet wurde, hab ich mich in dieser Welt befunden und habe da schon für mich gewusst, dass das nicht unbedingt das ist, was ich machen will.

Die Platte war dann angekündigt - ich muss zugeben, ich hab das nicht so richtig auf die Reihe gekriegt, weil dieser Casper dann schon so allmählich losgetreten war und ich eine Schreibblockade hatte und und und ... Habe dann aber das jetzige Umfeld kennengelernt und wusste dann schnell, dass ich hier weiterarbeiten will. Also haben wir uns geeinigt ...

"Im übertragenen Sinne liegt gerade sehr vieles in Trümmern."

Du hast dir dann ja sehr viel Zeit genommen für deine Platte und hast deine Fans lange warten lassen. Was hat den Schaffensprozess von "XOXO" so in die Länge gezogen? Auf was hast du besonderen Wert gelegt?

Worauf ich beim Schaffensprozess sehr viel Wert gelegt habe, war einfach, dass das, was wir machen, leichtfüssig klingt. Ich wollte nicht, dass es total verkrampft und wie aus zwanzig Millionen Eimern gegossen klingt. Ich wollte, dass es so klingt, wie 'ne Platte von einer Gruppe, die dieses Album so auch hätte einspielen können. Nur mussten dann natürlich alle Facetten rein, was natürlich paradox und total schwierig ist. So schwer es klingt, so schwierig war's dann ja tatsächlich auch.

Dann war mir wichtig, dass es zumindest so gut gerappt ist, dass Rapper sagen können: "Das ist ganz gut gerappt, das ist jetzt keine Scheiße." Ich wollte mich technisch nicht beweisen, aber das schon so machen, dass man sagt: "Das ist gut gerappt, verständlich und cool." Dann wollt ich aber auch, dass jeder Indiefan sagen kann: "Ja - das ist eine sehr clever und gut produzierte Platte mit Indieanleihen, die unpeinlich klingt." Dann musste es aber auch noch stimmungstechnisch passen. Ich wollte ja diese Tristesse aufmalen, dieses Melancholische - das sollte sich wie ein roter Faden durch die Platte ziehen. Und wie du hörst - das waren ein bisschen viele Vorsätze! (Lacht.) Bis hierhin war's ein weiter Weg!

Du sagst, die Melancholie zieht sich durch dein Album. "XOXO" ist ja tatsächlich eine sehr schwere und dunkle Platte geworden, mit einem großen Überkonzept, das einen bestimmten Zeitgeist beschreibt. Wie würdest du den in ein paar Worten zusammenfassen?

Ich würde das insofern zusammenfassen, dass ich denke, dass meine Generation sich in einem Umbruch befunden hat, wie es jetzt auch eine Generation gibt, die sich im Umbruch befindet. Ich seh da einfach sehr sehr große Parallelen. Man muss mal überlegen: ich kenne noch die Zeit VOR Internet!

Ich bin dein Jahrgang - ich kann das alles ganz gut nachvollziehen.

Gut, dann: wir sind die vor Internet, zwischen analog und digital, wir sind Generation Rechtschreibreform, wir sind Generation Zentralabitur, wir sind Generation "Alles wird Zukunft und neu und unkonventionell". Ich glaub', die Generation jetzt ist ähnlich. Die hat nämlich mittlerweile gar keine Konventionen mehr und sucht wieder welche, aber so händeringend, dass - wie soll ich dir das erklären - dass es sich im Finden verliert, wenn man denn so mag.

Ich wollte einfach diesen Status quo beschreiben. Und es war mir sehr wichtig, den auch so überspitzt zu beschreiben, indem man gleich im ersten Song sagt: "alles ist grau, alles sind Mauern, es gibt kein Licht, alles ist dunkel, wir tragen schwarz jeden Tag" usw. Das ist natürlich wahnsinnig übertrieben und klingt im ersten Moment wie "Emorock Blaupause eins", aber es is ja so nich gemeint. Es ist einfach so gemeint: 'O.k. - im übertragenen Sinne liegt grad sehr vieles in Trümmern, aber man kann da selber rauskommen'. Und ich glaube, das ist vielen gerade einfach nicht bewusst. Die Jugend oder viele in dieser Generation sind einfach sehr unkritisch und unreflektiert.

