28. Januar 2003

"Rassismus ist eine lächerliche Sache ..."

Interview geführt von

Mitten im süddeutschen Auenland liegt das kleine Städtchen mit dem musikalischen Namen: Singen! Der dort angesiedelte Jazzclub schafft es mit steter Regelmäßigkeit, die Perlen der internationalen Jazz-, World- und Avantgardeszene zu verpflichten. Am 24. Januar 2003 war Rabih Abou-Khalil zum Auftakt seiner Tournee in der ausverkauften "Gems" zu Gast. LAUT traf sich mit dem deutsch-libanesischen Künstler auf einen gemütlichen Plausch.

Rabih, mit über 500.000 CD-Verkäufen und jeder Menge Auszeichnungen zählst du zu den Superstars im Jazz. Wie fühlt sich dieser Status an?

Im Vergleich zu früher hat sich komischerweise gar nicht so viel verändert. Ich bin immer noch überrascht, dass es genug Leute gibt, die meine Musik hören wollen. Wenn man sich das als unbekannter Künstler vorstellt, wie es so wäre ... eigene CDs ... Tourneen ... ! Dann bekommt man das alles, geht nach Hause und im Grunde genommen hat man die gleichen Unsicherheiten und Sicherheiten wie vorher auch. Aber es freut mich natürlich, vor allem, weil Musik machen für mich eine sehr persönliche Angelegenheit ist. Das Schönste daran ist, dass ich auf dieser persönlichen Ebene Leute erreiche, die meine Musik berührt. Bei aller Leichtigkeit des Ganzen. Es ist ja auch wichtig, dass man nicht das Gefühl hat, dass da ein Lehrer auf der Bühne sitzt. Meine größte Angst ist, in Banalitäten zu verfallen. Dass die Leute am Ende sagen: "das waren aber nette Liedchen."

Du sprichst von Leichtigkeit. Musik soll ja (auch) unterhalten. Im günstigsten Fall hat die Musik eine Botschaft, die unterhaltend vermittelt wird. Wie wichtig ist für dich der Unterhaltungsanteil in deiner Musik?

Ich glaube, dass der Unterhaltungsanteil im ganzen Leben sehr wichtig ist, nicht nur in der Musik (lacht). Ich denke, dass jeder Künstler eigentlich zu etwas greift, was letztlich die Schönheit des Berufes an sich ausmacht: die absolute Nutzlosigkeit!

Das ist eine eigenwillige Meinung! Dem bloßen Entertainment spreche ich diese Nutzlosigkeit eventuell zu, aber ...

Natürlich hat Musik einen subjektiven Nutzen. Wir verwenden sie ja, um mit unseren Gefühlen zu spielen und um der Alltagswelt in irgendeiner Form zu entkommen. Aber das hat für mich wieder sehr viel mit dem Unterhaltungswert zu tun, den man natürlich auf verschiedenen Niveaus servieren kann. Das ist, als ob man in einen Schnellimbiss oder einem Gourmetlokal speist. Wenn Leute aus dem Gourmetlokal rausgehen und sagen, es hat ihnen geschmeckt, stelle ich mir vor, dass sie in ihrem Essen Dinge gesehen haben, die dem Hamburger zumindest Mal vom kulinarischen Unterhaltungswert überlegen waren (lacht). Das ist in der Musik nicht anders!

Dann komm ich vom Unterhaltungswert zur Botschaft. Hast du eine Message, die du vermitteln willst?

Nein (lacht). Das mit der Botschaft ist immer eine heikle Frage. Letztendlich unterstellt sie der Musik einen Zweck. Es gibt auch zweckvolle Musik, Protestlieder und ähnliches. Als Künstler sucht man sich ja raus, was man ansprechen möchte. Mir geht es schon um das Künstlerische. Wenn Leute in meiner Musik Sachen sehen, das freut mich natürlich. Aber daraus eine Botschaft zu machen ...

Du hast Protestlieder erwähnt. Das bringt mich zur aktuellen "Irak-Krise". Wie ist deine Einschätzung der Situation? Wir wird deines Erachtens die arabische Welt auf einen möglichen Krieg reagieren?

