10. Juni 2016

"Ich lasse mich nicht unter Druck setzen"

Interview geführt von

Beth Orton-Fans können endlich in die Hände klatschen. Nach vier Jahren veröffentlicht die Britin dieser Tage ihr neues Studioalbum "Kidsticks".

Als Fan von Beth Orton muss man geduldig sein. Ganze sechs Alben hat die Britin in den vergangenen zwanzig Jahren veröffentlicht – das neue Studiowerk "Kidsticks" inklusive. So lange sich am Ende so bezirzende Sounds wie auf dem neuen Album präsentieren, halten Fans und Freunde der Sängerin gerne die Füße still. Wir trafen Beth Orton in Berlin zum Gespräch und plauderten über musizierende Kinder, ungewohnte Instrumente und entspanntes Arbeiten.

Beim Titel deines neuen Albums stieß ich in puncto Übersetzung an meine Grenzen. Kannst du mir helfen?

Beth Orton: (lacht) Sehr gerne. Der Albumtitel ist auch gleichzeitig der Titel eines mir persönlich sehr wichtigen Songs auf dem Album. Da geht es thematisch um Kinder, die mit allerlei herumliegenden Utensilien Klänge erzeugen. Sie haben einfach nur Spaß am Musizieren. Sie nehmen sich Stöcke und bearbeiten damit Flaschen, Tische, Stühle, und was sonst noch alles irgendwo rumsteht. Es geht um Freiheit, um den kindlichen Spaß, den man entwickelt, wenn man sich beim Musikmachen einfach nur gehen lässt.

Wann wurde dir klar, dass "Kidsticks" der perfekte Albumtitel ist?

Erst sehr spät. Das Album war schon komplett im Kasten. Es fehlte nur noch der Titel. Und dann dachte ich plötzlich über "Kidsticks" nach und empfand so ein Gefühl von Leichtigkeit. Das war der Knackpunkt. Mir wurde bewusst, dass das komplette Album diesen Vibe versprüht.

Mir fiel sofort dieser warme und organische Sound auf als ich das Album zum ersten Mal hörte. Ich hatte eigentlich ein ganz anderes Soundbild erwartet. Mir kam nämlich zu Ohren, dass du diesmal die meisten Songskizzen auf dem Keyboard entworfen hast. Die Gitarre spielte wohl nur eine untergeordnete Rolle.

Ja, das stimmt. Ich war auch verblüfft. (lacht) Irgendwie hat aber alles gepasst. Normalerweise beginne ich das Songwriting immer mit der Gitarre. Und ich kann dir sagen, dass ich viele Jahre gebraucht habe, um an einen Punkt der Zufriedenheit zu gelangen. Ich sah mich jahrelang als schlechte Gitarristin. Irgendwann habe ich aber ein Häkchen gesetzt. Ich war zufrieden mit meinen erarbeiteten Fähigkeiten. Doch dann stand da im Studio eines Freundes in Los Angeles dieses Keyboard rum. Ich kann eigentlich gar nicht Keyboard spielen. Aber irgendwie kam ich nicht davon los. Da war plötzlich eine Verbindung da, die ich auch heute noch nicht erklären kann.

Hatte diese unerwartete Verbindung eventuell auch etwas mit der Anwesenheit von Andrew Hung von den Fuck Buttons zu tun?

Ich glaube, eher weniger. Das war mehr so ein persönlicher Drang, der aus meinem Inneren kam. Andrew war ja auch erstaunt darüber. (lacht)

Wie kam es überhaupt zu der Zusammenarbeit?

Andrew wollte schon immer mal mit mir zusammenarbeiten. Und diesmal hat es zeitlich endlich gepasst.

"Ich muss mich beim Arbeiten wohl und entspannt fühlen"

Warum habt ihr euch für Los Angeles als Standort der Zusammenarbeit entschieden?

Das hatte eher private Gründe. Ich bin ja mit einem Amerikaner verheiratet. Und wir wollten unbedingt mal eine Phase unseres Zusammenlebens in den Staaten verbringen. Los Angeles bot sich dafür an, da wir dort viele Freunde und Bekannte haben.

Inwieweit hat sich das neue Umfeld auf den Sound des Albums ausgewirkt?

