7. Januar 2016

"Es war ein Angriff auf alle Musiker"

Interview geführt von

Eigentlich sollte es nur ein kurzer Phoner vor dem Auftritt der Band am 5. Dezember bei Kerners "Ein Herz für Kinder"-Show werden. Zum Glück durfte ich an diesem kalten Dezember-Nachmittag die drei Norweger dann aber doch vorab in Person in einem Berliner Hotel treffen.

Das neueste Album des Trios "Cast In Steel" hat weniger musikalisch für Aufregung gesorgt als viel mehr deshalb, weil es das erste seit sechs Jahren ist. Vielleicht waren daher - ähnlich wie ich selbst - auch die Herren mir gegenüber darüber erfreut, dass sich das Gespräch nur marginal um Platte Nummer zehn drehte, an der Magne laut einem gut aufgelegten Morten erst nach Ablauf der Deadline mitwirkte.

Jener Magne war es aber in erster Linie, der sich in vorbildlichem Oxford-Englisch zu aktuellen Brennpunkten in Musik, Terror sowie zur Gedächtnisamputation durch Google, Frauenrechten und Open-Hand-Policy äußerte. Und auch seine Bandkollegen zeigten ein intellektuelles Niveau, das vielleicht nicht jeder von den drei junggebliebenen Alt-Stars erwartet hätte.

Als ich das Zimmer betrat, in dem die wiedervereinten Synthie-Pop-Urgesteine in ihren Polstersesseln saßen, scherzten sie noch gelassen in ihrer Muttersprache. Sicher hat es seine Vorteile, wenn man in Gegenwart umher wuselnder Presseheinis eine kleine Privatzone zur Außenwelt abstecken kann. Paul schien es eiliger als seine Kollegen zu haben und unterbrach das heitere Gemurmel schließlich mit der Aufforderung in meine Richtung: "Schieß los!".

Heute Abend spielt ihr bei der "Ein Herz für Kinder"-Show. Wisst ihr überhaupt, was das ist?

Morten: Den genauen Zusammenhang kennen wir nicht. Aber es gibt Charity-Veranstaltungen dieser Art ja auch in anderen Ländern.

Magne: In Norwegen gibt es dasselbe Format jedes Jahr, wo Leute anrufen und Geld spenden. Dort läuft das auch sehr erfolgreich. Hoffentlich klappt das auch hier.

Ihr engagiert euch ja viel für Charity-Events. Wenn ich an Live-Aid oder die Friedens-Nobelpreis-Gala denke, bei der ihr demnächst auftretet ...

Magne: Naja, das ist ja eigentlich weniger eine Charity-Veranstaltung, sondern mehr eine Feier von weltweiter Bedeutung, die mit Musik nicht so direkt zu tun hat. Aber klar, das geht in die selbe Richtung.

Denkt ihr, dass ihr als Band eures Formates eine Verantwortung habt, mit solchen Aktionen, Zeichen zu setzen?

Morten: Ich denke, die einzige Möglichkeit, ein gutes Vorbild zu sein, ist wenn du tust, was du kannst, so lange es sich natürlich anfühlt, unabhängig davon, was dein Beruf ist. Und wir sind nun mal Künstler und Musiker. Und wenn wir gefragt werden, ob wir so etwas machen, dann ist das etwas, das wir machen können. Mit der Hoffnung, dass die Organisation dahinter diese Hilfe brauchen kann.

Es wäre also übertrieben zu sagen, dass dies eure Form von Protest für den Frieden ist?

Magne: Den Friedensnobelpreis zu zelebrieren, hat an sich nichts wirklich mit Protest zu tun, auch wenn es manchmal kontroverser ist als sonst. Aber grundsätzlich ist diese Preisverleihung eine Festlichkeit um die Personen herum, die viel Zeit und Lebenskraft für die Ziele des Friedens aufgebracht haben. Es ist also ziemlich schwer, etwas gegen dieses Prinzip einzuwenden (lacht).

Morten: Das Ganze zielt ja auf eine vereinte Menschheit ab, das ist die Absicht des Friedens-Preises. Es geht um Leute, die herausstechen mit ihrem Einsatz für die Humanität.

Das ist ja nicht euer erster Auftritt bei dieser Veranstaltung. 2001 hast du, Magne, mit "Differences" sogar einen Song-Beitrag geliefert, der sich mit der Unterdrückung der Frauen in Afghanistan beschäftigt. Stimmt doch oder?

