laut.de-Kritik

Timewarp mit Alice: 27 Jahre liegen zwischen beiden DVDs.

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Who the fuck is Alice? Diese Box gibt darauf zwar keine direkte Antwort, aber möglicherweise kann man sie im dargebotenen Material finden. Eine Zeitspanne von beinahe dreißig Jahren liegt zwischen den beiden DVDs, in denen Vincent Furnier unter seinem Alias zwei Aufsehen erregende Bühnenshows zum Besten gibt.

Die erste DVD beinhaltet den fast schon sagenumwobenen Film "Good To See You Again", der im Rahmen der "Billion Dollar Babies"-Tour gedreht wurde. Der Streifen beginnt mit einer Studioperformance von "The Lady Is A Tramp", die Alice und seine Band à la Sinatra aufs Parkett legen. Plötzlich wird es den Musikern zu lächerlich, weshalb sie sich ihre Fracks vom Körper reißen und das Studio verlassen wollen. Das ist der Startschuss für den Plot, in dem der verzweifelte 'Herr Direktör' Alice und seine 'Gääng' wieder einfangen möchte, um seine Bühnenvisionen umzusetzen.

In diese klamottenartige Story, die den Status des Musikers mit den schwarz geschminkten Augen als unangepassten Bürgerschreck untermauert, ist die Bühnenperformance des Schockrockers der ersten Stunde eingebaut. Die anno 1973 bis dato teuerste und aufwändigste Show, die das Rockbiz kannte. Da posiert ein androgyner Cooper im hautengen weißen und zerrissenen Anzug und in kniehohen Leopardenboots und bewegt sich mit eindeutigen sexuellen Gesten über die mit viel Licht, Nebel und auch mal Feuer ausgestattete Bühne. Nicht nur für die biedere Bourgeoisie dürfte er mit seinem Nonkonformismus damals die Ausgeburt des Bösen oder zumindest des schlechten Geschmacks gewesen sein.

Wie er da in großen Gesten Babypuppen mit dem Schwert aufspießt und stolz in die Menge hält oder sich den Kopf einer Schaufensterschönheit zwischen die Beine steckt, hat wohl auch der Flower Power-Generation aufgestoßen. Und plötzlich sollte vielen klar sein, woher Marilyn Manson wohl seine Inspiration nimmt. Schon in den Siebzigern waren die theatralischen Showeinlagen Coopers ziemlich gleichbedeutend mit den performten Songs. So wälzt er sich denn lasziv auf der Bühne, putzt einen Riesenzahn mit einer ebenso großen Zahnbürste bis zum Orgasmus oder steckt seinen Kopf in die Guillotine, um an anderer Stelle mit einer Schlange zu tanzen, seine eigene Spucke, die er auf eine Frauenbüste herabließ, aufzufangen und zu schlucken.

Unterbrochen wird der Konzertteil immer wieder, um die Story des Filmes voranzutreiben, die wohl entweder was für 'echte Fans' oder Liebhaber von Siebziger-Klamotten ist. Für alle anderen, bei denen dies (wie bei mir) nicht der Fall ist, gibt es in den Bonus-Features die Möglichkeit, sich nur das Konzert zu Gemüte zu führen. Trotzdem ist der Streifen etwas Besonderes für Sammler, weil der Film bis dato nicht veröffentlicht wurde. Als weiteren Bonus gibt es den Originaltrailer, eine Postergalerie sowie Bios über die Alice und seine Musiker.

Zeitsprung. In einem Metallkasten auf der futuristisch ausgestatteten Bühne kündigt der Oberkörper eines wie ein verrückter Professor anmutenden Männleins die Ankunft Alice Coopers an, der sogleich in rotem Ledermantel und mit drei Samuraischwertern bewaffnet den Ort des Geschehens betritt. Wir befinden uns in London im Jahr 2000, auf der "Brutally Live"-Tour. Der Zahn der Zeit hat, mag man meinen, weniger an Cooper selbst denn an der Bühnendeko geknabbert. Was er an Schockpotenzial eingebüßt hat, weil diese Funktion heute andere Bands schon viel souveräner übernehmen, macht er allerdings mit einer technisch und gestalterisch spektakulären Bühnenshow wieder wett.

