8. September 2014

"Es erwischte die Cops direkt am Hinterkopf "

Interview geführt von

Einer der größten Rockmusiker aller Zeiten, Robert Plant, hat ein neues Album eingespielt. Er ist kurz in Berlin und hat Bock, mit jemandem zu reden, und das sind wir, nur wir. So weit, so toll. Trance meets Rock, steht im Pressetext. Oh weia, denke ich.

Am nächsten Tag ist es sauheiß, im Zehnminutenabstand bekomme ich SMS mit Autogrammwünschen - erst von Freunden, dann von deren Eltern. Aufregend! Der Interview-Ort im Sofitel ist eine schlauchartige, edel ausgestattete Suite. Erstes Aufatmen, dass die teure Stereoanlage überhaupt die noch schnell gebrannte CD der Managerin abspielt. Denn das Label hat mir vor dem Interview keine Musik geschickt. Bin also erst mal eine Weile allein und höre mir die neue Platte an.

Kaum ein krasserer Kontrast wäre möglich: Die Musik ist erdig, spirituell, mystisch und mit Bristoler Trip-Hop unterlegt. In jedem Song gibts nordafrikanische oder orientalische Folkelemente, dazu Robert Plants vielbeschriebene Stimme, die sich darin angenehm einwickelt. Die Musik klingt nach rasenden Wolken, Araberpferden und endlosen Plateaus. Hier gibts nur ein viel zu glattes Ledersofa, von dem ich ständig ungelenk abrutsche und gebügelte, blütenweiße Tischdecken mit Kosmetiktuchspendern obendrauf. Das passt nicht zusammen. Ich verziehe mich aufs doppelbettgroße Fensterbrett und gucke dem Himmel über dem Kurfürstendamm zu. Die Platte wird immer besser. Auftritt Robert Plant - tiefenentspannt, in leichten Sommersachen und mit Matschauge.

Plant: Entschuldigung, ich sehe komisch aus. Gestern haben mich Moskitos attackiert (zieht sein T-Shirt hoch), hier hab ich lauter Stiche und gemeinerweise auch einen direkt auf dem Augenlid.

Das tut mir leid, wir müssen ja keine Fotos machen. Wie war dein Gig gestern in Berlin?

Plant: Och, naja, es ging. Dieses alte Gemäuer ... Es war ein bisschen wie auf einer Hochzeit. Die Leute haben Händchen gehalten und solche Sachen.

Gestern gabs auch viele Fans in Led-Zeppelin-Shirts. Wenn du jetzt auf der Bühne stehst, hast du dann manchmal Spaß daran, Erwartungen zu unterlaufen?

Plant: Ich weiß doch eigentlich gar nicht so genau, was die Leute von mir wollen. Was genau soll ich denn machen? Bin mir da gar nicht so sicher.

Auch nicht, wenn sie immer mal wieder "Whole Lotta Love" brüllen? Erinnerungen sind ja eine mächtige Sache. Wenn die schön sind, dann will man die doch unbedingt wiederholen.

Plant: Klar, das stimmt. Die Leute haben Erinnerungen - und ich natürlich ebenfalls! Ich würde die auch gerne wiederholen, aber das kann ich nicht selber machen. Das ist ein sehr schizophrener Zustand, weil ich persönlich auch gerne auf ein Konzert gehe, einen Künstler anschaue und mich von der Geschichte verführen lassen will. Ich will wieder spüren, was diese Songs mir bedeutet haben, aber ich will das auf keinen Fall selbst für jemand anderen machen. Es ist ziemlich unfair, diese Gleichung geht nicht auf. Das ist nicht sehr schön.

Schon okay, du willst ja auch was davon haben.

Plant: Ich kann zu Hause bleiben oder die ganz große Nummer schieben, weißt du. Ich weiß auch nicht, es ist irgendwie ganz schön selbstsüchtig. Aber wo wären wir denn, wenn wir nichts Neues schaffen würden? Dann gäbs doch gar nichts!

Gestern hast du auch alte Nummern gespielt, aber fast zur Unkenntlichkeit verändert. So, dass die Leute einen Wiedererkennungswert haben, aber vielleicht erst nach vier Minuten. Im Blues zum Beispiel wird dieses Stilmittel ja über Jahrzehnte hinweg eingesetzt: Die Songs und Geschichten, die damit erzählt werden, ändern sich ständig von Erzähler zu Erzähler, aber der Kern bleibt identisch.

