28. Juni 2013

"Labels verkaufen dumme Musik an dumme Leute"

Interview geführt von

Wie viel sollte ein Künstler von sich preisgeben? Tötet finanzielle Sorglosigkeit die Kreativität? Wer legt noch Wert auf Skills? Wie langlebig ist ein Trend? Und wer ist überhaupt dieser Teddy Pendergrass? Fragen Sie R.A. The Rugged Man!Das No Stress Festival 2013 neigt sich seinem Ende entgegen, doch am Sonntagabend steht noch ein großes Finale auf dem Plan. Bevor Headliner Redman dem außergewöhnlichen Hip Hop-Event einen amtlichen Abschluss beschert, gibt R.A. The Rugged Man mit Snowgoons-Mitglied DJ Illegal im Rücken eine nicht minder intensive Show.

Obwohl das New Yorker Rap-Urgestein erst 30 Minuten vor dem Gig auf der Waldlichtung ankommt, bleibt noch Zeit für ein Interview. Wir sprechen über sein lang ersehntes Zweitwerk "Legends Never Die", Zielgruppen, Trend-Rapper und radikale Kompromisslosigkeit.

Wie gehts dir? Bist du direkt aus New York nach Göggingen gekommen?

Mir gehts gut. Ich habe gestern Abend schon in Münster gespielt, das war schön.

"A brand new R.A. The Rugged Man album, this is a historical moment." Das fragt wahrscheinlich jeder: Wieso hat es so lange gedauert?

Weil ich die richtige Situation für ein Album gebraucht habe. Es ist ja nicht so, dass ich keine Musik rausbringe, ich habe in den letzten paar Jahren 50 Songs veröffentlicht. 2009 gab es "Legendary Classics" mit acht oder neun Songs, die nie erschienen sind. Dazu kamen noch ein paar Kollabos. Insgesamt gab es also wirklich viel neues Material. Aber ein Album bedeutet eben sehr viel Arbeit, wenn du kein Budget hast, schon alleine die Promotion. Und eigentlich rappe ich lieber und lebe mein Leben. Ich bin ein Rapper, ein MC, es geht dabei nicht immer nur um Alben.

Zwischen "Die, Rugged Man, Die" und "Legends Never Die" lagen Jahre. An mangelnder Begeisterung der Fans kann es ja nicht gelegen haben. Eher an der Zurückhaltung der Labels?

Nein, warum sollte das Label bei solch einer Platte länger warten?

Das war also allein deine Entscheidung?

Ja.

Bist du mit den Jahren ruhiger geworden oder immer noch so kompromisslos im Umgang mit der Industrie, wie man sich erzählt?

Na, ja. Hast du das Album gehört? Das beantwortet diese Frage.

Hast du denn immer noch Hausverbot bei irgendeinem Label?

Manche Leute in New York wollen mich nach wie vor nicht auf ihrem Grundstück sehen. Aber es gibt mittlerweile schon deutlich mehr, die mich in ihre Häuser lassen, als noch vor ein paar Jahren.

Du betonst deine "100 percent creative freedom". Kümmert dich überhaupt nicht, ob dabei am Ende ein vermarktbares Produkt heraus kommt?

Wenn ich meine Musik zu 100 Prozent so mache, wie ich will, wünsche ich mir schon auch, dass sie gehört wird. Ich möchte keine Platten aufnehmen, die sich nur ein paar Leute aus der Nachbarschaft anhören. Das sollen schon weltweit möglichst viele Menschen mitbekommen.

"Hater sind sowieso nur eifersüchtig."

Meine Kollegin erzählte mir, sie habe in einem Moment, bei "Shoot Me In The Head", noch Tränen gelacht, und im nächsten, "Daddy's Halo", vor Rührung heulen mögen. Waren solche krassen Stimmungswechsel beabsichtigt?

Ja. Ich will vermeiden, dass die ganze Tracklist nach derselben verdammten Platte klingt. Bei manchen Songs werde ich albern, bei manchen nicht. Das ist gut so. Das ist, wie wenn du in Wirklichkeit mit mir abhängst: Manchmal bin ich sehr ernst, manchmal mache ich Witze.

In welchem Zeitraum sind die Songs überhaupt entstanden? Haben sich über die Jahre viele angesammelt, aus denen du dann ausgewählt hast, oder gab es eine Art kompakter Entstehungsphase?

Es haben sich einige angesammelt. Insgesamt hatte ich fast dreißig Songs. Manche Samples konnten nicht geklärt werden, manche Songs passten nicht zur Stimmung der Platte. Der letzte Song, den wir für die Platte aufgenommen haben, war "Bang Boogie". Und ich glaube, der allererste war "Still Get Through The Day".

"Legends Never Die" ist ein Liebeslied an deinen verstorbenen Vater - persönlicher gehts ja kaum noch. Wie viel von seinem Privatleben sollte ein Künstler nach außen kehren?

Diese Entscheidung muss alleine der Künstler treffen. Je nachdem, wonach ihm zumute ist. Manche Künstler wollen kein bisschen Privates preisgeben, das ist ihr gutes Recht. Andere erzählen alles, das in ihrem Leben so vorgeht, auch das ist legitim. Es hängt immer davon ab, was der Künstler geben möchte. Das ist wie in einem Gespräch: Wie viel willst du über dich selbst erzählen? Das ist deine Entscheidung.

