25. Juli 2017

"Es geht um sexuelle Abenteuer"

Interview geführt von

Es wäre ja auch ein Widerspruch gewesen, sich für ein Album mit dem Titel "Relaxer" stressen zu lassen. Bevor es für die New Yorker Alt-J mit den Arbeiten für ihren aktuellen Longplayer losging, nahm sich die Band erst mal ausgiebig Urlaub beziehungsweise widmete sich anderen Projekten – musikalischer, aber auch kulinarischer Natur.

Joe Newman, Gus Unger-Hamilton und Thom Sonny Green hatten Lust auf Experimente – und begaben sich in mehrere Studios in London, um gemeinsam mit ihrem Stammproduzenten Charlie Andrews am Nachfolge-Longplayer von "This Is All Yours“ zu arbeiten. Wir trafen Alt-J zum Gespräch in Berlin, um mit ihnen über ihr neues Album, Field Recordings und ihre Ferienaktivitäten zu sprechen.

Ihr habt euch vor "Relaxer" eine längere Auszeit genommen. Erzählt doch mal, was ihr in der Pause so gemacht habt.

Gus Unger-Hamilton: Wir haben verschiedene Sachen gemacht. Ich habe ein Restaurant eröffnet, das machte Spaß. Ich habe dort gekocht, viel über Essen gelernt.

Thom Sonny Green: Ich habe ein Solo-Album aufgenommen, an dem ich bereits 2,3 Jahre vor der Pause gearbeitet habe. Ich habe mit einem Freund an Videos gearbeitet, bin umgezogen.

Joe Newman: Ich bin einfach nur rumgehangen, habe ein bisschen an der dritten Platte gearbeitet. Ich hatte keine anderen Projekte.

Gus: Bist du nicht in die Ferien gefahren?

Thom: Ja, ich bin nach Australien gefahren.

Ihr hattet ja einen wirklich guten Run mit den Alben und Touren davor. Wie wichtig war die Auszeit?

Thom: Wir haben es dringend gebraucht. Wir haben uns gar nicht gefragt, ob wir das brauchen – wir wussten, dass wir wieder ein bisschen Anschluss an unsere Privatleben finden mussten, Freunde und Familie sehen. Das war auch gut für das Album, denn als wir uns entschieden haben, uns wieder zu treffen, war es ein ganz natürlicher Prozess. Wir haben keine Anrufe vom Label bekommen, in denen uns gesagt wurde, dass wir jetzt wieder anfangen müssen. Sechs, sieben Monate in die Pause rein haben wir wieder begonnen, etwas zu tun. Wir haben Glück, dass wir das so machen konnten. Es war eine ideale Situation, dass wir uns wieder ein wenig unseren eigenen Leben widmen konnten, ehe wir uns wieder in die Sache reinstürzten. Sogar das Schreiben war ein Kinderspiel.

Wie ging es dann mit dem Arbeitsprozess los?

Gus: Wir haben den August damit verbracht, uns einen geeigneten Rahmen für die Arbeit zu schaffen. Wir wollten mehr ein Gefühl des Zuhauseseins als reines Studiofeeling. Wir haben unser Equipment angekarrt und uns eine Deadline gesetzt. Ende Januar wollten wir fertig sein. Wir hatten also fünf Monate Zeit, wir hatten das Gefühl, dass das machbar sei. Wir haben zwei Monate geschrieben und drei Monate aufgenommen, nebenbei aber weiter geschrieben. Wir haben es geschafft!

Ihr habt in verschiedenen Studios in London aufgenommen.

Thom: Ja, wir haben in den Strongrooms ins Shoreditch begonnen – in dem Studio waren wir zum ersten Mal. Es war toll, ein gutes Studio. Nigel Goldrich hat dort auch ein Studio, es war super. Wir wohnen sehr nahe von dort. Unser Produzent Charlie war mit uns dort. Vollendet haben wir es in Brixton, wo Charlies Homebase ist. Wir waren auch in der "Cathedral" und haben mit einem Knabenchor aufgenommen. In Abbey Road haben wir ein Orchester aufgenommen ... Ja, dieses Album haben wir anders gemacht als sonst – aber es war alles innerhalb von London.