Plant: Klar, und die Erzähler polieren sie dann auf, machen sie wieder spannend. Aber wir sind nicht Aladdins Wunderlampe. Das Medium selbst kann ein bisschen glitschig werden. Und wenn du dich in eine Art Wochenend-Handwerker verwandelst, oder noch schlimmer - in einen Händler, dann ist eh alles vorbei, oder? Wenn du mal deine Gabe derart in Form gebracht hast, kannst du direkt durch dein eigenes Rektum verschwinden. Flupp! Einfach durch Wiederholung. Also ist es gut, alles mal aufzumischen. Und ich hab ja auch keine Riesenerwartungen mehr an eine große Gefolgschaft am Ende. Dafür ist es zu spät, das hab ich schon erlebt - und das war gut so. Was mir jetzt gut gefällt, ist, wenn Menschen kommen und meine Selbstsucht teilen möchten.

Ich glaube, wenn es kitschig wäre und du mit aller Kraft zwanghaft irgendwas Neues an den Start bringen wolltest, dann wären die Leute natürlich enttäuscht. Aber das habe ich nicht gehört. Es war immer noch wahnsinnig kraftvoll und geerdet.

Plant: Ah, schön. Ich glaube, das liegt daran, dass wir als Band eine Gemeinschaft sind, die absolut unbezahlbar ist. Ich habe ein Riesenglück.

Ich hatte auch den Eindruck, dass ihr euch gegenseitig den Raum zur Entfaltung lasst - also, wenn da ein schön klingendes Instrument im Vordergrund steht, hat man wirklich das Gefühl, nur dieses erzählt gerade etwas. Deine Stimme ist auch sehr zurückhaltend, beinahe sanft. Das hat mich etwas überrascht.

Plant: Weißt du, es gibt doch nichts Schlimmeres, als typisiert zu werden, und genau das ist mir in den letzten Jahrzehnten passiert, bis ich vor einigen Jahren angefangen habe, mit Alison Krauss zu arbeiten. Dann habe ich angefangen - naja, wie ein guter Junge zu singen. Ich hatte plötzlich Lust auf Melodie. Ich wollte durch die Melodie Liebe machen. Jetzt ist mein expressiver Gesang auf der Bühne ein bisschen so wie 1970. Aber ich wollte sicher gehen, dass er auf ein bestimmtes Gefühl zurückgeführt wird.

Und was für eins ist das?

Plant: Also, Esther Philipps hatte 1970 mal einen Cut auf Atlantic, der hieß "From A Whisper To A Scream". Genau das ist es! So sollte ein guter Sänger mit Gefühlen umgehen, aber gleichzeitig auch breit aufgestellt sein.

Diese Tour hast du aber nicht hier begonnen, sondern in Rabat, in Marokko. Wie hast du das wahrgenommen, vor allem vor dem Hintergrund der regionalen Umwälzungen der letzten Jahre?

Plant: 'Misdien besaf': Es war wunderschön. Seit 40 Jahren reise ich immer wieder in Marokko, aber nie so weit nördlich. Mit 20 war ich mal in Tanger, aber ich habe mich doch immer eher im Süden rumgetrieben. Es ist ein sehr kultiviertes, zeitgemäßes Marokko.

Welches hat dir besser gefallen? Ich würde mal behaupten, das ungezähmte liegt dir eher, oder?

Plant: Ja, ich mag das Zerklüftete, Zerzauste lieber. Ich mag den Schneid eines Volkes, das sich auf der Durchreise befindet. Auf einer Straße findest du mittelalterliche Einstellungen und Zeitgeist-Denken, all diese Dinge passieren gleichzeitig. Ich finde das unheimlich spannend, an einer Kreuzung zu sitzen und mittendrin diese Melange aufzusaugen.

Was nimmst du davon mit in deine Musik?

Plant: Ich überlege mir, ob Lebenseinstellungen parallel laufen oder kollidieren. Wenn man ein Teil dieser Gesellschaft ist, dann ist man sich vielleicht umso mehr bewusst, woher man kommt und wie weit man sich davon entfernt. Transitionsbewegungen sind eine spannende Sache, mit der ich mich gerade gerne beschäftige. Aber trotzdem muss ich zugeben: Eigentlich habe ich überhaupt keine Ahnung, was um mich herum passiert. Ich sehe ja immer nur winzig kleine Ausschnitte.

