27. April 2018

"Kunst muss Grenzen ausloten"

Interview geführt von

Berufsmusiker zu werden, das hatte Egbert Nathaniel Dawkins III alias Aloe Blacc eigentlich nie vor. Dass es dann doch kam, wie es gekommen ist, hat damit zu tun, dass ihm irgendwann einmal ein Song einfiel, der zum internationalen Ohrwurm avancierte: "I Need A Dollar" erschien 2010 und machte den Kalifornier zum Star. Nun kehrt er mit neuer Single zurück.

Gerade war Aloe Blacc im Film "America's Musical Journey" zu sehen, in dem er sich auf die Suche nach den Wurzeln der amerikanischen Musik macht. Im Zuge der Dreharbeiten traf er auf zahlreiche Musikikonen, von denen er selbst noch die eine oder andere Sache lernen konnte, wie er erzählt.

Sein letztes Album "Lift Your Spirit" liegt mittlerweile fünf Jahre zurück. Nun gibt es aber wieder neues Material: Soeben ist die Single "Brooklyn In The Summer" erschienen, das zugehörige Album soll demnächst folgen.

Wir trafen Aloe Blacc zum Interview im Berlin.

Gerade ist deine neue Single "Brooklyn In The Summer" erschienen. Erzähl' doch mal was darüber.

"Brooklyn In The Summer" kommt mit einem Soul-Feeling daher, hat einen guten Vibe. Schließlich ist Brooklyn im Sommer ja ein wirklich schöner Ort. Die Sonne scheint, jeder ist im Park, überall gibt es Konzerte. Es ist einfach eine gute Zeit, um mit Freunden abzuhängen. Ich wollte mich auf diesem Album auf Liebe, Beziehungen, Romanzen konzentrieren. Das ist etwas, das ich bisher nicht getan habe, und es ist an der Zeit, auch das einmal zu teilen. Im Kern ist "Brooklyn In Summer" ja eigentlich ein Trennungssong, aber er versprüht viel Nostalgie und erinnert an die tollen Zeiten.

Dein letzter Longplayer erschien 2014. Was ist in den letzten vier Jahren bei dir passiert?

Ich habe eine vier Jahre alte Tochter und einen zwei Jahre alten Sohn. Ich habe viel Zeit mit der Familie verbracht, das Leben als Vater und Ehemann kennengelernt. Zur selben Zeit war ich aber auch immer kreativ, habe geschrieben und Songs aufgenommen. Ich habe mich auch mit anderen Dingen beschäftigt, mit Technologie, habe einen Kurzfilm geschrieben, arbeitete mit Firmen, um Virtual-Reality-Kameras zu entwickeln. Ich habe mich für viele neue Dinge interessiert, Wege gefunden, mich mit meiner Kunst auszudrücken.

Dein letztes Album war dein Debüt auf einem Major-Label. Was hat sich für dich damit grundlegend verändert?

Bei einem Major-Label hast du Zugang zu einer Geschäfts-Infrastruktur, die deine Musik für viel mehr Leute zugänglich machen kann. Natürlich, als ich als Indie-Künstler begonnen habe, gabs auch das Internet noch nicht. Es war schwer, Musik öffentlich zu machen, man musste hart dafür arbeiten. Über das Internet ist das zwar viel leichter, aber es gibt auch viel mehr Wettbewerb, viel mehr Ablenkung. Da hilft ein Major-Label schon, in Sachen Promotion und Marketing.

Und wie sieht es mit der kreativen Freiheit aus?

Ich habe immer noch dieselben kreativen Freiheiten. Ich nehme auf, was ich will, ich kann veröffentlichen was ich will, zum Beispiel als Nebenprojekt. Aber man geht mit einem Label ja einen Geschäftsvertrag ein, und das Geschäft ist es schließlich, Platten zu verkaufen. Ich gebe dem Label also jene Songs, von denen ich glaube, dass sie sich verkaufen könnten. Diejenigen, die von denen ich das nicht denke, behalte ich und ich finde andere Wege, sie zu veröffentlichen, sei das ein Gratis-Download, eine Kollaboration mit einem anderen Künstler, wie auch immer.

"Wahrhaftigen künstlerischen Ausdruck wirst du im Radio nicht finden"

Du hattest bereits über zehn Jahre Musik gemacht, als du deinen Durchbruch hattest. Stimmt es, dass du gar nie die Absicht hattest, von der Musik zu leben?

Ja, das stimmt. Das war nie mein Plan. Ich betrachtete Musik damals als mein Hobby, das tue ich immer noch. Ich mache Musik immer noch aus reiner Freude, bin aber in der glücklichen Position, davon leben zu können, es zum Beruf gemacht zu haben. Musik war immer eine Freizeitaktivität für mich, ich hatte es nie als Karrieremöglichkeit angesehen.

Gibt dir dieser Background eine gewisse Entspanntheit?

Das glaube ich schon, ja. Ich hatte meinen Durchbruch ja auch, als ich schon etwas älter war. Als "I Need A Dollar" einschlug, war ich schon 31 Jahre alt. Das gab mir die Möglichkeit, ich selbst zu sein, ich musste keine neue Person erfinden, die das tut, was die Leute sagen. Ich war bereits erwachsen und hatte ein Konzept davon, wer ich bin.

Wie, glaubst du, wäre alles verlaufen, wenn das Ganze zehn Jahre früher passiert wäre?

