laut.de-Kritik

Dem Robotus fehlt Öl.

Review von

Die Zierde des House-Labels Kontor und der führende Vertreter von Electrolore ist zurück – Alexander Marcus präsentiert "Robotus". Das Cover fällt schon mal angenehm trashig aus, die Videos zu den Singles "Reissverschluss Klemmt" und "Italia" stieren vor feinstem Cringe, wobei: In "Reissverschluss Klemmt" sieht Marcus aus wie eine wandelnde Leiche, die jemand mit Puder eingeschmiert hat, und "Italia" ist wirklich witzig (und hundsgemein), und das nicht nur aus einer ironischen Distanz.

Musikalisch ordnet sich "Italia" ziemlich weit oben ins Marcussche Regal ein; eine mediterrane Schlagernummer, die nur ohne das Video leider viel an inhaltlicher Schärfe verliert. Trotzdem haucht Felix Renneberg das Lied so elegant heraus, dass es auch ohne den satirischen Gehalt zu berücksichtigen bestehen kann. Das gilt für den klassischeren Electrolore-Track "Reissverschluss Klemmt" nicht: Wie so oft beim Berliner fällt der Track monoton aus und entwickelt mangels Haken und Ösen nicht den Sog, den er bräuchte, damit die dadaistische Message eine halluzinierende Wirkung übers demonstrative Nerven hinaus entfaltet, zumal der Grundbeat flach und makellos wie die Wangen des Barden bleibt.

"Trattoria Di Shisha" folgt im Album auf "Italia" und überzeugt mit einem geilen 80er-Jahrmarkt-Beat samt fettem Bass und einer völlig hanebüchenen Huldigung an einen erfolgreichen Pizzabäcker. Die unbrauchbaren 257ers bleiben gottlob auf den Refrain beschränkt. Der Track fängt ein und lässt nur schwer wieder los, Marcus packt aber auch das ganze Besteck aus: Durchgehend pathetisch wechselt er fließend vom Säuseln in langgezogenen Wehgesang über das mangelnde Vertrauen der Mitmenschen an den Betreiber der "Trattoria Di Shisha". Entgegen aller Erwartungen: "Da lebt sie fort/ da macht sie satt", ähnlich wie dieser geile Song.

"Wollen Wir?" also? Natürlich, aber zu dieser gruseligen, gruseligen Creeper-Hymne, die noch dazu musikalisch so bieder ausfällt wie sie textlich plump gerät, eher nicht. Noch etwas flau im Magen, kommt "Essen". Eine Mischung aus Kinderlied und Snuff-Hymne samt Psychobeat, spricht Marcus dazu mit der unterdrückten Wut einer kinderlosen Tante, die für ihre Neffen gekocht hat und angesichts ihres sonst ereignislosen Lebens der festen Überzeugung ist, ihre aufopferungsvolle Tätigkeit in der Küche müsste von den undankbaren Bälgern mit gesundem Appetit honoriert werden. Wenn Marcus dieses Gefühl, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es rein akustisch erzeugt werden könnte, hervorrufen wollte: chapeau. Ist halt nur trotzdem ein unangenehmer Scheißtrack.

Den Fängen des Wahnsinns gerade mal so entkommen, führt der Weg zur Loipe: "Skifahren" ist nicht etwa ein Cover des Ambros-Hits, sondern eine hohle Electrolore-Nummer, deren an Schneefall erinnernden, flirrender Beat gar nicht so verkehrt ist, nur findet der Sänger seinen Platz nicht so recht und verharrt im Pflug, statt loszudüsen. "Ich Erzähl' Dir Was Vom Pferd" mutet dem Hörer zumindest etwas weniger plakativ-pubertäre Geilheit zu als "Wollen wir?", und vor allem fügt Marcus sich hier mit seinem "laszivem" Gesang, dem Peitschensound und den Investment-Samples bedingungslos in den Track ein, wodurch die Idee tatsächlich aufgeht.

