laut.de-Kritik

Kein Comedy-Album hat das Recht, so gut zu klingen!

Review von

"You wanna hear a funny story? So, uh, five years ago, I quit performing live comedy. Because I was beginning to have, uh, severe panic attacks while on stage. Which is not a great place to have them. So I quit, and I didn't perform for five years. And I spent that time trying to improve myself mentally. And you know what? I did! I got better. I got so much better, in fact, that in January of 2020. I thought, 'You know what? I should start performing again. I've been hiding from the world and I need to re-enter'. And then, the funniest thing happened"

Es tut mir leid, ich weiß, wir haben mittlerweile alle genug über das vergangene Jahr, die Pandemie, knappes Klopapier und Quarantäne geredet, aber ich kann doch auch nichts dafür, dass uns, gerade als das Licht am Ende des Tunnels mehr und mehr die Form eines Flutlichts annimmt, Comedian Bo Burnham mit seinem Special "Inside" emotional wieder um zwölf Monate zurückwirft.

Er, dessen Profession es ist, auf Bühnen zu stehen und Leute zum Lachen zu bringen, ist wohl auch einer derjenigen, die den gleichmachenden Effekt den eine weltweite Seuche auf unseren Alltag hat, am schmerzlichsten zu spüren bekamen. Mental gerade wieder aufgerappelt, kam der Virus aus dem Nichts und trat ihm rücksichtslos die Krücken weg. Um sich davor zu bewahren, wieder vollends in alte Muster zurückzufallen, stampfte Burnham also dieses akribisch zusammengesetzte 'Comedy-Special', das eigentlich gar keines ist, und zu 90 Prozent nur aus selbstproduzierten und inszenierten Songs besteht, aus dem Boden. Das funktioniert als audiovisuelles Ganzes natürlich am besten, aber auch die Songs an sich sind es Wert, besprochen zu werden.

"Can one be funny when stuck in a room?", fragt er sich. Die Antwort ist, ja. Aber "Inside" ist so viel mehr als nur 'funny'. Es ist die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, eine Demonstration von unbändiger Kreativität und das Tagebuch eines Mannes, der mehr und mehr in existenziellen Ängsten, Depressionen und Einsamkeit versinkt. In gewisser Weise ist der Humor von "Inside" deshalb fast schon zweitrangig, was dem Gesamtprodukt zu Gute kommt.

Wer Burnhams Comedy kennt, der weiß ungefähr, was einen hier, zumindest auf den stärker auf Punchlines gepolten Songs, inhaltlich erwartet. Der Comedian zieht Internet- und Popkultur durch den Kakao, macht augenzwinkernd auf Missstände aufmerksam. Alles steht dieses Mal jedoch unter dem Eindruck der Pandemie und deren Auswirkungen auf unseren digitalen Alltag.

So handelt "FaceTime With My Mom (Tonight)" beispielsweise von den zur Routine gewordenen Video Calls mit der eigenen Familie, die es auch nach 20 Tutorials nicht gebacken kriegen, die Kamera nicht mit ihrem Daumen zu verdecken. "White Womans Instagram" behandelt die uniforme Social Media-Maskerade mit der wir unsere echten Gefühle unter Verschluss halten, "How The World Works" erklärt die Welt mit einem verstörend ehrlichen Muppet-esken Puppentheater und auf "Welcome To The Internet" gibt Burnham den virtuellen Reiseführer, bis er irgendwann unter der schieren Menge an Bits und Bytes zusammenbricht.

Das ist alles nicht neu, nicht mal für Burnham selbst. Und mit wenigen wirklich witzigen Ausnahmen - wie etwa wenn er auf "Sexting" seinen Penis mit dem Eraserhead-Baby vergleicht - entlocken einem die meisten Songs auf "Inside" nicht mehr als ein Schmunzeln. Das Album, und auch das gesamte Special sind lustig, ja, aber eben nicht zum Schreien komisch. Das ist aber auch gut so, denn die wahre Stärke dieses Projekts steckt in der Menschlichkeit und Verletzbarkeit die Burnham zur Schau stellt.

