laut.de-Kritik

Schlimmer als ein Hobby-Hochzeits-Video.

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Aufgrund niedriger Verkaufszahlen im fernen Osten zieht es die schwedische Super-Band im November 1978 nach Japan, um einen zehntägigen Promotion-Marathon zu bestreiten und auf Tuchfühlung mit den Fans zu gehen. Dabei gibt es zwar keine richtigen Konzerte, jedoch zahlreiche Auftritte in diversen TV-Shows. Mehr als 30 Jahre später präsentiert diese DVD-Doku die Fernsehauftritte der Band sowie eine Tagebuch-ähnliche "Behind The Scenes"-Sektion.

Lights, Camera, Action. In einem himmelsgleichen Bühnenoutfit stehen die vier Musiker inmitten eines Wolkenmeers aus Trockeneis, tragen weiße, engelsreine Kleidung und werden dabei jeweils von verschiedenfarbigen Strahlern in Szene gesetzt. Mit dem Song "Eagles" eröffnen sie ihre gewohnt semi-statische Performance. Ansagen gibt es nicht, ein Publikum auch nicht, dafür laufen die Lieder ungeniert vom Playback und die Damen singen lächelnd in die Kamera.

Ab und an blinken die Buchstaben 'A' oder 'B' im Hintergrund auf, zum Teil präsentiert die japanische Regie sie mit den dazugehörigen Bandmitgliedern via Split-Screen. Musik und Bild faden zum Ende des Lieds in ein dunkles, stilles Schwarz aus.

Neues Lied, andere Bühne, frische Outfits und "Take A Chance On Me" trällert schon los, begleitet von einem imposanten Orchester, das den gesamten Hintergrund einnimmt. Auch hier kommt die Bühnenshow ohne technische Errungenschaften aufwändiger Scanner oder Laser aus, ein paar blinkende Glühbirnenleisten und es kann losgehen. Filmische Mittel findet die Regie in der guten alten Überblende, die auch gern mal drei verschiedene Perspektiven übereinanderlegt oder so die Konstellation der Paare ins rechte Licht rückt.

Auch wenn es nicht explizit auf der Verpackung steht: Den Titel "ABBA in Japan" gilt es streng wörtlich zu verstehen. Der Aufenthalt hatte den Zweck einer TV-Vermarktung, und der Zuschauer heute ist dem japanischen Fernsehpublikum von 1978 gleichzusetzen. Wer sich das Programm also damals schon zu Gemüte führen konnte, findet hier nichts Neues.

Zur Vorstellungsrunde und Völkerverständigung reden die Schweden ein paar wenige Zeilen über ihre Herkunft und Person. Das sieht bei Benny so aus: "Als wir herkamen fanden wir heraus, dass ihr hier in Japan sehr lange Tage habt, in Schweden haben wir nur fünf Stunden Tageslicht".

Agnetha: "Wir gehen gerne Skifahren, spielen Eishockey und reden über die Liebe". Und schon stimmt das nächste 'A', Anni-Frid, den folgenden Song "Money Money Money" an.

Die Übertragung des Fernsehformats bleibt unverändert. ABBA geben ihre Hits von "Dancing Queen", "Waterloo", "Fernando", "Knowing Me, Knowing You" bis "If It Wasn't For The Music" zum Besten, gelegentlich unterstützt sie ein überdrehtes japanisches Fernsehballett. Darüber hinaus scheint sich die Regie am Rumgehüpfe der eigenen Landsmänner zu erfreuen. Aufgrund einer auf Augenhöhe positionierten Kamera füllen die Tänzer den kompletten Vordergrund aus, nehmen dadurch das Zentrum der Einstellung ein und gewähren dem Zuschauer nur erschwerten Sichtkontakt auf die Band in der Tiefe des Raumes. Schade, tragen die Damen inzwischen doch extra Ganzkörper-Pailletten-Anzüge.

So wechseln sich insgesamt vier unterschiedliche Settings verschiedener TV-Studios als auch die Kostüme der Musiker ab. Von den insgesamt 14 performten Titeln sind tatsächlich nur drei live: "SOS", "Money, Money, Money" und das unter goldenem Konfettiregen überzogene Finale "Thank You For Your Music".

Bisher wirklich enttäuschendes Material. Life-Performances bzw. Publikum(seuphorie) Fehlanzeige und Playback-Bänder klingen, egal wo auf der Welt, stets gleich. TV-Studios samt Bühnenbild sahen zu jener Zeit eben so aus, ob in Tokyo oder Kopenhagen. Einzig und allein das Fernsehballett tanzt aus der Reihe. Trotzdem ist damit jeder andere Fernsehauftritt der Band mit diesem als exklusiv scheinenden Filmmaterial austauschbar. Der Zuschauer hat kein Ereignis verpasst, lediglich eine gewöhnliche Übertragung (im außergewöhnlichen japanischen Fensehen, ok). Was macht den Trip nach Japan nun also so besonders, dass ihm eine DVD gewidmet wird?

Es kann sich nur um die enthüllenden Geschichten des Bonus-Materials handeln. Ein japanischer Sprecher aus dem Off beginnt die Erzählung, die Zeit der Untertitel ist angebrochen. Wahllose Bilder aus Flughafenankunft, Blumenübergabe, Einstieg ins Taxi, Pressekonferenzen, Wege zur Bühne, von der Bühne, Lagebesprechung vor Auftritten oder zwischen den Shows wechseln sich ab, ohne den Betrachter akustisch daran teilhaben zu lassen.