Wahrscheinlich hätte ich eine schlechtere Position bei den Geschäftsleuten gehabt. Sie hätten in mir nur ein junges Kind gesehen, hätten mir vielleicht gar nicht die Möglichkeit gegeben, meinen eigenen Weg zu machen, meine eigene Kunst. Das beobachte ich bei vielen jungen Musikern: Viele machen die Musik, die sie glauben, machen zu wollen. Manche tun das auch, aber viele machen die Musik, die ihnen die Industrie diktiert. Sie kennen ihre eigene künstlerische Stimme noch gar nicht, weil sie dem Markt zuspielen, anstatt für sich selbst etwas zu erschaffen. Das ist schon eine interessante Sache: In den 80ern war Punk etwas, das nicht dem Markt in die Hände spielte, die Leute machten das wirklich rein für sich. Bis Punk selbst zur Industriemusik wurde. Da wurde etwas daraus, das die Leute machten, um in die Industrie reinzukommen. Musik, die ein wahrhaftiger künstlerischer Ausdruck ist, wirst du im Radio gar nicht finden.

"Wenn du nur nach Regeln spielst, interessiert das keinen"

Kürzlich konnte man dich im Film "America's Musical Journey" sehen, in dem du, erzählt von Morgan Freeman, dich auf Spurensuche der US-Musik von New Orleans bis Chicago machst. Was hast du für dich aus dieser Erfahrung herausziehen können?

Das Wichtigste, an das ich erinnert wurde: dass es in der Musik kein Regeln gibt. Du erschaffst neue Genres, indem du alte zurücklässt. Du inspirierst Leute, indem du Regeln brichst und die Messlatte höher legst. Wenn du nur nach den Regeln spielst, interessiert das keinen. Ich würde fast sagen, dann ist das nicht einmal Kunst. Kunst muss die Grenzen des Bestehenden ausloten. Wenn du innerhalb dieser Grenzen bleibst, ist das nicht kreativ. Daran wurde ich erinnert. In New Orleans lernten wir über Jazz, Blues, Country: All diese Genres haben Gemeinsamkeiten, sind aber auch sehr unterschiedlich. Wie schafft man etwas Andersartiges, einen neuen Ausdruck, der die Menschen unterhält und inspiriert? Das hat mich der Film gelehrt.

Du trafst beim Shooting Dr. John, Gloria Estefan, viele verschiedene Musiker. Gab es ein Treffen, das dich besonders geprägt hat?

John Baptiste zu treffen, obwohl ich ihn davor schon einmal getroffen hatte, war superwichtig. Ramsey Lewis war auch toll, er war als Jazz-Musiker jemand, den ich für meine Hip Hop-Projekte sampelte. Aber mir wurde erst da bewusst, wie wichtig er andere Genres wie Funk und Soul war. Er hatte einen Drummer namens Maurice White und hat ihn ermutigt, seine eigene Band zu gründen. Daraus wurde Earth, Wind & Fire.

In einem Interview mit Billboard hast du gesagt, dass du in Zukunft Geschichten erzählen willst, die über das 3-Minuten-30-Popformat hinausgehen, und dass du schon etwas in Arbeit hast.

Das bezog sich auf den Kurzfilm "The Vigil". Ich arbeite gerade an einer Veröffentlichung, wahrscheinlich zeitgleich mit dem Album, damit er sichtbar ist, obwohl er damit nichts zu tun hat. Ich habe eine Geschichte über Vigilante geschrieben, einen, der Dinge ändern und Gerechtigkeit bringen will. Nur ist sein Konzept von Gerechtigkeit nicht ganz geradlinig, sonst wäre es nicht interessant. Ich schreibe auch Kindergeschichten, die sind aber gleichermaßen geeignet für Erwachsene. Das Wichtige ist, Geschichten zu erzählen, mit denen sich jeder identifizieren kann. Wenn ich meine Kinder zu Bett bringe, erfinde ich Geschichten. Manche davon sind ziemlich gut, denke ich. Ich würde sie gerne in einem Buch niederschreiben und daraus vielleicht einen Cartoon-Film machen. Neue Wege finden, um mich auszudrücken. Auf für die Bühne: Ich arbeite gerade an einer Solo-Performance, einer Ein-Mann-Show.

Kannst du dir auch Regiearbeit vorstellen?

Ja, aber bis dahin habe ich noch ein langes Stück Weg vor mir, denke ich. Ich denke, ich beginne erst einmal mit Kurzfilmen, um die Kunstgattung wirklich zu verstehen und darüber zu lernen. Ich bin gut darin, zu schreiben, als Regisseur sehe ich mich nicht so bald.

Kannst du schon ein bisschen über das kommende Album verraten?

Viele der Songs darauf sind Uptempo und machen großen Spaß. Es wird immer ein Soul-Element geben, aber es klingt sehr modern. Bass und Drums sind oft programmiert, dazu gibt es dann beispielsweise aber echte Bläser oder Streicher, Organ, Rhodes, um das Oldschool-Soul-Element reinzubringen. Viele der Songs handeln von Beziehungen,

Wann kommt es raus?

Das Album kommt im September.

Hast du schon einen Titel?

Nein, den habe ich noch nicht. Sobald ich weiß, welche Botschaft ich verbreiten möchte, benenne ich das Album nach einem Song oder einem wichtigen Thema. Vielleicht wird es aber auch self-titled.

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