21. Oktober 2003

"Kölsches Kulturgut muss in die Welt hinaus!"

Interview geführt von

Natürlich kommen sie zu spät, und natürlich kommen sie in ihrer selbst gebauten Limousine. Nach ein paar technischen Problemen ging es dann los. Mit MD-Player und Diktiergerät.

Alex: Na, das nenn' ich mal professionell. Gleich zwei Aufnahmegeräte, und du hast sogar Fragen aufgeschrieben.

Äh ja, mach' ich immer, mit zwei Geräten fühle ich mich einfach sicherer. Ich würde das nicht gerade professionell nennen ...

Robert: Ich würde noch ein drittes Gerät aufstellen ... (lacht)
Alex: Also, der Rocco würde jetzt vor Neid erblassen.

Wer?

Alex: Rocco Klein.
Jens: Der hat nämlich nur ein zusammen geschustertes Diktiergerät mit Gaffer und so zugeklebt.

Naja, die hier sind auch alle ausgeliehen. Mein Diktiergerät hat nämlich den Geist aufgegeben. Egal. Fangen wir mal an. Thema Köln. Lieblingsort?

Alex: Sixpack.
Robert: Echt? Nee, also, ich fühle mich nachmittags immer im Café Schmitz ganz wohl oder im Elektra.
Jens: Am wohlsten fühle ich mich immer Nachts um halb vier auf dem Nachhauseweg, wenn die Fifibar noch auf hat.

Lieblingsveedel?

Alex: Fede?

Veedel!!! (für alle Nicht-Kölner, Veedel heißt Stadtviertel, Anm. d. Red.)

Jens: Jetzt oute dich nicht als Nicht-Kölner (lacht). Bei mir zwangsweise die Südstadt, weil ich da wohne und tagsüber viel rumhänge.
Alex: Ach so ... Ehrenfeld.
Robert: Agnesviertel. Also, eigentlich die Stadtteile in denen wir auch wohnen.

Lieblings Kölner-Promi?

Alex: Den ich persönlich kenne?

Nö, muss nicht sein.

Alex: Holger Czukay (Mitglied der legendären Kölner Band Can, Anm. d. Red.). Der hängt übrigens auch im Appellhofplatz (eine Kölner U-Bahn-Station, in der man einige Köpfe bedeutender Kölner Persönlichkeiten sehen kann, Anm. d. Red.). Der ist mir von allen, die da hängen am liebsten.
Robert: Wie heißt noch mal dieser geile Schauspieler?

Till Schweiger (würg)?

Robert: Nein, der ältere ... ah Udo Kier.
Jens: Echt? Ach, den finde ich ziemlich unangenehm. Nee, den finde ich fies.
Robert: Ja, warum denn?
Jens: Ach weiß nicht, der macht so einen auf dicke Hose. Naja, ähm, mir fällt keiner ein.

O.k.: Kölner Lieblingsband?

Jens: Och da können wir uns alle auf Bläck Fööss einigen, oder?
Robert: Nee, moment mal. Da gibt es ja nicht so viele. Jetzt eher ältere Bands oder die neue Szene? Dann natürlich Klitpop und Cellophane Suckers.
Alex: Erdmöbel.
Jens: Katze find ich gut.
Robert: Und Powerpop Praxis. Die sind allerdings noch nie aufgetreten.

Habe ich auch noch nie gehört. Gut. Lieblings- Kölschsorte?

Jens: Sion.
Alex: Kölschsound? Sorry, ich höre so schlecht.

Allerdings, oder es liegt an meiner Aussprache?! Man sagt mir auch nach, ich hätte einen Sprachfehler. Also noch mal: Lieblings KÖLSCHSORTE!?

Alex: Ganz klar, hier Reissdorf (nimmt einen kräftigen Schluck). Nee, moment. Braustelle. Da gibt es so ein Hofbräuhaus in Ehrenfeld und die haben ihr eigenes Bier. Heißt aber anders.
Robert: Also, ich trinke dieses Bier im Stecken ganz gerne. Ist aber kein Kölsch.
Jens: Du meinst Buschdorf. So ne Art ungeklärtes Bier. Da sind noch diese ungeklärten Trübstoffe drin. (Kurze Diskussion und Beschreibung von ungeklärten Trübstoffen zweier Bierexperten)

Experten unter sich ... Wann seid ihr zuletzt auf dem Dom gewesen?

