16. April 2018

"Lemmy hat The Damned gerettet"

Interview geführt von

In ihrem fünften Karrierejahrzehnt hatte die britische Punk-Institution The Damned keine Lust mehr, Kompromisse mit einer Plattenfirma einzugehen. Deshalb bat die Band um Sänger Dave Vanian und Gitarrist Captain Sensible die Fans um finanzielle Unterstützung.

Mittels Crowdfunding wurde genug Geld gesammelt, um den neuen Longplayer "Evil Spirits" zu produzieren – und das mit prominenter Unterstützung in Form des Bowie-Produzenten Tony Visconti an den Reglern. Wie es dazu kam, erzählte uns Gründungsmitglied und Gitarrist/Songwriter Captain Sensible beim Gespräch in Berlin. Mit dabei: Jede Menge Anekdoten von Prügel-Aufnahmesessions mit Motörhead, geplanten Aufnahmen mit Syd Barrett und Jam-Sessions mit T.Rex.

Seit eurer letzten Platte sind ganze zehn Jahre vergangen. Wieso so lange?

Wir hätten in der Zwischenzeit ja durchaus Platten aufnehmen können – leider waren die Plattenfirmen nicht bereit dafür, eine Band wie The Damned unter Vertrag zu nehmen. Wir machen im Studio prinzipiell, was wir wollen. Wenn du Summe X in uns investierst, hast du bei uns keine Garantie, dass du am Ende ein Album bekommst, dass du auch wirklich verkaufen kannst. Wir hören auf keine Befehle und wir waren immer sehr stur, wenn es darum geht, was wir machen. Wir folgen unserer kreativen Stimmung. Wir konnten also nur ein Album aufnehmen, wenn wir auch die Mittel hatten, für ein Studio aus eigener Tasche zu bezahlen. Dann schlug uns jemand Crowdfunding vor – und das haben wir dann auch durchgezogen. Die Fans haben das Studio und sie haben für Tony Visconti bezahlt! Wir haben also unseren Fans zu danke – und Tony Visconti ist ihnen auch bestimmt dankbar (lacht).

Bassist Paul Gray ist wieder zur Band gestoßen. Wie kam das?

Unser Bassist Stu [West], der zehn Jahre mit uns spielte, stieg aus. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er mochte unseren neuen Manager nicht. Wir fanden uns also während den Demo-Sessions ohne Bassisten wieder, kurz bevor wir mit Tony aufnahmen. Wir mussten schnell jemanden finden und Paul Gray war da die offensichtliche Wahl. In der Hierarchie von The-Damned-Bassisten ist er ganz oben. Ich bin glaub ich so Nummer fünf, Paul ist die Eins, an zweiter Stelle kommt Algy [Ward], danach wohl Bryn [Merrick], Patricia [Morrison] auf der Vier, ich auf der Fünf. Ich war nie ein guter Bassist – aber Paul ist ein Genie. Er hat das fehlende Element eingebracht. Er ist das fehlende Puzzleteil. Ich war sehr glücklich. Ich stand am anderen Ende der Bühne und hörte ihm dabei zu, wie er bei Songs, die er seit Jahren nicht mehr gespielt hatte, dennoch perfekt klang. Ich weiß, dass perfekt ein schlechtes Wort für Livemusik ist, aber es klang einfach richtig.

Hat er sofort ja gesagt und habt ihr die alte Connection gleich wieder herstellen können?

Ja, so ziemlich. Wir haben uns immer blendend mit ihm verstanden. Das Problem: Er leitet die Musikergewerkschaft in Wales – er ist der Boss dort, das ist sein Job. Er kümmert sich um die Probleme von jungen Musikern in Wales, deswegen kann er nur mit uns arbeiten, wenn er Urlaub von seinem Job bekommt. Das ist mühsam. Er kann somit nicht bei allen Gigs mit dabei sein, er kriegt eben nur eine gewisse Anzahl von Tagen frei. Es sei denn, er kündigt – dann kann er Vollzeit bei uns einsteigen. Aber er hat einen guten Job.

Wie seid ihr zu Tony Visconti gekommen?

Als wir das Crowdfunding machten und realisierten, dass wir die Möglichkeit bekommen würden, mit einem noblen Produzenten zu arbeiten, schrieben wir ein Liste mit Namen. An der Spitze dieser Liste stand Visconti. Wir dachten, wir rufen ihn einfach mal an und sind frech, fragen ihn, ob er nicht ein Album mit The Damned machen möchte. Er sagte ja, wir konnten es gar nicht glauben. Und plötzlich waren wir im Studio.