Magne: Ja, dieser Song war inspiriert von einem speziellen Film, einer Dokumentation. Ich meine, wir kommen aus einer Ecke der Welt, in der Frauen-Rechte schon seit geraumer Zeit ein Thema sind. Also vergleichsweise. Aber wir dürfen eben nicht vergessen, dass es nur einige Generationen zurückliegt, dass auch Frauen aus unserem Teil der Erde für ihr Recht zu wählen und ihre Gleichberechtigung kämpfen mussten. Es war einfach eine unglaublich traurige und emotionale Erfahrung, verbunden mit der damaligen Lage. Und der Friedens-Preis hatte damit natürlich zu tun. Deshalb fühlte es sich richtig an, das in dem Kontext zu tun.

Der Song hat es nicht aufs Album geschafft. War das eine bewusste Entscheidung, politische Themen aus eurem musikalischen Universum fern zu halten?

Magne: Nicht wirklich. Es war einfach nicht beabsichtigt ... ich meine, die Songs, die letztlich auf einem Album landen, landen da, weil wir sie zur Debatte stellen und uns streiten, welche davon es schaffen. Und was dabei herauskommt ist dann dein Ergebnis. Aber dieser Prozess ist sehr aufreibend. Und darüber denkst du nicht nach, während du etwas schreibst, insbesondere nicht im Fall dieses Songs. Das war mehr eine Antwort auf das Gefühl, sehr betroffen und traurig zu sein über diese Situation. Aber es war keine strategische Entscheidung, das Lied nicht aufs Album zu packen. Ich glaube, wir haben es seitdem nie wieder gespielt. Das war dieses eine Mal.

Aber tatsächlich kam es mir die Tage noch mal in den Kopf, weil es noch mal aufgegriffen wurde, jetzt wo wir wieder dort auftreten. Ich hab mich daran gar nicht mehr erinnert, bis ich es in dem Artikel gesehen habe und mir dann noch mal angehört und dachte: Ah, jetzt erinnere ich mich, ich muss mir das noch mal anhören ... es war speziell für diese Zeit geschrieben.

Du hast damals über das Stück gesagt: "Der Song ist wirklich ein Aufruf zur Kommunikation. Ich denke, man muss sich trauen, anderen Leuten die offene Hand auszustrecken, selbst wenn das das Risiko birgt, dass sie dir abgeschlagen wird."

Magne: Das hört sich dramatisch an. Aber ich denke, es ist wahr. Ich meine, wie schaffst du einen Wandel in der Welt?

Speziell in Zeiten wie diesen?!

Genau. Wie antwortest du? Begegnest du Gewalt mit Gewalt? Oder antwortest du mit einer offenen Hand und einer Einladung zu einem Dialog und zu Kommunikation. Das ist immer ein sehr schweres Thema. Aber fundamental, glaube ich, dass Kommunikation und Open-Hand-Policy der Weg ist, der positiven Wandel fördert. Selbst im Angesicht großer Gefahr. Aber ich bin realistisch, in dem Sinne, dass wir in einer Welt leben, in der es nicht immer möglich ist ... du kannst über die kurze Distanz mit dieser tapferen Einstellung vieles verlieren, aber auf die lange Distanz ...

Morten: Das hat sich schon einige Male gezeigt. Gandhi hat das so gemacht.

Magne: ja, die großen, einflussreichen Anführer der Welt haben sich immer dem Risiko ausgesetzt, indem sie eine offene Einladung ausgesprochen haben und Beharrlichkeit gepredigt haben.

Morten: Ein Grund, der zu der Situation geführt hat, die wir heute sehen, ist dass viele Leute den Glauben in das System verloren haben. Deshalb greifen sie das System an, von allen möglichen Seiten, egal von welcher. Und wenn es passiert, dass jemand es schafft, zu kommunizieren, wie es beispielsweise Grandi gemacht hat, dann stellt er den Glauben an Kommunikation wieder her.

Magne: Es sind Frustration und Entfremdung, die den Konflikt stärken. Deshalb ist man damit schon fundamental auf dem falschen Weg. Aber es ist schwer, das ist keine einfache Sache.

Ich meine, im Prinzip machen wir Deutschen gerade genau das, indem wir Militärflugzeuge nach Syrien senden.

Magne: Ja, deshalb verlierst du so schon gleich am Anfang, das ist das Problem.

"Die Anschläge in Paris waren ein Anschlag auf alle Musik und alle Musiker!"

