4. Juni 2003

"Celine Dions Stimme ist einfach der Wahnsinn"

Interview geführt von

Gerade hätten sie eine Studio-Box geschrottet, meint Sänger Marcus Meyn lakonisch, nachdem er sich ans Telefon gesellt hat. Doch schlechter Laune ist er deswegen nicht. Bald erscheint nämlich "Sensor", und das ist nach fünf Jahren Vorbereitungsphase und Label-Streitigkeiten tatsächlich ein kleines Wunder.

Wie fühlt es sich denn an, so kurz vor der Fertigstellung des Albums?

Marcus: Sehr gut. Man sieht ein Licht am Ende des Tunnels. Teilweise war es schon sehr zermürbend.

Hinzu kamen ja noch Probleme mit dem Produzenten, oder?

Allerdings. Die Ursprungsidee war, dass wir mit verschiedenen Teams gleichzeitig an verschiedenen Songs arbeiten. Und mit Rob Kirwan hat es einfach überhaupt nicht harmoniert. Wir haben drei Titel mit ihm anproduziert, waren mit dem Ergebnis aber nicht zufrieden, so dass wir die Arbeit abgebrochen haben. Mit dem Produzententeam Toy haben wir auch lange in London gearbeitet, aber auch hier war das Ergebnis nicht zufriedenstellend, bis Toy irgendwann gesagt hat: "Dann lasst es doch einfach bleiben." Daraufhin haben wir die ganze Platte mit Gerrit produziert und auch Heiko hat drei Titel produziert. Wir müssen ja zeitlich auch zu Rande kommen.

Eure erste Single "Me & You" ist bereits bis auf Platz drei der Alternative Charts vorgestoßen. Wie erklärst du dir das wieder erwachte Interesse in Camouflage?

Ich glaube, es gibt sehr viele Leute, die diese Art Musik mögen. Man muss sie nur erreichen. Diese Charts kommen ja hauptsächlich über die Clubs zustande, und die DJs haben den Song eben sehr gut angenommen.

War es eure Entscheidung, diesen Song als Single rauszubringen?

Ja. Wir haben der Plattenfirma insgesamt vier Singles abgeliefert: "Me & You", "Perfect", "I'll Follow Behind" und "I Can't Feel You".

Im Forum auf eurer Homepage meinen einige Leute, "Me & You" sei zu lahm. Wie denkst du darüber?

Das ist mir scheißegal. Warum soll ich mit jemandem über meine Musik diskutieren? Entweder es gefällt dir oder es gefällt dir nicht.

Welche Reaktionen erwartest du auf "Sensor"?

Ich hoffe, dass wir viele unserer alten Fans und auch neue Leute erreichen. Ich glaube, dass das Album das Potenzial besitzt, erfolgreich zu sein. Die Leute müssen es nur mitbekommen und das ist Sache der Plattenfirma.

Seit Ende der 80er Jahre vergleicht man eure Musik ständig mit der von Depeche Mode. Nervt das?

Nö. Das ist ne geile Band, die nach wie vor sehr erfolgreich ist. Ich habe damit kein Problem. Es ist nunmal so, dass vielen DM-Fans unsere Musik gefällt. Außerdem ist den Hardcore-Depeche Mode-Fans der Veröffentlichungszyklus ihrer Band zu gering. Elektronischer Pop mit Wave-Anklängen, keine Lalala-Musik, sondern Musik mit Tiefgang, Musik, die melancholisch und traurig ist, Musik, die dich mitreißt, große Klänge, gute Texte, schöne Melodien, gute Popsongs. Ich denke, das ist etwas, das wir in jedem Fall haben.

Was hast du gedacht, als Ende der 90er Jahre plötzlich Elektro-Bands wie Wolfsheim kommerziell erfolgreich wurden, während ihr auf Grund endloser Vertragsprobleme mit Plattenfirmen zum Schweigen verurteilt wart?