Die "Church Studios", wo ihr auch aufgenommen habt, gehören Paul Epworth, dem Producer von Adele.

Gus: Ja, wir haben dort einen Tag die klassischen Gitarren für "House Of The Rising Sun" aufgenommen.

Thurston Moore, mit dem ich vor einiger Zeit ein Interview führte, erzählte, dass er auch dort aufgenommen hatte. Er schwärmte regelrecht von dem Studio.

Gus: Cool. Ja, das ist ein echt toller Ort.

Seid ihr mit fertigen Songs ins Studio gegangen?

Joe: Ja, wir arbeiten viel an den Songs, bevor wir sie ins Studio bringen. Ich würde sagen, rund 40 Prozent der Arbeit wird in der Vorproduktion erledigt. Dann bringen wirs ins Aufnahmestudio und machen das, was wir eben machen.

Thom: Es ist auch gut, dass wir das so machen können, wir würden uns gar nicht wohl fühlen, mit leeren Händen ins Studio zu kommen. Für uns ist das wichtig, dass wir zuerst wissen, wo wir stehen. So haben wir auch begonnen – wir hatten ein fertiges Album, bevor wir jemals im Studio waren. So versuchen wir es auch heute zu halten.

Die Platte lebt ja von so vielen Details wie Bläser-Arrangements – wie setzt ihr das in der Vorproduktion um?

Thom: Dieses Mal haben wir mit Ableton gearbeitet, die Sachen vorab strukturiert. Damit wir ungefähr wissen, was wir machen. Das konnten wir dann Charlie übergeben. Wir haben auch viel Field Recording gemacht, unter anderem mit dem iPhone. "Deadcrush" baute auf einer iPhone-Aufnahme. Während man vorproduziert, ist man sich oft gar nicht bewusst, wie wichtig das ist. Aber wenn man die Dinge dann hat, wenn man im Studio ist, ist das sehr nützlich.

Erzählt doch mal von den Field Recordings.

Thom: Charlie hat zum Beispiel Mikrofone auf dem Parkplatz vor dem Studio aufgestellt, hat das Geräusch von einem Lagerfeuer aufgenommen. All die Geräusche, das waren echte Aufnahmen. "Pleader" hat die Lüftungsgeräusche der Kathedrale – diese Details geben dem ganzen noch mehr Farbe. Wir würden das mit der Geräuschkulisse aber auch nicht übertreiben wollen, wenn man das tut, klingt es chaotisch. Da geht es um Präzision.

"Es geht um einen jungen Mann, der sexuelle Abenteuer hat"

Vor dem Album habt ihr ein Videospiel veröffentlicht, in dem man in den Kosmos eintauchen konnte. Wie kam euch die Idee dazu?

Gus: Es begann mit dem Album-Artwork. Das Albumcover ist ein Bild des Spiels "LSD Dream Emulator". Das war ein Kult-Playstationspiel in den 1990ern, in dem man in einer alptraumhaften Umgebung rumspazierte. Wir dachten, es könnte cool sein, unsere eigene Version dieses Spiels zu kreieren und riefen den Game Designer an. Der war damit einverstanden – und so kreierten wir "The World Of Relaxer". Du läufst durch diese Landschaft und kriegst Details zum Album, hörst Sounds, siehst Fotos, auch vom Entstehungsprozess der Platte. Es wird hoffentlich dauernd erneuert. Es ist einfach eine witzige Art, die Leute in die Platte einzuführen und ihnen Extra-Content zu geben. Es macht mehr Spaß, als das Album mit einem Facebookpost zu bewerben.

Wann entstand die Artwork-Idee?

Thom: Gegen Ende des Prozesses. Wir haben es nicht absichtlich so lange hingezögert, aber wir hatten keine Eile. Wir sind recht effizient in diesen Sachen. Wenn wir eine passende visuelle Idee haben, die uns allen gefällt, einigen wir uns schnell darauf, wir müssen da nicht lange weiter überlegen. Wir hätten sowohl Cover als auch Titel viel komplizierter machen können, wenn wir das länger durchdacht hätten. Wir hatten ein Bild im Kopf, bevor wir uns entschieden haben – und als es klar war, dass wir das machen können, gab es keine weitere Diskussion.

