2. März 2006

"Das ist Placebo?"

Interview geführt von

Tokio Hotel sind wirklich nette Jungs. Vielleicht nicht ganz wie "von nebenan", dazu sind sie einfach zu auffällig. Doch nicht nur ihr Äußeres ist bemerkenswert, wie Teil zwei unseres Interviews beweist.Vor allem die Professionalität im Umgang mit der Presse und ihr Geschick im fast druckreifen Sprechen ist nicht gerade üblich für 16- bis 18-jährige Musiker. Nur wenn sie ihrer Begeisterung Ausdruck verleihen wollen, driften sie in ihre Schulhofsprache ab.

Mich würde ja auch mal interessieren, wie viel ihr wirklich an den Songs mitarbeiten durftet, wie eure Arbeit an den Songs und dem Album abgelaufen ist.

Bill: Wichtig war uns, dass wir das sind. Wir sind den ganzen Tag damit beschäftigt, du kannst bei uns ja Job und Privatleben schwer trennen. Das Ganze, was wir gerade erleben. Das alles ist unser Job und unser neues Leben. Das vermischt sich total. Und wenn man sich da die ganze Zeit verstellen müsste oder für was auf der Bühne stehen müsste, was man nicht selbst ist oder was man nicht tragen kann, weil man da nicht mit dran gearbeitet hat oder so ... Also wenn ich jetzt einen Song hingelegt bekäme und den einfach so spielen sollte, dann könnte ich nicht dahinter stehen. Dann könnte ich nicht da stehen, den performen und dabei auch noch etwas fühlen.

Habt ihr so was schon mal angeboten bekommen? Einfach einen Song zu spielen, den andere euch auf den Leib geschrieben haben?

Bill: Nein, eigentlich nicht. Wir haben ja von Anfang an mit den selben Produzenten gearbeitet und da haben wir eigentlich alles zusammen geschrieben.

Tom: Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Wenn man einen Song kriegt, der komplett von jemand anders geschrieben ist, da hätte ich gar keinen Bock drauf, das ist doch nicht meins. In jedem unserer Songs ist ja ein Teil von einem drin. Im Song steckt immer ein Stück von dir. Und das könnte ich nie, wenn das von jemand anders kommt.

Und die Zusammenarbeit bei uns war so, dass wir ... die Songs in der Band entstehen ja immer so, dass entweder Bill mit dem Text kommt, oder wir haben neue Riffs und versuchen uns dann einen zurecht zu frickeln, jammen also. Und dann sind wir ins Studio eingeladen worden, haben da viel mit den Produzenten zusammengearbeitet. Das heißt, wir haben gemeinsam an Songs gefeilt, wir haben auch noch mal neu getextet ... Man kriegt dadurch, dass das Produzententeam so groß ist, auch viel mit.

Was war denn das Beste oder Wichtigste, was ihr während der Produktion des Albums über Musik - oder wie man Musik noch besser machen kann - gelernt habt?

Tom: Den Songaufbau. Wir haben quer drauflos geschrieben, haben aber erst im Studio, nachdem wir uns viele alte Sachen und auch andere Bands ganz intensiv angehört haben, rausgefunden, wie so ein Song überhaupt aufgebaut wird. Das hat total geholfen, auch beim Songwriting. Das ist das, was uns da richtig nach vorne getrieben hat. Danach konnte man es besser verstehen, man konnte so viel mehr schreiben. Das war so etwas wie der Meilenstein.

Habt ihr denn jetzt live auch schon neue Songs, die die Fans noch nicht vom Album oder den Singles kennen?

Tom: Auf der Tour spielen wir jetzt zwei neue Songs, einen hatten wir schon auf der ersten Tour, also auf dem ersten Teil der Tour hatten wir einen neuen Song und jetzt haben wir noch mal einen neuen dabei. Wir kommen ja gerade aus dem Studio und haben da viel aufgenommen und geschrieben. Da ist jetzt eben ein Song fertig, den wir auch auf der Tour spielen.

Sind das schon Aufnahmen für ein zweites Album?

Tom: Man weiß ja nicht, wir nehmen erst mal alle Ideen auf, damit man das hat und ob das jetzt im Endeffekt aufs Album kommt, ob das nur ein Bonustrack auf einer Single oder gar eine eigene Single wird ... Hauptsache, man hat's erst mal aufgenommen. Wo das wirklich hingeht, weiß man am Anfang noch nicht.

"Unser neues Leben."

Habt ihr eigentlich mal US 5 getroffen?

Bill: Was heißt getroffen. Wir sind natürlich auf vielen Veranstaltungen, auf denen man ganz viele Künstler trifft. Und ich muss sagen, da macht jeder sein Ding. Jeder hat seine Termine und so weiter. Man sieht sich da quasi nur auf dem Gang. Und klar, US 5 waren auch schon auf den selben Veranstaltungen wie wir. Aber es gab keinen persönlichen Kontakt oder so.

Mir ist nur aufgefallen, dass die Fans der beiden Bands sich irgendwie nicht besonders gut leiden können.