Was alles aber auch über den Inhalt hinaus so unterhaltsam macht, ist Burnhams musikalisches Talent. Sicherlich, das ist vor allem auf den Blödelei-Songs durchaus noch etwas vom Niveau eines wirklich außergewöhnlichen Songwriters entfernt. Aber gerade im Vergleich mit seinen früheren musikalischen Gehversuchen, und darüber hinaus mit sämtlichen anderen Vergleichbaren Comedy-Musikern, ist das schlichtweg großartig.
Die Melodien sind eingängig ohne zu langweilen, die Hooks sind verdammt catchy und die Soundpalette ist unglaublich versatil. Synthpop, Akustik-Lagerfeuer-Gezupfe, R'n'B: Alles
da, alles gut. Darüber hinaus implementiert Burnham auf Songs wie "Comedy" oder "Welcome To The Internet" clevere Beat-Switches und gibt am Ende von "Goodbye" ein schön arrangiertes Medley vergangener Songs zum Besten. Kurzum: Ein Comedy-Album hat kein Recht dazu, so gut zu klingen.

Der Amerikaner schreckte noch nie davor zurück, offen über seine Rolle als Promi zu reflektieren, und was dieser Status über die Jahre mit seiner mentalen Gesundheit angestellt hat. Aber noch nie war er so erschreckend ehrlich und unverblümt wie auf "Inside". Insofern sind es auch gerade die Momente, die gar nicht erst versuchen, uns zum Lachen zu bringen, die dieses Album zu etwas ganz besonderem machen. "Look Who's Inside Again" ist eine fast schon rührende Ballade über das unwohle Gefühl, das Haus irgendwann gar nicht mehr verlassen zu wollen, "Don't Wanna Know" greift Burnhams Angst vor schlechter Kritik auf und "All Time Low" arbeitet eine Panikattacke mit einem verzweifelt wirkenden Humor auf.

Die absoluten Highlights hebt sich Bo allerdings bis zum Schluss auf. "That Funny Feeling" könnte so auch Phoebe Bridgers geschrieben haben. Eine wunderschöne, melancholische Akustik-Ballade, die in cleveren und niederschlagenden Worten über unsere kaputte und verwirrende Welt reflektiert und sie am Ende mit einem lachenden und einem weinendem Auge untergehen lässt. "The unapparent summer air in early fall, the quiet comprehending of the ending of it all": Klingt das noch nach Comedy? Absolut nicht, und das ist auch gut so. Auf "Comedy" verspricht uns Burnham noch, die Welt mit seinem Stand-Up ein wenig besser machen zu wollen, spätestens hier erkennt er, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist.

Das wird auf "All Eyes On Me" noch deutlicher. Das diese Kritik einleitende Zitat ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Songs: Ein nicht mehr aufzuschiebendes Bad im eigenen Elend, eine Auseinandersetzung mit dem Monster, das ihn solange von der Bühne fernhielt und jetzt wieder größer und bedrohlicher als je über ihm lauert. Inszeniert als Live-Act vor voller Hütte ist Burnham nicht länger Comedian, sondern nihilistischer Prophet, der kurz davor steht, auch den letzten Funken Hoffnung zu verlieren: "You say the ocean's rising like I give a shit / You say the whole world's ending, honey, it already did / You're not gonna slow it, Heaven knows you tried / Got it? Good, now get inside!"

"I wanna hear you tell a joke, when no one’s laughing in the background": Immer wieder beteuert Burnham, dass er sich davor fürchtete, dieses Projekt fertigzustellen. Am Ende können wir froh sein, das er es doch tat. "Inside" ist ein weiterer Beweis dafür, wie erfinderisch Not machen kann. Es ist ein Comedy-Special, (das kann man sich nicht oft genug vor Augen führen) das ein Spiegelbild der Gefühle zeichnet, die wir alle während der Pandemie erlebten. Es ist in gewissem Sinne wirklich die emotionale Quintessenz dieser vergangen Monate. Und auch, wenn diese wahrlich nicht schön waren, so stimmt wenigstens Burnham's Prognose für die Zukunft optimistisch: "It'll stop any day now".

Trackliste

  1. 1. Content
  2. 2. Comedy
  3. 3. FaceTime With My Mom (Tonight)
  4. 4. How The World Works
  5. 5. White Woman's Instagram
  6. 6. Unpaid Intern
  7. 7. Bezos I
  8. 8. Sexting
  9. 9. Look Who's Inside Again
  10. 10. Problematic
  11. 11. 30
  12. 12. Don't Wanna Know
  13. 13. Shit
  14. 14. All Time Low
  15. 15. Welcome To The Internet
  16. 16. Bezos II
  17. 17. That Funny Feeling
  18. 18. All Eyes One Me
  19. 19. Goodbye
  20. 20. Any Day Now

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