"Heike" würden HGich.T so wohl nehmen, und auch wenn der Beat viel zu lahm ausfällt, ist es beeindruckend, dass hier erneut die geballte Faust in Alexanders Tasche regelrecht spürbar ist; diese neu gefundene Aggressivität, die früher tiefer unter der Oberfläche schlummerte, tut dem Album gut. Dazu kommt eine kluge zweite Ebene ("Und ich sagte nicht 'Nein'/ Das konntest du nicht verzeih'n") und ein Refrain zum Mitsingen, schon sind die niedrigsten Schlagerbedürfnisse ausreichend saturiert. Im Gegensatz dazu geriert sich die Investorensprechverarsche "Stock Market" viel zu vorhersehbar; ja, hihi, BWLer sprechen Quatsch.

Man merkt Marcus förmlich an, wenn er Bock auf einen Track hat, und meist hat er den richtigen Riecher. "Resort" ist ein stabiler Filler, "Geschichte Des Robotus" nicht mal das und keiner Rede wert. Im Ergebnis sollte Marcus weiter weg vom ausgelutschten Electrolore, dem ewig selben dadaistischen Quatsch, den er über Alltagsprobleme und Gepimpere hinaus scheinbar nicht fortentwickelt bekommt, und den italienischen Schlager der 70er weiter erkunden. Die Stimme dafür hätte er, das Gehabe und die notwendige Intelligenz für den damit verbundenen subtilen Witz sowieso.

Trackliste

  1. 1. Italia
  2. 2. Trattoria Di Shisha feat. 257ers
  3. 3. Wollen Wir?
  4. 4. Essen
  5. 5. Skifahren
  6. 6. Reissverschluss Klemmt
  7. 7. Ich Erzähl' Dir Was Vom Pferd
  8. 8. Heike
  9. 9. Stock Market
  10. 10. Resort
  11. 11. Geschichte Des Robotus

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10 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 7 Monaten

    Ups, im Faden geirrt:

    Ich mag den subtilen Humor gepaart mit der passiv-aggressiven Art. Coole Socke!

  • Vor 7 Monaten

    Richtig schlimmes Album vom King. Das unsäglich belanglose Pharao war schon nicht gut, vor allem weil der Humor zu kurz kam. Traurigerweise kriegt er die Kurve nicht. Robotus bringt der bitter nötigen Witz zurück, doch alle Lieder sind nach einer Formel aufgebaut, die Lieder sind nicht zu Ende gedacht. Die größte Frechheit ist "Trattoria Di Shisha", nicht nur, dass das Lied viel zu lang geht, nein! Es wartet auch noch mit dem schlechtesten Feature überhaupt auf. So lustlos und arbeitsverweigernd habe ich noch nie jemanden rappen hören. Da wartet man 3:24 um dann diesen Müll dargeboten zu bekommen. Ich weiß nicht, was für eine Version der Rezensent gehört hat, aber ich habe die auch im Lied mit Rap wahrgenommen und wäre froh gewesen, wenn ich das nicht hätte. Hinzukommt, dass das Instrumental schnell langweilig wird und die Erzählung einfach inhaltslos ist. Der einzige Song, der was taugt ist "Stock Market". "Reisverschluss klemmt" ist okay, aber steht halt im Schatten der großen Hits. Bei "Heike" hätte ich nicht gedacht, dass das aufs Album kommt. Ist auf jeden Fall auch ein Pluspunkt. Der Rest der Songs ist wieder so belanglos. dass ich nach dem Hören direkt vergessen habe, was ich da gehört hab. Insofern trotzdem besser als Pharao, aber noch lange weit weg von dem, was der King kann. Ich hoffe, dass es bald wieder aus dieser Midlifecrisis herauskommt.

    • Vor 7 Monaten

      "So lustlos und arbeitsverweigernd"

      "die Erzählung einfach inhaltslos ist"

      "die Lieder sind nicht zu Ende gedacht"

      Du weißt aber schon, dass der Typ komplett verstrahlt ist und nur so tut, als würde er nur so tun, oder?

  • Vor 7 Monaten

    Der Mensch heißt übrigens Rennefeld, nicht Renneberg