laut.de-Kritik

Unverhofft rockt oft.

Review von

Dieses Album sollte es eigentlich nicht geben. Zumindest nicht in dieser Form als ein weiteres vollwertiges, krachendes, forderndes Biffy Clyro-Album - nur 14 Monate nach dem üppigen "A Celebration Of Endings". In Ermangelung der üblichen Welttour auf den Schwingen des neunten Studioalbums hockten Simon Neil, James Johnston und Ben Johnston im Herbst 2020 wieder in ihrem Proberaum auf einer Farm im schottischen Nirgendwo. Songwriting als Zeitvertreib. Flugs rüsteten sie ihren Probeschuppen gemütlich auf Aufnahmestudio um. Und drückt auf "Aufnahme". Nicht mal das Label soll allzu viel davon gewusst haben.

Und so war es einfach da, das Schwesternalbum. B-Seiten Veröffentlichungen sind ja fast schon Tradition im Hause Clyro: Bei "Puzzle" hieß es "Missing Pieces", "Only Revolutions" hatte seine "Lonely Revolutions" und "Opposites" natürlich "Similarities". Bis auf die komplementären Titel meist ein bunt zusammengewürfelter Haufen an Restideen, zwar ohne roten Faden, aber trotzdem immer wieder mit versteckten Songperlen.

"The Myth Of The Happily Ever After" spielt das Spiel allerdings noch weiter. War "Celebration" noch ein verhältnismäßig optimistischer Pre-Pandemie Kicker, haut das zum Lockdown-Höhepunkt geschriebene "Myth" ziemlich verbittert die Fensterläden zu und versperrt mit sechs Fuß Abstand den Blick auf so manche geschürte Hoffnung. "I will ignore / the bodies piled up on the floor" lamentiert Simon Neil die Auswirkungen der weltweiten Hilflosigkeit in der letztjährigen Pandemiebekämpfung im Opener "DumDum", während der schwer stampfende Groove rund um ihn immer mehr Lücken füllt, bis die Soundwand zu einem Ungetüm heranwächst, das selbst den alten Hadrian begeistert hätte.

Der pure Optimist war Simon Neil zwar nie, aber die Pandemie hat ihm sichtlich ein paar weitere Taschen in seinen mentalen Mantel genäht, aus denen er hier sich breitwillig bedient. Wie geht man um, mit der plötzlichen Isolation, dem Kollaps des Alltags, dem Tod und dem Leben danach?

Dass das Trio solchen Themen keine seichten musikalischen Rinnsale, sondern kraftvolle Wellenbrecher zusammenzimmerte, macht nicht nur im sphärischen Opener Sinn. Zwischen Krach und Kitsch, den beiden Achsen in Biffy Clyros musikalischen Oeuvre, fahren die Schotten auf "The Myth Of The Happily Ever After" noch viel öfter Schlitten, oft mehrmals pro Song. Dass das nicht zum klanglichen Haggis wird, zeugt von der langjährig gestählten Kraft dieser Band im Songwriting und Simon Neils Gitarre im Besonderen, ein scheinbar endloser Quell an Hardrock-, Metal- und Progriffs.

Fiese Synthiewände lassen sie von Festival-fähigen Sing Along Refrains einreißen, zentnerschwere Riffs klatschen auf gar feinsinniges Falsett. Und meint man einmal, die DNA eines Songs vollends entlarvt zu haben, steigt Neil kurz vor der Vier-Minuten-Marke auf das Verzerrer-Pedal und schiebt noch sägende Riffs und Doublebass-Attacken nach ("Holy Water"). Das erhabene "Unknown Male 01" dreht ebenfalls erst zur Hälfte in eine ungleich härtere Richtung ab, die der sparsame Beginn kaum vermuten ließe.

Die klare Single und früher Albumhöhepunkt "A Hunger In Your Haunt" schraubt einen Hit-Chorus an Machine Head-Riffs und ufert im Schlussteil instrumental aus. "Denier" zerberstet von Beginn an mit Schlagzeuger Ben Johnstons hörbar aufgestauter Energie, bis ein flehender Simon bittet, endlich wieder jemand anderes sehen zu dürfen: "I need somebody to love / I need somebody to care".

Dem nach einem erfolglosen japanischen Rennpferd benannten "Haru Urara" spendiert das Trio einen gemeinschaftlichen Brüll-Refrain auf den souligen R'n'B-Groove hinauf. Fast jeder Song spuckt eine solche überraschende Wende oder eine Soundschicht aus. So dauert es auch etwas, bevor sich Songs wie "Separate Mission" mit seinem kreischenden Keyboard oder das vertrackte "Errors In The History Of God" offenherzig ergeben.

Den "Witch's Cup" füllen Bläser auf und lassen sie wie eine Marschkapelle auf dem Weg in den Untergang springen. "I just hope / when we go / that there is something deeper". Das harmonisch-zärtliche "Existed" steht hier noch als lupenreinste Ballade da und legt die Brücke zu Songs wie "Space" oder "Re-Arranged" von "Ellipsis".

Auch wenn die Existenz von "The Myth of Happily Ever After" nur den äußeren Umständen geschuldet ist: Hier ist eine entfesselte Band am Werk, die vor Ideenreichtum nur so strotzt und sich damit an der unverständlichen Weltsituation abarbeitet. Fast in Eigenregie krachend druckvoll produziert, liefern Biffy Clyro clevere und große Rockmusik ab, mit dem Hang zu großen Gesten für große Bühnen. Aber sie sind sich nicht zu schade, zum Abschluss noch vollends dem "Krach"-Spektrum zu huldigen: "Slurpy Slurpy Sleep Sleep" heißt grandios betitelt die sechsminütige Noise-Orgie, die flott alles an Härte in die Tasche steckt, was die Schotten in den letzten 15 Jahren fabrizierten.