Ist das oft der Fall, wenn du reist? Ich meine jetzt nicht nur privat, sondern auch im Tourkontext - kann man das alles noch einordnen oder sich selbst verorten?

Plant: Nö.

Es gibt doch bestimmt Momente, in denen das Karussell angehalten wird - in denen du dich nicht fühlst, als seist du ständig auf der Weiterreise, sondern nur hier im Moment?

Plant: Die Frage ist schwierig. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, völlig zu begreifen, wo man ist oder das völlig auszuschöpfen. Es wäre falsch für mich zu denken, dass ich irgendeine Ahnung über etwas haben könnte außer meinem eigenen Zuhause. Und selbst das ist doch personalisiert auf einen Zehnkilometer-Radius, in dem ich aufwache.

Ist das so ein Altersding? Wenn man 22 ist, denkt man, man weiß wie alles läuft ...

Plant: Das ist ja auch super, aber stimmt natürlich überhaupt nicht. Und außerdem haben wir alle eingebaute Vorlieben in unserer Psyche, die uns glauben lassen wie Dinge sein sollen. Und das färbt dann ein, wie etwas tatsächlich ist.

Wenn ich dann also mit dem Led Zeppelin-Shirt aufs Robert Plant-Konzert gehe und unbedingt 'Black Dog' hören will ...

Plant: (grinst) ... dann wirst du dich vielleicht später nur noch daran erinnern, ja.

Okay, und wenn du jetzt von einer Reise zurückkommst, dann schätzt du einerseits mehr, was du zurückgelassen hast - und andererseits verändern auch deine Reiseerfahrungen genau diesen Ort, oder?

Plant: Das stimmt, besonders für Künstler. Die große Gabe der Voraussicht und jahrhundertelange Erfahrung des Kommens und Gehens führen zu einer total abgefuckten, falschen Sichtweise. Musiker sind genau deswegen ganz schlechte Sprachrohre für die Umstände, in denen sie agieren, glaube ich.

Macht doch nichts, dafür machen sie Musik.

Plant: Ja, aber über Musik zu reden, ist einfach keine so tolle Idee. Es kommt natürlich auf den Ansatz an, aber wenn wir jetzt nur über Instrumente und Textbausteine reden würden, wäre das doch langweilig. Denn egal wie wir uns bemühen, kannst du doch genauso wenig in meinen Kopf schauen wie ich in deinen.

Verstehe, aber wir können doch auch über deine neue Musik reden, ohne genau darüber zu reden. Mir wäre das ehrlich gesagt auch lieber, weil ich erst ein einziges Mal reingehört habe und lieber wissen will, was davor passiert ist, als welches Instrument wo benutzt wurde. Es geht eher um die Erfahrungen davor und ums Reisen. Okay?

Plant: Ja, gerne. Die Sache mit dem Reisen ist: Ich bin ja so eine Art Rammbock. Zack, verlasse ich meine Heimat und gehe in eine andere Welt. Das ist dann mein neues Morphin, aber tatsächlich ist das ein sehr flaches High. Meine ganze Infrastruktur schwamm und trieb vor sich hin, es gab keine Wurzeln. Wenn ich jetzt an diese Songs auf dem neuen Album denke, dann finde ich, dass sie die absolute Vollkommenheit des Ortes verkörpern, aus dem ich komme. Also den Geist und die Seele dieses Ortes. Ich stamme eben aus diesem Zehnkilometer-Radius, diesem kleinen Fleckchen.

Tja, und ich war viel in der Welt unterwegs, hab gesagt: Yep, jetzt kauf ich mir ein altes amerikanisches Polizeiauto, mal es dunkelblau an und fahr damit raus in die Wüste, nach Texas und immer weiter, weiter, weiter. Und plötzlich halt ich an und denke: Nee, ich kann das nicht - wo sind Odin und Arthur? Ich muss wieder zurück, tschüss zusammen! Und ich hinterlasse ein riesiges Vakuum und eine Spur an Leuten, die sich fragt: "Tja ... was lief denn da schief?"

