4. Februar 2011

"White Stripes waren die neuen Rolling Stones"

Interview geführt von

Fabian Merlo plauscht mit Ben L'Oncle Soul über die Ästhetik der 60er, den immerwährenden Zauber des Souls und über die Notwendigkeit, politische Parolen zu verkünden.Man könnte meinen, 2010 ließe sich mit einem Cover des Whites Stripes-Gassenhauers "Seven Nation Army" kein Blumentopf mehr gewinnen. Spätestens seit den besoffenen Fußballfans, ist man des Songs längst überdrüssig. Ben L’Oncle Soul aber erstickt mit seiner Interpretation jeglichen Wunsch nach Mitgrölen im Keim und bastelt eine verflucht tanzbare Sixties-Soul-Nummer daraus. Zuvor glückte ihm dies bereits mit noch viel abwegigeren Nummern wie "I Kissed A Girl" von Katy Perry oder gar "Barbie Girl". Dass man den 1984 als Benjamin Duterde in der französischen Kleinstadt Tours geborenen Sänger aber nicht voreilig als Coverartist abstempeln sollte, zeigt er mit seinem bei Motown France erschienen Debüt-Album. Darauf verarbeitet er gekonnt die verschiedenen Facetten des Souls der 60er und zeigt zugleich, dass dies auch in der Sprache des Chansons prächtig funktioniert. Nach einem mitreißenden Konzert im Zürcher Jazzclub Moods stand uns der sympathische Soulonkel Rede und Antwort.

Auf YouTube findet man Videos von dir, in denen du in der Metro oder auf der Straße singst. War das ein Promotion-Stunt oder warst du früher tatsächlich als Straßenmusiker unterwegs?

Das ist schon ziemlich lange her, genau genommen sind das sogar die ersten Videos, die wir drehten. Zu diesem Zeitpunkt besuchte ich die Kunstschule und hatte Spaß daran, kleine Videos zu produzieren. Also nahm ich meinen Gitarristen Christoph, der auch heute noch mit mir unterwegs ist, und habe just for fun an verschiedenen Orten gespielt und es gefilmt. Aber ich habe nie meinen Hut auf die Straße gelegt und versucht, auf diese Weise Geld zu verdienen.

Dank deiner Mutter bist du mit Soulmusik aufgewachsen. Wie kamst du dazu, selbst Musik zu machen? Gab es in deiner Heimatstadt eine Musikszene, in der du Erfahrungen sammeln konntest?

Ich wurde überhaupt nicht in eine musikalische Familie reingeboren. Einzig meine Mutter war eine leidenschaftliche Anhängerin der Musik und ich hörte mir immer gerne ihre Platten an. Man kann aber schon sagen, dass ich ein wenig isoliert war. Nun ist es aber trotzdem so gekommen, dass alle Musiker meiner Band aus derselben Stadt stammen. Wir kennen uns daher schon länger und es ist eine sehr familiäre Angelegenheit. Zu Beginn war sicherlich vieles noch nicht perfekt, doch nachdem wir nun ein Jahr auf Tournee sind, sind wir sehr eingespielt und wir können uns stetig verbessern.

Die Leute wurden durch diverse Coversongs auf dich aufmerksam. Du hast großartige Songs wie "Crazy" von Gnarls Barkley in ein neues Gewand gepackt, auf der anderen Seite aber auch furchtbare Lieder wie "Barbie Girl" neu interpretiert. Sahst du es als Herausforderung, gute Musik aus richtig schlechten Songs zu erschaffen?

Meine Idee war es, Coverversionen in der Tradition der Sechziger zu machen. Zu dieser Zeit wurden viele Songs gecovert. "A Change Is Gonna Come" stammt zwar von Sam Cooke, es gibt aber auch Versionen von Aretha Franklin oder Otis Redding. Damals war es gang und gäbe, andere Songs zu covern. Das hat mich motiviert, es ebenfalls mit Coverversionen zu versuchen. Allerdings wollte ich Lieder aus meiner Generation verwenden. Da es heutzutage keine so großartigen Künstler wie etwa Michael Jackson mehr gibt, wählte ich Songs aus dem Pop-Rock-Bereich, die mich vor allem amüsierten. Du hast also sicherlich Recht, dass es eine gewisse Herausforderung war, daraus etwas Vernünftiges zu erschaffen.

"Mir war gar nicht bewusst, dass das in Stadien gegrölt wird."

Dein bislang größter Hit ist "Seven Nation Army", dessen Original jeder kennt, aber keiner mehr hören mag. Wie gingst du an diesen Song heran?

Ich bin überhaupt kein Fußballfan. Als ich mich entschied, den Song zu covern, war mir gar nicht bewusst, dass er in allen Stadien gegrölt wird. Ich hörte den Song erstmals auf YouTube und dachte mir, dass die White Stripes so etwas wie die neuen Rolling Stones sind. Ich erinnerte mich, dass Otis Redding einst ein Cover des Stones-Hits "Satisfaction" aufgenommen hatte. Darauf dachte ich mir, ich könnte die Rolling Stones meiner Epoche covern und damit Rock und Soul verbinden.

"Seven Nation Army" hat zwar dazu beigetragen, deine Karriere anzustoßen, der Song könnte aber auch dazu führen, dass dich die Leute nur als Coverkünstler wahrnehmen.