Gus: Ich würde sogar sagen, diesmal hatten wir das Artwork noch früher im Kasten als sonst. Bei den ersten beiden Alben hatten wir die Deadline: 'Ihr müsst uns bis heute Nachmittag etwas schicken, sonst wird der Release verzögert'. Das lief dieses Mal besser und war angenehmer.

Was hat des mit dem Titel "Relaxer" auf sich?

Gus: Es war einfach ein Wort, das wir mochten. Es ist in den letzten Jahren immer wieder aufgetaucht. Thom nannte eines seiner eigenen Stücke so, in den Lyrics zu "Deadcrush" kam es vor, ehe wir es aber wieder rausnahmen. Wir fanden das Wort passend, es ist cool, es bleibt im Gedächtnis, ein einzigartiger, starker Name.

War es für euch jemals eine Frage, einen anderen Produzenten zu verwenden?

Gus: Wir hatten nie den geringsten Zweifel. Wir kennen ihn gut, er hat mit den ersten beiden Platten einen fantastischen Job gemacht. Er ist kein Bandmitglied, aber er ist ein Schlüsselelement in unserem Sound. Einen Produzenten zu finden, kann oft ein traumatisches Ereignis sein, du triffst viele Menschen, probierst Sachen aus und machst schlechte Erfahrungen. Wir haben einfach nur Glück, dass wir jemanden wie ihn haben. Das erleichtert die Arbeit für uns, für unser Label und für unserer Management.

Also immer noch keine Kollaboration mit Dr. Dre.

Gus: Nein, immer noch nicht. Es wäre natürlich interessant, mal mit jemandem anderen zu arbeiten. Aber vielleicht würde es auch nicht klappen. Ich mag unser Verhältnis zu Charlie. Wir haben uns ja nie zu ihm verpflichtet, das wäre auch nicht gesund. Es ist ein rollender Vertrag, wenn man so will, Album für Album für Album.

Lasst uns mal über spezifische Songs reden. Als erstes "3WW". Da ist es interessant, erst beginnt Gus mit den Vocals, dann kommt Joe und später stößt Ellie Rowsell von Wolf Alice dazu.

Gus: Ja. Drei warme Stimmen. Es heißt "3 Worn Words", es ist ein toller, kollaborativer Song. Verschiedene Songteile wurden zu verschiedenen Zeiten geschrieben, aber sie passen toll zusammen. Die Teile werden von einem starken, narrativen Bogen in den Lyrics zusammengehalten. Es geht um einen jungen Mann, der rausgeht und Abenteuer hat. Sexuelle Abenteuer (lacht). Und die "3 Worn Words", die heißen "Ich liebe dich", Worte, die bis in die Bedeutungslosigkeit abgenutzt werden.

Würdet ihr sagen, es gibt einen lyrischen roten Faden?

Gus: Ich würde sagen, es ist eine sehr sexy Platte. Aber es verfolgt jetzt nicht stärker ein einziges Konzept als unsere bisherigen Alben.

"In Cold Blood" beginnt mit dem binären Code "01110011", was hat es damit auf sich?

Gus: Das beruht auf temporären Lyrics, die Joe benutze. Es war ein Song, der sehr auf dem instrumentalen Aspekt beruhte. Joe kam mit einer tollen Gitarrenhook, wir jammten darauf, schon vor Jahren. Dann kamen wir auf aufregende Keyboards- und Drumteile. Die Lyrics benutzte er dafür, um uns zu zeigen, wie er singen wollte - es ging weniger darum, was er singen wollte. Ist das richtig, Joe?

Joe: Ja, absolut.

Gus: Es geht darum, dass zwei Leute nicht miteinander kommunizieren kann.

Bemerkenswert ist auch "House of the Rising Sun", für das ihr euch die Lyrics von der Woody-Guthrie-Version nahmt ...

Gus: Ja, den ersten Vers der Guthrie-Version ...