Gar nichts lief schief.

Plant: Nein! Alles war super. Ich war nur nicht zu Hause.

"Gegen ihn sah ich aus wie ein Shrimp"

Als du nun kürzlich mit diesem alten Auto unterwegs warst, hast du gesagt, du wolltest versuchen, den Süden der USA anhand der Radiomusik charakterisieren - hat das geklappt?

Plant: Naja, es gibt einen Song namens "Turn It Up" auf dem neuen Album, der von den rechten, faschistischen, extrem konservativen AM-Radiostationen handelt. Für die Leichtgläubigen und Naiven sind die wahnsinnig verlockend und ganz selbstverständlich. Es gibt ein riesiges Vakuum in der Gesellschaft, es ist echt beängstigend, diesem Quatsch zuzuhören. Und dann ist das Ganze auch noch gesponsert, also bieten Unternehmen ihre Produkte drumherum an - schon gruselig. In Mississippi gab es jedenfalls eine Menge loser Enden an Leben.

Da können die Leute nicht weit zurückschauen, bevor sie der Schmerz erreicht. Die Ankunft von denen, die jetzt Afroamerikaner genannt werden, der Untergang der Uramerikaner. Ich als Brite war mir dessen zwar bewusst durch Songs - ich konnte es nachahmen, ich konnte dir die Geschichte von Robert Johnson erzählen und wie viele Tage er vergiftet auf Händen und Knien verbracht hat, bevor er sterben musste, aber ich hatte keine echte Ahnung von der Gesellschaft dort. Alles was ich hatte war eine kleine Vignette, ein winziges Fenster, als ich da war. Dabei war ich ja schon tausendmal da unten am Mississippi. Aber diesmal hatte ich eben keine Konzerte geplant, keine Freunde zu besuchen und habe deshalb angefangen, diesem Soundtrack weißen Lebens zuzuhören. Ich hab nur das Radio angemacht und sah diese seltsame Welt - und den Willen zum funktionierenden Zusammenleben oder eben nicht.

Hats denn funktioniert?

Plant: Nein. Ich habe nur Angst gespürt und gesehen. Angst vor dem anderen, vor dem Unbekannten. Und weißt du, vielleicht wird sich das Problem ja in drei bis vier Generationen erledigen.

Das sagt man aber immer, wenn man sich zu Lebzeiten nicht mit Lösungen auseinandersetzen will.

Plant: Ja, aber dann wird Amerika noch deutlich dunkler sein als jetzt. Ich wäre so gerne noch da, um das zu sehen ... Meine Kinder sind dunkelhäutig. Sie sind zum Teil indisch und haben sich immer viel Scheiße anhören müssen - du weißt schon, so hinter vorgehaltener Hand.

Wie ätzend. Dafür fällt man auf der Südhalbkugel kaum auf, das kann auch Vorteile haben.

Plant: Ja! Ich war im Atlasgebirge mit meinem älteren Sohn und habe einen ländlichen Markt besucht - nahe Astne auf dem Weg zu einem der Pässe. Da habe ich ihm eine Jelawa zum Anprobieren gegeben, komplett mit Kapuze und allem Drum und Dran. Und die ganzen marokkanischen Bauern kamen vorbei und zogen anerkennend Luft durch die Zähne, fingen an, ihm im Gesicht herumzuzupfen und haben ihn lauter Sachen gefragt - wie alt, welches Dorf, schon verheiratet? Ich sagte zu ihnen im meinem ganz gebrochenen Arabisch: "Nein ... er ist Engländer!" Und er sagte nur: "Papa, hol mich aus diesem Scheiß-Ding raus! Gib mir verdammt nochmal 'ne Chance!"

Wie arbeitest du die Erlebnisse und Gefühle auf Reisen in deine Musik ein?

Plant: Ich mach die Augen zu und lebe noch mal durch alle Gefühle durch.

Führst du Tagebuch, wenn du auf Reisen bist?

Plant: Nee, lieber nicht. Und auch kein Scrapbook, ich bin auch kein Eintrittskarten-Einkleber, wenn ich reise. Ich versuche, alles ganz kurz zu halten, ich mach mir winzig kleine Notizen, die sind dann nicht mal einen Absatz lang. Das reicht. Der Rest ist Phantasie.

