Porträt

laut.de-Biographie

A-Wa

"Wir bringen einen frischen Sound aus der Wüste." Mit diesen Worten entlassen A-Wa ihre Debütsingle in die Welt. Um welche Wüste es sich handelt oder auch nur, aus welchem Land sie stammen, lassen sie dabei zunächst bewusst im Unklaren. "Wer wir sind, haben wir erst später erzählt, als uns so viele Leute gefragt haben", erinnert sich das Trio im Interview mit lennyletter.com, "aber dann war das den Leuten eigentlich total egal, weil sie die Musik ohnehin schon liebten und sich ihr verbunden fühlten."

... und wer sind A-Wa nun? "Eine unserer Botschaften besagt, dass es okay ist, vieles zu sein, und dass man seine vielen verschiedenen Identitäten feiern sollte. Wir sind Frauen, wir sind Israelis mit Wurzeln im Jemen, wir sind Musikerinnen und wir sind Schwestern."

Um die Geschichte von Tair, Liron und Tagel Haim nachvollziehbar zu erzählen, muss man bei ihrer Urgroßmutter Rachel einsteigen. Als Frau im Nahen Osten in den ausgehenden 1940er Jahren hätte sie es schon schwer genug gehabt. Zudem gehört sie aber der jüdischen Minderheit im Jemen an, die zu dieser Zeit dort auf das Grausamste drangsaliert und verfolgt wird.

Knapp 50.000 jüdische Menschen gelangen bis 1949 und 1950 in einer poetisch "Operation Magic Carpet" betitelten Rettungsaktion aus dem Jemen in den frisch gegründeten Staat Israel. Eine von ihnen: besagte Rachel, dreizehn Jahre alt, noch schnell in eine arrangierte Ehe gezwungen und schwanger. Hebräisch spricht sie zunächst auch nicht, das ist, genau wie Schulbildung, nichts für Frauen, so sagte man ihr.

In Israel angekommen, versucht sie alles, um dazuzugehören. Sie lernt die Landessprache und hält mit ihrem jemenitischen Erbe und ihrer Kultur hinter dem Berg. Die Lieder allerdings, die die Frauen bei der Hausarbeit singen, oft der einzige Weg, ihren Gefühlen, Hoffnungen und Träumen Ausdruck zu verleihen, die singt sie weiterhin und gibt sie, wie es jemenitische Tradition ist, an ihre Tochter weiter.

Die wiederum wird selbst Mutter und Großmutter - und bekommt regelmäßig in den Ferien Besuch von ihren Enkelkindern. Bei einer dieser Gelegenheiten kommen Tair, Liron und Tagel bei einer Henna-Zeremonie mit den traditionellen Gesängen jemenitischer Frauen in Kontakt und sind sofort fasziniert. "Ab da haben wir unsere Eltern und Großeltern ausgequetscht, um möglichst viel über diesen Teil unserer Geschichte in Erfahrung zu bringen."

Eigentlich leben die Haims in Shakarut, einer winzigen Wüstensiedlung im Süden Israels, die die Eltern als Pionier*innen mitbegründet haben. Etwa dreißig Familien gibt es dort, allesamt Einwanderer aus verschiedensten Teilen der Welt, Pferde, Ziegen, Hühner, unzählige Kinder - aber sonst nicht viel. "Wir mussten uns alles ausdenken, es war eine gute Schule für Kreativität", so Tair, die älteste der Haim-Schwestern. "Musik war wie ein Spiel für uns", erinnert sich Liron. "So konnten wir die Welt, die um uns herum nicht existierte, selbst erschaffen."

Zusammen mit der nächst-jüngeren Schwester (insgesamt sind sie deren fünf, und einen Bruder haben sie auch noch) träumen Tair und Liron schon früh von einer internationalen Karriere als Künstlerinnen. Vielleicht spielt das multikulturelle Erbe eine Rolle dabei, dass ihnen das abgelegene Arava-Tal bald zu eng vorkommt: Neben dem jemenitischen Teil haben die Schwestern von mütterlicher Seite noch ukrainische und marokkanische Wurzeln mitbekommen.

Für Unterhaltung haben Tair, Liron und Tagel schon immer gern gesorgt. Spätestens als sie in den 90ern MTV entdecken und dort Missy Elliott, Jay-Z, Outkast und Pharrell sehen, steht jedoch felsenfest: Das wollen sie auch. "Wir liebten Hip Hop wirklich. Er erinnerte uns an jemenitische Musik, die ebenfalls einfach strukturiert ist und auf Rhythmus und Vocals basiert."