Tom: Ja, das wurde uns auch schon zugetragen. Aber das ist so komisch, denn viele Leute, die die Musik hören, denken: "ich muss jetzt die andere Band scheiße finden, weil auch unter den Bands Konkurrenz herrscht". Aber das ist überhaupt nicht der Fall. Jeder soll sein Ding machen. Auch intern gibt es keinen Neid.

Viele denken ja auch, wir würden uns dann bei Veranstaltungen die Köpfe einschlagen. Aber so ist das überhaupt nicht. Wie gesagt: Da hat jeder seine Termine und seinen Kram zu tun. Und dann trifft man sich bestenfalls noch auf einer Aftershow-Party. Aber sonst ist da nicht viel mit Schnacken oder so.

Man hat gerade auf Veranstaltungen und Preisverleihungen extrem viel zu tun. Da hat man erst nach der Show Zeit, aber da müssen die meisten dann schon weiter. Das ist schon eine ziemliche Hektik. Und so was wie Neid oder Konkurrenzkram oder so läuft da überhaupt nicht. So könnte ich mir das nur erklären, dass die Fans sich nicht leiden können – weil die eben denken, dass wir uns hassen würden.

"In unserer Schule hört jeder zweite Nirvana."

Zum Schluss gibt es noch einmal ein paar Songs:

Absolute Beginner – "Hammerhart"

Keiner erkennt es, mit der Stimme kommt dann die Promoterin ins Gespräch: Jan Delay!?

Fast, das sind die Beginner.

Georg erkennt dann den Song.

Tom: Das Album hab' ich auch, aber Beginner, da hab' ich, hm, das hab' ich nie so intensiv gehört. Es ist auf jeden Fall gut, und von der Musik her kann man da auch nichts dagegen sagen, aber ich mag' die Stimme nicht so. Vielleicht sollte ich da auch mal wieder reinhören.

Georg: Da sind auch viele geile Lieder auf der Platte.
Er verwechselt's dann doch ein bisschen, denn "Jein" ist eindeutig von Fettes Brot.

Tom: Das sind gute Songs, aber die Stimme ...

Ok, dann der nächste Song:

Placebo – "Nancy Boy"

Ratlosigkeit bei den Jungs.

Bill, ich hab dich auf eurer DVD schon in einem T-Shirt von denen gesehen.

Bill: Mich? (etwas patzig und peinlich berührt:) Die Stimme kenn' ich, aber den Song nicht.

Das sind Placebo.

Bill: (klingt ganz aufgebracht, seine Stimme überschlägt sich) Das ist Placebo? Das haben die aber nicht draußen, das Lied, ne?

Das ist von ihrer allerersten Platte!

Bill: Echt jetzt? Placebo find ich ganz, ganz geil, die haben super Songs, "English Summer Rain" zum Beispiel. Aber das hätte ich jetzt gar nicht erkannt. Das ist ein Song, den ich gar nicht kenne. Aber die Stimme! Hat sich ganz schön verändert.

Ja, da waren sie noch etwas roher. Hast du sie schon mal live gesehen?

Bill: Ich hab mal einen Ausschnitt von einer DVD gesehen. Das war aber sehr schlechte Qualität. Ich würde gerne mal auf ein Konzert, würde mir die gerne mal anschauen. Sind die gut live?

Ja, die sind super! Da kommt ja bald ein neues Album, dann kommen sie sicher auch nach Deutschland.

Bill: Der Sänger ist tierisch, finde ich.

Die Gestik von Bill erinnert auch in diesem Augenblick ein wenig an den Ausdruck Brian Molkos, den bisexuellen Sänger von Placebo.

Nine Inch Nails – "Closer"

Allgemeine Ratlosigkeit, ist aber auch ein harter Brocken. Ins Blaue hinein rät Georg Scooter.

Nein, das sind Nine Inch Nails. Den nächsten Song solltet ihr aber kennen:

Nirvana – "Come As You Are"

Alle: Ah ja!

Tom: Das ist der erste Song, den man spielt, wenn man auf der Gitarre anfängt. Das kann jeder. In der Schule sitzen sie alle auf dem Gang und spielen das. Das war so das erste, was ich gespielt hab' ... und dann noch ...

Georg: "Smoke on The Water"

Tom: Genau, und "Knocking On Heaven's Door". Das waren die ersten Songs, die man spielt, wenn man anfängt.

Kennen denn wirklich noch viele Leute in eurem Alter Nirvana?

Tom: Ja, extrem viele. An unserer Schule super viele Leute. Da hört bestimmt jeder zweite Nirvana.

Als wir den Backstagebereich verlassen, sind die Mädchen verschwunden, die so sehnlich darauf gewartet haben, die Band einmal von nahem zu sehen. Angeblich hatte Bill ihnen in einem Chat versprochen, sie Backstage zu holen ... Inzwischen ist Einlass. "Wird auch Zeit, dass die reinkommen", meint der Pförtner, der das Tor zum Glück bewacht, " manche standen schon seit vier Uhr morgens hier in der Kälte". Kurze Zeit später bricht ein fettes Gewitter los. Die Mädchen in der Halle müssen darauf noch gute drei Stunden warten.

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