Noch mal zu diesem bestimmten Schmerz, den man im Mississippi-Raum spüren konnte ...

Plant: Niemand redet darüber so richtig. Aber die Gemeinschaften kommen einfach nicht voran, es gibt nicht mehr viel Bewegung im Sinne von Migration. Das heißt, man kennt sich von der Geburt bis zum Tod und hat eine gemeinsame Geschichte. Und der Großteil der Menschen macht das Beste draus und versucht, über diese Zögerlichkeit und das Misstrauen hinwegzukommen. Also - es kommt vielleicht ein wenig ins Tanzen, so wie ich das beurteilen kann. Ich habe eine Freundin da, die das Tennessee Williams-Festival jedes Jahr mitorganisiert. Sie ist eine pensionierte Journalistin und eine großartige Vermittlerin zwischen schwarzen und weißen Gemeinschaften dort. Was ich von ihr gelernt habe, ist Folgendes: Am Ende wollen doch alle glücklich sein. Selbst der übelste Motherfucker will am Ende des Tages lächeln.

Wie transportiert sich dieses Gefühl in der lokalen Musik, von der du dich für das neue Album hast inspirieren lassen?

Plant: Eine Menge geht immer nur darum, am Cent und am Dollar zu hängen. Da gibt es viel Juke Joint-Grind. Dan Auerbach von den Black Keys hat vor ein paar Jahren einen Haufen Remixes auf Fat Possum Records mit den alten Jungs gemacht, mit R. L. Burnside und Junior Kimbrough. Er hat einen aufzuckenden, unablässigen schwarzen Blues genommen, ihn übersteuert und dann in Stücke geschnitten und zu etwas ganz anderem gemacht. Das war ne gute Sache, weil die alten Typen so noch mal einen Tag in der Sonne genießen konnten. Aber eigentlich war es Dans Verdienst, er hat das ganze teleportiert und ein bisschen verdreht.

Der leicht ironische Slogan von Fat Possum Records ist ja auch "We're trying our best". Die spielen ja mit ihrem Trash-Image.

Plant: Genau. Aber ansonsten - tja, es gibt 'ne Menge schwarze Angebermusik da, das kommt von woanders. Das muss sich ... die Ideen sind ihnen ausgegangen.

Wie gut kennst du die Gegend?

Plant: Ziemlich gut seit unserem ersten Besuch 1970, als sie uns die Schlüssel für die Stadt Memphis gegeben haben. Und zwar dreimal!

Falls ihr ein Paar verliert?

Plant: Sie haben uns die Schlüssel zu Led Zep-Zeiten gegeben. Die Cops waren damals ziemlich hart zu den Kids und als die bei unserem Konzert dann aufgesprungen sind um ein bisschen zu schreien und zu hüpfen - da war so viel Enthusiasmus, eine wahnsinnige Energie in dieser Jugend - da schlugen die Cops hart zurück und gingen auf sie mit ihren Schlagstöcken los, einfach so. (lehnt sich gefällig zurück)

Aber ich war ziemlich gut darin, das Mikro genau so zu schleudern, dass es die Polizisten direkt am Hinterkopf erwischt hat. Also drehten sie sich um und wollten es mir richtig geben, mit denselben Stöcken. Während wir noch die Schlüssel für Memphis in der Hand hielten, wurde ich quasi schon verhaftet! Seitdem bin ich immer wieder nach Mississippi zurückgekommen. Zunächst, als ich noch in der Schule war, um Waschbrett und Harmonika zu spielen - und dann, um nach Robert Johnson zu suchen, so wie alle anderen. Und ich hab ihn gefunden, in einer gewissen Art und Weise.

Seinen Geist?

Plant: Seine Geschichte, das auf jeden Fall. Gerade hat die Regierung in Nord-Mississippi diese riesigen Spielcasinos überall genehmigt und subsidiert. Zuerst hieß das, dass die Leute beim Bau beschäftigt waren und dann brauchten diese Dinger später ja auch Personal. Ganz toll. Vorher war da einfach nur Baumwolle, Baumwolle, Baumwolle überall, für Meilen nichts anderes als diese Farmen und kleine Siedlungen. Die erstrecken sich dann in diese riesigen Gewässer voller großer, böser Schlangen und dem gelegentlichen toten Stinktier auf der Straße.

