8. Juli 2005

"Metaller sind unglaublich aggressiv!"

Interview geführt von

Es ist schon fast unglaublich, wie manche sich das Maul über die zierliche Fronterin von Arch Enemy zerreißen. Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn man(n) eher Fan von ihrem Vorgänger Johan Liiva war, aber der Großteil der Kritik an Angela klingt doch meistens nach Angstbeißen und nicht nach konstruktiver Auseinandersetzung mit der Leistung der Dame. Kein Wunder also, dass Angela sich für mehr Zusammenhalt in der Metal-Szene einsetzt ...

"Nemesis" war der erste Song, den ihr schon auf eure Homepage gestellt habt, und der auch auf der Scheibe sofort im Ohr hängen bleibt. Du singst dort: "One for all and all for one". Widerspricht das nicht etwas dem Prinzip der Nemesis, also der Rache?

Findest du? Ich denke eigentlich schon, dass das passt. Ich sehe in der Metal-Szene einfach noch diesen rebellischen, aggressiven Ansatz. Rachefeldzug ist da vielleicht zu viel gesagt, aber ich finde einfach, es sollte unter den Metallern ein viel größeres Einheitsgefühl geben. Im Text heißt es ja auch: "We are Nemesis", das soll dieses "Wir gegen den Rest der Welt Gefühl" ausdrücken. Wir sind die Rache, oder die Vergeltung (lacht).

Du beziehst den Text also auf die Metal-Szene?

Ja, absolut, es heißt ja: "One for all, all for one, we are one we are strong".

Dieses Einheitsfeeling scheint irgendwie dein Ding zu sein, oder? Auf dem letzten Album "Anthems Of Rebellion" handelte der Text von "We Will Rise" doch ein ähnliches Thema ab.

Stimmt, mir liegt das aber auch sehr am Herzen, denn die Metal-Szene scheint in letzter Zeit nichts Besseres zu tun zu haben, als sich gegenseitig zu beschimpfen oder zu dissen. Es gibt überall Reibereien zwischen den verschiedenen Strömungen und auch Bands. Es ist mir einfach wichtig zu betonen, dass die Metal-Szene nur aus einer Grundstimmung hervorgegangen ist und das wir alle zusammen gehalten haben. Das Wichtige dabei ist die Idee, sich gegenseitig zu akzeptieren, zu tolerieren und zusammen zu halten.

Machst du diese Erfahrung tatsächlich in solchem Maße, dass sich die Fans gegenseitig dissen?

Du musst doch nur mal im Internet auf irgendein Forum gehen. Schon allein der Ton, der da herrscht, ist unglaublich aggressiv und die Leute behandeln sich gegenseitig stellenweise wie Dreck. Sobald man eine Band nicht mag und sie kritisiert, muss man sich die übelsten Beschimpfungen anhören. Ich denke schon, dass der Tonfall in der letzten Zeit unglaublich aggressiv geworden ist. Auch bei unseren Konzerten kam es schon vor, dass irgendwelche Straight Edge Hardcore-Leute auf die Metaller gestoßen sind, und letztendlich musste die Ambulanz sich drum kümmern. Da gab es Messerstechereien, sobald einem irgendwas nicht passt, wird drauf gehauen. Da erfüllt man natürlich auch herrlich das Klischeebild des tumben Langhaarigen.

So extrem ist mir das persönlich noch nie aufgefallen. Dass man sich aufs Übelste beschimpfen lassen muss, wenn man mal was Negatives über eine Band schreibt, damit hab ich Redakteur hingegen schon genügend Erfahrungen.