Meinst du denn, dass die neue Generation das überhaupt versteht, was du da alles sagst und machst? In Zeiten von Facebook, Handy und Chatterror ist die Jugend ja schon eine ganz andere als früher.

Ich glaube, dass vieles aber nur so stumpf ist, weil einem die Jugend oder die Generation als stumpf und blöd verkauft wird, und ich glaube, an dieser Platte und der Resonanz dieser Platte merkt man einfach, dass die nicht so dumm sind, wie jeder versucht, sie zu verkaufen.

Du hast elf Jahre lang in den USA gelebt, hattest eine schwierige Kindheit. Du hast erlebt, wovon andere rappen, sagst aber: die Straßenrapgeschichten will keiner hören, ich mache was anderes. Warum?

Ich glaube, dass es momentan so ein allgemeiner gemeinsamer Nenner ist, zu sagen: "O.k. bei uns ist jetzt alles blöd gelaufen, wir haben im Moment eine haltlose Grundeinstellung und ein gehaltloses Leben und das verfeiern wir einfach." Es wird einfach vorgegaukelt: "kann sein, dass alles schlecht ist, vielleicht ist hier nix zu holen, vielleicht wird's schwer für euch, ABER: wir haben hier diese neonbunte Lustigplatte, die nur zum Feiern animiert und es ist doch alles wunderbar".

Ich möchte einfach eine Platte machen, die sagt: Nee - das ist nicht alles wunderbar. Ich sag einfach, dass es total scheiße ist und dass ich das auch alles als nicht schön sehe. Natürlich hat auch diese Tristesse, die ich hier gerne nenne, romantische Seiten. Man kann sogar sagen, das ist so ein bisschen, wie wenn amerikanische Rapper über das Ghetto reden. Einerseits ist es dieses "Alles ist schlecht und wir haben's so hart und alles ist furchtbar" und dann ist der nächste Song darüber: "Wow, wie cool und wir vergessen zuhause nie!" So ein bisschen schwelgt die Platte ja auch da drin.

Apropos Romantik. Der Song über die Barfrau "230409" - Wofür steht der Code?

Für ein Geheimnis.

Ein Geheimnis, über das du nicht reden möchtest?

Genau.

In einem früheren Interview hast du gesagt, du seist dazu verdammt, ein "struggelnder Künstler" zu sein. Oberflächlich betrachtet läuft's im Moment ja ganz gut für dich. Was meinst du also mit der Aussage?

Was ich damit meine ist, dass ich super oft, auch während meiner Karriere, die Möglichkeit hatte, ganz einfach ganz groß zu sein und ich hab mich immer für den schwierigeren Weg entschieden. Das zieht sich durch mein Leben. Es gab immer einen Scheideweg, wo alles hätte super super einfach und super super cool sein können und dann hab ich die schwierigst mögliche Wendung genommen. Das zieht sich wirklich durch alles und ich treffe ganz gerne unabsichtlich und unterbewusst falsche Entscheidungen, die sich dann durch "Arbeit" wieder ausmerzen lassen.

Vielen Dank für's Interview!

Ich muss jetzt, glaube ich, unfassbar viel Schnaps trinken. Der ganze Hof ist voll mit Menschen!

Feier schön!

Ja. Ich war jetzt grad ein bisschen geistesabwesend, aber während wir telefoniert haben, kam ja die Nachricht rein. Das tut mir leid.

Ich freu mich, dass ich live dabei war.

Du warst live dabei.

Die Frage, ob Casper sich tatsächlich nach dem US-amerikanischen Gespenst "Casper" benannt hat, habe ich bei all dem Trubel natürlich wieder vergessen zu stellen. Der ehemals kleinen Geist spukt nun ganz groß durch die Charts - wir können davon ausgehen, dass gefeiert wurde bis zum Morgengrauen. Gespenster können trinken wie ein Fass ohne Boden - hat mir neulich eines erzählt.

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