laut.de-Kritik

Für Freunde des folkigen Dylan.

Review von

Als jede Hoffnung vergeblich schien, überraschte Bob Dylan im Januar 1975 mal wieder alle, die sich für ihn interessierten: Er kehrte zurück zu seinen Wurzeln. Nachdem er zuvor einige Jahre damit verbracht hatte, seine Fans der ersten Stunde zu vergraulen und die verhassten Kritiker gleich mit, hatte er sich nach zwei Platten für Asylum zurück in den Schoß seines ersten Labels Columbia begeben und nach New York in jenes Studio, in dem alles angefangen hatte.

Über die Beweggründe lässt sich, wie bei ziemlich allem bei Dylan, munter fachsimpeln. Allgemein gilt "Blood On The Tracks" als sein "Confessional Album", jenes Werk, in dem er tief in sein Seelenleben blicken ließ.

In der Tat kriselte es zu jener Zeit in seiner Ehe schwer, auch wenn die Scheidung von Sara erst 1977 stattfand. Der gemeinsame Sohn Jakob, später selbst ein erfolgreicher Musiker, erklärte, das Album handle von seinen Eltern. Dylan selbst sah das natürlich anders: Er schreibe keine confessional Songs, meinte er damals. In seiner Version einer Autobiographie, "Chronicles Vol. 1", schrieb er 2004 gar, dass die Texte von Kurzgeschichten des russischen Autors Anton Chekhow inspiriert worden seien.

Whatever. Auch wenn im Studio Schlagzeug, Bass, Klavier und gelegentlich E-Gitarre dazu kamen, bestand das Wesen der Stücke aus dem Stoff, den Dylan in der ersten Hälfte der 1960 Jahre zu einem vermeintlichen Propheten gemacht hatten. Eine Rückbesinnung waren sie jedoch nicht, flossen in Texte und Stimme die vielen Erfahrungen ein, oft auch schmerzhafte, die er seitdem gemacht hatte.

Bietet Dylans "Bootleg Series" in der Regel ergänzendes Material zu schon mehr oder weniger bekannten Stücken, handelt es sich Bei "More Blood, More Tracks" um ein fast eigenständiges Album. Sehr zur Freude derer, die den folkigen Dylan am meisten mögen, denn hier ist er fast alleine mit seiner Akustikgitarre und seiner Mundharmonika zu hören. Zwar kommt in mehreren Stücken Tony Brown am Bass hinzu, doch so dezent, dass er nicht wirklich auffällt. Ein intimes Werk, in dem der Meister seine verletzte Seele offenbart. Oder zumindest zu offenbaren scheint.

Die Stücke? Allesamt zeitlos. Angefangen beim Opener, seit jeher eines seiner beliebtesten Lieder und nach wie vor oft in seinem Live-Programm zu hören. "And I was standing on the side of the road / Rain falling on my shoes / Heading out for the East coast / Lord knows I've paid some dues getting through / Tangled up in blue". Die Geschichte zweier Menschen, die sich lieben, aber nicht wirklich zueinander finden, im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neu geschrieben und tausendfach interpretiert.

Schwierig war nicht nur die Beziehung zu Sara. Suzie Rotolo, Dylans Freundin auf dem Cover von "The Freewheelin' Bob Dylan" 1963, galt (vermutlich) "Simple Twist Of Faith", auf dem Dylan fast schon zärtlich gerührt klingt. "iI still believe she was my twin / But I lost the ring". Doch war es Sara, die ihn später erdete und ihm ein zuhause gab, zumindest vorübergehend: "'Twas in another lifetime, one of toil and blood / When blackness was a virtue the road was full of mud / I came in from the wilderness, a creature void of form / Come in, she said / I'll give ya shelter from the storm".

Alles vorbei. "Our conversation was short and sweet / It nearly swept me off my feet / And I'm back in the rain, oh / And you are on dry land / You made it there somehow / You're a big girl now". Was bleibt, sind Tränen und Trauer, auch wenn "Buckets Of Rain", das das ursprüngliche Album abschloss, eher tröstend wirkt. Böses Blut? Oh ja. Aber eine gewisse Sehnsucht bleibt bestehen ("If You See Her, Say Hello").

Zwei Stücke stehen auf diesem Album etwas Abseits. "Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts" erzählt die wilde Geschichte eines herzbrechenden Banditen, dessen Besuch einer Kleinstadt in einem Blutbad endet. Doch hat auch dieses Lied einen Bezug auf Dylans Liebesleben, wenn auch indirekt: Nachdem er der bekanntesten seiner Verflossenen, Joan Baez, am Telefon davon erzählt hatte, schrieb sie ihr bestes Lied, "Diamonds And Rust".

Das zweite ist "Idiot Wind", das mit der bemerkenswerten Zeile "Someone's got it in for me / They're planting stories in the press" beginnt, eine Abrechnung mit allen möglichen Menschen, zu denen auch Sara und sein ehemaliger Manager Albert Grossmann gehören (könnten). "Meet Me In The Morning" bietet untypisch für Dylan Blues, "You're Gonna Make Me Lonesome When You Go" ist dagegen schon fast Country-Pop. In der Tat hat Miley Cyrus 2012 davon eine hörenswerte Cover-Version gesungen, auf einem Benefiz-Album zugunsten von Amnesty International. Doch auch in diesem eher simplen Stück gelingt es Dylan, die französischen Dichter Verlaine und Rimbaud unterzubringen.

Als Zusatztrack schließt "Up To Me" das 14. Album seiner Bootleg Series ab. Eine Art Mischung aus "Tangled Up In Blue", "Simple Twist Of Fate" und "Shelter From The Storm", die 1975 nicht berücksichtigt wurde, sich dank Bootlegs im eigentlichen Sinne aber bald zu einem Geheimtipp entwickelte.

Alle hier vertretenen Stücke entstanden an vier Tagen im September 1975 in New York. Dylan (und sein Bruder David Zimmermann) fanden die Interpretationen aber zu folkig, weshalb sie Ende Dezember mit einer neuen Band einige Stücke in Minneapolis noch einmal aufnahmen. Auf dem ursprünglichen Album landeten jeweils fünf Versionen aus beiden Städten.

Wer es genau wissen will, greift zur Deluxe-Ausgabe auf sechs CDs, die so ziemlich alle Takes bereit stellt. Um den folkigen Dylan zu genießen, reicht aber die Standard-Ausgabe. Umso mehr die auf Vinyl, die zwei Platten beinhaltet. Das bedeutet dreimal aufstehen in relativ kurzer Zeit, was den Vorteil bietet, sich Wein nachschenken zu können, der bei der melancholisch-einlullenden Stimmung besonders gut schmeckt.

Trackliste

  1. 1. Tangled Up In Blue (Take 3, Remake 3)
  2. 2. Simple Twist Of Fate (Take 1)
  3. 3. Shelter From The Storm (Take 2)
  4. 4. You're A Big Girl Now (Take 2)
  5. 5. Buckets Of Rain (Take 2, Remake)
  6. 6. If You See Her, Say Hello (Take 1)
  7. 7. Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts (Take 2)
  8. 8. Meet Me In The Morning (Take 1, Remake)
  9. 9. Idiot Wind (Take 4, Remake)
  10. 10. You're Gonna Make Me Lonesome When You Go (Take 1, Remake 2)
  11. 11. Up To Me (Take 2, Remake)

Noch keine Kommentare