Nicht nur der Titel schließt den Bogen zum Song "Cop Syrup" vom Vorgänger. Dort ließ uns die Band noch mit gezücktem Mittelfinger und "Fuck everybody" zurück. Hier bittet das Album nach der ganzen Aufregung noch einmal um Versöhnung: "Don't waste your time / Love everybody". Wenn das Schottentrio selbst nach 25 Jahren Bestehen solche Alben abliefert, wenn ihnen langweilig ist, mach ich das gern.

Trackliste

  1. 1. DumDum
  2. 2. A Hunger In Your Haunt
  3. 3. Denier
  4. 4. Separate Missions
  5. 5. Witch's Cup
  6. 6. Holy Water
  7. 7. Errors in The History Of God
  8. 8. Haru Urara
  9. 9. Unknown Male 01
  10. 10. Existed
  11. 11. Slurpy Slurpy Sleep Sleep

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9 Kommentare mit 12 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Simon Neils Fundus an großen Songs ist und bleibt unerschöpflich, 5/5-Werke kann er inzwischen scheinbar im Schlaf.

  • Vor 2 Jahren

    Absolut klasse Album. Klasse auch die gute Review hier.

    Erstaunlich wie gut sie Ihr hohes Level halten können. Gerne mehr davon ;)

  • Vor 2 Jahren

    Erste gute Platte seit Infinity Land.

    • Vor 2 Jahren

      Bullshit. Kenne kaum eine Band, die so konstant auf hohem Niveau abliefert wie BC. Hab noch keine Platte von denen gehört, die nicht „gut“ war.

    • Vor 2 Jahren

      Dann frage ich mich allerdings, wie es zu diesem Widerspruch kommen kann!?

    • Vor 2 Jahren

      Ist keiner.

      Biffy Clyro bis inkl. Infinity Land - also alles, bevor sie zum ersten Mal einen Fuß auf den Incubus-Pfad setzten - ist nicht dieselbe Band.

      Wirst kaum was finden an Meinungen zu denen zwischen den beiden Polen "nur alles bis inkl. Infinity Land ist genial" und "Erst mit Puzzles wurden die zu einer ernstzunehmenden Stadionrockband, davor war infantiles Gedudel".

      Ach so: #teamallesbisinklusiveinfinityland, sollte klar sein. Warum eine weitere generische Indiepop-Band werden, von denen gibt's eh zu viele und schnörkelloser als Incubus das getan haben wird das vermutlich keiner weiteren ehemals saiteninstrumental dominierten Formation nochmal gelingen, diesen Pfad abzuhickeln? ^^

    • Vor 2 Jahren

      Leider ist der Credibility Score vom Basken seit seinem Erstaufschlag im Board dermaßen am untersten Minmum der Skala stagniert, dass so ein Quatsch immer schon unentdeckt im Trollfilter hängen bleibt. Durchschaubarer Versuch auf Grundlage gefährlichen Hintergrundhalbwissens, weches kurzfristig Hoffnungen der Altfans zu bündeln weiß, mehr aber auch nicht.

      Am verräterischsten ist halt, dass der Spruch "Sie sind wieder so gut wie auf Infinity Land!" so was wie ein fan-interner Running Gag geworden ist, der mehrfach von unterschiedlichen Quellen zu jedem neuen Biffy Clyro-Album nach der "Only Revolutions" kolportiert wurde und wird.

    • Vor 2 Jahren

      @NervMichOk:
      WORD! Danke, endlich spricht hier mal einer ganz gelassen aus, wie es eben ist :)

      @souli:
      "Wirst kaum was finden an Meinungen zu denen zwischen den beiden Polen "nur alles bis inkl. Infinity Land ist genial" und "Erst mit Puzzles wurden die zu einer ernstzunehmenden Stadionrockband, davor war infantiles Gedudel"."

      Ähm, da kenne ich aber einige Meinungen dazwischen inklusive meiner eigenen. Ab "The Vertigo of Bliss" waren sie imo genial, in der Stadionrockphase wurden sie Streckenweise sogar noch genialer (Opposites, Puzzle oder die letzten beiden Alben), nur "Ellipisis" und "Only Revolutions" würde ich aufrgund weniger schwächerer Momente auf einem Level mit dem Debut sehen aber selbst das ist immer noch ein alleroberste Schublade Level!

    • Vor 2 Jahren

      Antagonist hat halt auch irgendwie mit anti zu tun. ;)

    • Vor 2 Jahren

      Insbesondere dann, wenn man es im Internet durch die individuelle Internetwahrnehmung feststellen kann :).

  • Vor 2 Jahren

    Hat schon beim zweiten Durchgang gezündet! Starkes Album! Trotz des schweren Einstiegs („DumDum“ und die schiefen Synthies bei „Seperate Missions“) Das ist Musik auf einem absolut hohen künstlerischen Niveau. Sicher, nichts für nebenbei, aber echt geil gemacht. Die Singleauskopplungen sowie „Holy Water“ und „Haru Urara“ ragen heraus. Im Februar dann live!!!

  • Vor 2 Jahren

    So richtig begeistert bin ich nicht, wohlgemerkt nach nur einmaligen Anhören. Nicht schlecht und die bekannten Trademarks raus gearbeitet. Eigentlich gibt es ja kein schwaches Album von BC. Gebe dem Gesamttrack noch ein paar Rotationen und dann schau ich mal.

    Gruß Speedi

  • Vor einem Jahr

    Kann der Typ sich mal bitte rasieren, sieht ja sowas von Mist aus, wie ein Taliban, lol.