Robert: Oben?

Ja, ganz oben.

Robert. Ach, da war ich noch klein. Fünf oder sechs.
Jens: Letztes Jahr im August nach einer völlig durchsoffenen Nacht war das der krönende Abschluss, so um 8:30h morgens. Wir waren die ersten.
Alex: Ich war noch nie auf dem Dom. Aber mit meinen Eltern mal auf dem Colonius (Fernsehturm, Anm. d. Red.), als das noch ging.

Welche kölsche Platte steht bei euch im Regal?

Alex: Swingerclub.
Jens: The Rain.
Robert: Panamaformat.

Keine Bläck Fööss?

Robert: Nee, aber wir sollten uns mal welche besorgen. Es ist nämlich immer sehr schön, wenn man auf Tour ist und diese Karnevalssongs singt. Da fahren vor allem die Österreicher voll drauf ab.
Jens: Kölsches Kulturgut muss man einfach in die Welt hinaus tragen.
Robert: Ja, also "Drink doch eine met" in Wien zu singen, um vier Uhr morgens im Backstage Raum und alle singen mit ... das ist schon schön.
Alex: Hat für Kopfschütteln gesorgt (lacht).

Feiert ihr denn auch Karneval in Köln?

Robert: Ja, wie Sau.
Alex: Sechs Tage Rennen.
Jens: Leider ja ...

Jetzt mal zu den ernsten Fragen. In letzter Zeit tauchen immer mehr Bands mit weiblichen Namen auf, z.B. die Berliner Kollegen Virginia Jetzt! Die haben zu ihrem Namen eine ganz nette Anekdote. Gibt es die bei euch auch?

Alex: Also in Kurzform kann man sagen, der Name kommt davon, dass wir engelsgleiche Hektiker sind. Eine Kombination der engelverweisenden Angelika und der Hektik, die mit Express zu verstehen ist ...
Robert: Man könnte es aber noch kürzer formulieren. Wir wollten uns eigentlich Virginia Jetzt! nennen, der Name war dann leider schon vergeben und so mussten wir auf Angelika Express ausweichen.
Jens: Man könnte es aber auch so deuten, dass Robert und ich die Mutterfigur in unserem Leben suchen. Sozusagen die Mutter Angelika, die später dann auch unseren Tourbus fahren soll. Der Alex sucht übrigens auch danach.
Alex: Naja, ich suche eigentlich den Vater in der Mutter. (Alle lachen)
Jens: So, jetzt darfst du dir davon was aussuchen.

Ah ja. Sehr schön. Werde mal sehen. Lasst uns jetzt mal über euer erstes Album reden. Wie kamt ihr zur Plattenfirma PAUL!?

Robert: Ja, das war so. Eines Tages ruft 'ne Plattenfirma an, die heißt Paul!, und die sagen, wir finden euch super und wir würden gerne 'ne Platte mit euch aufnehmen. Die Freundin vom Plattenboss René, die Nina, hat nämlich ein paar Songs von uns im Netz gehört und gesagt, dass er sich das unbedingt mal anhören müsse. Wir sind am selben Tag noch dahin gefahren, haben erst Kaffee und dann später Bier getrunken. Wir haben uns auf Anhieb ziemlich gut verstanden.

Deren Konzept hörte sich für uns sehr überzeugend an: nur deutschsprachige Musik mit Independent-Anspruch, aber das trotzdem professionell aufgezogen. Mit einem vernünftigen Vertrieb, in dem Fall ist das Zomba, und den Bands möglichst freie Hand lassen. Damit war die Sache klar. Auch wenn ein Stück von uns "Paul muss sterben" heißt.
Jens: Ja, der René, unser großer Boss, ist eh der beste, und am liebsten würde er uns mal für ein halbes Jahr im Knast sehen.
Alex: Er meint wir sind bei Interviews immer viel zu nett. Wir sollten mal mehr über andere Leute schimpfen.
Jens: Tapete Records in Hamburg hatten auch mal Interesse gezeigt, aber nachdem das Demo fertig war, fanden sie es nicht mehr so gut. Und der Marc Liebscher in München. Das war dann noch so ein Kampf hinterher, weil wir eigentlich dachten, dass der so cool ist, der hat ja schon fette Sachen am Start, u.a. die Sportfreunde Stiller. Aber René von PAUL! hat einfach 200% gegeben ...