Die Kamera ist stets präsent, die Bildinhalte letztlich so beliebig wie unpersönlich. Sie steigen hier ins Auto ein, dort wieder aus, sitzen hier rum, warten dort. Bei den Behind The Scenes Ausschnitten handelt es sich statt privaten Szenen nur um öffentliche Aufnahmen jenseits der Bühne. Auch diesen Titel der Menüführung bitte wörtlich nehmen.

Die größte Frechheit in diesen dokumentarischen Passagen ist der Schnitt. Schlechter als in einem Hobby-Hochzeits-Video überlagert ein eingespieltes Lied der Band sämtliche natürlichen Geräusche der Einstellung. Ganz kurz, in einem mehr als beliebigen Ausschnitt darf sich die original Audioaufnahme zu Wort melden, beginnt die Probe vor Publikum, setzt man wieder auf vollständige Sounduntermalung.

Noch schlimmer daran ist, dass die Kamera fast die gesamte Generalprobe aufzeichnet, jedoch die Synchronisation zwischen DVD-Musik-Hinterlegung und performtem Track nicht ansatzweise passt. Das Bildmaterial wird einfach willen-, und lieblos mit dem Soundtrack zusammengeklatscht. So öffnen sich auf dem Bildschirm gerade die Münder der beiden schönen A's für den Einsatz zum Refrain, während auf akustischer Ebene Benny zum Klaviersolo ansetzt. Das Publikum klatscht mit, auch egal.

Ein einziger Auftritt gewährt dem Zuschauer Originalmaterial in Bild und Ton. Das Problem daran ist, dass diese wieder nicht synchron zueinander laufen und das Audiomaterial durch ein lautes, unregelmäßiges Etwas gestört scheint. Da schleift doch nicht etwa jemand ne Kiste im Hintergrund über den Boden?! Wundern würde es inzwischen nicht mehr.

Dass sich die Band in den zehn Tagen anscheinend mit über 300 Medienvertretern und ca. 120 verschiedenen Unternehmen getroffen hat, nichts von Japan außer diversen Radio- und TV-Stationen oder den Flughäfen sah, außerdem insgesamt zweieinhalb Stunden Freizeit auf diesem Trip hatte, erläutert nur das Booklet. Dass sich Benny und Frida in diesem Jahr vermählt, dafür Björn und Agnetha frisch getrennt hatten, stellt auch kein Thema dar, das wäre ja wirklich etwas für "Behind The Scenes". Eingeblendete Zeitdaten könnten auch die Hektik um den straffen Terminkalender veranschaulichen, aber das hätte Aufwand in der Postproduktion bedeutet.

Das einzig Persönliche um ABBA, das auf dieser DVD zu Tage kommt, ist eine Liebe zu einem gewissen schwedischen Lied "Das Eichhörnchen". Während der japanische Sprecher aus dem Off sich in majestätischer Dramaturgie versucht ("Thank you ABBA, see you again....in concert), trällern die vier Schweden kurz vor ihrem Abflug IHR Lied an: (übersetzt) "Oft taucht ein Eichhörnchen auf und erzählt vom Wind und vom Wetter, uh uh uh uh". Gelächter. Abflug.

Zurück zur Ursprungsfrage. Was rechtfertigt die Produktion dieser Disk? Nur Fakten! Nach diesem Promotion-Zug verkauften ABBA in den folgenden sechs Monaten über 1.5 Millionen Tonträger in Japan und besetzten mehrere Wochen die Top Ten dort. 1980 kam die Band für eine Reihe von Konzerten zurück, hiervon existieren laut Booklet keine Aufnahmen.

"ABBA in Japan" sind also die einzigen Aufnahmen von ABBA in Japan! Dennoch ist die Veröffentlichung dieses unspektakulären Pseudo-Exklusiv-Materials eine Frechheit und Beleidigung wahrer Fans. Jede andere ABBA-DVD lohnt sich weitaus mehr, entweder aufgrund von Live-Aufnahmen oder zumindest komplett freier Sicht auf die Bühne während der gesamten Performance.

Ein ehrlicher dokumentarischer Versuch hätte tieferen Einblick in das Bandleben oder die Tour gegeben. 20 Minuten "Behind The Scenes" und eine 30 Jahre alte TV-Aufnahme werden der Größe der Band aber nicht gerecht.

Trackliste

  1. 1. Eagle
  2. 2. Take A Chance On Me
  3. 3. Money, Money, Money
  4. 4. S.O.S.
  5. 5. That's Me
  6. 6. Tiger
  7. 7. Dancing Queen
  8. 8. Waterloo
  9. 9. Fernando
  10. 10. Summer Night City
  11. 11. The Name Of The Game
  12. 12. Knowing Me, Knowing You
  13. 13. If It Wasn't For The Nights
  14. 14. Thank You For The Music
  15. 15. ABBA In Japan Nov. 1978
  16. 16. ABBA In Japan Nov. 1978
  17. 17. ABBA In Japan Nov. 1978
  18. 18. ABBA In Japan Nov. 1978
  19. 19. ABBA In Japan Nov. 1978
  20. 20. ABBA In Japan Nov. 1978
  21. 21. ABBA In Japan Nov. 1978
  22. 22. ABBA In Japan Nov. 1978
  23. 23. If It Wasn't For The Nights

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