laut.de-Kritik

Es weht ein Bieratem von Ostfriesland in die Welt.

Review von

Es gibt ein Thema, das in Deutschland effektiver ist als jedes andere. Effektiver als schnulzige Radioballaden. Effektiver als der obligatorische Afro-Trap-Song auf dem Album. Sogar effektiver als ein Versuch, den Song zur WM zu schreiben.

Saufhymnen. Jeder Act, der die Nase ein bisschen tiefer als Amtsdurchschnitt trägt, hat sich schon einmal daran versucht. Die 102 Boyz haben sich eine Existenz darauf aufgebaut. Die fünf Berufsunsympathen aus dem Ostfriesland ballern, trichtern und ziehen auf ihrem neuen Projekt "Asozial Allstars 3" so viel, dass der Mief nach Billigfusel-geschwängerter Jungsumkleide auch durchs Handydisplay zieht. Dabei gelingt ihnen in ihrer Lehrerschreck-Posse zwischen 187 Straßenbande und New Kids On The Block tatsächlich der ein oder andere Banger.

Es ist eben nicht so, dass diese Formation besonderen Wert auf Vielseitigkeit legt. Gut so, denn in dem Moment, in dem wir so weit sind, dass diese Hohlblöcke eine emotionale, verwundbare Pop-Ballade mit Mark Forster in der Hook veröffentlichen, buche man mir endgültig das One-Way-Ticket zum Mars. Diese Prolls aus dem Niemandsland haben wohl kaum mehr Lebensinhalt als Vollrausch und Musik mit ekligen Bässen, die dann wiederum den Absturz orchestriert.

Siehe da, genau diese Musik wird auch immer wieder zitiert. Suhlen sich die Protagonisten noch in dem ikonischen Mief von Frauenarzt oder dem frühen Sido, komponieren die Hausproduzenten der HashClique Instrumentals, die mal an Chief Keef-Kadenzen, mal an Grime erinnern. Dass man ihnen in Oldenburg vom Memphis-Untergrund und von Trap-Rap erzählt hat, spürt man genauso, denn in Sachen Flow und Präsenz kann man sicher Trapper wie Comethazine, Kodak Black oder Smokepurrp zum Einfluss zählen.

Radikal und kompromisslos steht diesen Punks eh gut zu Gesicht, auch wenn die Inspiration manchmal sehr spürbar wird. Etwa wenn "Teamtrack" einfach eins zu eins den Zack Fox-Beat von "Square Up" klaut. Sogar der Flow scheint teilweise eine Mischung aus Zach und Valee zu werden. Aber das sind nur Details. Hört man das Bass-Gewummer auf "Outro", "Holland Ott" oder "Fertigessen", bekommt man zwar nur einen Trick geboten, den aber ziemlich gut und mit entsprechend ansprechenden Billig-Plug-Ins garniert.

"Asozial Allstars" klingt also wie ein ziemlich solides Untergrund-Tape. Heißt aber, dass es eben auch die Schwächen von typischen Untergrund-Tapes mitbringt. In diesem Fall die gähnende Eindimensionalität, die auch von der Menge der Akteure nicht kaschiert wird. Es ist ein Raum voller besoffener Druffis, die alle nacheinander ins Mikrophon grölen, wirkliche Starqualität hat niemand davon, und es gibt keinen Part, der sich aufdrängt, außer denen, die auf polnisch vorgetragen werden. Außerdem machen sie es sich auch etwas leicht, wenn sie Dorfdisco-Klischees mit der immergleichen Formel zu Clubbanger-Größe aufblasen. Besonders "Shotgun" ist trotzdem so ein Track, bei dem man ahnt, dass die Umkleide der Kreisligafußballvereine eine Menge Spaß damit haben wird.

Aber wie wird das weitergehen? Songs über die letzten paar Landleben-Lowlife-Klischees, die noch übrig sind? Für diese scheinbar noch recht frühe Phase ihrer Karriere müssen die 102 Boyz schon jetzt beim Nichts-Erzählen ziemlich tief in die Trickkiste greifen, um ihre Parts mit irgendwelchem Text vollzumachen. Songs über "Fertigessen", "Clubmische" und Grassorten sind nett, aber halt auch nur so ein bisschen Untergrund-Würde davon entfernt, hochkant Ballermann-Musik zu sein. Und auch das Steckenpferd dieser Platte, "Arbeitslos", dürfte sicher so schon oft genug in Malle laufen. Ein interessante Entwicklung für deutschen Untergrundrap.

Da ist aber noch ein Funken Magie, der erst einmal erlöschen muss, bis man die 102 Boyz wirklich abschreiben kann. "Asozial Allstars 3" kann nur eine Sache, und die ist fairerweise unglaublich primitiv, aber die Kids geben vermutlich einen herzlichen Fick darauf, ob man sie nun für klug oder für dumm oder für gut oder für wack hält. Es ist Schulklo-Absturz-Musik, und dafür vorzeigbar genug. Die Stimmen sind aggressiv, die Beats wummern und die Hooks werden ihr Ding tun.

Ist es Musik für die Ewigkeit? Sicherlich nicht. Es ist nicht einmal für die Sparte etwas wirklich Besonderes und nach K.I.Z, Trailerpark, Ruffiction und vielen anderen Formationen sicher nicht die letzte Deutschrap-Sippschaft mit einer Iteration von Assi-Image. Aber hey, bis das Gimmick sich total abgenutzt hat oder die Produzenten einen richtigen Killer aus ihrer Kenny Beats-JetsonMadeIt-Phase rausholen, könnte man resümieren: "Asozial Allstars 3" hat die Messlatte nicht sehr hoch angesetzt. Aber erfüllt.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Arbeitslos
  3. 3. Clubmische
  4. 4. Shotgun
  5. 5. Wieder Full
  6. 6. Pfandflaschen Blues
  7. 7. Holland Ott
  8. 8. Die Üblichen Verdächtigen (feat. Donvtello)
  9. 9. Fertigessen
  10. 10. Teamtrack
  11. 11. Nicht Genug
  12. 12. Rammbock
  13. 13. Marschieren
  14. 14. Asozial Allstars
  15. 15. Outro

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