Die Bretter, die für Herrn Furnier auch heute noch die Welt bedeuten, biegen sich regelrecht unter dem, was sich da an Equipment findet. Da können einem die Roadies schon Leid tun. Das Publikum weniger, und das ist auch sichtlich begeistert. Zwar legt Cooper auch heute noch genau so wenig wert auf Kommunikation mit seinen Zuschauern als zu Beginn seiner Karriere, doch das tut der Stimmung keinen Abbruch.

Kein Wunder, gibt er denn auch einen Klassiker nach dem nächsten zum Besten, ohne jegliches Anzeichen von Altersschwäche. Er sprintet über die Bühne und wenn er mal zu einer Krücke greift, dann nur zu showtechnischen Zwecken und um sie seinen Musikern in den Rücken zu bohren. Nur bei "Poison", das er, ganz in rot getaucht, darbietet, machen sich mal Schnitzer bemerkbar. Ansonsten läuft alles erwartungsgemäß professionell, die Showeinlagen sind gewohnt einfallsreich, wobei sich einige seit 1973 zu bewähren scheinen, etwa die aufgespießten Puppen (nur dass es sich anno 2000 um eine zweiköpfige Puppe mit einem Baby- und einem Wolfskopf handelt) oder den rollenden Kopf.

Humor beweist er auch, als er zu Ende mit einem T-Shirt auftaucht, das vorne "Britney Wants Me" als Aufdruck trägt – und hinten "Dead". Oder beim Handshake mit einem in Boxershorts gekleideten "Bill Clinton". Die Kameraeinstellungen dieses Spektakels sind sehr seherfreundlich, darüber hinaus gibt es an einigen Stellen die Möglichkeit, den Winkel zu ändern. Bonusmaterial beinhaltet das Video "Gimme".

Zulegen sollten sich die ganze Box (beide Filme sind auch einzeln erhältlich) nur diejenigen, die sowohl an (eher) aktuellem Material als auch an einer Retrospektive interessiert sind. Gerade die erste DVD "Good To See You Again" hat wohl eher Sammlerwert, während die "Brutally Live"-Tour schon ein Spektakel für Augen und Ohren ist. (Alte) Alice Cooper-Fans wie ich dürfen natürlich begeistert sein.

Trackliste

Brutally Live

  1. 1. Brutal Planet
  2. 2. Gimme
  3. 3. Blow Me To Hell
  4. 4. Blow Me A Kiss
  5. 5. I'm Eighteen
  6. 6. Pick Up The Bones
  7. 7. Feed My Frankenstein
  8. 8. Wicked Young Man
  9. 9. Dead Babies
  10. 10. Ballad Of Dwight Fry
  11. 11. I Love The Dead
  12. 12. The Black Widow
  13. 13. No More Mr. Nice Guy
  14. 14. It's Hot Tonight
  15. 15. Caught In A Dream
  16. 16. It's The Little Things
  17. 17. Poison
  18. 18. Take It Like A Woman
  19. 19. Only Women Bleed
  20. 20. Under My Wheels
  21. 21. School's Out
  22. 22. Billion Dollar Babies
  23. 23. My Generation
  24. 24. Elected

Bonus Material

  1. 25. Alternative Kamera- einstellungen
  2. 26. Originalvideo zu Gimme
  3. 27. Weblink

Good To See You Again

  1. 1. Intro: The Lady Is A Tramp
  2. 2. Hello Hooray
  3. 3. Billion Dollar Babies
  4. 4. Elected
  5. 5. I'm Eighteen
  6. 6. Raped And Freezin'
  7. 7. No More Mr. Nice Guy
  8. 8. My Stars
  9. 9. Unfinished Sweet
  10. 10. Sick Things
  11. 11. Dead Babies
  12. 12. I Love The Dead
  13. 13. School's Out
  14. 14. Under My Wheels

Bonus Material

  1. 15. Kommentare von Alice Cooper
  2. 16. Original Theatrical Trailer
  3. 17. Postergalerie
  4. 18. Gelöschte Szenen und Outtakes

Videos

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