laut.de-Kritik

"Doing this album killed him."

Review von

Als Hip Hop-Fan kann man den Tribe gar nicht genug anhimmeln, verkörpern sie doch die Wurzeln und Ursprünge des langsam erfolgreicher werdenden Genres in den beginnenden 90er Jahren. Eine Crew, die die Anfangstage der Golden Era mittrug, weder wirklich vom Street-Hustle noch vom großen Geld zu berichten wusste und trotzdem eine Chemie auf Platte presste, die Millionen Hörer vor ihre Anlagen bannte.

Q-Tip, Antreiber und Wegbereiter des Tribes, der gerne mal ins Philosophische abstreift, funktioniert mit seiner Extrovertiertheit gegenüber dem Rap-geerdeten Phife Dawg wie das Yin und zum Yang. Zur perfekten Symbiose schmiegten sich Jazz-Samples und harte Drums ein und die von Ali Shaheed Muhammad eingespielten Instrumente. Was der vierte im Bunde, Jarobi White, genau tat, bleibt wohl ewig ein Geheimnis. Trotzdem war er immer Teil der Crew.

Nun erscheint also ihr sechstes und damit letztes Album mit dem merkwürdig klingenden Titel "We Got It From Here ... Thank You 4 Your Service", denn Malik Isaac Taylor erlag im März diesen Jahres seiner Diabeteserkrankung. Zu dieser Zeit waren die Aufnahmen in vollem Gange. Im Nachhinein reflektiert kommen sowohl Q-Tip als auch Jarobi White zu dem Schluss, dass es Phife Dawg nicht so sehr ums Album ging als vielmehr um die Freundschaft: "Ehrlich gesagt glaube ich, dass er nicht aufgrund des Albums zwischen Kalifornien und New Jersey hin und her reiste, sondern um sicherzugehen, dass wir beide, Malik und Jon, OK miteinander sind." White drückt es noch drastischer aus: "Doing this album killed him."

Der Tod des Gründungsmitglieds liegt wie ein dunkler, schmerzender Schatten über den Aufnahmen. Doch auch wenn sich die Zeilen besonders in "The Donald" und in "Lost Somebody" um ihren verstorbenen Freund drehen, so kreierten Q-Tip, Ali Shaheed Muhammad und Jarobi White ein thematisch vielschichtiges Album, das viel mehr zu bieten hat als die Trauer um den Five Foot Assassin.

Wenn ihm Tip aber Tribut zollt, dann über ein kopfnickendes, entspannt groovendes Sample, das auf seine so leicht und wie selbstverständlich wirkende ATCQ-Art einen Banger aus "Black Spasmodic" macht. Zunächst suhlt sich Phife durch die Selbstverständlichkeit eines Rap-Pioniers, ehe Tip seinem verstorbenen Sandkastenfreund einen ganzen Vers schenkt und aus dessen himmlischer Sicht die Dinge von oben herab beschreibt: "I'm leaving, but nigga you still got the work to do / I expect the best from you, I'm watching from my heaven view / If you don't believe me, Tip, there's truly life after death / So refer to the Biggie covers and shoutout my Trini brothers / And please check in on my mother... / Malik Izaak, call me shorty." Das ist ein Gänsehautmoment aller erster Güteklasse.

Da über die gesamte Spiellänge von 60 Minuten Phife nur vereinzelt zu hören ist, springen andere ein um ihn zu ersetzen: Das ewig stille Tribe-Mitglied Jarobi White tritt mit einer einfachen, grundehrlichen Art des Rappens in die großen Fußstapfen Taylors, während ihm die verlängerten Arme des Tribes, Busta Rhymes und Consequence, tapfer zu Seite stehen. Dazu gesellen sich noch Features von Talib Kweli, André 3000, Kanye West, Kendrick Lamar und Anderson.Paak. Somit wirkt "Got It From Here ..." mehr wie ein Posse-Album von Gleichgesinnten und verkommt nicht, wie man vielleicht befürchtet hatte, zu einer One-Man-Show Q-Tips.

