4. März 2020

"Auch in Europa passiert verrückte Scheiße"

Interview geführt von

Anfang März erscheint Body Counts siebtes Studioalbum "Carnivore". Wir haben mit Bassist Vincent Price telefoniert.

Der bedenkliche Zustand der Welt scheint Body Count zu beflügeln. Spätestens seit "Bloodlust" von 2017 genießt die Metal-Band ihren zweiten Karrierefrühling. Die letzten verbliebenen Gründungsmitglieder Ice-T und Ernie C haben hierfür Musiker um sich geschart, die ihr Handwerk verstehen. "No Lives Matter" und "Black Hoodie" – Fans freuen sich über Lieder, die dringlicher denn je klingen.

Vincent Price stieß 2004 zur Band. Er nahm mit Body Count das vierte Studioalbum "Murder 4 Hire" auf. 2014 war er maßgeblich an der Comeback-Platte "Manslaughter" beteiligt. Für laut.de nahm sich der Bassist Zeit, um über Body Count im Allgemeinen und "Carnivore" im Speziellen zu sprechen. Wir mussten uns allerdings beeilen. Die Leitung nach Hollywood stand nur für 20 Minuten.

Vince, wenn "Manslaughter" euer Comeback-Album und "Bloodlust" euer modernes Meisterwerk ist – welche Rolle spielt "Carnivore" in eurer Band-Geschichte?

Das ist eine gute Frage. "Manslaughter" war für uns, was "Beneath The Remains" für Sepultura war. "Bloodlust" war unser "Arise". Mit "Carnivore" haben wir unser "Chaos A.D." aufgenommen. Ich habe mir diese Analogie ausgedacht, als das Label wissen wollte, wie "Carnivore" wird. Jetzt, wo die Platte fertig ist, würde ich einen anderen Vergleich heranziehen. "Manslaughter" ist unser "Kill 'Em All", "Bloodlust" ist unser "Ride The Lightning" und "Carnivore" ist unser "Master Of Puppets".

Es ist interessant, dass du diese Alben gegenüberstellst. Ich habe das Gefühl, dass "Carnivore" noch aggressiver als seine Vorgänger klingt.

Das ist richtig. Diese Songs sind im Grunde eine Fortsetzung von "Bloodlust", dabei aber noch härter. "Bloodlust" war für einen Grammy nominiert. Wir sind auch bei den Grammys aufgetreten. Ice-T hat uns danach gefragt, was wir tun müssen, um wieder dorthin zurückzukehren? Was müssen wir tun, um "Bloodlust" zu toppen? Ich habe ihm geantwortet, dass er sich keine Sorgen machen soll. Wir schaffen das. Wir haben uns wieder mit dem gleichen Team an die Arbeit gemacht. Das sind eine Menge Leute, die Ideen beisteuern. Als ich mir "Bloodlust" noch einmal angehört hatte, stellte ich fest, dass wir das mittlerweile noch besser können. Wir haben also im Grunde komplett von vorne angefangen und meiner Meinung nach eine großartige Platte aufgenommen. Wie findest du das Album?

Um ehrlich zu sein, hat es die Platte schwer, mit "Bloodlust" zu konkurrieren. Dafür finde ich "Bloodlust" einfach zu gut. Ich mag "Carnivore" trotzdem.

Das verstehe ich.

"Der Schockwert von Musik und anderen Dingen ist weg"

Als 1992 "Cop Killer" erschien, waren viele Menschen schockiert. Würde der Song heute erscheinen, wäre das vermutlich nicht mehr der Fall. Wie findest du es, dass sich die Welt nicht mehr so leicht schocken lässt?

(lacht) Heutzutage schockt die Menschen gar nichts mehr. Der Schockwert von Musik und anderen Dingen ist weg. Alles wurde so viele Male gemacht. Wäre das noch anders, hätte unser Video zu "Talk Shit, Get Shot" viel mehr Kontroversen ausgelöst. Wir sind darin herumgelaufen und haben Menschen erschossen. Niemanden hat das gekümmert.

Ist das ein schlechtes oder gutes Zeichen?

Menschen akzeptieren heutzutage einfach alles. Das ist kein schlechtes Zeichen, es ist einfach die Realität. Auf YouTube kannst du alles finden. Menschen filmen wildfremde Menschen, die sich auf der Straße gegenseitig zusammenschlagen. Es gibt keine Zensur mehr. Damals gab es noch Zensur. Mittlerweile kommst du mit allem durch.

Nun seid ihr in Europa besonders erfolgreich. Hier wird möglicherweise ein anderer Lebensstil gepflegt als in Los Angeles. Fühlt ihr euch von den Fans aus Übersee verstanden?

Die Leute glauben, die ganze Gewalt gibt es nur in South Central, Chicago oder New York. Diese Dinge passieren aber überall. Ich reise um die ganze Welt und auch bei euch in Europa passiert verrückte Scheiße. Auch bei euch werden Leute erniedrigt, erstochen und erschossen. Ich war vor einigen Monaten in London und da werden Menschen auf offener Straße ermordet. Ice-T beschreibt es in seinen Texten, wie es überall ist. Würdest du mir da nicht zustimmen?

Natürlich würde ich das. In Deutschland werden Leute aus rassistischen Motiven getötet. Als Europäer vergisst man das aber gerne, weil man immer nur auf die "crazy Americans" schaut.

Ja, ich weiß. Diese Haltung gibt es in Europa. Viele Menschen auf der ganzen Welt haben das aber durchschaut und können sich mit Body Count identifizieren.

