laut.de-Kritik

Genial, wahnsinnig, und doch nur ein Produkt seiner Zeit.

Review von

"Brian Wilson bringt im Oktober 2004 'Smile' heraus". Schluck. Die Nachricht ist eine von jenen, die das Herz des Musikerliebhabers zum Rasen bringen. Ist es möglich, dass dieses legendäre Album, angeblich das wichtigste nie veröffentlichte in der Popgeschichte, tatsächlich noch das Licht der Welt erblickt? 37 Jahre sind vergangen, seitdem es die Beach Boys und ihr Label in einer Schublade verschwinden ließen. Wilson hatte die Grenzen seiner Genialität überschritten und war dem Wahnsinn nahe gekommen.

Ganz überraschend kommt die Veröffentlichung allerdings nicht, schließlich stellte Wilson mit seiner Begleitband The Wondermints das ursprünglich als "Teenage Symphony To God" bezeichnete Werk bereits im Frühjahr 2004 auf erlesenen Bühnen aus. Bastelte Wilson 1967 mit Songschreiber Van Dyke Parks monatelang am Material rum, brauchten er und seine Mitstreiter diesmal nur wenige Tage, um die Basisaufnahmen abzuschließen.

Als amerikanische Antwort auf die britische Pop-Avantgarde von Beatles, Who und Co. gedacht, halten die Stücke auf "Smile" bewusst nicht die traditionelle Anordnung von Strophe, Refrain, Strophe, Refrain ein. Geräusche, Instrumente, Harmonien und Melodien sind so angeordnet, dass sie vorrangig einem Konzept folgen. Wilsons und Parks Ziel war es, die Geschichte der USA musikalisch zu beschreiben. So befassten sie sich mit den Folgen der Wanderung von der Ostküste bis hin nach Hawaii, aber auch mit den Entwicklungen in der Gesellschaft.

Ein Projekt, das in den 60er Jahren angesichts seiner Größe von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Damals war es für eine Band üblich, zwei Platten und ein halbes Dutzend Singles pro Jahr heraus zu bringen - da blieb kaum Zeit für einen solch unverkäuflichen Wirrsinn. Kein Wunder also, dass die einzigen veröffentlichten Ausschnitte gerade die waren, die sich wie Lieder anhörten: "Good Vibrations", "Heroes And Villains" oder das Herzstück "Surf's Up".

In drei Teile gegliedert, beginnt "Smile" mit den Leben und Taten der vergangenen Generationen. In "Heroes And Villains" erzeugen vokale Harmonien und Streicher das Gefühl, auf einem Rummelplatz zu sein: Bunt geht es zu, es ist lustig, alles dreht sich. "Roll Plymouth Rock" erinnert an das Rollen eines Sturms und symbolisiert die amerikanische Gründerkultur, die sich ohne Rücksicht auf Verluste auf dem Territorium ausbreitet. Die Stücke vier bis sechs befassen sich mit dem Leben auf dem Land, Liebe, Sehnsucht und dem Traum nach Heim und einem eigenen Acker.

Der eher melancholische zweite Teil porträtiert das Familienleben (Gründung, die Rolle des Nachwuchses) und endet mit der Aufforderung, alte Strukturen abzulegen ("a blind class aristocracy, back through the opera glass you see") und der neuen Generation zu folgen ("surf's up! Aboard a tidal wave. Come about hard and join the young").

Der wieder fröhlichere dritte Teil beschreibt schließlich die Träume, Sehnsüchte und Erfahrungen eines heranwachsenden Jugendlichen. Dazu gehören Enttäuschungen, aber auch Wünsche und imaginäre Abenteuer, die in der großen Liebe und dem grandiosen "Good Vibrations" münden: "Gotta keep those lovin' good vibrations a-happenin' with her" lautet die Losung am Ende des Werkes.

Das hört sich ziemlich nach einem Hippie-Motto an, was auch kein Zufall ist: "Smile" ist letztendlich ein Produkt seiner Periode und keine zeitlose literarische bzw. musikalische Anstrengung über das menschliche (oder US-amerikanische) Schicksal. Eine Tatsache, die der Untertitel "presents" bewusst signalisiert. Die Relativierung schmälert aber weder die Genialität Wilsons und Parks noch den Einfluss des Albums: In den Ecken hat sich ein bisschen Staub angesammelt, und der Rohbau hat unter der fast 40-jährigen Witterung gelitten, dennoch liefern die Beteiligten ein solides und durchaus anhörbares Ergebnis.

Trackliste

  1. 1. Our Prayer/Gee
  2. 2. Heroes And Villains
  3. 3. Roll Plymouth Rock
  4. 4. Barnyard
  5. 5. Old Master Painter/You Are My Sunshine
  6. 6. Cabin Essence
  7. 7. Wonderful
  8. 8. Song For Children
  9. 9. Child Is Father Of The Man
  10. 10. Surf's Up
  11. 11. I'm In Great Shape/I Wanna Be Around/ Workshop
  12. 12. Vega-Tables
  13. 13. On A Holiday
  14. 14. Wind Chimes
  15. 15. Mrs. O'Leary's Cow
  16. 16. In Blue Hawaii
  17. 17. Good Vibrations

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1 Kommentar

  • Vor 15 Jahren

    Ich kann mich täuschen, aber ich glaube, dass lediglich "Good Vibrations" von Brian Wilson als "Teenage Symphony to God" bezeichnet wurde.
    Der ursprüngliche Arbeitstitel für Smile lautete "Dumb Angel".