Das kann ich mir vorstellen, aber selbst das war früher doch nicht so extrem. Klar, durch das Internet ist die Kommunikationsmöglichkeit viel größer geworden und man kann sich viel schneller den Frust von der Seele schreiben. Was mir aber immer wieder besonders übel aufstößt, sind die Reaktionen, wenn eine Band einen Auftritt absagen muss. Wenn mir das früher bei einer Band passiert ist, habe ich mich ein wenig geärgert, wusste aber, die kommen ja irgendwann wieder. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, denen gleich eine Hassmail zu schreiben. Solche Mails bekommen wir aber immer wieder, sobald wir einen Gig canceln müssen. Vielleicht war der Respektlevel früher höher, ich weiß es nicht. Respekt scheint in der heutigen Gesellschaft immer mehr zu verschwinden. Das Gleiche gilt für Toleranz und freundliches Miteinander, und das geht mir in der Metal-Szene einfach gegen den Strich. Ist doch egal, ob das Nu Metal, Metalcore, Death Metal oder wie auch immer heißt. Wir stehen alle etwas außerhalb der Gesellschaft und sollte dann doch gerade zusammen halten und nicht aufeinander rumhacken. Was soll das denn? Das war früher doch nicht so. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen hast du einen Metalhead auf der anderen Straßenseite gesehen, und egal, was der für ein Shirt anhatte, du hast ihn gegrüßt, weil es eben auch ein Metaller war. Heute wirst du erst mal unter die Lupe genommen, ob dein Shirt auch die richtige Band vorne drauf hat. Damit wirst du gleich mal gewertet. Da könnte ich mich stundenlang drüber auslassen. Hast du noch andere Fragen? Wenn ja, müssen wir das jetzt stoppen, hahaha.

Wie viele Texte auf "Doomsday Machine" stammen diese mal denn von dir? Auf dem letzten hast du dir die Lyrics ja noch mit Michael geteilt.

Bis auf zwei stammen alle von mir, und an den beiden hab ich auch mitgebastelt. Das hat sich so ergeben, da Michael und Chris eben das Songwritingteam sind. Auch Daniel (Erlandson, dr) ist inzwischen gut darin integriert, und deswegen halte ich mich aus dem Songwriting weitgehend raus. Das sind drei fähige Leute, weswegen ich mich also auf die Texte konzentriert habe. Ich brauche allerdings immer den Song als Demo, um entsprechende Texte zu schreiben, denn die Worte sollen zu Musik, Atmosphäre und Rhythmus passen. Von daher haben wie die Songs wirklich komplett gemeinsam ausgearbeitet, aber jeder war einfach in sein bestimmtes Feld integriert.

Songs wie "Taking Back My Soul", "My Apocalypse" und "I'm Legend" klingen dem Titel nach recht persönlich. Auf der anderen Seite kommen Sachen wie "Enter The Machine", "Mechanical God Creation" oder "Slaves Of Yesterday" eher einem politischen Statement gleich. Macht's die Mischung?

Auf jeden Fall, ich versuche meine Texte immer in der Art von kleinen Kurzgeschichten zu gestalten, die jeder lesen und für sich etwas rausziehen kann. Manche mögen sie, machen weniger, für mich haben sie natürlich alle eine bestimmte Bedeutung, die ich aber nicht als konkret, formuliertes Statement in den Song packen will. Das finde ich sogar schon gefährlich, denn gerade die jüngeren Fans orientieren sich doch mitunter noch sehr stark an ihre Idolen. Ich will da eigentlich niemanden beeinflussen, denn man bekommt in den Medien schon genügend Meinungsmache um die Ohren gehauen. Da muss ich nicht auch noch kommen, wir versuchen lieber, uns als Band so unpolitisch wie möglich zu halten. Natürlich haben wir auch Songs, die in diese Richtung gehen, die sind aber dann eher indirekt formuliert.

Wie habe ich dann einen Albumtitel wie "Doomsday Machine" zu verstehen?

Jaha, das hat irgendwie eine ganz neue Bedeutung bekommen. Während der Interviews gestern hab ich die Meldungen aus London mitbekommen (die Anschläge in der U-Bahn, Anm. d. Red.), ein Bekannter von mir war quasi vor Ort. Das ist schon beängstigend, was da abläuft. Ich verstehe einfach nicht, wie Menschen so etwas tun können. Vor allem, weil jetzt auch Europa langsam immer mehr vom Terrorismus bedroht wird. Das kann einem schon Angst macht.

Da gebe ich dir Recht. Lass uns lieber auf erfreulichere Themen kommen. Ich habe den Eindruck, dass die Songs auf "Doomsday Machine" ein wenig rockiger geworden sind, gerade "Taking Back My Soul". Schimmert da das Erbe von den Spiritual Beggars durch?