... und dann etwas Symphonisches daraus gemacht, das sich melodisch in ganz andere Richtungen bewegt als der ursprüngliche Song.

Joe: Ich hatte die Gitarrenakkorde und dachte mir, warum nicht mal die Lyrics von "House of the Rising Sun" darüber probieren? Es hat gut funktioniert – und ich hatte das lange rumliegen.

"Wir wollten nicht zu sehr auf Nummer sicher gehen"

Da sind eine Menge Streicher in eurer Version.

Gus: Ja, und wir haben sogar viele rausgenommen, da waren zu Beginn noch viel mehr Streicher. Es gab die Diskussion im Studio: Ziehen wir das mit den Streichern durch oder nicht? Wir haben uns dafür entschieden – der Klang ist toll, und so haben wir das auch noch nie gemacht. Das war wirklich aufregend. Es gibt aber auch viele Gitarren in dem Stück.

Joe: Ja, zwanzig Gitarren um genau zu sein.

Thom: Ich war da ja gar nicht im Studio, wurden die eigentlich wirklich zur selben Zeit aufgenommen?

Gus: Ja, wurden sie.

Joe: Ich habe da sogar noch ein Video davon.

Sind das akustische oder klassische Gitarren?

Joe: Klassische, mit Nylonsaiten. (Sucht in seinem Handy und zeigt Fotos von der Aufnahme.)

Joe: Irgendetwas hat bei den Aufnahmen gekracht, das Knacksen eines Stuhls. Eine Gitarristin hat sich umgedreht und wollte uns die Schuld geben, aber unser Produzent meinte, nein, das kommt nicht von uns (lacht).

Die Gitarren haben ja auch ein sehr perkussives Element?

Gus: Ja, das ist das Fingergeräusch. Das liegt daran, dass wir die zwanzig Gitarren alle sehr detailliert aufgenommen haben und dieses Fingergeräusch ist in Wahrheit ja ein gleich großer Teil wie das Picking.

Joe: Vor allem, wenn da zwanzig Gitarren sind. Dann kommt da noch der Raumklang hinzu.

Und da ist auch "Hit Me Like That Snare", das ja einen ziemlichen Kontrast zum symphonischen Element der Platte bildet.

Thom: Das haben wir fast in einem Take aufgenommen. Wir waren in den Stronglands, wollten eigentlich an einem anderen Song arbeiten. Joe begann, dieses Riff zu spielen. Das können wir mittlerweile sehr gut – unsere Intuition, was wir miteinander tun können. Gus, du lachst ja ...

Gus: Nein, nein.

Thom: Charlie hat alles aufgenommen und alles, was wir dann noch machen mussten, ist das Ding zu strukturieren.

Und dann kommen wir zum letzten Drittel der Platte, wo sich alles symphonisch steigert, die Atmosphäre immer dichter wird. "Adeline", "Last Year" und dann der starke Abschluss wie mit "Pleader".

Gus: "Adeline" ist ein Song, den wir auf Tour bei Soundchecks schrieben. Wir jammten, sammelten Ideen und so baute sich das nach und nach auf. Ein langsamer Song, eine Ballade, wenn man so will. Eine Geschichte über Sehnsucht, verbotene Liebe. Wir mussten aufpassen, weil er sich als typischer Alt-J-Song angeboten hatte, wir wollten da nicht zu sehr auf Nummer sicher gehen. Nicht einfach nur Gitarrenschichtungen und Keyboards – das hätte wie ein früher Song von uns geklungen, das wollten wir vermeiden.

Wann wisst ihr im Studio, wann Schluss ist?

Gus: Wir haben ein gutes Gespür dafür, wenn etwas fertig ist. Unserem Produzent Charlie ist es sehr wichtig, dass wir Sachen abschließen, wenn sie gut sind. Er führt Buch über das, was wir ausprobieren wollen – egal ob das Harmoniegesang in der zweiten Strophe ist oder ein Shaker, und dann ist es fertig. Es hilft uns, ihn dabei zu haben. Sonst würden wir wahrscheinlich noch viel länger an den Sachen rumspielen.

Gentlemen, ich danke fürs Gespräch.

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