Wie habt ihr als Band denn auf die Anschläge in Paris reagiert? Könnt ihr nachvollziehen, dass viele Bands ihre Shows daraufhin abgesagt haben?

Magne: In einer Situation wie dieser ist es glaube ich nur natürlich, dass du alles einfrierst. Aber über lange Zeit ist es, glaube ich, wichtig, die Meinung auszusprechen und zu sagen: "Ja, wir werden kommen und spielen. Nach Paris oder auch sonst überall in der Welt".

Das ist unsere Verpflichtung gegenüber den Leuten, die uns folgen und an das glauben, das wir machen. Das ist unsere Aufgabe. Meine erste Reaktion war: Lass uns den Fans in Paris sofort sagen, dass wir auf alle Fälle kommen werden. Das war der erste tröstende Gedanke in meinem Kopf. Es ist nicht unbedingt etwas, das du inmitten des Chaos sagst, aber ich könnte mir nicht vorstellen, etwas aus Angst abzusagen. Klar, wenn die Situation andere Menschen in Gefahr bringt und du für ein paar Tausend Leute in einer Konzerthalle verantwortlich bist.

Und es ist ein bewusstes Vorgehen, sich gegen die Musik, gegen eine kulturelle Veranstaltung dieser Art zu wenden und Angst zu verbreiten. Es ist eine sehr emotionale Angelegenheit, wenn Leute zusammenkommen, um ein kulturelles Ereignis zu feiern. Und es gibt keine eindeutige politische Richtung oder ein Motiv hinter dem, was passiert ist. Deshalb fühlt es sich an wie ein Angriff auf alle Musiker und alle Musik und alle kulturellen ...

Morten: Es ist ein Anschlag auf unsere Gesellschaft. Ein Konzert ist ein Ausdruck von Gesellschaft. Es ist etwas, zu dem wir uns erhoben haben. Das ist, was es ist.

Magne: Musik bringt Menschen zusammen. Und deshalb ist es eine Form der Kommunikation, die wichtig ist, aufrecht erhalten zu werden. Ganz besonders in schweren Zeiten, in Zeiten von Konflikt und fehlender Verständigung.

Morten: In der Hinsicht kann man das auch vergleichen mit Anschlägen auf Moscheen oder Heiligtümer.

Magne: Auf jeden Fall, es ist das Gleiche.

Morten: ... Wo sich Leute sehr friedlich in ihrem Glauben versammeln.

Magne: Es kommt nicht darauf an, aus welcher Richtung es kommt. Man muss daran glauben, dass Musik über die Zeit einen großen Wert als Vermittler für Kommunikation zwischen Menschen hat.

Vielleicht ein guter Satz, um dieses Thema vorerst abzuschließen. Ihr seid nun schon seit dreißig Jahren im Geschäft. Wie geht ihr mit all den Umstellungen um, die sich in der Musiklandschaft ereignet haben. Speziell der Musikindustrie, also wie Musik heute gehört und konsumiert wird?

Morten: Wie man Musik hört, ist, glaube ich, im Prinzip gleich geblieben. Du hörst mit deinem Herzen. Ob es durch ein iPad geht macht keinen wirklichen Unterschied.

Aber ist es nicht ein anderes Hörerlebnis, wenn du dir eine Schallplatte anhörst im Vergleich zu einem Song, der gerade in deiner Shuffle-Playlist auf deinem iPod kommt?

Morten: Ja, das ist ein Unterschied. Auch dein Zeitfenster, das du dir setzt. Ob du dir richtig Zeit nimmst für einen Zugang zur Musik. Denn dann hast du auch einen anderen Zugang zu dir selbst, als wenn du nur wenig Zeit investierst und nur ein kleines Stückchen rauspickst. Das ist wie der Unterschied zwischen einem richtigen Gericht und Snacks.

Magne: Aber es beeinflusst auch deine Erinnerung und deine Weise zu denken. Und das bezieht sich nicht nur auf Musik. Ich meine, ich finde persönlich, dass ich Dinge weniger genau erinnere, weil Google mir die Möglichkeit gibt, es mit nur einem Fingerklick zu finden. Namen, Dinge, die geschehen, Kontexte. Du tippst nur was ein und es ist so: Ach, das ist genau, was ich meinte.