Ich muss dir ganz ehrlich sagen: Ich verfolge diese Szene nicht besonders. Es ist völlig legitim, dass es in diesem Genre viele Bands gibt. Ich sehe auch eklatante Unterschiede zwischen uns und vielen anderen Bands. Das liegt vor allem am Songwriting. Bei sehr vielen Bands aus dieser Szene klingen die meisten Sachen ziemlich langweilig. Für mich ist der Song das Nonplusultra. Erst danach wird die Art und Weise interessant, wie er produziert ist, wie es gesungen ist oder was weiß ich. Aber viele Bands dieser Szene haben von vorne bis hinten diese Four-To-The-Floor-Bassdrum und verwenden Monate oder Jahre darauf, ein einigermaßen gutes Playback hinzulegen. Wenn dann die Gesangsaufnahmen kommen, klingt fast jeder Song gleich. Darauf habe ich überhaupt keinen Bock. Deswegen kaufe ich mir solche Musik auch nicht.

Ist kommerzieller Erfolg für die Zukunft von Camouflage wichtig?

Natürlich ist er wichtig, aber ich laufe ihm nicht hinterher. Wenn diese Platte kein Erfolg wird, kann ich trotzdem erhobenen Hauptes da stehen. Für mich ist die Platte der Hammer.

Sieht euer Vertrag mit Universal mehr als die Veröffentlichung von "Sensor" vor?

Wir haben dieses Album fest im Vertrag und die Option auf weitere Alben. Unsere Plattenfirma spricht schon jetzt mit uns über das nächste Album.

Du arbeitest ja hauptberuflich bei Sony Music und kennst dadurch auch die andere Seite des Musikbusiness. Was ist das für ein Gefühl, wenn man Las Ketchup promoten muss?

(Schnauft aus) Du, es ist eigentlich sehr lustig. Man sieht die ganzen Erfolge von so einer Nummer im Ausland und erkennt das Potenzial, das solche Musik hat. Dann musst du versuchen, das auf dein eigenes Land zu übertragen. Ich mache bei Sony das Marketing und muss daher alle Mechanismen einsetzen, um diesen Titel für die Leute, die aus dem Spanien-Urlaub zurück kommen, verfügbar zu machen. Damit hast du die größte Chance, dass dieser südländische Sommerhit auch nach Deutschland schwappt. Du entwickelst also schon einen gewissen Ehrgeiz, um dieses Ziel zu erreichen. Aber ich führe darüber keine geschmackliche Diskussion.

Ich sehe das sehr professionell. Die Musik muss mir nicht gefallen, damit ich sie vermarkten kann. Grundsätzlich versuche ich, bei allen Sachen die ich mache, meine Identifikation damit zu finden. Weißt du, ich war bis vor drei Monaten zuständig für das Marketing von Celine Dion. Ich persönlich habe mit dieser Musik überhaupt keine Verbindung. Ich habe aber Celine Dion kennen gelernt und sie ist so ein charmanter und liebevoller Mensch, dass ich daraus meine Motivation ziehe, um mit ganzem Herzen für den jeweiligen Künstler zu arbeiten.

Zwischen Celine Dion und Las Ketchup gibt es aber doch gewisse Unterschiede ...

Ja natürlich. Das eine ist so ein Plastik-Ding und Celine Dion ist eine der größten Sängerinnen. Das ist übrigens auch ein Motivationsansatz: dir mag zwar ihre Musik nicht gefallen, aber diese Stimme ist einfach der Wahnsinn. Und dann ist Celine eben ein sehr, sehr angenehmer Mensch. Ich hätte wohl größere Probleme, wenn sie ein richtiges Arschloch wäre.

War es schwer für dich, Mitte der 90er Jahre auf die "andere Seite" der Musikbranche, sozusagen hinter den Schreibtisch zu wechseln, nachdem euer viertes Album "Bodega Bohemia" 1993 floppte?