Mit Sicherheit schlechter als man sich das ausmalt. Stell dir mal vor, jemand würde Europa von außen bedrohen. Allein die Tatsache, dass man auf so eine massive Weise bedroht werden kann, kommt gar nicht gut und schafft eine verdammt miese Stimmung. Die Tatsache, dass der Mann (Bush) das völlig ignoriert, zeigt eigentlich ein völliges Desinteresse an humanitären Problemen. Da geht es ja nicht nur um irgendeinen Typ, der nervt und dann hauen die Amerikaner den halt weg. Da geht es um eine ganze Bevölkerung. Ich glaube, das ist eine ausgesprochen gefährliche Situation, auch für die Zukunft.

O.k. ich hab auch schon ganz miese Laune, lass uns wieder über angenehmere Dinge reden. Du bist nicht mit deinem aktuellen Album "Il Sospiro" (einer Soloplatte) auf Tournee. Woran liegt das?

"Il Sospiro" ist keine Platte um eine Tour daraus zu machen. Es ist eine sehr intime Platte. Außerdem macht es mir viel mehr Spaß mit Leuten zusammen zu spielen, als alleine auf der Bühne zu sitzen.

Das Album mit dem du auf Tour bist, heißt "The Cactus Of Knowledge" ...

Nein.

Nein?

Nein!

Ok, dann eben nicht ...

Es sind nur zwei Stücke aus der "Cactus of Knowledge" im Repertoire. Es ist im Grunde ein komplett neues Programm. Wir machen in dieser Besetzung erst noch eine Platte ...

... wird es eine Live-Platte von dieser Tour werden?

Nein, wir gehen im Anschluss mit dieser Besetzung ins Studio.

Trotzdem. Warum vermutest du die Erkenntnis in einem Kaktus? Und nicht in einer schönen Blume, wo sie mehr Menschen erreichen würde?

Das ist eine interessante Frage, aber letztendlich ist es mit den Titeln einer CD, wie mit der Musik oder der Kunst an sich. Ich finde es schön wenn sie Gelegenheit und Raum zum Träumen und Interpretieren lässt ...

Du lebst in München. Bayern ist nicht gerade für seine Interkulturalität und Weltoffenheit berühmt. Wie kommst du als Ausländer hier zurecht?

Ich bin in einer wesentlich privilegierteren Lage als die meisten anderen Ausländer, die hier leben. Ich habe als Musiker und Künstler mit ganz anderen Leuten zu tun, als wenn ich z.B. Lagerarbeiter wäre. Insofern habe ich mit Rassismus überhaupt kein Problem. Ich selbst habe auch bisher noch nichts Schlechtes erlebt. Inzwischen bin ich aber überall Ausländer, auch wenn ich nach Hause in den Libanon gehe.

Bekommst du den ganz alltäglichen Rassismus zu spüren?

Natürlich. Es ist aber auch die Frage, wie man darauf reagiert. Ich mache mir in gewissen Sachen einfach keine Illusionen. Ich glaube nicht, dass wir in absehbarer Zeit eine nette Welt haben werden, in der es keinen Rassismus gibt. Von daher ist es für mich nicht relevant, daraus eine Art Kampf zu machen. Ich erkenne das und kann mich – zum Glück - in einer Form dagegen wehren, die nicht von Wut geprägt ist. Bis zu einem gewissen Grad betrachte ich das als eine lächerliche Angelegenheit, die der Mensch andauernd produziert, egal wo er ist. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland bedeutend mehr Rassismus gibt als in anderen Ländern dieser Welt.

Du sprichst davon, "dass die Momente des größten Glücks diejenigen sind, in denen man soviel von seinen Sinnen zusammenfügt wie möglich". Du lebst in Deutschland, einem modernen Industriestaat, dem, wie allen modernen Gesellschaften ein erhebliches Maß an Entsinnlichung vorgeworfen wird. Ist die Kultur deiner Heimat sinnlicher?

Ich glaube nicht, dass es eine Kultur gibt, die nicht sinnlich ist. Sinnliches Erleben ist im Grunde etwas sehr persönliches und nicht kulturell bedingt. Mit sinnlich meine ich das Empfinden und Wahrnehmen der Dinge, die mich umgeben. Das ist etwas, das kann jeder für sich und egal wo machen. Vielleicht macht es sogar noch mehr Spaß, wenn die Kultur oder die Zeit nicht ganz so sinnlich ist (lacht). Aber letztlich sind das menschliche Attribute.

Gibt es trotzdem etwas, das dir bei den Deutschen fehlt. Welche Eigenschaften würdest du uns wünschen?

Ach, alles mögliche ... aber das würde ich jedem Menschen wünschen (lacht). Wenn ich Gott wäre, würde ich in jedem Land etwas verändern.

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