Im Gegenteil: Zwar zeichnet er verantwortlich für die Produktion, räumt aber beispielsweise in "Mobius" die Bühne vollständig und lässt Busta Rhymes und Consequence über ostasiatisch-anmutende Melodien rappen. Ersterer schreit-rappt sich mit seinem durchdringenden Organ durch Illuminati- und Medien-Verschwörungen bis hinunter zum harten Straßenleben. Mit einer erfrischenden Flow-Varianz robotert er sich auch durch den Track "Solid Wall Of Sound", der in seiner Zerfahrenheit auch noch Platz für eine Elton John-Hook und einer Jack White-Akustikgitarre lässt. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass sich Phife und Tip die Strophen teilen, hin und her jonglieren und so trotz ihrer Andersartigkeit des Vortrags harmonisch zusammenwachsen.

Stilbrüche und Überraschungen sorgen durchweg für Spannung. Sollte der Hörer mal gedankenverloren zu einem smoothen Q-Tip-Beat wie in "Lost Somebody" oder "Ego" wegnicken, holen einen vielschichtige Tracks à la "Dis Generation" oder "The Killing Season" wieder zurück ins Dickicht der Unvorhersehbarkeiten. Überhaupt wirkt keiner der Songs als würden sie in ewig-gestrigen Sphären schweifen. Natürlich bricht sich hier kein Cloud-Rap anno 2016 bahn, schließlich besitzt Q-Tip eine 9.000 Platten umfassende Vinyl-Sammlung, aus der man fleißig samplen kann. Trotzdem wirkt diese Platte durchweg staubfrei und gerade so modern, dass sie immer noch klar vom Tribe stammt.

Das liegt unter anderem daran, dass sich der Produzent zu keiner Zeit wiederholt. Anderson .Paak veredelt nicht nur die Hook von "Movin Backwards", sondern kann sich auch in einer ganzen Strophe frei entfalten. Das dient nicht nur der Abwechslung, sondern verortet die Platte im Hier und Jetzt. Genau dort steht auch das kratzige und trotzdem einnehmende "We The People ...", das mit seiner bloßen, nackten und dabei so offensichtlichen Hook die Wahl des Präsdidenten verarbeitet.

Der Brückenschlag zwischen gestern und heute ist das übergreifende Thema auf "Dis Generation". Die luftige Gitarre täuscht kurz über den zwischenzeitlich schwer verdaulichen musikalischen Part hinweg, ehe den Rap-Veteranen ein paar Worte des Respekts an die aktuell tonangebende Generation entfleuchen: "Talk to Joey, Earl, Kendrick, and Cole, gatekeepers of flow / They are extensions of instinctual soul." Oder schielt diese André-Zeile aus "Kids..." heimlich gen Lil Yachty-Hype? "Yeah, it look a little different on a yacht / But ain't gon' lie, I miss kayaking."

Einziger Wermutstropfen ist und bleibt die Rarität Phifes Stimme. Als Fan lechzt man förmlich nach ein paar Reimen, die, wie in "Conrad Tokyo", nichts an Schlagkraft eingebüßt haben: "Trump and the SNL hilarity / Troublesome times kid, no times for comedy / Blood clot, you doing, bullshit you spewing / As if this country ain't already ruined." Sein Gegenpart, Q-Tip, feilte weiter an Flow und Reimstafetten und spuckt nicht nur gewohnt lässige, wie aus einem Guss klingende Parts ins Mikro, sondern steigert sich zunehmend ins unüberschaubar Komplexe, was stundenlanges Lyrik-Genius-Studieren nach sich ziehen dürfte.

Gemeinsam mit André 3000 cyphert sich Q-Tip in "Kids ..." durch ein unruhiges, melodiöses Sample, erinnert sich an seine Jugend, die damaligen Probleme und schlägt gekonnt den Bogen in die Gegenwart. Die Faszination des Tracks täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass er sich mir bislang noch nicht vollständig erschlossen hat. Auch das ist nur eine der vielen Qualitäten dieses finalen Albums: Es wird den Hörer noch lange beschäftigen.

"Have you ever loved somebody? / Way before you got to dream? / No more crying, he's in sunshine / He's alright now, see his wings."

Trackliste

CD1

  1. 1. The Space Program
  2. 2. We The People ...
  3. 3. Whateva Will Be
  4. 4. Solid Wall Of Sound
  5. 5. Dis Generation
  6. 6. Kids ...
  7. 7. Melatonin
  8. 8. Enough!!

CD2

  1. 1. Mobius
  2. 2. Black Spasmodic
  3. 3. The Killing Season
  4. 4. Lost Somebody
  5. 5. Movin Backwards
  6. 6. Conrad Tokyo
  7. 7. Ego
  8. 8. The Donald

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