Wenn man lange Zeit irgendwo lebt und dann plötzlich woanders seine Zelte aufschlägt, dann verändern sich automatisch viele Dinge. Man wacht morgens in einem neuen Bett auf, begegnet anderen Menschen und verbringt seine Zeit an anderen Orten: Das prägt natürlich. Man verliert einen Teil seiner Identität. Das ist ganz normal. Diese Leere wird aber auch wieder gefüllt, mit neuen Eindrücken und neuen Erfahrungen. Ich kann dir gar nicht genau sagen, ob und wie das neue Umfeld Einfluss auf die Musik genommen hat. Für mich klingt das Album einfach nach mir; nach Beth Orton im Hier und Jetzt.

Andrew musste dann aber irgendwann wieder zurück nach London.

Ja, aber das war nicht weiter schlimm. Die zehn Tage, die wir gemeinsam in Los Angeles verbrachten, waren sehr arbeitsintensiv. Wir konnten in der Zeit unheimlich viel vorarbeiten. Wir experimentierten viel mit Sounds und Loops rum. Das hat Spaß gemacht.

Und wie ging es nach seiner Abreise weiter? Hast du den Rest des Albums selbst in die Hand genommen?

Ja, den Großteil schon. Ich muss gestehen, dass die ersten Tage nach seiner Abreise etwas komisch waren. Ich war irgendwie unzufrieden mit einigen Sounds und Passagen. Die Blockade löste sich aber schnell. Ich hab ihn dann immer mal wieder Snippets geschickt. Und nebenbei habe ich meine Band zusammengestellt. Das hat mich nochmal zusätzlich inspiriert. Irgendwann lief es dann wieder. Schlussendlich bin ich total happy mit dem Endresultat.

Ich glaube, deine Fans werden ähnlich glücklich mit dem Ergebnis sein. Die Armen mussten ja mal wieder lange warten.

Ja, ich lasse mir gerne etwas mehr Zeit. Ich bin nicht der Typ Musiker, der sich gerne unter Druck setzt. Ich muss mich beim Arbeiten wohl und entspannt fühlen. Nur dann komme ich auch zu einem Ergebnis, mit dem ich am Ende zufrieden bin.

"Materielle Dinge sind vergänglich"

Bei uns sagt man in solchen Fällen immer: Gut Ding will Weile haben.

Das sehe ich genauso. (lacht)

Lass uns noch einmal kurz zu eurem Umzug zurückkommen: Wie haben deine beiden Kinder reagiert, als du ihnen deine L.A-Pläne gesteckt hast?

Nun, Arthur ist noch zu klein, um in eine Diskussionsrunde mit einbezogen zu werden. Nancy hingegen ist jetzt schon neun. Mit ihr haben wir viel geredet. Und sie fand es cool. Ich meine, Sonne, Strand ... da werden Kinderaugen schnell groß. (lacht)

Sind die beiden denn Fans deiner Musik?

Oh ja. Sie nennen sie "Mummy-Music". Das ist mir übrigens sehr wichtig. Ich finde es toll, wenn sich die beiden an meinen Sounds erfreuen. Dabei geht es aber weniger um mich. Die Anerkennung brauche ich nicht. Ich kann es nur schwer ertragen, wenn meine Kids mit Dingen konfrontiert werden, die sie traurig oder wütend machen. Ich glaube, das ist so ein typisches Mutter-Ding. Es soll ihnen immer gut gehen. Natürlich weiß ich, dass das nicht immer klappt. Es ist ja auch wichtig, dass Kinder die Schattenseiten des Lebens kennen lernen. Die sollten aber nicht schon mit der Musik der Mutter in Verbindung gebracht werden. (lacht) Nein, im Ernst: Es macht mich glücklich, wenn die beiden meine Songs nachträllern.

Was macht dich sonst noch glücklich?

Meine Familie, meine Musik, meine Freunde: Wenn ich diese drei Dinge um mich herum habe, dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Materielle Sachen bedeuten mir nicht viel. Die sind vergänglich. Musik und Liebe hingegen ...

... und natürlich der Sound von Kindern, die mit Stöcken auf Tischen und Stühlen rumkloppen.

(lacht) Natürlich. Der auch.

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