Englisch ist eine weitverbreitete Sprache, aber dennoch verstehen sie nicht alle. Glaubst du, man kann Body Count feiern, ohne die Texte zu verstehen?

Die Texte sind sehr direkt. Selbst wenn du die Sprache nicht verstehst, wird es dir schwerfallen, die Message zu überhören. Es gibt einfach keinen Weg, sich dieser Wut zu entziehen.

Ice-T schreibt eure Texte. Die Liner Notes eurer Platten verraten aber, dass die restliche Band ebenfalls in die Lyrics involviert ist?

Ice-T stellt seine Texte der Band vor und wir können daran mitarbeiten. Ich habe zum Beispiel den Anfang des Titelsongs auf "Manslaughter" geschrieben.

Und wie lief der Schreibprozess ab?

Ich höre mir die Musik an und überlege mir eine gute Botschaft dazu. Häufig gibt es schon einen Titel für den Song, was es mir deutlich einfacher macht. Dadurch habe ich bereits ein Thema. Bleiben wir beim Beispiel "Manslaughter". Darin heißt es: "Killing another human being / lynch the mass murders / count the bodies, bloodshed / murder on the brain / clean up the mess / bleeds down the drain / a special victims unit / on the corner, manslaughter." (lacht) Das bringt es auf den Punkt. Ice-T schrieb dann den Rest der Lyrics.

"Aufgrund meines Looks meinten sie zu mir, dass ich eine Schande für alle Schwarzen bin"

Ich war noch nie in South Central, habe von dem Stadtteil aber durch Rapper wie Ice-T, Eazy-E und The Game gehört. Wie ist es, dort als Rockmusiker aufzuwachsen?

Es ist nichts Außergewöhnliches. Es ist vermutlich wie überall. Menschen sagen verrückte Dinge über dich. Wenn Leute dich für das hassen, was du tust, treibt dich das aber nur noch mehr an. Es gibt dir mehr Leidenschaft. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal zum Lebensmittelmarkt ging und von ein paar schwarzen Ladys beobachtet wurde. Aufgrund meines Looks meinten sie zu mir, dass ich eine Schande für alle Schwarzen bin (lacht). Heute tragen die Rapper blaue, grüne und lila Haare.

Gab es für dich als jungen Rockmusik-Fan Orte, die du besuchen konntest?

Damals gab es unzählige Rock-Clubs. Die meisten befanden sich in Hollywood. Wir sind aber auch oft nach Anaheim gefahren.

War das legendäre Whisky a Go-Go ein Club, den du besucht hast?

Ja, ich war oft im Whiskey a Go-Go. Ich habe auf dem Sunset Strip aber auch das Roxy und auf dem Santa Monica Boulevard das Troubadour besucht.

Du wurdest 2004 ein Teil von Body Count. Wie hat es sich angefühlt, Mitglied einer so namhaften Band zu werden?

Es hat sich cool angefühlt. Du musst aber wissen, dass es seitdem drei verschiedene Line-Ups gab. Das aktuelle Line-Up ist das beste, das die Band bisher hatte. Du kannst es mit Sport vergleichen. Du musst das richtige Team zusammenstellen, um Dinge zu erreichen. Egal, was ich im Leben tue, ich will besser darin werden. Mit diesem Line-Up kann ich das schaffen.

Aber warst du 2004 nicht nervös?

Davor habe ich schon in anderen Bands gespielt, daher war es für mich keine große Sache. Ich habe damals in einem Musikstudio gearbeitet, in dem Body Count abhing. Die Originalmitglieder kannte ich also. Ich habe ihnen die Räume aufgeschlossen, die Technik eingestellt und bei den Bandproben zugehört. Ich war kein Stalker, konnte die Band aber aus nächster Nähe bei ihrer Entwicklung beobachten. Daher war es ein leichtes für mich, Mitglied der Gruppe zu werden. Sie meinten irgendwann: Wir haben all diese Mitglieder verloren, Vince, jetzt bist du an der Reihe (lacht).

Es gehört zur Bandtradition, dass ihr auf euren Platten Rockklassiker covert. Weshalb habt ihr euch auf "Carnivore" für "Ace Of Spades" von Motörhead entschieden?

Motörhead ist meine Lieblingsband. Auf unserer letzten Tour zu "Bloodlust" haben wir unsere Shows mit "Raining Blood" von Slayer eröffnet. Als wir bei einem Festival vor Slayer auftraten, wollten wir den Song nicht spielen. Ice-T fragte uns also, welches Lied stattdessen funktionieren könnte. Wir haben uns für "Ace Of Spades" entschieden. Das Publikum drehte total durch, weshalb wir den Song auf die Platte genommen haben.

Und weshalb habt ihr mit "Colors" einen Song von Ice-T gecovert?

Das Lied wollten wir schon vor Ewigkeiten aufnehmen. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt dafür. Fällt dir etwas auf, wenn du das Albumcover von "Carnivore" mit den Lyrics von "Colors" vergleichst? Der Protagonist aus "Colors" ist die Figur auf dem Cover.

Zum Abschluss noch eine simple Frage: Hast du mehr Spaß auf der Bühne oder im Studio?

Studioarbeit ist großartig, weil du nicht in die Köpfe der anderen schauen kannst. Du weißt nicht, was passieren wird. Das ist herausfordernd. Du musst richtige Denkarbeit leisten. Vor Leuten zu spielen, ist eine völlig andere Sache. Da kannst du dich gehen lassen.

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