25. Juli 2016

"Trump würde die Welt verdammt weit zurückwerfen!"

Interview geführt von

Aaron Solowoniuk über seine Krankheit, das neue Album und die Rettung des Rock'n'Roll.

Billy Talent-Drummer Aaron Solowoniuk muss derzeit wegen eines Multiple Sklerose-Schubs zwangspausieren. Den Drumhocker hütet solange Alexisonfire-Kollege Jordan Hasting. Im Interview erzählt Solowoniuk, inwiefern er trotzdem am neuen Album "Afraid Of Heights" beteiligt war, warum Donald Trump ihm Angst macht und wie er sich zurück auf die Bühne kämpfen will.

Aaron! Wie geht es dir? Ich hoffe, du wirst allmählich wieder fit?

Hey, Mann. Ja, ich arbeite jeden Tag daran.

Wann und wie genau hast du gemerkt, dass sich deine Krankheit wieder zuspitzt?

Ich glaube, das war irgendwann nach dem Ende unserer "Dead Silence"-Tournee 2013. Danach haben wir einige Jubiläumsshows zu unserem Debütalbum gespielt. Da habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr im Stande bin, die Songs so gut wie früher zu spielen. Eigentlich fühlte ich mich zu 95 Prozent fit, aber dieses kleine Bisschen hat einfach gefehlt. Nachdem wir dann das Songwriting für die neue Platte fertig hatten und wir gerade ins Studio gehen wollten, musste ich mir selbst eingestehen: Ich kann nicht. Ich konnte einfach nicht weitermachen.

Ich war dann damals ständig beim Arzt. Letztendlich wurde klar, dass die Medikamente, die ich seit Jahren nahm, nicht mehr richtig wirkten. Also habe ich die Spritzen abgesetzt und angefangen, stattdessen ein orales Medikament einzunehmen. Und jetzt gerade warte ich darauf, dass diese Pillen anschlagen.

Es war also kurz vorm Beginn der Studioarbeit, als dir selbst klar wurde, dass du länger pausieren musst?

Eigentlich war es etwa einen Monat vorher. Da haben wir entschieden, alles etwas zu verschieben und Jordan (Hastings, Drummer von Alexisonfire) einzuladen, damit er die Songs lernen kann. Wir hatten damals zwölf oder dreizehn Lieder fertig geschrieben – und dann war bei mir einfach Schluss.

Aber du wolltest nicht, dass deine Bandkollegen warten, bis du wieder fit bist?

Wenn wir gewartet hätten, hätte ich mich vermutlich unterbewusst früher dazu durchgerungen, weiterzumachen. Früher als es gut gewesen wäre. Den Stress wollte ich mir also auch selbst nicht antun. Ich wollte einfach, dass die Maschine Billy Talent weiterläuft, dass die Platte aufgenommen und damit getourt werden kann.

Zuletzt hieß es, du planst im Oktober wieder auf der Bühne zu stehen?

Ich glaube nicht, dass es in diesem Jahr noch etwas wird. Eher Anfang 2017. Ich will wirklich hundertprozentig körperlich fit sein und muss da auch ehrlich zu mir selbst sein: Wenn ich nicht kann, kann ich nicht. Aber ich setze wirklich alles daran.

Die Europa-Tournee wird also auch ohne dich stattfinden müssen. Wie soll es danach für Billy Talent weitergehen?

Im Februar wird es eine Kanada-Tour geben und ich hoffe wirklich, dass ich es bis dahin packen werde. Das wäre wirklich großartig, gerade in der Heimat. Aber ich habe da keinen festen Plan. Erst mal gucke ich, dass ich wieder ans Drumset komme. Ich treffe mich am Wochenende mit ein paar Experten, um daran zu arbeiten.

"Wir wollen das Feeling von Metallica zurück"

Trotzdem hast du am Songwriting und an der Konzeption von "Afraid Of Heights" mitgewirkt. Wie kann man sich das genau vorstellen? Hast du alle Drumparts für Jordan geschrieben oder war das mehr Konzeption im Geiste?