Ich glaube, das Schwierige für mich war eher das Gefühl, in ein Angestelltenverhältnis zu geraten. Andererseits habe ich die meiste Zeit mit wirklichen Künstlern zu tun. Eine der ersten Gruppen, mit denen ich gearbeitet habe, war der Freundeskreis. Und wenn du mit solchen Leuten arbeitest, hast du damit überhaupt keine Probleme. Du denkst nicht automatisch "Früher war ich mal der Star" oder so was. Denn das sind Leute, die richtig geile Sachen machen, richtige Künstler eben.

Die beschäftigen sich auf eine sehr intensive Art mit ihrer Musik und diskutieren mit dir über Inhalte oder darüber, wie sie sich selber sehen, über Videos und Vermarktung etc. Das ist eine richtig spannende Aufgabe. Natürlich kenne ich heute sehr viele Probleme, von denen ich früher nichts wusste. Persönliche Dinge seitens der Plattenfirma spielen da auch eine sehr große Rolle. Wenn du beispielsweise eine Auseinandersetzung mit dem Marketing-Chef hast, werden Platten halt mal verzögert oder nicht so umgesetzt, wie du dir das vorstellst. Heute weiß ich das.

Aber ... (zögert) Es ist eher nicht so positiv, das zu wissen. Ich versuche einfach, für jeden Künstler, für den ich arbeite, alles zu geben. Das kann der Künstler von mir verlangen und das gebe ich auch gerne. Denn für viele ernsthafte Künstler ist das alles, was sie haben. Das ist ihr voller Ernst, ob mir die Musik gefällt oder nicht. Und wenn ich mit Leuten ins Gespräch komme, und sie erfahren, dass ich auch Künstler bin, dann entsteht eine Basis, die im Miteinander unbezahlbar ist. Da habe ich sicher auch einen Vorsprung im Vergleich zu meinen Kollegen.

Was würdest du mit deiner heutigen Marketing-Erfahrung als größten Fehler eurer Karriere bezeichnen?

Unser größter Fehler war bestimmt, den rein elektronischen Weg mit unserem dritten Album "Meanwhile" zu verlassen. Obwohl es in sich ein schönes Album ist. Heute weiß ich, dass es die Aufgabe des A&R-Managers gewesen wäre, uns darauf aufmerksam zu machen.

Obwohl die Gitarren damals ja gerade wieder mächtig im Kommen waren ...

Ja, aber wir sind eben keine Gitarrenband. Es ist natürlich wichtig, dass man vielseitig bleibt, aber man sollte dennoch das machen, was man am allerbesten kann. Und das ist in unserem Fall elektronische Musik. So akustisch hätte "Meanwhile" nicht ausfallen dürfen. Eigentlich hätte "Bodega Bohemia" das dritte Album sein müssen, um eine Kontinuität in unserer Entwicklung herzustellen.

Kürzlich gab es ja wieder eine mächtige Entlassungswelle bei Sony Music. Man durfte sich wirklich fragen, ob zu Hochzeiten der Branche das halbe Personal nur zum Spaß einen Arbeitsvertrag hatte?

(grinst) Nee, das kann man so auch nicht sagen. Es gibt sicher Leute, die mit ihrer Arbeit - oder Nichtarbeit - weniger zum Erfolg der Firma beigetragen haben. Aber das ist ja ein Grundsatzproblem. Wenn du einmal so einen riesigen Wasserkopf aufgebaut hast und die Zeiten sind nicht gut, dann musst du eben rationaler arbeiten. Die Firma muss ja wieder Geld verdienen. Das Traurige ist einfach, dass es hier um persönliche Schicksale geht. Es geht um Menschen. Es war ein Alptraum, in der Firma zu sitzen und zu wissen, wer alles gehen wird.

Wie sicher ist dein Job?

Nix ist fix. Es gibt keinen sicheren Job in der Musikindustrie.

Das Interview führte Michael Schuh

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