Deshalb beeinflusst es auf jeden Fall, wie wir denken. Genau so wie die Shuffle-Einstellung oder grundsätzlich alle Programme, die generiert wurden, damit du kriegst, was die Maschine denkt, das du kriegen willst. Das ist was anderes, als zum Plattenladen zu gehen und vielleicht eine Platte zu kaufen, einfach weil du fandest, das Cover sieht interessant aus und so eine ganz neue Band oder Richtung zu entdecken. Oder etwas zu kaufen von einer Band, auf deren Album du gewartet hast. Es ist eine sehr andere Situation. Ohne mich festzulegen, ob es besser oder schlechter ist. Aber ich glaube definitiv, dass es unser Bewusstsein beeinflusst und wie wir Dinge zueinander in Beziehung setzen.

Paul: Es ist auch die Menge. Ich war in der Grammy-Jury. Und wenn man durch all die CDs und Downloads des Jahres geht ... ich weiß nicht mehr, wie viele es waren. Aber wie soll man bei dieser Anzahl an Veröffentlichungen überhaupt noch wissen, was einem gefällt.

Magne: Darin spiegelt sich auch wieder, dass es heute viel mehr Produzenten gibt als früher. Da gibt es also auch ein exponentielles Wachstum an Leuten, die Musik machen. Die Vielfalt ist größer. Das ist auf der einen Seite demokratisch, weil es dir erlaubt, deine Musik vielen Menschen zugänglich zu machen, ohne die Hilfe eines Plattenlabels und ohne durch das Nadelöhr passen zu müssen. Das muss man zu Gute halten.

Nur gleichzeitig bedeutete früher, einen Record-Deal zu bekommen, nicht nur die unternehmerische Unterstützung, sondern auch sich einhundert Prozent dafür einzusetzen, es zu schaffen. Du musstest es unbedingt wollen, du musstest praktisch dein ganzes Leben darauf gewartet haben. Und heute wird viel Musik veröffentlicht von Leuten, die zwar Talent haben und etwas zu sagen haben, die aber an der ersten Hürde scheitern und von der Bildfläche verschwinden, um dann irgendwas anderes weiterzumachen.

Stichwort: Youtube-Hits ...

Magne: Ja, es ist einfach ein ganz anderes Spiel.

"Am Ende heiratest du fünf verschiedene Frauen"

Paul: Auch die Tatsache, dass du als Musiker nicht wirklich überleben kannst, spielt da rein.

Würdet ihr demnach sagen, dass sich der Wert eurer Musik verändert hat über die Zeit?

Morten: Hat sich irgendetwas nicht geändert?

Naja, ich meine nur, dass man heute jeden Titel im Internet finden kann und mit einem Klick auf "Play" streamen kann, was folglich für viele den Wert verändert.

Morten: Musik wurde nie auf einem Level konsumiert wie heute. Es wird also mehr genutzt denn je zuvor.

Magne: Das hat auch mit dem Format zu tun. Jede Radiostation formatiert sehr klar und demographisch. Im UK bist du entweder ein "Radio 1 Artist" oder ein "Radio 2 Artist" oder ein "Radio 5 Artist". Für einen Künstler ist das Problem, dass du Musik machst, die in verschiedene Formate passt. Nur werden das die Leute nie erkunden, sofern sie nicht sehr interessiert daran sind, deine Musik zu entdecken. Auf eine Weise wird somit alles einfach mehr und mehr stromlinienförmig. Ein A-ha-Song mag auf deiner Playlist landen, weil dir etwas anderes gefällt, das sich so ähnlich anhört. So kann es aber sein, dass du gar nicht herausfindest, was wir sonst alles gemacht haben, das vielleicht keine Single war oder nicht auf die Platte kam.

Das heißt, es fördert eine intellektuelle Faulheit seitens des Rezipienten. Ich merke das ja bei mir selbst. Ich hab ja eben erst Google in dem Zusammenhang genannt. Ich mache mir keine Sorgen, Informationen zu vergessen, weil ich sie jederzeit aufrufen kann und mit ein paar Worten aufspüren kann.

Morten: Wir werden immer mehr ausgebildet, stimuliert zu werden. In allen möglichen Bereichen und auf alle möglichen Arten und Weisen. So wie wir von Natur aus gemacht sind, nutzen wir Stimuli, um einen Kontakt herzustellen. Das ist der Sinn von Stimuli. Wir leben aber mehr und mehr für die Stimuli an sich in unserer Gesellschaft. Und das eskaliert und spitzt sich zu. Das Ergebnis davon ist, dass du am Ende fünf verschiedene Frauen heiratest. Eine davon hast du, um zu verkacken, die andere hast du für Spaziergänge im Park und noch eine andere ist da, um nach den Kindern zu schauen.