Robert: Ja, Marc hat immer gesagt, ihr seid so geil, aber ich muss noch mit meinem Anwalt reden. Gebt mir noch zwei Tage. Hin und her. Und eines Tages saßen wir da am Biertisch im Agnesviertel und meinten, so, jetzt müssen wir uns mal entscheiden, und da haben wir uns für René entschieden. Das geile Label in Wuppertal.
Jens: Und von da an ging es dann wirklich zur Sache. Und wir können immer wieder nur sagen, dass das auf jeden Fall die richtige Entscheidung war.

Dadurch entstand auch der Kontakt zu den Fehlfarben?

Jens: Ja, erst mal mit Family 5 und Peter Hein insbesondere. Wir haben ja auch auf der Veranstaltung "Zurück zum Beton" gespielt, und da waren natürlich alle VIPs vor Ort. Da hatten wir unsere erste lustige Begegnung mit dem Peter. Später haben wir uns mit ihm auch mal gut besoffen, und da kam uns die Idee, einen Song mit Peter aufzunehmen, weil wir ihn alle einfach toll fanden. Wir haben ihn dann auf Arbeit angerufen und gefragt, ob er Lust und Zeit hätte. Und letztendlich passierte es dann noch am selben Tag. Da kam er spontan ins Studio. In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" hat er sogar auf die Frage, was er denn neben den Fehlfarben noch machen würde, gesagt, dass er bei Angelika Express mitspielt.

Was hat es mit dem "Teenage Fanclub Girl" auf sich, gibt es das noch?

Robert: Nee, das gab es leider noch nie. Das ist immer noch eine Traumvorstellung von mir. Ich bin ja ein riesiger Teenage Fanclub-Fan, und leider habe ich festgestellt, dass es viel zu wenige Frauen gibt, die diese Band richtig super finden.
Jens: Wir machen ja mittlerweile bei vielen Konzerten die Durchsage, dass alle Mädels, die Teenage Fanclub gut finden, anschließend hinter die Bühne kommen und sich mit dem Robert unterhalten sollen. Da ist aber bisher noch nie eine erschienen. Höchstens Typen mit langen Haaren.
Robert: Ja, unglaublich. Das bleibt wohl ein Traum. Mir fiel der Song damals in meiner deutschlandweiten Lieblingsbar, der Meanie-Bar in Hamburg, ein. Und wenn ich dieser Frau dort begegnet wäre, dann wäre es mit Sicherheit ein sehr melancholisches Treffen geworden.

Wie würdet ihr die Kölner Szene mit der in Hamburg oder Berlin vergleichen?

Robert: Die Kölner Szene gibt es einfach nicht.

Naja, aber da tut sich doch schon was.

Robert: Ja, ich kann nur hoffen, dass die bald kommt. Und die Berliner Szene ist viel eher, als die in Hamburg, eine gemachte Szene.

Meiner Meinung nach stirbt die Hamburger Szene gerade aus.

Robert: Ja, das stimmt.
Jens: 'Szene' klingt immer so gekünzelt. Ich kenne viele Leute in Berlin oder Hamburg, und da findet ein Austausch statt. Das Problem in Köln ist, dass der Jazz und die Elektronik die Stadt beherrschen. Es war schwierig als Gitarrenband überhaupt zu bestehen. Es gab auch keinen großen Austausch zwischen den Bands. Du hängst in deinem Proberaum ab und bekommst kaum was von deinen lokalen Kollegen mit. Es müsste gegenseitig viel mehr gefeatured werden, so wie das in der Hip Hop-Szene ständig gemacht wird. Heute singt zum Beispiel mal der Klaus Cornfield von Katze den Song oder wir holen uns mal 'ne zweite Gitarre auf die Bühne. Das ist leider hier in Köln noch nicht so verbreitet.