Nein, das glaube ich nicht. Ich finde das Album sehr ausgewogen, es gibt ein paar rockigere Sachen, genauso wie schnelle und melodische. Ich finde eigentlich, dass wir eine sehr gute Mischung auf dem Album haben. Außerdem hat Michael die Songs ja nicht alleine geschrieben, sondern Christoffer, Sharlee und Dennis haben ihn dabei ebenfalls unterstützt. "Taking Back My Soul" stammt zum großen Teil von Christoffer. Aber ich habe das Gefühl, dass er mit dem Sound von uns nicht mehr so viel anfangen konnte und auch deswegen aus der Band ausgestiegen ist.

Er ist also definitiv draußen? Ich dachte, er macht nur eine Pause, um sein Studium zu beenden?

Nein, er ist ausgestiegen, und das sehr plötzlich und auch ein wenig unschön. Deswegen haben wir ja auch keine Festivals im Sommer gespielt. Er hat einfach den Spaß an der Musik verloren und sich dann an der Uni eingeschrieben, um zu studieren. Ich denke aber, dass das nicht wirklich lange vorhalten wird, denn so wie ich ihn kenne, kann er nicht lange ohne die Musik leben und wird sich früher oder später wieder bei uns melden.

Bis dahin habt ihr Gus G dabei (Ex-Nightrage, Firewind)

Ja, wir kennen ihn schon lange und hatten auch schon das eine oder andere Konzert mit ihm. Der Kerl ist echt klasse, nicht nur vom Gitarrenspiel her, sondern auch vom Stageacting wird er Chris ganz gut ersetzen.

Um noch mal auf Chris zu kommen, er hat zu dem letzten Album ja ein paar klare Gesangslinien beigetragen. Auf "Doomsday Machine" habt ihr darauf verzichtet, warum?

Weil sie einfach nicht gepasst hätte. Es macht ja keinen Sinn, so was zu verwenden, nur um es auf dem Album zu haben. Die Texte sind nicht dafür geeignet, und auch die Melodien haben meiner Meinung nach einfach nach den heftigen Vocals verlangt.

Hast du jemals versucht, Cleangesang bei Arch Enemy einzubringen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du unter der Dusche auch vor dich hinröhrst.

Hahaha, nein, das tu ich natürlich nicht, aber ich habe auch nie versucht, mit klarer Stimme bei Arch Enemy zu singen. Das würde da überhaupt nicht hinpassen, da ich eher eine Sopranstimme habe. Das hat bei Arch Enemy überhaupt nichts zu suchen und würde den Sound nur in eine vollkommen andere Ecke drängen.

Im Profil auf der Homepage gibst du Jeff Walker (Carcass), Chuck Schuldiner (Death) und Chuck Billy (Testament) als Einflüsse an. Hat dich Sabina Classen (Holy Moses) mit ihrem Gesang nicht auch beeinflusst?

Nein, eigentlich gar nicht. Als ich angefangen habe, so zu singen, kannte ich Holy Moses und Sabina gar nicht. Von daher konnte sie mich auch nicht beeinflussen. Es waren tatsächlich die Herren der Schöpfung, die mich auf die Idee brachten, so eine extreme Art des Gesangs zu versuchen, und es hat auch ganz gut geklappt.

Nun hat Sabina auch in einer normalen Unterhaltung eine Stimme wie Onkel Fritz in der Räucherkammer. Deine Stimme klingt hingegen vollkommen normal, wie kommt’s?

Nun ja, Sabina hat nun mal die Angewohnheit, ganz gern ein Bier zu zischen und auch mal eine zu rauchen, diesen Luxus gönne ich mir nicht. Ich achte wirklich sehr auf meine Stimme, was Sabina in den Anfangstagen bestimmt nicht gemacht hat. So bilden sich diese Knoten auf den Stimmbändern, und das verleiht der Stimme dann diesen unverwechselbaren Charme, hahaha. Ich schone mich auf Tour so weit wie möglich, und wenn es sein muss, halte ich auch mal den ganzen Tag über die Klappe, damit ich abends wieder singen kann.

Das Interview führte Michael Edele

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