Macht man sich nicht auch extrem angreifbar, wenn man seine Fans durch sein emotionales Wohnzimmer latschen lässt? Zumal dann ja nicht nur die Fans kommen, sondern auch die Hater.

Ach, ganz ehrlich: Hater sind doch sowieso nur eifersüchtige und neidische Menschen. Wer Ahnung von Hip Hop hat und sich "Legends Never Die" anhört, findet das auch gut. Das Level, das ich mit dieser Platte erreiche, lässt sich schwer bestreiten. Das Intro sagt eigentlich alles: "No internet nerds, trend following critics or dicklickers." Das hier ist für die Hip Hop-Fans. An alle anderen: Scheiß auf eure Meinung.

"Wer sollte mich schon kennen?"

Nervt es dich, dass die Leute wie die Lemminge gedankenlos immer dem Trend hinterher rennen, der einem gerade als der heißeste angedreht werden soll?

Nein, denn das ist der Grund, dass diese trendigen Rapper nur für kurze Zeit am Start sind - und ich für eine Ewigkeit. Denn Trends kommen und gehen sehr schnell. Wenn du als Rapper also irgendwie trendy sein willst, wird es darauf hinauslaufen, dass du nur ein Trend bist und schnell wieder verschwindest, wie ein neues Paar Jeans oder Sneakers.

Ärgert es dich, dass du immer noch nicht den Bekanntheitsgrad hast, den du eigentlich verdient hättest? "I'm not the most known" - woran liegt das?

Danach heißt es ja: "I make records for the shepherds and not for the sheep." Wer sollte mich schon kennen? Nimm Tragedy Khadafi, das ist einer der besten Rapper aller Zeiten. Aber wie viele Leute kennen den schon? Dasselbe gilt für Masta Ace, der auch viel in Deutschland spielt. Ein großartiger MC. Aber es gibt so viele bekanntere Rapper, die zweifelsohne schlechter sind als er.

Hast du dafür eine Erklärung?

Marketing. Und Einfachheit. Man verkauft dumme Musik an dumme Leute. Die Plattenfirmen wollen keine Rapper mit Skills mehr.

Verlieren Skills deswegen an Bedeutung?

Nein, denn die eigentliche Bedeutung von Hip Hop wird immer existieren. Daher werden sie nie ihre Bedeutung verlieren.

"Let's get it started like Kool Herc did in that Sedgewick Avenue rec room." Wissen die jungen Leute heute überhaupt noch, wer Kool Herc war? Oder siehst du dich als eine Art Hip Hop-Geschichtslehrer?

Es macht nichts, wenn die Leute nicht wissen, über wen ich in meinen Songs spreche. Als ich mit elf Jahren Public Enemy gehört habe, kannte ich die ganzen Idole auch nicht, über die da gerappt wurde, sondern lernte sie über die Public Enemy-Songs kennen. Ich fand es gut, wie meine persönlichen Idole mir per Namedropping ihre eigene Geschichte näher gebracht haben. Vor der Big Daddy Kane-Line "I turned out more lights than Teddy Pendergrass" wusste ich auch nicht, wer Teddy Pendergrass ist. Aber dann lernte ich seinen bekannten Hit "Turn Off The Lights" kennen. (Singt den Chorus vor.)

Noch ein Beispiel: KRS-One rappte damals über Benjamin Banneker [der erste afroamerikanische Wissenschaftler , d. Red.], 20 Jahre später benutze ich seinen Namen in "The People's Champ". Es ist also schon okay, wenn man von irgendwelchem Zeug erzählt, das die jungen Leute noch nicht kennen. Vielleicht finden sie es ja raus.

Betrachtest du Rap als politisches Instrument?

Für manche Künstler ist es das. Und ja, für mich eigentlich auch, wie man auf einigen Tracks ganz gut hört.

"Million dollar budgets and corporate endorsements - we don't need 'em." Wäre es nicht trotzdem nett, ein üppiges Budget zu haben? Was würdest du damit anstellen?

Ach, wenn du diese Million-Doller-Budgets bekommst, hat das doch direkt zur Folge, dass die Plattenfirma auch von deiner Kreativität Besitz ergreift. Die lassen dich dann sicher nicht mehr das tun, was du willst. Weil sie Geld investiert und damit immer ein Argument haben, warum du dieses und jenes für sie tun solltest. Daher ist es besser, diese Budgets nicht zu haben, dafür aber tun und lassen zu können, was man will. Ich würde dieses Budget nur annehmen, wenn keiner mein Schaffen berührt und reinredet. Und das entspricht nicht der Realität.

Würde ein R.A. The Rugged Man-Album, entstanden in kompletter finanzieller Sorglosigkeit, anders klingen? "Afford Dre, Swizz Beatz or a Timbaland track"?

Ich würde mir von allen Leuten Beats anhören und die dopesten raussuchen. Timbaland ist auf jeden Fall ein sehr talentierter Produzent.

Dann vielen Dank für das Interview und viel Spaß beim Auftritt. Hast du die schöne Location schon gesehen?

Es ist scheißkalt, da wäre ich gerade lieber in einer warmen Location, in einem Club oder so.

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