Und Robert Johnson's Urenkel spielt dort Blackjack?

Ich bin dort ein bisschen auf Entdeckungsreise gegangen und fragte einen Typen auf einem Traktor, der gerade die Baumwolle besprühte: "Ich suche nach jemandem, der in den 1930er Jahren ein Kind gewesen sein könnte". Er kannte den damaligen Limousinenchauffeur des Plantagenbesitzers, dem hier in der Gegend alles gehörte. Als ich bei ihm klopfte, stand da in der Tür ein gigantischer Kerl - gegen ihn sah ich aus wie ein Shrimp!

Ich fragte ihn aufgeregt: "Kannten Sie vielleicht Robert Johnson?" Und er erwiderte: "Jede Woche fragt mich das irgendjemand. Meistens sinds Schweden." Er erzählte, dass er da drüben neben einer Kirche gelebt hatte, die ein Hurricane mitgerissen hat, ein guter Junge war und so weiter. Und dann sagte er plötzlich: "Aber wer absolut kein guter Junge war, war Sonny Boy Williamson!" Und ich: "Oh wow! Sonny Bonny Williamson! Der ist mein Held!" Ich hab seinen Grabstein im Unkraut neben einer Ackerkirche in den Büschen gefunden, weil er nämlich ein so übler Typ war, dass man ihn nicht an der Straße beerdigen wollte. Die Steine waren halb eingesunken. Irgendjemand aus New York war zuvor hier und hatte für ein paar kitschige Paraphernalien bezahlt: Ein Relief seines Gesichts in Stein, ein paar hässliche Plastikblumen und ein kleines Plakat mit seinen größten Platten.

Alles ist überwachsen mit Disteln, und man muss einen winzigen Pfad ins Gestrüpp dahin nehmen. Ich wollte unbedingt da hin, und dabei habe ich panische Angst vor Schlangen und anderem Viehzeugs. Und als ich dann endlich an seinem Grab ankam und seine Harmonica auf dem Boden sehe neben lauter leeren Schnapsflaschen, und dachte - yes, da ist er! - greift mich plötzlich eine riesige Armee fliegender Ameisen an.

Das waren seine Truppen!

Plant: Ja! Und natürlich bin ich erst mal geflüchtet, aber es ließ mich nicht los. Das nächste Mal bin ich wieder hingegangen; diesmal waren es Hornissen! Das kommt, weil ich so viele Ideen von Sonny Boy gestohlen habe, und er sie wahrscheinlich auch von anderen gestohlen hat. Also, es gibt da diese Kette an Naturphänomenen, die zurückkommt, um dir in den Arsch zu beißen.

Und jetzt die Moskitos, siehst du?!

Plant: Yeah, yeah. Die kamen, weil ich gestern in Berlin Kurt Vile sein wollte, oder warte mal - wer wollte ich gestern Abend noch mal sein? Marlene, glaub ich. Tja, und ständig passieren solche Sachen. Es ist verrückt zu denken, dass mich das jemals scheren würde, aber ... du bist mitten im Nirgendwo, und plötzlich taucht ein Pärchen am Straßenrand auf. Sie sind hellhäutig, ich mach das Fenster runter und sie kennen mich - sie sind aus Schottland, und sie suchen nach Robert Johnson. Solche Sachen machen mich immer nachdenklicher.

"Ich bin ein unglaublich femininer Typ"

Würdest du dich selbst als spirituell bezeichnen?

Plant: Ja, möglicherweise. Von Tag zu Tag mehr. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich nach England zurückgekehrt bin, um den Grünen Mann anzufassen, wieder den Waldgeistern näherzukommen.

Dann kannst du dir sicher viele Geschichten mit den nordafrikanischen Musikern von den Sensational Space Shifters erzählen, oder? Ich habe gelesen, dass der blinde Vater einer deiner Ritti-Musiker angeblich von einem Geist unterrichtet wurde.

Plant: Oh ja, von den Griots zum Beispiel. Ein magisches Volk! Man sagt ja auch, dass Robert Johnson diesen Deal mit dem Teufel eingegangen ist ...

... der Teufel hat ihm den Blues beigebracht im Tausch gegen seine Seele, eine Art faustischer Pakt ...

