laut.de-Kritik

Folk- und Psychedelik-Perlen sowie ein Springsteen-Cover.

Review von

Letztes Jahr reflektierte die in St. Louis, Missouri aufgewachsene Singer/Songwriterin Angel Olsen auf "My Woman" ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft. Nun erscheint mit "Phases" eine Zusammenstellung von B-Seiten, Demos und Coverversionen, die von der Vielseitigkeit der 30-jährigen zeugt.

Die Compilation startet mit "Fly On Your Wall", das man schon auf Bandcamp im Rahmen des Projekts "Our First 100 Days" nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten kennt. Der Track lebt von einer ungeheuren Dynamik und dem melancholisch-sehnsüchtigen Crooning von Angel Olsen. Der Song mündet in ein packendes, intensives Gänsehautfinale. Ein hervorragender Einstieg.

"Special" von den Sessions zu "My Woman" hält das hohe Niveau. Dazu weist die psychedelische Nummer zwischendurch das ein oder andere verspielte Fuzz-Solo auf. Nach und nach steigert sich die Intensität des Tracks. Dennoch entlädt er sich nicht bis zum Schluss. Von der Dramatik des 2016er-Albums nimmt man in dem Stück jedoch nicht besonders viel wahr. Vielmehr zeigt sich die US-Amerikanerin von ihrer leichtfüßigen und routinierten Seite.

Zudem enthält "Phases" zwei zu Hause aufgenommene Demos, die sie der Öffentlichkeit bislang noch nicht zugänglich gemacht hat. Vor allem "Sans" zählt wegen seiner Lo-Fi-Ästhetik und der fragilen Stimmführung der Singer/Songwriterin zu den Highlights dieser Kollektion. Darin berichtet sie von den Strapazen des Tourlebens. Die Zeit rast ihr davon, beklagt sie. Soziale Kontakte treten in den Hintergrund. Trotzdem geben sie der Musikerin Sicherheit. "How Many Disasters" klingt dagegen wie eine beiläufige und etwas gelangweilte Fingerübung an der Akustikgitarre.

Die beiden Coverversionen begeistern demgegenüber restlos. Bruce Springsteens "Tougher Than The Rest" von der unterschätzten Platte "Tunnel Of Love" von 1987 reduziert sie mit nur wenigen Gitarrenakkorden auf das Allernötigste. Die Emotionalität des Originals bewahrt sie allerdings. Die Neueinspielung wirkt aufgrund von Olsens minimalistischer Herangehensweise um Einiges intimer. Roky Ericksons "For You" lässt sich dank ihrer souligen und warmen Intonation ebenfalls als umwerfend schöne Erklärung an die Liebe bezeichnen.

Auch "May As Well", ein Bonus-Track auf der Deluxe-Ausgabe von "Burn Your Fire For No Witness" (2014), kreist um dieses Thema. In dieser Nummer heißt es: "In all of my dreams we are husband and wife / I'll never forget you all of my life." Sie erzählt von ihrer Unfähigkeit, das Geliebte loszulassen. Dabei führt die sensible Folk-Ballade die musikalische und lyrische Tradition einer Joni Mitchell gelungen fort.

Demgegenüber betont die Amerikanerin in "Sweet Dreams", einer Single von 2013, ihre rockigen Qualitäten, während ihr Gesang, der sich förmlich überschlägt, Erinnerungen an weibliche Ikonen des Alternative in den 90er-Jahren wie Liz Phair und PJ Harvey heraufbeschwört. Lyrisch kommt sie in dem Stück zu der Erkenntnis: "I love you most when I found love in myself." In "California", der B-Seite von "Sweet Dreams", singt sie brüchig und den Tränen nahe: "I've never felt quite so open for love." Zusätzlich lässt sie sich von dem Gedanken nicht abbringen, dass man ihr irgendwann einmal das Herz bricht. Dass die Musikerin ein unbeschwertes Verhältnis zur Liebe hätte, kann man also nicht behaupten.

Auf Instagram schrieb Angel Olsen vor kurzem, dass "Phases" sich für sie anfühle wie ein "Tagebuch, das man geklaut und massenhaft vervielfältigt hätte". Somit erhält man mit dieser Zusammenstellung an B-Seiten, Demos und Coverversionen einen umfassenden Einblick in die widersprüchlich anmutende Gefühlswelt der Singer/Songwriterin. Statt einer Resteverwertung beinhaltet "Phases" allerdings zahlreiche Folk- und Psychedelik-Perlen, die es zu entdecken lohnt.

Trackliste

  1. 1. Fly On Your Wall
  2. 2. Special
  3. 3. Only With You
  4. 4. All Right Now
  5. 5. Sans
  6. 6. Sweet Dreams
  7. 7. California
  8. 8. Tougher Than The Rest
  9. 9. For You
  10. 10. How Many Disasters
  11. 11. May As Well
  12. 12. Endless Road

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