24. November 2010

"War ja klar, dass Unheilig gewinnen"

Interview geführt von

Im wunderschönen Zürcher Kaufleuten treffen wir drei der fünf Blumentopf-Jungs zum Interview. Auf edlen Couches zeigen sich die Münchener kritisch sowohl gegenüber den Fragen wie auch sich selbst.Die Zicken von Aufnahmegeräten aus der Vorzeit verzeihen sie jedoch warmherzig. Man ist ja nicht erst seit gestern im Business unterwegs. Und so geben Schu, Sepalot und Roger bereitwillig Einblick in das Innere des Blumentopfs.

Vor kurzem wart ihr ja beim Bundesvision Song Contest und habt euch mehr als beachtlich geschlagen. Vor der Show ließ Holunder jedoch verlauten: "Wenn wir hier gewinnen, werden sich Unheilig und Ich + Ich mindestens genauso wundern wie wir." Wieso denn so kleinlaut?

Sepalot: Das ist gar nicht kleinlaut. Es war ja relativ klar, dass so ein Act wie Unheilig das gewinnen muss. Die waren ja mit ihrem Album ewig auf Platz 1.

Roger: Länger als Grönemeyer!

Sepalot: Genau, und Ich + Ich ist einer der größten Pop-Acts, den es in Deutschland gibt. Deshalb sind wir für uns einfach erster geworden, weil der vierte Platz einfach der erste mögliche war.

Wie bewertet ihr das Konzept der Sendung generell? Wenn das ja vorher klar war, was war denn die Motivation hinter eurer Teilnahme?

Schu: Das Coole an der Sache ist, dass es wirklich um Musik geht. Die Leute von der Produktionsfirma suchen sich die Leute aus, auf die sie Bock haben. Es gibt im deutschen Fernsehen keine so große Abendshow, die Musik als zentrales Thema hat.

Klar kannst du als richtig bekannter Act bei "Wetten, dass ...?" auftreten, aber die ganzen kleinen Bands wie Mikroboy oder wahrscheinlich auch wir haben selten die Möglichkeit, an einem Samstagabend auf so einem Sendeplatz zu spielen.

Roger: Außerdem gewinnt man ja nicht sonderlich viel. Ob man jetzt auf Platz zwei oder Platz vier landet ist ja scheißegal. Es war einfach eine coole Gelegenheit und ein neues Format für uns: Einfach rausgehen und drei Minuten rocken. Und das für so ein breites Publikum, weshalb es für uns ein geglücktes Experiment gewesen ist.

Gab es für also gar keine negativen Punkte dabei? Das ganze Glamour-Ding ...

Schu: Glamour-Ding? Also ganz ehrlich, das ist eben Unterhaltungs-Industrie. Ich kann da nur für mich sprechen, aber wenn bei einer Pressekonferenz 1.000 Fotografen mehr Fotos machen als normal im ganzen Jahr, dann bin ich schon froh, dass das nicht das Zentrum unserer Arbeit ist.

Unser Ding sind einfach die Live-Shows, am Merchandise-Stand rumhängen und dass wir größtenteils machen können, worauf wir Bock haben. Ich beneide echt niemanden darum, dessen täglich Brot dieses Business ist. Aber das mal zu sehen und dabei zu sein, ist einfach eine super Gelegenheit. Es war teilweise so irre, dass es halt geil ist, das mal so zu sehen. Auch die Leute, die das organisiert haben, waren wirklich supernett.

Roger: Da habe ich mich zum Beispiel vor sieben Jahren beim Splash unwohler gefühlt, als jetzt beim Bundesvision Song Contest. Auch hinter den Kulissen war's echt nett, auch wenn wir sehr viel Zeit einfach nur absitzen mussten.

Na dann ist ja gut, hätte ich nicht gedacht.

Roger: Wir auch nicht (lacht).

Schu: Es ist eben nicht alles böse.

"Wir waren nie das Aushängeschild der Szene."

Nach den ARD-Raportagen, dem Wahlwerbespot und jetzt diesem Auftritt werdet ihr doch bestimmt häufig mit Mainstream-Vorwürfen konfrontiert. Wie geht ihr damit um?

Roger: Weniger als man vermutet. Natürlich gibt es kritische Stimmen, wenn man was für die Nationalmannschaft macht. Vor der WM im eigenen Land, war das ja eh ein großes Thema, ob man die deutsche Flagge an den Balkon hängen darf. Klar, gibt es immer jemanden, der sagt: "Die zweite High-Hat vom dritten Lied ist nicht gut", aber das ist verschwindend gering.

Schu: Auch lange bevor dieses WM-Ding losging, waren wir ja nie eine Band, die die Fans mit ihrem Underground-Status begeistert. Wir haben in den Raportagen genau das gemacht, was wir schon immer machen. Wir haben gefreestyled und dabei aktuelle Ereignisse einfließen lassen. Es hätte einige andere Bands viel schlimmer treffen können, da wir ja nie das Aushängeschild der deutschen Hip Hop-Szene waren.