Nein, eigentlich ist Ian (D'Sa, Gitarre) der kreative Kopf hinter dem gesamten Album. Er hat da so viel Zeit und Arbeit reingesteckt, das ist wirklich unglaublich. Er hat alle Parts von allen Songs geschrieben. Wir haben nur ganz kleine Sachen an den Arrangements geändert. Und was die Drums angeht, das ist auch alles von Ian. Er ist einfach ein unglaublich talentierter Musiker, wenn es um Melodien, Basslines und Drumparts geht. Als Jordan dann dazukam, haben wir richtig zusammengearbeitet. Das ist im Grunde schon ein komisches Ding, es sind halt komische Zeiten für uns alle.

Die Hauptsache für uns war aber, dass das Album im Juli fertig ist. Wir haben im Oktober mit den Aufnahmen angefangen und waren erst im Januar fertig. Diese ganze MS-Sache war da natürlich im Weg. Aber trotzdem kann ich es gar nicht abwarten, bis dieses unglaubliche Album draußen ist.

Aber auf vorherigen Alben gingen die Songwriting-Credits doch auf das Konto von euch allen, oder? Hast du früher Melodien oder Texte beigetragen?

Nein, das war damals immer mehr so ein Jam-Ding. Jetzt ist alles etwas strukturierter. Ian hat sich einfach eine Weile eingeschlossen und an allem gearbeitet. Er hat sich total reingekniet. Und dann kam er halt irgendwann an und meint, wir sollten das mal auschecken und ich dachte mir: Verdammte Scheiße, das ist das beste, was ich je gehört habe.

Eigentlich ist es aber ja doch relativ typisches Billy Talent-Material. Wobei einige Songs aber auch etwas mehr nach euren punkigeren Wurzeln klingen. Inwieweit war das beabsichtigt? Habt ihr von vornherein eine bestimmte Richtung angestrebt?

Ich denke, es ist einfach eine weitere Billy Talent-Platte. Aber ich liebe die einzelnen Abstufungen auf dem Album, von Balladen hin zu straighter Rockmusik. Es kann gut sein, dass es wieder etwas punkiger ist, aber es gibt auch noch Einiges mehr zu entdecken. Man sollte es einfach in Ruhe über Kopfhörer hören.

Einer dieser punkigeren Songs ist "Louder Than DJ". Der Text klingt ja ein bisschen wie eine Kriegserklärung an alles, das nicht als Rockmusik zählt.

Na, ja. Eine Kriegserklärung würde ich es nicht nennen. Aber so ist es einfach: Wir brauchen den Rock'n'Roll zurück. Es ist so eine starke Sache. Der aktuelle Klima in der Popmusik ist … na, ja, weißt du, ich habe das Gefühl, da sind meistens nicht mal mehr echte Drums zu hören. Ich denke diese Konstellation aus Gitarrist, Bassist, Schlagzeuger und Sänger ist etwas ziemliches Essentielles. Diese vier Leute, diese Chemie, das ist alles ziemlich natürlich.

Die DJ-Kultur ist ja an sich supercool. Tausend Leute in einem Raum, die gemeinsam Musik hören und darauf tanzen und Spaß haben, das ist doch okay. Aber für uns ist Rock'n'Roll eben die Devise. Wir wollen diese Power, diese Stärke, das ist einfach unser Ding.

Aber wir leben doch in einer Zeit in der so viele Einflüsse ohne starre Genregrenzen vermischt werden, egal ob Rock, Pop oder HipHop. Wo ist da das Problem? Und es ist ja auch nicht so, als würde eure Musik nicht selbst zur Genüge im Radio oder von DJs gespielt werden.

Wir spielen Rock'n'Roll-Musik. Wir sind wieder da und schwenken die Fahne dafür. Rock'n'Roll ist einfach das Beste. Wir wollen einfach das alte Feeling von Bands wie Metallica oder AC/DC zurück. Klar, sie bringen immer noch richtig was, aber damals bist du noch als 15-Jähriger zu den Konzerten gegangen und so etwas hat dein Leben verändert.