Magne: Und eine für intellektuelle Gespräche, möchten wir doch meinen.

Morten: Das ist eine Wegschmeiß-Perspektive, aus der man alles betrachtet. Und ich denke, wir sind auf einem falschen Weg, um ganz ehrlich zu sein.

Magne: Auf der anderen Seite, glaube ich, entwächst auf diesem Gebiet noch etwas anderes. Live-Shows werden immer mehr zu einer Arena, in der der Künstler etwa das gesamte Licht kontrolliert. Wenn jemand also ein Konzert-Ticket kauft, hast du im Prinzip die ungeteilte Aufmerksamkeit dieser Person für zwei Stunden. Und das ist die Arena, in der du ...

Paul: Apropos Live-Shows, wir müssen los! (lacht)

Magne: Naja, du kannst Trübsinn blasen und frustriert sein über die heutige Musikindustrie, die vor die Hunde geht. Aber letzten Endes liegt es an den Labels, die weniger verdienen und deshalb neue Wege finden müssen. Deshalb rücken Konzerte immer mehr in den Fokus. Und wahrscheinlich wird sich auch das wieder ändern in den nächsten paar Jahren. Wie es sich auch in der Vergangenheit geändert hat, es geht hoch und runter.

Und genau so ändert sich das Verhalten der Konzertbesucher. Heute hält jeder sein Handy hoch während der gesamten Show ...

Magne: Ja, das ist so komisch.

Die sehen das Konzert eigentlich nur noch durch ihr Handy ...

Magne: Weil es das Wichtigste ist, anderen Leuten zu zeigen, wo sie waren zu der Zeit, anstatt selbst da zu sein. Aber aus unserer Perspektive von der Bühne aus versuchst du eine komplette Atmosphäre zu schaffen über einen Zeitraum von etwa zwei Alben oder zwei Stunden. Und du versuchst diese Zeit so zu gestalten, dass es Sinn macht und eine Art reichhaltiges musikalisches Gericht offeriert. Das ist vielleicht das Gute an der ganzen Fragmentierung, dass es Leute vielleicht noch mehr schätzen, raus zu gehen und sich Musik-Shows anzuschauen. Hoffentlich gilt das auch für unsere Konzerte. Bitte kommt!

Paul, du meintest auf der Comeback-Pressekonferenz, dass ihr bewusst versucht habt, handgemachte Sounds zu schaffen, gerade weil es heute so einfach ist, professionell und brillant zu klingen. Warum ist euch das so wichtig?

Paul: Weil es viel mehr Spaß macht. Denn egal was du heutzutage machen willst, ob es ein bestimmter Vokal-Sound eines bestimmten Produzenten ist, das ist nur noch ein Plug-In, das du betätigen musst.

Das ist dir zu einfach?

Es könnte Spaß machen, es einfach nur zu hören, um zu schauen, was es macht. Aber sobald jeder dasselbe Tool hat, nimmt es der ganzen Sache den Spaß. Denn die Überraschung ist das, was eigentlich Spaß macht.

Magne: Und außerdem wird dadurch die Möglichkeit genommen, Fehler zu machen. Denn manchmal sind diese Fehler wirklich fruchtbar. Ich meine, das wird vor deiner Zeit gewesen sein (lacht). Nicht unbedingt ein Künstler, den jeder kennt, aber ich erinnere mich, als Phil Collins seine erste Soloplatte rausgebracht hat, war da dieser sehr besondere Vokal-Sound und ein sehr spezieller Drum-Sound. Und das war aus Versehen so passiert, weil etwas schief gegangen war im Studio und sie sich gedacht haben: "Ouh, warte mal, was war das denn?!" Und wenn du immer nur verschiedene, aber perfekte Versionen zur Wahl hast, würdest du nie auf solche Fehler stoßen. Oder müsstest zumindest tief graben und Dinge umwälzen. Und das tun manche ja auch.

Ich sage nicht, dass Leute nicht auch erfinderisch sind diesbezüglich. Aber es fördert nicht unbedingt die Art von Entdeckung, von der Paul redet, wenn du alles zur Hand hast. Eine ellenlange Speisekarte garantiert nicht wirklich ein gelungenes Gericht. Manchmal kriegst du das beste Gericht in einem Restaurant, wenn du nur drei Speisen zur Wahl hast, anstelle von einer Millionen Wahlmöglichkeiten. Und eine Millionen Sachen zusammenzupacken macht es nicht eine Millionen mal besser.