Ich weiß was du meinst, zumindest in Frankreich ist das aber kein Problem. Meine Cover-EP "Soul Wash", auf der auch "Seven Nation Army" zu hören ist, erschien nur über das Internet. Als ich dann mit meinem Album fertig war, rotierte "Seven Nation Army" aber immer noch bei den Radios. Ich war also fast gezwungen, den Song mit aufs Album zu nehmen. "Soul Wash" war ein kleines Projekt, das die Leute vor allem amüsieren sollte. Dass daraus ein großer Hit entspringt, der schließlich sogar als Single meines Albums dient, war nicht geplant. Es gibt sicherlich Leute, die denken, ich sei ein Coverkünstler. Doch wenn sie mein Album hören, sollte es eigentlich klar werden, dass dem nicht so ist. Ich erhalte von den Hörern und den Kritikern sehr gute Rückmeldungen auf mein Album und bin deshalb zuversichtlich, dass die Leute mich nicht in diese Schublade stecken. Aber es ist richtig, dass ein Cover meine Karriere ins Rollen brachte und mir nun die Möglichkeit gibt, meine eigene Musik zu präsentieren.

Seit dem Erfolg von Amy Winehouse erlebt Retro-Soul ein großes Revival. Denkst du, dass dies noch lange andauert, oder wird Soul langfristig wieder Musik für die Liebhaber sein?

Ich bin mir nicht sicher. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass doch eigentlich in Wahrheit jeder den Soul liebt. Bei unseren Konzerten trifft man alles von sieben bis 77, die Jungen feiern gemeinsam mit Leuten aus meiner Generation oder der meiner Eltern. Ich glaube also, dass diese Musik absolut das Potenzial besitzt, einem großen Publikum zu gefallen. In meiner Heimat habe ich den zusätzlichen Vorteil, dass viele meiner Songs französisch sind und bislang noch niemand französischen Soul gemacht hat. Ich suchte früher danach, wurde aber nicht fündig und mach es nun halt einfach selbst.

Sind bereits Nachahmer aufgetaucht?

Nein, bislang nicht. Ich kenne einige Soul-Künstler in Paris, die aber eher Nu-Soul im Stile von D’Angelo machen, also nicht zu vergleichen mit meiner Musik. Ich bin eher Old School.

Du bist ja nicht nur von der Musik der Sechziger inspiriert, du kleidest dich auch entsprechend, das Artwork und auch deine Videos erinnern an diese Zeit. Fasziniert dich die ganze Ästhetik dieser Epoche?
Absolut, mir gefällt die Mode von damals, die Autos und selbst die Kühlschränke. Ich spiele gerne mit der Ästhetik dieser Zeit, da sie die Identität meiner Musik unterstreicht.

Sind deine Liveshows auch von den großen Entertainern diese Epoche inspiriert?

Natürlich! Otis Redding, James Brown, Marvin Gaye, The Temptations oder die Supremes waren sehr inspirierend für mich. Leider bin ich zu jung, um sie jemals selbst live erlebt zu haben. Aber danke YouTube kann ich ihre Shows trotzdem anschauen, was zweifellos eine gute Schule ist.

Wenn du mit einem Künstler dieser Epoche, tot oder lebendig, einen Song aufnehmen könntest, auf wen würde deine Wahl fallen?

Von den noch lebenden wären es Stevie Wonder und Al Green. Mein absoluter Lieblingskünstler ist aber Otis Redding.

Ein Franzose in den Staaten? Keine Chance?

Für einen Künstler ist es nach einem erfolgreichen Debüt wohl immer schwierig, ein zweites Album in Angriff zu nehmen. Bleibt man sich treu, mokieren die Kritiker, man habe sich nicht entwickelt, versucht man etwas Neues, stößt man viele Fans vor den Kopf. Hast du dir bereits Gedanken über die Ausrichtung deiner zweiten Platte gemacht?

Im Moment habe ich noch keine Ahnung, da die vielen Konzerte im Vordergrund stehen. Die Shows sind im Moment unser bestes Mittel, um unsere Musik unter die Leute zu bringen und das Projekt wachsen zu lassen. Die Musik ist meine Leidenschaft, nicht nur Beruf, sondern weiterhin auch mein Hobby. Um die Inspiration mache ich mir also keine Sorgen. Ich werde einfach machen, was mir gefällt. Welche Richtung ich einschlage, wird sich zeigen.

Soulmusik dreht sich zwar häufig um Beziehungen und die Liebe, es gibt aber auch die politischen und sozialen Aspekte. Könntest du dir vorstellen, vermehrt solche Themen in deiner Musik zu behandeln?

In den Sechzigerjahren war das politische Klima noch viel rauer als heutzutage. Ich muss mich nicht mit wirklich schwerwiegenden Problemen herumschlagen, weder wegen meiner Hautfarbe, noch mit einem Krieg in meinem Land. Deshalb stehen für mich alltägliche, soziale Themen eher im Vordergrund als politische. Für mich persönlich ist die Musik nicht dazu da, politische Parolen zu verkünden.

Du hast die Konzerte erwähnt, die dich bereits in viele Länder führten. Bald stehen auch Shows in Kanada an, womit du schon sehr nahe beim Mutterland des Souls angelangt bist. Ist ein Ziel von dir, auch in den USA zu spielen?

Ich mag die Staaten sehr und habe auch schon einige Zeit in New York verbracht. Ob ich als Franzose dort wirklich eine Chance hätte, wage ich aber doch ein wenig zu bezweifeln.

Amy Winehouse oder Joss Stone stammen auch nicht aus den USA ...

Da hast du natürlich Recht. Vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, sofern es in Kanada gut läuft. Es wäre natürlich schon ein Traum, mit Künstlern wie John Legend oder Anthony Hamilton eine Show in den USA spielen zu können.

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