laut.de-Kritik

Ein Relaunch, irgendwie.

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Der elektrische Liedermacher ist zurück. So nannte sich Bernd Begemann auf seinem Solo-Debüt "Rezession, Baby!" (1993), und diese Selbstbezeichnung ist heute treffender denn je. Obwohl er auf seiner neuen Platte "Ich werde sie finden" eigentlich alles ist, was er außerdem auch schon immer war, aber besser und endlich richtig ausgereift.

Waren frühere Alben wie das Großstadtkaleidoskop "Sag Hallo zur Hölle" (1996) wilde Sammelsurien, in denen Singstimmenlieder und Gitarrenpop neben krudem Beatbox-Dilettantismus, produzierte Studioaufnahmen neben bewusst kratzenden Homerecordings standen, die der Legende nach in seiner früheren, durch die obskure NDR-Show "Bernd im Bademantel" zu Ehren gekommenen Wohnküche eingespielt wurden, so überraschte Bernd zuletzt durch stringente Visionen.

Das 2003er Album "Endlich" buchstabierte schwelgerischen POP konsequent in großen Lettern; die neu formierte Band Die Befreiung gab sich auf "Unsere Liebe Ist Ein Aufstand" (2004) zwar rockend, aber in den sanften 'country-blues-poppigen' Grenzen etwa eines Lloyd Cole. "Ich werde sie finden" ist wieder eine Kehrtwende, eine Rückkehr zu alten Gewohnheiten zwar, aber runderneuert und poliert; ein Relaunch irgendwie, ohne sich dabei gezwungen neu zu erfinden.

Mit "Wir Waren Fünfzehn" eröffnet das Album. Alles klingt wie immer: der Junge mit der verhallten Gitarre, der sich augenzwinkernd klein macht vor der frühen Klugheit eines Mädchens, dem er am Ende dennoch trotzig widerspricht. Schön, aber scheinbar altbekannt und von unzähligen Konzertauftritten gewohnt. Doch die Sicherheit ist trügerisch, denn das anschließende Titelstück erinnert zwar an frühere (Studio-) Soundlandschaften und klingt doch anders; rund, warm und homogen, vom Sänger selbst verstanden als Anorak-Pop, in der britischen "C-86"-Tradition.

Doch das Album scheint dann noch einmal völlig neu zu beginnen. Elektronisch wummernde Beats in Console-Manier versetzen einen an den "Flackernden Straßenrand". Spürbar werden die Monotonie einer nächtlichen Autobahnfahrt, triste Impressionen der Rastlosigkeit. Dies sind die funkelnden Raumschiffe, die Bernd von Mit-Produzent Thys Mynther kreieren ließ, vorbei die Zeit der rostigen Klapperkisten aus Begemanns Wohnzimmer.

Und dann die nächste Überraschung: In "Auf Den Schwarzen Schwingen Der Nacht" präsentiert sich Herr Begemann als Chanson-Crooner, alleine am Klavier mit einem seiner Lieblingsthemen, dem Kommen und Gehen der Liebe. "Ich bin ein Fremder und ich werde es bleiben" - sein oft besungenes, altes Thema in einem erfrischend neuen Gewand, auf das ein Götz Alsmann stolz wäre. Ein bisschen Angst vor der eigenen Courage scheint dabei zu sein, denn am Ende bricht Begemann das Pathos mit der ihm typischen krächzenden Selbstironie, als traue er seiner eigenen romantischen Tradition noch immer nicht über den Weg. So, wie er oft seinen seismographischen Beobachtungen nicht bis zum letzten Punkt auf den Grund geht, sondern sich selbst hinter etwas Albernheit zu verstecken sucht.

Aber schon jetzt ist der rote Faden des Albums überdeutlich; die Beschreibung der feinen Haarrisse im Alltag. Es ist wie immer eine Gradwanderung zwischen fatalistischer Depression und der Kunst, das kleine Scheitern des Alltags mit sanfter Ironie zu pointieren. Was früher noch zu unangenehmem Zynismus führte ("Die Nacht Vor Der Abtreibung"), kanalisiert sich nun in fast schon altersmilden Betrachtungen wie "Irgendwie Klappt Es Mit Uns", das einmal mehr eine Paarbeziehung beschreibt, bei dem alle Alltagsdefizite unausgesprochen im Hintergrund bleiben und dem trotzdem eine warme Freude abgewonnen werden kann.

"Ein Pop-Singspiel in vier Aufzügen" lautet der Untertitel des Albums. Ein Konzept, das eher bemüht versucht, jeweils vier Lieder programmatisch zusammenzufassen. Möglicherweise ein Gag, mit dem eine Rock-Oper karikiert werden soll. Vielleicht aber auch ein ehrlich gemeinter Anspruch, den das Material einfach nicht einlösen kann.

Und am Ende sind wir wieder dort, wo wir nach jeder Bernd-Begemann-Platte stehen. Wir haben gelacht, sinniert, uns mitunter verstanden gefühlt. Wir wurden geführt durch stilistische Vielfalt, alles wie immer. Trotzdem ist es ein klein bisschen anders diesmal, weniger Flucht in die Albernheit, klarerer Sound, ein Hauch von beginnendem Alterswerk. Bernd Begemann hat sich zaghaft gehäutet. Er trägt nicht unbedingt des Kaisers neue Kleider, hat aber das alte zu eng gewordene Jackett getauscht gegen einen großzügigeren Schnitt.

Trackliste

  1. 1. Wir Sind Fünfzehn
  2. 2. Ich Werde Sie Finden
  3. 3. Flackernder Straßenrand
  4. 4. Auf Den Schwarzen Schwingen Der Nacht
  5. 5. Immer Wieder überrascht
  6. 6. Haltlos
  7. 7. Rechtzeitig (Wirklich Lange Allee)
  8. 8. Irgendwie Klappt Es Mit Uns (Duett Mit REGY CLASEN)
  9. 9. Ich Bin Noch Nicht Fertig Mit Dir
  10. 10. Die Anderen
  11. 11. Sie Haben Dich Geschickt, Um Mich Zu Bestrafen
  12. 12. Verschließ Dein Herz Nicht Vor Mir
  13. 13. (Wir Sind Alle In Der) IKEA-Falle
  14. 14. Unser Sex Nach Zwei Jahren
  15. 15. Ein Sportunfall
  16. 16. Ich Bin Mitteleuropa
  17. 17. Wir Sind Fünfzehn (Reprise)
  18. 18. Mit Abstand Betrachtet (Instrumental)
  19. 19. Ein Vorschlag: Denk An Den Weg

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