laut.de-Kritik

Pop, Country, Rock und Rap klangen nie so geschmeidig.

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Es gibt nur eine wirklich gute Version von "I Will Survive", und das ist nicht das Original von Gloria Gaynor. Denn wenn es jemand geschafft hat, dieses Lied anständig zu interpretieren, dann sind das Cake. Nur mit John McCreas lakonischer Stimme, der quirligen Trompete und dem verzerrten Gitarren-Solo erhält dieser Song sein richtiges Feeling. Wer dem nicht zustimmt, dem sei der Refrain von "Nugget" ans Herz gelegt: "Shut the fuck up."

Die Coverversion von "I Will Survive" ist sicherlich der bekannteste Cake-Song. Das dazugehörige zweite Album "Fashion Nugget" ihr weltweit erfolgreichstes. In Deutschland kennt man es vor allem wegen des Soundtracks zu "Herr Lehmann". Drei Songs der Platte landeten im Film, da waren längst Album Nummer drei und vier erschienen. "The Distance", die erste Single des Albums, ist auch Cakes kommerziell erfolgreichster Song und ihr Durchbruch. Mit "Fashion Nugget" spielten sich Cake nach oben.

Das liegt sicherlich nicht daran, dass das Album zig Bands beeinflusst oder gar ein Genre begründet hätte. Niemand klingt wie Cake, es klang niemand vorher wie Cake und vermutlich will auch niemand wie Cake klingen. Die Kalifornier aus Sacramento leben in ihrem eigenen Kosmos. Aus dem werden sie nicht rauskommen, wie auch das 2011er "Showroom Of Compassion" deutlich macht. Nein, "Fashion Nugget" ist ein besonderes und ungewöhnlich gutes Album, weil es das Beste präsentiert, das diese Band geschaffen hat.

Wer sich ernsthaft mit alternativer Rockmusik auseinandersetzt, muss Cake gehört haben. Danach wird man sie entweder lieben oder für vollkommen langweilig und irrelevant halten. Dazwischen gibt es einfach nichts. Wer nun aber Cake mag – und welcher gute Mensch tut das nicht – muss "Fashion Nugget" hören. Weil es die Essenz dessen ist, was Cake sind, wie sie klingen und welche Haltung sie einnehmen. Hier kommt all das zusammen, was Cakes Sound und Wesen ausmacht: John McCreas seltsam skurrile Texte, sein dreckig-schäbiger Gitarrensound, die fröhliche Trompete von Vincent DiFiore, großartig groovende Bassläufe, knackig knarzende Gitarren-Riffs und monotone Drums. Pop, Folk, Country, Rock, Funk und Rap: Auf keiner anderen Cake-Platte klingt das so geschmeidig wie hier – und das obwohl sich die Alben nicht sonderlich voneinander unterscheiden.

Cake ist eine seltsame Band aus komischen Käuzen. Ein Trucker mit Sakko als Bandleader, der seine ironischen und wirren Text mit gelangweilter Stimme singt oder spricht und von der Bühne runter das Publikum beleidigt. Dazu eine Band, die über die Jahre so manchen Drummer und Gitarristen verschleißt. Vermutlich liegt das am durchaus schwierigen John McCrea selbst, der auf der Bühne Songs gerne mit folgendem Satz ankündigt: "This is a Song from MY third album".

Dabei ist es gar nicht der exzentrische Sänger alleine, der für die Songs verantwortlich zeichnet. Auf "Fashion Nugget" ist es Gitarrist Greg Brown, der bei "The Distance", "Race Car Ya-Yas" und "Nugget" als erster Autor genannt wird. Da sind immerhin zwei der besten Cake-Songs aller Zeiten dabei.

Die Besetzung auf "Fashion Nugget" besteht u.a. aus dem vielseitigen Vincent DiFiore: Trompeter, Keyboarder, Percussionist und Gegenpol zu McCrea. Schlagzeuger Todd Roper bleibt immerhin noch bis "Comfort Eagle" im Boot, wird danach aber nur noch als Special Guest aufgeführt. Victor Damiani, Basser und Gitarrist Greg Brown sind schon beim nächsten Album nicht mehr dabei.

Im Internet präsentieren sich Cake schon immer absichtlich anders und unangepasst wie auf Platte. Dort landen auch Fragen wie: "Wieso klingt euer Gitarren-Sound so kaputt?" Antwort dazu: "Ich benutze eine kaputte Gitarre und einen kaputten Verstärker". Es ist genau diese kaputte Gitarre, die das großartige Cover von "I Will Survive" einleitet. Kratzig und scheppernd, dann steigt der Bass mit einem der besten Bassläufe der Welt ein. Cakes Version klingt entspannt, zurückgelehnt, groovend und vielseitig. E-Gitarre und Trompete besorgen den Rest – der Archetyp eines Cake-Songs.