Ihr habt in New York aufgenommen.

Ja, in Brooklyn - das ist noch mal was ganz anderes. Da gab es nicht viele Ablenkungen. Wir waren in einer Gegend ohne viele Pubs und Restaurants, wir konnten nicht einfach mal ne halbe Stunde abhauen, wir waren wirklich zum Arbeiten da. Wir hatten außerdem gar nicht viel Zeit: das Album haben wir in neun Tagen aufgenommen. Inklusive Proben. Das war schon ein ganz schön intensives Erlebnis. Wir nahmen es live im selben Raum auf, so, wie wir das auch schon bei unserem ersten Album gemacht hatten. Visconti ließ uns die Songs wieder und wieder spielen, bis er die seiner Meinung nach beste Performance hatte. Dann gab's ein Minimum an Overdubs. Es ist ein Oldschool-Albums.

Ihr kamt aber schon mit fertigen Songs und Arrangements ins Studio, richtig?

Ja, wir haben in vierzig Jahren schließlich gelernt, wie man einen Song arrangiert. Der Sound ist das, wo wir Leitung brauchten. Darin, Songs zu strukturieren, sind wir hingegen ziemlich gut.

Was war Viscontis genaue Rolle bei dieser Produktion?

Wenn er etwas nicht mochte, ließ er uns es neu machen. Er war sehr fokussiert auf die Vocals. Er hatte die Lyrics vor sich liegen, während wir performten. Er wollte, dass sich Dave in jede einzelne Zeile emotional reinsteigerte. Anstatt nur zu versuchen, es schön zu singen, sollte Dave die einzelnen Wörter wirklich betonen und meinen, was er da singt. Ich hatte das zuvor noch nie gesehen. Manche der Worte sind ganz schön aufwühlend, manche sehr wütend. Er gab Dave die Erlaubnis, diese Emotionen am Mikrophon zu fühlen. Das war dramatisch.

Was ist deine Lieblings-Visconti-Produktion?

Ich denke, das muss ein T-Rex-Album sein. "Electric Warrior". Wir haben im Studio viel über Marc Bolan geredet. Marc kam eines Tags zu Tony und meinte, er wolle etwas Elektrisches machen. Tony hatte Zweifel, schließlich waren die Tyrannosaurus-Rex-Sachen wundervoll. Aber Marc überraschte alle, es funktionierte tatsächlich. Er war so ein toller Gitarrist. Wir spielten als Support von T.Rex auf ihrer letzten Tour, 1977 glaube ich. Ich stand jede Nacht am Bühnenrand und schaute Marc Bolan dabei zu, wie er Gitarre spielte. Auf Platte hörte man nie, wie gut er wirklich spielen konnte. Bei der letzten Show der Tour – ich denke, es war in Portsmouth – lud uns Marc ein, auf die Bühne zu kommen und zu jammen. Wir spielten eine 20-Minuten-Version von "Get It On", ich spielte auch Gitarre. Das war für einen Glam-Rock-Fan ein ziemliches Erlebnis.

Worin besteht Viscontis Magie?

Auf eine sehr subtile Art und Weise formt er den Sound. Er bringt die Melodie raus, aber lässt die Ecken und Kanten stehen. Alles klingt groß bei ihm, episch. Das mag ich. Ich weiß nicht, wie er das tut.

"Ich habe noch nie einen Adele-Song gehört"

Das Album kommt im Vintage-Sound daher, sehr warm und analog. Welches Equipment habt ihr benutzt?

Es ist kein klinisch-glasklarer Schönklang. Wir hatten vor den Aufnahmen lange Diskussionen und wussten: Wir wollen keinen perfekten Sound. Wenn du dir Beatles-Platten anhörst, hörst du auch die Fehler. Du hörst George Harrison lachen, während er Backing Vocals einsingt, du hörst, wie Ringos Zigarettenpackung vom Schlagzeug fällt. Die Beatles-Fans wissen, wo sie diese Stellen finden können. Heute erlauben die meisten Tontechniker keine solchen Fehler. Wir wollten aber, dass die Platte echt klingt. Wir wollten die rauen Ecken drauf lassen – und Tony war damit einverstanden.

Und wie sah es mit dem Equipment aus?

Wir haben in einem Studio namens "Atomic Sound" aufgenommen, die eine Menge Vintage-Gear drinnen hatten. Genau sowas wollten wir. Altes Equipment.

Aber ihr habt nicht auf Band aufgenommen.