Wir hatten einfach schon immer eine gewisse Sonderstellung und auch Fans, die sonst mit Hip Hop gar nichts anfangen konnten. Mainstream klingt immer gleich so böse, aber eigentlich heißt es nur, dass es in deiner Musik eine große Schnittmenge gibt.

In eueren Lieder und teilweise in Interviews distanziert ihr euch ja auch oft genug explizit von der "klassischen" Hip Hop-Szene in Deutschland.

Roger: Wir sind mittlerweile die klassische Hip Hop-Szene in Deutschland. Die Bands, die mit uns angefangen haben, sind die am längsten bestehenden Gruppen. Kool Savas gibt es auch schon ewig, früher sogar noch als englischer Rapper. Fettes Brot, die Fantas, auch die Beginner. Uns war aber immer wichtig, dass wir nicht so sind wie die Szene.

Zum Glück war uns immer egal, wer was anhat und wie weit die T-Shirts gerade sind. Wir haben nie versucht, die trendigste Musik zu machen, sondern wir wollten einfach die beste Musik machen, unsere Musik.

Euer neues Album "Wir" war ja schon auch ein starker Bruch mit älteren Sachen von euch. War das einfach eine Entwicklung oder wolltet ihr ganz bewusst den Hip Hop-Begriff erweitern?

Sepalot: In wiefern war das für dich ein Bruch?

Es ist auf jeden Fall lauter, gitarrenlastig und auf jeden Fall massentauglicher.

Roger: Massentauglicher?

Schu: Also dann hast du einen anderen Mainstream-Begriff als andere Leute. Ich meine, wenn man sich das Vorgängeralbum "Musikmaschine" anhört, gibt es zum Beispiel Tracks wie "Die City Schläft", die sich meiner Meinung nach deutlich 'mainstreamiger' anhören.

Das war eben deutlich Hip Hop-lastiger.

Sepalot: Deswegen habe ich ja noch einmal nachgefragt. Wenn das so bei dir angekommen ist, dann ist das ja durchaus richtig angekommen. Das neue Album ist für uns beides, einmal eine Rückkehr zu unseren Stärken und eben gleichzeitig ein Blick nach Vorne. Wir wollten eben für das neue Album einen neuen Sound etablieren.

Wir haben dann ein Zwitterding gemacht, das zwar aus einerseits Schlagzeug-Loops und 60's-Krautrock-Sachen besteht, andererseits aber so produziert wurde wie wir unsere frühen Rap-Sachen aufgenommen haben. Also mit vielen Samples, auseinandergeschnitten, zusammengesetzt. Es war uns vor allem wichtig, dass es anders klingt, aber gleichzeitig wie ein Rap-Album funktioniert. Es klingt sehr roh und vielleicht deshalb für manche Ohren sogar kommerzieller als etwas Glatteres. Das würde mich ja sehr freuen, wenn man mit Kanten kommerzieller klingen würde.

Mich hat zum Beispiel der Track "Fenster Zum Berg" sehr beeindruckt. Der besteht ja fast nur aus Samples alter Stieber Twins-Sachen. Ist das als Ehrung des klassischen deutschen Raps zu verstehen?

Roger: Das hat damit zu tun, dass der Wunder [Holunder a.k.a. Bernhard Wunderlich, Anm. d. Red.] einfach ein totales Stiebers-Rad ab hat. Er kann fast keinen Textentwurf mehr bringen, bei dem nicht mindestens ein Stiebers-Cut drin ist. Der Wunder ist einer, der für die Zeit echt ein fotografisches...(lacht) naja, ein fotografisches Gedächtnis für Audio-Sachen hat.

Das ist so sein Ding und die Stiebers sind nun mal die Chefs in dem Classic-Rap-Ding in Deutschland. Klar, die haben fette Stimmen, haben die richtigen Sachen gesagt und waren witzig. Wenn einer einen Stiebers-Cut vorschlägt, sagen wir alle Hurra!

Seid ihr ab und zu in Heidelberg oder trefft die Jungs irgendwo?

Sepalot: Wir haben uns jetzt schon länger nicht mehr getroffen, weil ihre Live-Shows doch relativ rar geworden sind. Deshalb trifft man sich nicht mehr auf den Bühnen, aber wenn wir mal in Heidelberg sind, gehn wir auf jeden Fall in ihren Laden.

Roger: Da verabredet man sich dann meist für den Abend bis dann ein Anruf kommt, dass die Freundin krank oder der Puddingplunder nicht mehr frisch ist.

"Wir haben cool angefangen und besser weitergemacht."

Mir ist in den letzten Jahren aufgefallen, dass der DJ immer mehr ausstirbt. Wie empfindet ihr das?