Dass sich jemenitische Weisen bestens mit modernen Musikrichtungen kombinieren lassen, hat in den 1980ern bereits Ofra Haza gezeigt, die mit "Im Nin'alu" einen Hit landete. A-Wa führen sie neben Motown-Acts, den Jackson 5, aber auch Pink Floyd oder Deep Purple als Inspirationsquellen an.

Als sie 2016 selbst musikalisch durchstarten, hat trotzdem jede einen "richtigen" Beruf erlernt: Tair hat einen Abschluss in Musik vom Levinsky College of Education in Tel Aviv, sie unterrichtet Musik und Sprache. Liron ist Architektin und Innenarchitektin, Tagel arbeitet als Grafikdesignerin und Illustratorin. Praktisch: Der Bruder ist Toningenieur und hilft bei ersten Aufnahmen, die die Schwestern bei YouTube veröffentlichen.

Tomer Yosef von Balkan Beat Box bekommt Wind davon und reagiert begeistert. Selbst aus dem Jemen stammend, erkennt er den jemenitischen Einschlag bei A-Wa sofort, auch wenn sie da noch auf Englisch und Hebräisch singen. Auf seinen Rat hin stellen sie diese Facette fortan ins Zentrum ihrer Kunst.

Gemeinsam entsteht ein ganzes Album mit traditionellen Liedern, die A-wa nun im mit hebräischen Ausdrücken durchzogenen Arabisch der jemenitischen Juden vortragen, der Sprache ihrer Groß- und Urgroßeltern. "Altes mit Neuem zu verbinden, hat in Israel Tradition", so Liron. Entsprechend reichern A-Wa die klassischen Weisen mit Jazz, R'n'B, Reggae und reichlich Hip Hop an und nennen die bunte Mischung treffend "Yemenite Folk'n'Beat".

Die jemenitischen Gesänge haben ohnehin ihre ganz eigene Remix-Kultur: Da die Frauen, die sie einst anstimmten, meist nicht schreiben konnten, blieb nur mündliche Überlieferung. Jede Sängerin ließ Textzeilen weg und fügte andere hinzu, bis von jedem Song unzählige Versionen kursieren.

Der Track, der A-Wa 2015 zum Durchbruch verhilft, hat ebenfalls eine Tradition: "Habib Galbi" basiert auf dem gleichnamigen Song von Shlomo Moga'av aus den 1960er Jahren, der Titel bedeutet "Liebe meines Herzens". Der Track und das zugehörige Musikvideo gehen viral, auch in der muslimischen Welt, und erstmals steht ein auf Arabisch gesungener Titel an der Spitze der israelischen Charts.

Das zugehörige Album öffnet A-Wa 2016 die Türen zum internationalen Erfolg, den sie sich schon als Kinder erträumt haben. Barg "Habib Galbi" noch traditionelles Liedgut, setzt der Nachfolger drei Jahre später auf eigene Songs. Geschichtsvergessen geht es jedoch auch hier nicht zu: Das Album erzählt die Geschichte von Rachel, der Urgroßmutter der A-Wa-Schwestern. Auch der Titel geht auf sie und ihr bewegtes Leben zurück: "Bayti Fi Rasi" pflegte sie zu sagen, "Heimat ist in meinem Kopf".

Die Übersetzungen der Lyrics bekommt man bei A-Wa - der Bandname bedeutet übrigens so viel wie "Ja!" oder "Yeah!" - stets mitgeliefert. "Wir wissen, dass nur ein sehr kleiner Teil unseres Publikums unsere Sprache spricht", erklären die Schwestern. "Uns ist aber wichtig, dass alle Zugang zu den Texten bekommen." Auf die Inhalte legen A-Wa nämlich größten Wert.

Neben der Bewahrung und Pflege einer reichen, dennoch fast vergessenen Kultur-Tradition geht es ihnen stets auch um die Frauen: "Es ist wichtig, ihre Stimmen zu hören", betonen die Schwestern gegenüber Aviva. "Es gibt auch heute noch viel zu tun, um den Stand von Frauen in der Gesellschaft zu verbessern. In weiten Teilen der Welt werden Frauen wie Bürger zweiter Klasse behandelt, sie leiden unter mangelnder Bildung, Ungerechtigkeit und Armut. Für ihre Rechte und um die Freiheit, ihre Leben selbstbestimmt zu führen, müssen Frauen noch immer kämpfen."

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