Aber jetzt mal im Ernst: Ihr benutzt selbst jede Menge poppige Motive und unterlegt einige Songs doch selbst mit Synthesizern.

Natürlich, das trägt ja auch alles zum Gesamtbild bei. Es geht uns einfach nur um dieses essentielle Gruppenfeeling. Natürlich wollen wir uns dabei auf keinen Fall einschränken. Aber wir wollen einfach diesen grundsätzlichen Band-Vibe beibehalten.

Also kann das Ganze schon mit einem gewissen Augenzwinkern gesehen werden?

Ja, klar, hundertprozentig!

"Ich kann nicht fassen, dass wir uns darüber unterhalten, dass Trump der nächste US-Präsident werden könnte."

Textlich könnt ihr ja auch anders. Auf eurem Best-Of-Album gab es damals den überraschend politischen Track "Kingdom Of Zod". Jetzt knüpft ihr mit "This Is Our War" wieder daran an. Verlangt die aktuelle politische Weltlage, dass ihr euch dahingehend mehr äußert?

Wir wurden schon immer von so ziemlich allem beeinflusst, das gerade in der Welt los ist. Zur Zeit von "Kingdom Of Zod" hatten wir zum Beispiel einen wirklich miserablen Bürgermeister, den kann man schon als wirklich bösen Menschen bezeichnen. Die Lyrics sind damals aus unserer Wut heraus entstanden. Aber generell versuchen wir immer wieder, so etwas abzudecken. Es ist wichtig, seine Sichtweise zu unterstreichen, wenn einem die Leute zuhören. So etwas nehmen wir schon ernst.

Unter anderem heißt es im Text: "Don't let the old generation carry the flame for you and me no more." Bezieht euch damit auf weltpolitisches Geschehen oder geht es da konkret um euer Heimatland Kanada?

Das müsstest du wahrscheinlich Ben (Kowalewicz, Gesang) und Ian fragen. Aber wie gesagt, wir werden von allem beeinflusst, was draußen in der Welt abgeht. Gerade aus Amerika, Großbritannien und Europa kriegen wir halt viel mit. Aber natürlich passiert gerade überall eine ganze Menge.

Wenn man sich die Altersverteilung ansieht, passt die Zeile doch eigentlich perfekt zum Brexit.

Klar!

Wie zufrieden seid ihr denn generell mit eurem neuen Premierminister Justin Trudeau? Seine Wahl wurde ja recht euphorisch aufgenommen.

Er ist super. Er ist ein liberaler Mann. Wir hatten vorher eine konservative Regierung und keiner von uns ist an derartiger Politik interessiert. Gut, ich spreche da zwar gerade für mich selbst, aber ich glaube, die anderen würden mir da zustimmen. Andererseits ist Trudeau ja noch nicht mal ein Jahr im Amt. Also lass uns abwarten, was da noch kommt. Wir sind auf jeden Fall optimistisch, aber trotzdem sollte man über Staatsoberhäupter immer vorsichtig urteilen.

Eben, da hilft der Blick weiter gen Süden. Wie seht ihr den derzeitigen US-Wahlkampf?

Oh, wir machen uns große Sorgen wegen Mr. Trump. Es ist unglaublich, keine Frage. Im Grunde genommen kann nicht einmal fassen, dass wir uns gerade darüber unterhalten, dass Donald Trump der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte. Ich denke, so etwas würde die gesamte Welt verdammt weit zurückwerfen. Ich hoffe da natürlich auf Hillary, aber wer weiß schon, was geschehen wird.

Abwarten und Tee trinken. Aaron, dir besten Dank und weiterhin gute Besserung! Ich hoffe, du wirst schnell fit und kannst schon bald wieder auf die Bühne steigen.

Danke dir, Mann!

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