Was der plakatierten Arbeiterin in der DDR der Sechskantschlüssel war, ist heute der Prozessor.

Hamburg (mma) - Lange angekündigt, jetzt am Bahnhofskiosk erhältlich: die allererste Ausgabe des Missy Magazine. "Popkultur für Frauen" kündigt die Unterzeile an, während auf dem Cover Anja Plaschg alias Soap&Skin porträtiert ist, momentan meistdiskutierte Popkünstlerin aus Österreich.

Das Foto steht antithetisch zum aktuellen Emma-Frontbild (Yoko Ono) und transportiert perfekt, wofür Missy einstehen will. Während Plaschgs Haare in klassisch weiblicher Hochsteck-Frisur Form finden, verweist der Mikrochip als Ringfinger-Accessoire auf die vornehmlich männliche Spielwiese Technik.

Das darf man als Rekapitulation heroischer Frauenbilder des Sozialismus interpretieren. Was der plakatierten Arbeiterin in der DDR der Sechskantschlüssel war, ist heute der Prozessor: ein (möglicher) Geburtshelfer der Emanzipation. Weiblicher Schmuck funktioniert im popfeministischen Kontext eben längst nicht als bloße Verschönerung, er vermag Botschaft zu vermitteln.

Popmoderner Aufklärungsgestus

Auch das Editorial macht keinen Hehl aus seinem Anspruch. "Dieses Heft ist eine Anmaßung", erklären die Verantwortlichen, die viel Gewicht legen auf ein selbstermächtigendes Do-it-yourself. Das Leitmotiv proklamieren Köver, Lohaus und Eismann weiter unten im Vorwort: Man hoffe, dass die Leserin Missy nach der Lektüre zuklappen werde "mit dem Gefühl super zu sein, alles erreichen zu können und jetzt sofort damit anfangen zu müssen".

Selbstverständlich wissen die Debütantinnen von den zahlreichen Vorurteilen, mit denen männliche wie weibliche Leser einem Medium mit ausgewiesen feministischer Haltung begegnen – und reagieren mit Selbstbewusstsein und Nonchalance. Denn natürlich lässt sich gerade bei einem auf Popkultur spezialisierten Fem-Mag diskutieren: Schließt das transportierte Indietum nicht eine Menge weiblicher Leser von vornherein aus? Generiert man Mehrwert über den eigenen Tellerrand hinaus?

Ungezwungen emanzipatorisch

Und überhaupt, ist die Hauptzielgruppen-Generation der 19-29-Jährigen nicht viel weiter als Quotenlösung? Falls ja, mit welcher Berechtigung widmet sich dann die Musikabteilung des Heftes ausschließlich Künstlern mit zwei X-Chromosomen? Man kann Missy aber auch einfach als das annehmen, was es sein will: Die moderne Schnittmenge aus Popjournal und dem aufklärerischen Gestus der Frauenbewegung. Emanzipation ist schließlich keineswegs der Frau vorbehalten.

Die Notwendigkeit der Veröffentlichung unterstreicht eine bebilderte Straßenumfrage zum Thema "Wann hast du dich das letzte Mal aufgrund deines Geschlechts diskriminiert gefühlt?" Relaxt lächelnde Frauen beschweren sich dort über Macho-Sprüche und angedichtete handwerkliche Unzulänglichkeit, junge Väter echauffieren sich über in Erziehungsfragen belehrende Mütter auf dem Spielplatz. Genau so schafft es Missy, das vielerorts als obsolet gebrandmarkte Topic Feminismus mit resoluter Entspanntheit zu kommunizieren. Oder wollte jemand behaupten, ihm seien genannte Situationen fremd?

Das Kamasutra aus weiblicher Perspektive

Diese praxisnahe Leichtigkeit zieht sich als roter Faden durch das Magazin. Christiane Rösinger wendet sich in einem Essay erzählerisch-lässig gegen das Stillen - nicht zuletzt, weil damit ein Spaßverbot einhergeht (kein Alkohol, kein scharfes Essen).

DJ Vera erklärt in einfachen Worten die Arbeitsweise eines DJs, und das Kamasutra aus rein weiblicher Perspektive sorgt immerhin für kurzweiliges Amüsement. Auch der Erlebnisbericht vom Vibratorkauf oder der draggy Beautytipp "Wie klebe ich mir einen Bart?" geraten sehr subjektiv, ergo: undogmatisch.

In Layout, Artikelumfang, Modestrecken, Bilder-Text-Verhältnis und Typografie lehnt man sich deutlich an Spex und Intro an. Bei letzterem war Sonja Eismann, eine der drei Initiatorinnen, bis ins vergangene Jahr auch als Redakteurin tätig.

Ob die Herausgeberinnen eine noch stärkere Anlehnung an jene avantgardistisch konzipierten Zeitschriften und somit eine weitere Vermischung der Spektren vermeiden können, wird für den Markterfolg langfristig entscheidend sein. Exklusive, fundierte Themen wie "Frauenrechte in Burkina Faso" zwischen gut verdaulichen Pop-Attitüden dienen auf lange Sicht vermutlich am ehesten dem Ziel der Einzigartigkeit.

Missy kostet Euro 3,80 und erscheint momentan vierteljährlich.

Fotos

Soap&Skin

Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele) Soap&Skin,  | © laut.de (Fotograf: Martin Mengele)

19 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    @Viel_Frass («
    Die Frage, die mir dabei immer noch durch den Kopf geht, ist: Kriegen Frauen eigentlich inzwischen ihren Orgasmus hin oder liegen sie immer noch bei dilletantistischen 20%? »):

    da gehören ja immer zwei zu.

    was diletantismus betrifft halte ich eher die meisten typen innerhalb des betreffenden problemkreises für eigentlich ahnungslose maulhuren.

  • Vor 15 Jahren

    das hat doch damit nix zu tun.

    ein beispiel:

    fahre mal in hardcore macho-gesellschaften a la georgien, mexico, viele arabische staaten etc.

    frag mal nach, wieviel der superhengste da jemals ne frau zum höhepunkt gebracht haben.

    dann mal vergleichen mit zb skandinavien oder den neuen ländern deutschlands bzw der ddr.

    fazit: es gehören immer 2 dazu und das ego bzgl lustignoranz oder -feindlichkeit ist oft eher ein maskuliner makel.