Plant: Genau, nur stammen diese Geschichten alle von den Religionen an der Westküste Afrikas. Da ist eine Menge Juju im Spiel, wenn dir jemand erzählt: Diese Gitarre hab ich in den Busch gesteckt, und sie kam fertig gestimmt wieder raus - ist doch ein großartiges Verkaufsargument! Johnson war ja auch nicht der erste Typ, der das getan hat, das geht an den Anbeginn aller Zeiten zurück.

Dinge, die nicht sein können, sind eben viel faszinierender als die Realität.

Plant: Und wenn man im Umkehrschluss nichts mehr will, dann verliert die ganze Welt ihre Magie.

Wo wir gerade bei Übersinnlichkeit sind: Hast du schon mal von Oum Kalthoum gehört?

Plant: Ohh, die größte arabische Sängerin aller Zeiten! Sie ist unglaublich, und jeder, jeder aus der Region liebt sie. "Alf Leyla wa Leyla" ist mein Lieblingssong, auch wenn er über eine Stunde lang ist. Stell dir vor, ich habe ihren Akkordeonspieler kennengelernt, der spielt nämlich für meine Tochter. Sie unterrichtet arabischen Tanz. Wenn sie mit ihrer Truppe in London auftritt, lädt sie sich manchmal Leute aus Oum Kalthoums Ensemble dazu ein.

Vor ein paar Monaten war ich dann bei ihrem Auftritt und gratulierte dem Akkordeonspieler: "Wow, du spielst so intensiv, ich muss manchmal echt fast weinen!". Und weißt du, was er gesagt hat? "Ich muss auch immer heulen, wenn ich spiele!" Hahaha! Aber er hat Recht, wenn du mit einem Instrument die richtigen Schallreflexionen in einem Raum erzielen kannst, dann bringt es dich echt fast um. Leider hab ich sie selbst nie gesehen.

Sie hat ja auch auch auf der schlechtesten Aufnahme noch magische Charakteristika in ihrer Stimme. Und sie singt ausschließlich über Liebe, die nicht sein kann. Ich habe mir uralte Konzertaufnahmen aus Kairo angeguckt, aus den 50er Jahren. Da sieht man, wie das Publikum in ihren feinen Abendanzügen fast in Ohnmacht fällt, aufspringt und schreit, wenn sie in einer ganz bestimmten Art und Weise die Worte "mein Leben" singt. Es scheint die Leute regelrecht zu zerreißen.

Plant: Und dann musst du dir noch vorstellen, dass das zum gleichen Zeitpunkt auch in Bagdad, in Jerusalem und in Tunis passiert ist, weil die monatlichen Konzerte ja im Radio übertragen wurden. 1981 hab ich in Australien gespielt und bin dann dort auf ein Fairouz-Konzert gegangen. Ihre Stimme war wundervoll zu diesem Zeitpunkt, rund und einmalig schön. Sie hielt sich für gefühlte fünf Minuten an einem Ton fest, loopte ihn immer wieder - und urplötzlich ließ sie ihn fallen. Und der Saal drehte durch! Es gab fast einen Aufstand. Und ich dachte nur, scheiße, ich bin angelsächsisch, wie ist das passiert? Ich will das auch können! Ich brauche die Waldgeister, aber diese Art von Magie auch!

Wer sagt, dass du sowas nicht kannst? Ich wollte gerade fragen, ob du dir bei solchen Stimmen vielleicht auch etwas abgeguckt hast ...

Plant: Ich habe mir definitiv eine Menge abgeguckt. Ich bin ein Dieb, der sich gut in andere Emotionen hineinstimmen kann. Und ich bin ein Voyeur. Ich habe eine Riesenmenge Wasser in mir. Ich bin ein unglaublich femininer Typ. Jede Frau, die mich gut kennt, sagt, dass ich mehr Frau bin als die meisten anderen Frauen, die sie kennen! Ich liebe Drama und Schönheit, weißt du? Das ist doch alles wunderschön, das darfst du doch nicht verstecken. Das macht dein Leben so viel reicher. Ich meine, ich bin nicht verliebt in andere Männer, aber einfach total verliebt in die Liebe, Leidenschaft, Emotionen. Das ist vielleicht mein Kapital.

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