Nein, aber wir haben danach gefragt. Es gab zwar eine Tape Machine, aber die war leider kaputt.

Wenn es nicht Visconti geworden wäre, wer wäre auf eurer Liste sonst noch oben gestanden?

Ganz oben stand Laurie Latham, der The Stranglers produziert hat. Shel Talmy, der The Who produzierte und auch mit uns auf "Sick Of Being Sick" gearbeitet hat. Die meisten waren alte Leute (lacht). Ich bin mir sicher, dass es auch ganz viel tolle junge Leute gibt, die gute, neue Musik machen. Nur kenne ich die nicht, weil ich keine moderne Musik höre.

Als dich mal jemand auf das Guns N' Roses-Cover eures Songs "New Rose" angesprochen hat, meintest du, du hättest es nie gehört, weil du nur Musik hörst, die bis 1980 aufgenommen wurde. Das scheint also immer noch zu gelten.

Bingo! Das ist wahr. Heute hat mich jemand auf diesen Sänger angesprochen, Ed Sheeran. Ich habe den Namen zwar schon mal gehört, aber ich habe es geschafft, bis heute keinen einzigen Song von ihm zu hören. Ich habe noch nie einen Adele-Song gehört und so soll das auch bleiben. Das interessiert mich nicht.

Lass uns über den Albumtitel reden, "Evil Spirits".

Wir leben in gefährlichen Zeiten. Ich war ein Schulkind, als der Summer of Love passierte, John Lennon redete über Frieden und hatte das Bed In in Amsterdam. Ich habe an all das geglaubt, ich glaubte wirklich daran, dass die Gegenkultur und die Hippies die Welt verändern könnten und dass wir irgendwann mal damit aufhören würden, Milliarden für Waffen auszugeben und anderen Ländern zu drohen. Aber hier sind wir, 2018 und es ist schlimmer als je zuvor. Ja, ich bin verdammt noch mal wütend.

Die Band gibts jetzt seit bald 43 Jahren – wie würdest du die Situation heute beschreiben?

Nun, erstaunlicherweise sprechen wir immer noch miteinander! (lacht). Vor allem, wenn man bedenkt, dass Dave und ich, die zwei Überlebenden der alten Tage, wirklich in jeglicher Hinsicht das totale Gegenteil sind. Er ist elegant, ich bin ein Slob. Er mag Filme, ich hasse Filme. Er mag manche Mode, die ich hasse. Er mag Autos, ich mag Züge. Er ist gut mit Worten, ich mit Melodien – irgendwie funktioniert das einfach.

"Motörhead haben sich gegenseitig verprügelt"

Ihr geltet als Gründerväter des Punks - bist du mit eurem Platz in den Geschichtsbüchern zufrieden?

Ja, es kommt aber auch darauf an, wer diese Geschichtsbücher geschrieben hat. Wenn es eines von John Savage [britischer Musikjournalist und Autor der Sex-Pistols-und-Punk-Biographie "England's Dreaming", Anm.] ist, ist es Unsinn. Savage verstand nicht, dass Punkrock eine Bewegung der Arbeiterklasse war, die von ganz unten kam. Wir haben uns selbst etwas geschaffen, ganz ohne Hilfe. Natürlich, es gab Malcolm McLaren mit den Sex Pistols, aber die waren eine ganz eigene Lebensform. Buzzcocks, The Damned, The Clash, The Stranglers, The Ramones, The Saints, Stinky Toys, UK Subs: Diese Bands erfanden sich selbst, ganz ohne Hilfe von Malcolm. John Savage denkt, dass das alles eine Kunstbewegung gewesen sein musste, die von cleveren Künstlern konzeptioniert wurde. Aber wir haben uns das selbst erschaffen.

Du warst dabei, als die Sex Pistols aufkamen. Was dachtest du damals über sie?

Ich mochte ihre Konzerte, weil du nie wissen konntest, was als nächstes passieren würde. Es war sehr provokant – wie wir das auch waren. Es war heftig zu sehen, wie das Publikum mit einer Band konfrontiert wurde, der nicht nur egal war, ob sie populär war oder nicht, sondern die das Publikum regelrecht als Gegner sah. Besonders, wenn das Publikum die Show nicht genoss. 1976 konnte man dem Publikum oft dabei zu sehen, wie es bei der Hälfte des Sets zur Türe spaziert, plötzlich stand man nur noch vor den halben Leuten. Am Schluss war fast keiner mehr übrig. Vor allem außerhalb Londons war das so: Die Leute kamen, weil sie sehen wollten, was es mit diesem Punk-Ding auf sich hatte. an fühlte sich wie ein Tier im Zoo, wurde angegafft. "Schau dir mal diese Idioten an!" Die Musik zu jener Zeit war so anders zu dem, was damals populär war. Uns war das egal, je mehr wir die Leute empört hatten, desto lustiger fanden wir es.