Der Hörer ist aber eigentlich schon spätestens mit dem zweiten Song hellauf begeistert. Die Erfolgssingle "The Distance" ist ein Road-Song: Treibend, packend, aufwühlend. Der Bass läuft und läuft, wird von Gitarre und Trompete flankiert, während McCrea das erste Mal seinen erstaunlich unpeinlichen Sprechgesang auspackt. Kein Wunder, dass der Song damals so erfolgreich war und "Fashion Nugget" in die Charts hievt.

Einer der Tracks, die für "Herr Lehmann" Verwendung fand und damit zur Bekanntheit Cakes in Deutschland beitrugen ist "Friend Is A Four Letter Word". Es wird kaum einen Song geben, der so gut zu der Szene passt, in der Herr Lehmann verlassen wird und stinkwütend aus der Dönerbude stürmt. 'Kristall-Reiner!' brüllt er traurig durch die Nacht und McCrea singt "End is the only part of the word that I heard / Call me morbid or absurd / But to me friend is a four letter word".

Der Song "Open Book" klingt bei weitem nicht so eingängig und ruft beim ersten Hören mindestens ein Stirnrunzeln hervor. Haben die ihre Gitarren nicht gestimmt? Singen die absichtlich daneben? Cake wollen entweder ihre Unangepasstheit beweisen oder den Hörer testen, aber wer weiß schon was Cake wollen – oder was sie mit ihren Texten aussagen möchten. Zum Beispiel mit dem völlig absurden "Race Car Ya-Yas": "The land of Race Car Ya-Yas / The land where large fuzzy dice, still hang proudly like testicals from rearview mirrors". Warum singt man das? Das weiß wohl nur McCrea, der übrigens wahnsinnig auf Autos und Autometaphern abfährt. "Race Car Ya-Yas" ist nicht der einzige Auto-Song auf "Fashion Nugget" und schon gar nicht in Cakes Songhistorie. "Stickshifts & Safetybelts" zum Beispiel mit einem irrsinnig schnellem Gitarren-Riff und der schönen Textzeile "A lot of good cars are japanese / but when we're driving far I need my baby / I need my baby next to me". Ist klar.

McCreas andere Lieblingsthemen sind Verlassen werden, Frauen und seltsame Beziehungen. Das fröhliche "Daria", das Cover-Stück "Perhaps, Perhaps, Perhaps", mit lateinamerikanischer Trompete, und das naiv-rührende Country-Lied "She'll Come Back To Me" sind perfekte Beispiele hierfür.

Wegen "Nugget" (und dem kleinen "fuck" in "I Will Survive") hat "Fashion Nugget" den berühmten "Parental Advisory"-Aufkleber bekommen, der vor zwanzig Jahren irgendwie beeindruckender wirkte. "Shut the fuck up!" brüllt die Band nämlich im Refrain. Huch, wie schlimm! In der Strophe dieses Übersongs lässt John McCrea wieder seinen Sprechgesang auf die geneigte Zuhörerschaft los.

Zum Schluss steht nochmal ein Cover – auch so eine Spezialität von Cake. "Sad Songs And Waltzers", geschrieben von Willie Nelson, passt hervorragend zu Cakes ironischer Art. "It's a good thing that I'm not a star" singt McCrea und weiß, dass er und seine Band auch niemals Stars sein werden. Dafür brutzeln sie schon immer zu sehr in ihrem eigenen Saft und zelebrieren ihr Anderssein auch noch hochnäsig. Cake werden sich nie ändern und solange sie existieren Alben mit Hilfe von erneuerbaren Energien aufnehmen. Diese werden allesamt ziemlich ähnlich ausfallen und das ist gar nicht schlimm. "Fashion Nugget" jedenfalls ist dabei die Blaupause, die Essenz, das Meisterstück, auf das sich alles bezieht. Wer was anderes denkt hat keine Ahnung und soll den Mund halten.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Frank Sinatra
  2. 2. The Distance
  3. 3. Friend Is A Four Letter Word
  4. 4. Open Book
  5. 5. Daria
  6. 6. Race Car Ya-Yas
  7. 7. I Will Survive
  8. 8. Stickshifts And Safetybelts
  9. 9. Perhaps, Perhaps, Perhaps
  10. 10. It's Coming Down
  11. 11. Nugget
  12. 12. She'll Come Back To Me
  13. 13. Italian Leather Sofa
  14. 14. Sad Songs And Waltzes

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