Roger: Unserer lebt zum Glück noch.

Schu: Einer der letzten seiner Art (beide lachen).

Sepalot: Du hast in gewisser Weise natürlich recht. Gerade wenn man nach Amerika guckt, da gab es immer Teams wie Gang Starr mit Premo oder Erik B and Rakeem, diese Kombination war also ganz normal, auch bei Bands wie De La Soul. Dann hat sich das immer mehr zum Solokünstler entwickelt, der sich von verschiedenen Leuten Beats hat geben lassen.

In Deutschland hat sich das dann auch so entwickelt, dass viele MCs keinen festen DJ hatten. Auf der Bühne und in der Produktion ist der DJ auf jeden Fall rausgedrängt worden. Im Club hat er sich selbst rausgedrängt, weil die meisten DJs einfach zu uninspiriert auflegen. Wir haben uns dagegen immer als Band gesehn, weshalb bei uns der DJ hoffentlich nicht ausstirbt.

Eure "Nerd-Tracks", die sich dann nur um Skaten, Videospiele oder sowas drehen, wie funktionieren die? Gibt da einer das Thema vor und die anderen müssen quasi mitziehen oder sind das Dinge, die euch alle faszinieren?

Roger: Ach, da kommt man eben mit zwei, drei Sprüchen beim Freestylen daher und das rattert dann in einem weiter. Auf einmal merkt man dann: "Fuck, ich kenn mich da viel zu gut aus. Wo kriege ich jetzt das ganze unnütze Wissen unter?" Manchmal entwickelt sich dabei einfach ein guter Track, aber wir überlegen uns nie vorher was wir machen wollen oder sowas.

Schu: Es gibt, Gott sei dank, kein Gremium, das aus uns fünf besteht und dann festlegt, ob sich alle soweit damit identifizieren können, dass da ein Track daraus wird. Wär's so, würde es die Band auch nicht mehr geben.

Klar, wir zwei sind die Spiele-Nerds und Holunder ist der Skater, das hälts ja auch irgendwie spannend. Das macht es ja auch cool, weil wir zwar alle Freunde sind, aber wir sind eben nicht alle gleich. Das muss sich auf jeden Fall in der Musik auch so widerspiegeln. Sonst wäre es einfach langweilig.

Achtet ihr absichtlich darauf, dass ihr immer ein oder zwei solche Tracks auf der Platte habt?

Roger: Wir schauen eher darauf, dass wir nicht 17 solcher Tracks auf der Platte haben.

Ich sehe diese Tracks aber schon auch ein wenig als euer Markenzeichen.

Schu: Das freut uns dann natürlich. Die Tracks sind auch immer sehr stark. Rappen über das Rappen ist eher lahm. Man braucht schon etwas, das sich lohnt erzählt zu werden, das dann eben auch außerhalb der Hip Hop-Welt ist.

Wenn ihr so zurückschaut, habt ihr euch ja gerade in Hinsicht auf die ersten zwei Alben sehr verändert. Wie bewertet ihr diese Veränderung? Stört es euch vielleicht auch manchmal, wie ihr euch entwickelt habt?

Roger: Naja, da waren wir Anfang zwanzig und heute sind wir Mitte dreißig. Klar haben wir uns da sehr verändert. Ich bin aber sehr froh, dass auf den ersten Alben nichts drauf ist, wofür wir uns schämen müssten. Ich finde, wir haben cool angefangen und besser weitergemacht.

Sepalot: Diese Veränderung war auch immer bewusst. Wir haben nie direkt an einem Album angeknüpft, weil uns ein neuer Sound wichtig war. Zwischen den Alben sind immer viele Songs in die Tonne gewandert, weil die für uns noch nicht "Neues-Album-Material" waren. Das war dann meist noch die Zugabe von dem vorherigen Album. Man kann sich ja nicht für etwas begeistern, was man schon mal gemacht hat.

Schu: Bei "Großes Kino" haben wir zum Beispiel auch zusammen in einem Haus gewohnt und bei "Kein Zufall" haben wir einfach herumexperimentiert. Jetzt müssen wir uns eben diese Freiräume auch bewusst schaffen. Jetzt treffen wir uns zum Beispiel in einem Haus in irgend einem Dorf um dort Texte zu schreiben.

Für mich hat sich also eher die Herangehensweise verändert, auch weil wir jetzt Mitte dreißig sind und mehr Verantwortung tragen. Ich könnte mir zum Beispiel gar nicht vorstellen, Platten übers Internet zu machen. "Hey guck mal, ich hab' dir da einen Text gemailt."

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Blumentopf

Blumentopf aus München sind seit 1992 Kung Schu, Holunder, Specht und Master P, die ungeniert und direkt über heikle Themen rappen und dabei von DJ …

Noch keine Kommentare