Konntest du damals mit dem Begriff "Punk" etwas anfangen?

Als ich mit Brian [James] eine Band gründete, fragte er mich nicht, ob ich eine Punk-Band machen wolle. The Clash, The Sex Pistols und The Damned: Wir alle sahen uns nicht als Punk-Bands, die Punk-Bewegung gab es zu dieser Zeit noch nicht. Manche Journalisten versuchten, uns unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen und erfanden diese Szene. Wir sahen The Clash und Sex Pistols nicht als Rivalen, aber wir hielten auch nicht viel von ihnen. Wir mochten einfach nicht, was sie machten. Wir dachten, wir seien viel besser – das dachten sie auch bestimmt von sich. Damals dachten wir, dass wir etwas grundlegend Verschiedenes machte. Heute, vierzig Jahre später, kann man erkennen, dass es schon etwas Ähnliches war. Aber diese Aversion gegen Stadion-Rockbands wie Genesis, Yes und Emerson Lake and Palmer – wir wollten alle etwas anders machen und klangen deswegen ähnlich. Es war einfach adrenalingeladener Rock.

Gegen Pink Floyd hattet ihr hingegen nichts, oder? Schließlich hat ja Pink-Floyd-Drummer Nick Mason euer zweites Album produziert.

Nun, ich mochte Pink Floyd nicht. Aber ich mochte Syd Barrett. Er war ein unglaublich kreativer Typ, sehr einflussreich. Die ersten beiden Alben sind Meisterwerke.

Gearbeitet habt ihr mit Barrett aber nie.

Nein, aber es wäre fast passiert. Wir wollten, dass er unser zweites Album produziert. Wir hatten den selben Publisher. Wir warteten auf Syd, aber er kam nicht. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich umgänglich. Er war nicht interessiert, er blieb lieber zuhause und malte. Aber ich hab mich immer gefragt, wie das geklungen hätte.

Euer zweites Album "Music for Pleasure" stieß bei seiner Veröffentlichung nicht überall auf Gegenliebe. Wie hast du das empfunden?

Ich war wütend. Es war mein Traumjob, in einer Band zu spielen und ich wollte nicht wieder Toiletten putzen müssen. Ein Album, dass ein Kritikerflop war, fühlte sich für meine künftige Karriere nicht gut an. Ich war echt enttäuscht. Ich konnte mir das Album auch selbst nicht anhören, der Sound war zu perfekt, es klang klinisch. Es hatte nicht den Vibe vom ersten Album, das rau und manisch war. Das zweite hatte genau das aber nicht. Ich kann es mir heute nicht anhören, ich hab nicht mal eins bei mir im Haus.

Es gab ja auch eine Phase, in der Lemmy euer Bassist war. Kannst du darüber etwas erzählen?

Nach dem zweiten Album, das Nick Mason produziert hatte, löste sich The Damned auf. Brian machte sein eigenes Ding, wir spielten alle in diversen Bands, waren aber alle pleite. Irgendwann rief mich aber Rat Scabies [damaliger The-Damned-Drummer, Anm.] an und fragte, ich wieder einen Gig mit The Damned spielen wolle. Ein schnelles Line-up aufstellen, ein paar mal proben und etwas Kohle machen, um die Miete bezahlen zu können. Ich sagte sofort ja – und wir gingen in die Portobello Road, um zu sehen, ob Lemmy nicht gerade in seinem Lieblingspub saß. Das tat er natürlich. Er sagte zu, dass er die Gigs mit uns spielen würde. Die Konzerte liefen so gut, dass wir eine Zukunft darin sahen. Lemmy hatte aber Motörhead, also mussten wir uns doch einen anderen Bassisten suchen. Wir fanden Algy und nahmen "Machine Gun Etiquette" auf. Lemmy hat also The Damned gerettet. Seit damals waren wir gute Freunde. Wir haben eine gemeinsam Single aufgenommen, "Motör Damned". Wir waren so besoffen, Motörhead haben sich im Studio gegenseitig verprügelt. Es war echt amüsant.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The Damned

Die Londoner The Damned gelten als eine der wenigen Punkbands, die neben dem eigenen Genre auch den Gothic-Rock beeinflusst haben. Einzige Konstante der …

Noch keine Kommentare