Die deutsche Musikindustrie gibt auf: Das Prestigeprojekt Phonoline, nach jahrelangen Ankündigungen erst im Frühjahr gestartet, wird schon wieder beerdigt. Pünktlich zur Musikmesse Popkomm sorgt die Branche damit wieder für Negativ-Schlagzeilen.

Berlin (rai) - Die Idee war gut: Alle großen deutschen Plattenfirmen tun sich zusammen und bauen eine gemeinsame Online-Plattform auf, einen großen Musik-Shop im Internet. Der virtuelle Plattenladen mit seinem unermesslich riesigen Song-Angebot wird dann an Dritte lizenziert. Jeder Online-Händler, jedes Internet-Magazin kann auf dieser technischen und inhaltlichen Basis ganz unkompliziert seinen eigenen Musikshop eröffnen. Musik wird damit an jeder Ecke im Netz, jederzeit bequem verfügbar. Das Publikum ist begeistert: Endlich gibt es ein gutes, da reichhaltiges, zuverlässiges, sicheres und vor allem: legales Download-Angebot, endlich eine Alternative zu den illegalen Tauschbörsen. Die große Mehrheit ehrlicher Musik-Konsumenten freut sich und kauft fleißig.

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Das Projekt stand von Anbeginn unter keinem guten Stern. Jahrelange Ankündigungen, Verschiebungen und ewiges Gezerre begleiteten Phonoline bis zum holprigen Start im März dieses Jahres. Spötter verpassten dem in Zusammenarbeit mit der Telekom-Tochter T-Com dahin dilettierenden Projekt das Etikett "Toll-Collect der Musikbranche". Nun wird es wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Es fehlte an allen Ecken und Enden: Das Repertoire war mehr als bescheiden, dementsprechend zurückhaltend auch die Handelspartner. Lediglich die Universal Music-eigene Plattform Popfile und der Münchner Konzertkarten-Verkäufer CTS Eventim nutzten Phonoline und waren von den Verkaufszahlen herbe enttäuscht. "Wir verkaufen zur Zeit etwa 1.000 bis 1.500 Lieder am Tag, hatten aber eigentlich mit der zehnfachen Anzahl von Downloads gerechnet", klagte CTS-Vorstandschef Klaus-Peter Schulenberg der FAZ sein Leid. Das bescheidene Phonoline-Geschäft soll nun von der Telekom-internen Konkurrenz Musicload übernommen werden.

Für Tim Renner, den kürzlich zurückgetretenen ehemaligen Vorzeigemanager der Musikbranche und Mitinitiator von Phonoline, ist das Debakel keine Überraschung, er sieht die Schuldigen in den internationalen Konzern-Zentralen: "Phonoline ist ins Straucheln gekommen durch einige Headquarters mancher Majors, die das von hinten abgeschossen haben", erklärt er im Interview mit laut.de. Entscheidendes Centerpiece bei Phonoline sei die zentrale, einmalige Lizenzierung des gesamten Major-Programms über Phonoline gewesen. Händler hätten damit einen einzigen zentralen Ansprechpartner gehabt und sich mühsame Einzelverhandlungen erspart. "Wenn gerade dieses Centerstück in letzter Sekunde abgeschossen wird, kann das ganze Ding nicht fliegen. Man hat ein Feld hinterlassen und Saat, nun wurde die Saat aufgefressen, die Leute haben Bauchschmerzen und beschweren sich, dass sie mit dem Feld nichts anfangen können."

In seinem heute erschienenen Buch "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm - über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie" zeichnet Renner eigentlich ein optimistisches Bild für die Musikbranche, wenn die Labels die Zügel endlich wieder selbst in die Hand nähmen und den Problemen des digitalen Vertriebs offensiv begegneten. Doch mit der Phonoline-Beerdigung sorgt die Branche, pünktlich zur Popkomm erst mal wieder für die gewohnten Negativ-Schlagzeilen.

Das komplette Interview mit Tim Renner und eine Buchbesprechung erscheinen in Kürze auf laut.de.

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