Robert: Wir würden gerne mal mit uns bekannten Kölner Bands ein Festival machen.
Alex: Das gab es ja auch schon mal. Zwar eher illegal, aber das war auch sehr nett.
Jens: Die meisten Leute denken bei Bands aus Köln wirklich nur an diese Karnevals-Combos. Uns wurde sogar mal gesagt, wir sollten verschweigen, dass wir aus Köln kommen. Dann sollten wir doch eher sagen, dass wir aus Ehrenfeld kommen oder so. Und das ist ja wohl totaler Quatsch. Irgendwie haben die, was Köln angeht, Angst.
Alex: Und dann finde ich diese Phase zur Zeit in Berlin eher fürchterlich. Bands wie Mia oder Wir sind Helden wird ja förmlich eingetrichtert, dass die nach außen hin deutlich zeigen sollen, woher sie kommen. Und auch musikalisch.

Jens: Ja und alle großen Plattenfirmen ziehen nach Berlin. Ich glaube ja eher, dass dieser Berlin-Hype schon lange vorbei ist. In den 80ern herrschte noch reges Treiben dort. Da war Berlin Mittelpunkt und hatte auch musikalisch was Neues zu bieten. Jetzt ist es nur noch ein Kommen und Gehen. Ich kenne viele, die nach kurzer Zeit aus Berlin wieder weggezogen sind.
Alex: Und wenn man sich den Begriff 'Hamburger Schule' mal genauer ansieht, da kommen doch ganz viele verschiedene Musikrichtungen und Bands zusammen. In jeder Stadt gibt es verschiedene Szenen und nicht immer nur DIE eine, von der man ständig liest und hört. Da werden alle in einen Topf geworfen, und die meisten haben musikalisch überhaupt nix gemeinsam. Klar denkt man bei Hamburger Gitarrenmusik erst mal an Tomte, Kettcar ... Und wenn ein Berliner an Köln denkt, dann fallen ihm halt nur Bap, Brings und Karneval ein.
Robert: Ja und in den 70/80er Jahren vielleicht noch Can und diese ganze Drogen-Musik. Vielleicht auch noch Stockhausen. Und später waren es dann nur noch Bap und Zeltinger. Aber diese klare Aussage des Rock'n'Roll fand in Köln nicht wirklich statt. Dann schon eher in Berlin und Hamburg.

Alex: Und in Düsseldorf.
Robert: Klar, die waren da auch ganz groß drin.
Jens. Dennoch kommen wir ja auch in Köln sehr gut an.
Robert: Auf jeden Fall. Wir haben ja letztens diese Kneipentour durch Köln gemacht. Da waren wir auch im Sixpack. Samstagabends. Und die hören ja sonst eher nur Housemusik. Wir haben dann unsere Verstärker aufgedreht und "Teenage Fanclub Girl" hingerotzt, und die fanden es komischerweise auch gut.

Ja, man muss dem Kölner schon mal zeigen, wo es lang geht, und ihm auch zeigen, dass es mehr als nur Elektroniksounds gibt. Wie läuft die Tour denn sonst so?

Robert: Ziemlich unterschiedlich. In Wien haben wir zum Beispiel vor 450 Leuten gespielt und ein paar Tage später, auch in Österreich vor nur 20 Leuten.
Jens: Das war allerdings auch eher ein Dorf. Ansonsten läuft die Tour aber sehr gut. Es macht richtig Spaß, egal wie viele Leute da sind. Ich freue mich einfach nach einem Gig, wenn Leute zu uns kommen und sagen: "Hey, ich steh voll auf euch." Da ist es auch egal, ob nur 10 oder 150 Leute dir zuhören.
Robert: Der absolute Kick war, als wir in Hamburg als Support von den Fehlfarben vor 1000 Leuten gespielt haben. Da kamen natürlich auch so Sprüche, wie: "Was macht ihr denn hier, ihr fröhlichen Rheinländer." Dennoch war es eine tolle Erfahrung für uns, vor so einem großen Publikum zu spielen.

Na, denn vielen Dank und Kölle Allaaf!

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LAUT.DE-PORTRÄT Angelika Express

Angelika Express, das sind die längste Zeit Sänger und Gitarrist Robert Drakogiannakis, Schlagzeuger Alex Jezdinsky und Jens Bachmann am Bass gewesen.

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