Habt ihr diese Erfahrung auch auf "Cast In Steel" gemacht, dass Fehler eine Inspiration für euch waren?

Morten: Ich befürchte, vielleicht eher weniger auf diesem Album, da wir weniger Zeit hatten. Wir haben die Arbeit aufgeteilt. Ich habe die Vocals hauptsächlich in meinem Studio in Stockholm eingesungen, wo ich auch an meinen Soloplatten gearbeitet habe. Dort weiß ich, dass ich ein funktionierendes Sound-Set-Up und Fold-Up-System habe, was es mir einfacher macht. Wenn du in einem anderen Studio mit einem neuen Techniker arbeitest, den du vorher nicht kanntest, ist das eine Herausforderung. Dann bist du limitiert, weil du nicht den uneingeschränkten Zugang zu dir selbst hast. Und das dauert dann, bist du endlich an dem Punkt bist. Und bis dahin kann es sein, dass du deinen Drive dafür verloren hast. Deshalb mach ich das lieber in Stockholm.

Aber es ist irgendwo ein Weg des geringeren Widerstands. Es sprechen Gründe dafür, es so zu machen, aber eben auch einige dafür, es anders zu machen und die Schwierigkeiten anzunehmen.

Paul: Das Stockholm-Syndrom ...

Magne: Das ist, wenn du deinen ... ich glaube, wenn man von Fehlern redet, können Leute auch den falschen Eindruck bekommen. Ich glaube es geht darum, zu erlauben, dass bestimmte Dinge passieren. Und eine Möglichkeit, das zu tun, die ich für mich auf dieser Platte genutzt habe, ist es, nicht wirklich in Demos zu denken, sondern einfach etwas drauflos zu erschaffen, das dann auf die Platte kommt. Und klar verändert sich das dann auf dem Weg noch. Das haben wir ein paar Jahre so gemacht. Auch wenn trotzdem einiges von der ursprünglichen Version bleibt. Du legst dich dann fest, z.B einige Dinge wegzunehmen.

Die selbe Methode verwende ich als Visual-Artist, wenn ich bestimmte Dogmen etabliere. Wie Paul beschrieben hat, wenn er keine Vor-Einstellungen oder sonstwas verwenden will. Das ist ein Dogma. Ich finde es sehr befreiend, nicht alles zur Verfügung zu haben. Wenn du nämlich alles hast, wirst du zu sehr dazu verleitet, all diese Tools zu benutzen, die gar nicht dein Ding sind.

Das ist, wie wenn man in sein Mal-Studio geht und sich fragt: Hm, welche Farbe hasse ich am meisten ... hm, es ist gelb, um dann zu sagen: Ich werde jetzt nur gelb benutzen und daraus etwas machen. Es geht darum, sich Begrenzungen zu verschreiben und zu erforschen, was passieren kann, wenn du diesen Weg verfolgst.

Wo wir schon bei Begrenzungen sind. Ihr meintet, es wäre sehr befreiend für die Entstehung von "Cast In Steel" gewesen, dass ihr zunächst eben keine Deadlines oder Vorgaben von außen hattet, weil niemand ein Album von euch erwartet hat.

Magne: Für den ersten Teil des Albums stimmt das.

Was ist die größte Herausforderung, wenn man keine Limits hat?

Mange: Naja, ich war nicht wirklich beteiligt an dieser ersten Phase. Das waren Paul und Morten, die zusammen Musik gemacht haben. Ich kam dazu, als es bereits eine Deadline gab. Aber ich persönlich liebe auch Deadlines.

Morten: Du kamst dazu, als die Deadline abgelaufen war (schmunzelt).

Magne: Für mich ist eine Deadline etwas, das du als Arbeitshilfe festlegst, um dir zu erlauben, mit dem Endergebnis zu leben. Denn du kannst dein ganzes Leben damit verbringen, eine Sache zu perfektionieren und es nie veröffentlichen. Es endet nie. Das ist wie ein Garnknäuel.

Mit der Zeit ändert sich ja auch die eigene Perspektive auf den Song. Um so länger man ihn hört, um so länger man ihn kennt, desto mehr ...

Magne: ... verliert man ihn, dann denkt man, man hat ihn wieder gefunden. Und zwei Jahre später hörst du wieder eine andere Version des Liedes und fragst dich, warum du sie so gehasst hast. Deshalb liebe ich Deadlines. Aber ich nehme an, du findest verschiedene Antworten darauf innerhalb der Band hier.

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