9. März 2018

"Ich fand viel Trost im Buddhismus"

Interview geführt von

Myles Kennedy spielte bereits in Jazzbands, erregte erstmals größere Aufmerksamkeit mit The Mayfield Four, ist seit Anfang der 2000er höchst erfolgreich mit Alter Bridge unterwegs, singt für die Band des Guns N' Roses-Gitarristen Slash und war gar im Gespräch für ein letztlich nie realisiertes Projekt von Led Zeppelin-Mastermind Jimmy Page. Nun hat der Amerikaner genug von Sidekicks und Bandgefügen – und rückt sich mit seinem Soloalbum "Year Of The Tiger" selbst in den Mittelpunkt.

Offiziell zwar das erste, ist "Year Of The Tiger" eigentlich bereits das zweite Soloalbum Myles Kennedys. Etwa sieben Jahre lang hatte er zuvor an einem anderen gefeilt und es 2016 fertiggestellt. Jedoch verbannte er es schließlich in die Schublade. "Es war nicht der richtige erste Schritt in diese Richtung", erklärt der Gitarrist und Sänger. Unter anderem sei es ihm zu nah an seinem gewohnten Rocksound gewesen.

Immerhin ein Song der ursprünglichen Sessions – "Love Can Only Heal" – schaffte es in umarrangierter Form auch auf "Year Of The Tiger". Der Großteil der Tracklist speist sich jedoch aus einem Fundus von über zwanzig frisch geschriebenen Stücken. Weitgehend akustisch gehalten orientiert sich Kennedy dabei an Country, Folk und Singer/Songwriter, ohne aber auf Melodien, wie wir sie von Alter Bridge kennen, zu verzichten. Lyrisch beschäftigt er sich mit dem Tod seines Vaters, der nach chinesischem Kalender im "Jahr des Tigers" verstarb. Beim Rasenmähen kam ihm einst die Hookline des Titelsongs in den Sinn, von ihr ließ er sich führen.

Wie ein Instagram-Video belegt, hast du kürzlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder eine Trompete angefasst. Hast du seitdem wieder öfter gespielt oder sie gleich wieder in die Ecke gepackt?

Ich hatte die Idee, Trompete im Stück "Devil On The Wall" einzusetzen und feilte nach dem Posten des Clips etwas an meinen Skills. Aber letztlich funktionierten die Spuren, die ich im Sinn hatte, irgendwie doch nicht recht im Kontext des Songs. Also beließ es bei einer kurzen Regenerierungsphase, haha.

Auch ohne Trompete legtest du für "Year Of The Tiger" die Gitarre ab und an zugunsten anderer Instrumente beiseite. Du spielst zum Beispiel Mandoline, Banjo und Lapsteel. Hattest du dir in den Kopf gesetzt, genau diese Instrumente einzubauen oder lagen sie einfach bei dir zuhause herum und du hast ein wenig ausprobiert?

Mandoline wollte ich auf jeden Fall auf dem Album haben. Ich hörte sie an einigen Stellen klar und deutlich. Banjo war zumindest von Anfang an eine Möglichkeit. Ich nutze es schließlich für "Mother" und "Haunted By Design". Lapsteel schaffte es dagegen erst in letzter Minute auf die Platte. Die Idee stammt von Elvis (Produzent Michael Baskette; Anm. d. Red.). Ich wollte ursprünglich einen Studiomusiker dafür anheuern. Zum Glück schnappte ich mir dann kurz Elvis' Exemplar und stellte fest, dass ich gut damit zurechtkam. Spielst du ein Saiteninstrument, ist die Lernkurve bei anderen Saiteninstrumenten oft recht steil. Mir kommt außerdem zugute, dass ich viele verschiedene Stimmungen benutze. Das vereinfacht die Umstellung zwischen den Instrumenten enorm.

Was sich dagegen nicht auf dem Album findet, sind Gäste. Vor "Year Of The Tiger" hast du ja bereits ein anderes Soloalbum quasi fertiggestellt, aber nicht veröffentlicht. Für dieses galten Gast-Features als gesetzt, Slash bestätigte das seine gar schon vor Jahren. Warum hast du dich entschieden, hier nun keine zuzulassen?

Der Hauptgrund war sicher, dass es mein erstes offizielles Soloalbum werden würde und ich deshalb so viel wie möglich selbst einspielen wollte. Ich bin in erster Linie Lead-Gitarrist – das war ich schon, bevor ich Sänger wurde – ich verwendete Jahre darauf, mich als solcher zu entwickeln. Es gibt so einige Soli auf der Platte und ich fand es am besten, alle selbst in Angriff zu nehmen. Ich liebe einfach, Gitarre zu spielen und wollte also so viel wie möglich spielen. Sehen wir mal wie es weiter geht. Sollte ich noch mehr Soloalben aufnehmen, werde ich sicher manchen Gast einladen.

War an den Spekulationen bezüglich der Gast-Features auf der ersten, nicht-veröffentlichten Platte, denn etwas dran?

Yeah! Einem meiner Lieblingstracks davon lieh Slash sein gitarristisches Können. Ich hoffe, dieser und vielleicht einige andere Tracks des Albums gelangen irgendwann doch noch an die Öffentlichkeit.

"Ich fand Trost in Aspekten des Buddhismus'"

Letztlich ist "Year Of The Tiger" nicht nur in der Besetzung ein sehr persönliches Album geworden, sondern vor allem thematisch. Alles dreht sich um den Tod deines Vaters. Damals warst du vier Jahre alt. Wie bist du denn an die Sache herangegangen? Hast du versucht, Erinnerungen von damals zu rekonstruieren oder blickst du vor allem von deinem heutigen Standpunkt aus auf die Ereignisse zurück?

Es war eine Kombination verschiedener Ansätze. Viel zog ich aus Gesprächen, die ich im Lauf der Jahre mit Familienmitgliedern führte – besonders natürlich mit meiner Mutter. Ich selbst verfüge nur über eine Handvoll Erinnerungen an meinen Vater, was eine gewisse Herausforderung darstellte. Einige sehr persönliche Songs erzähle ich zum Beispiel auch aus Sicht meiner Mutter. Darin verarbeite ich Emotionen, die ich selbst lange Zeit fühlte, was den Einstieg erleichterte. "Ghost Of Shangri-La" zum Beispiel ist dagegen inspiriert von einer Geschichte, die mir meine Mutter einst erzählte. Kurz nach dem Tod meines Vaters wurde in unser Haus eingebrochen. Ich erinnere mich daran gar nicht, extrahierte die Lyrics also einzig aus der Geschichte meiner Mutter.

Du sagst, einige Texte sind aus Perspektive deiner Mutter geschrieben. Hast du auch dafür ihre Erzählungen genutzt und also ihre Erinnerungssicht wiedergegeben, oder nimmst du eine eine Haltung ein, die dir persönlich in ihrer Situation plausibel erscheint?

Interessanterweise eher letzteres. Klar habe ich faktische Details eingebaut, verlegte mich aber verstärkt auf das psychologische Element und versuchte mir vorzustellen, wie sie sich gefühlt hat. Sie jedes Detail und jede Emotion, die sie damals verspürte, aufzählen zu lassen, wäre wohl sehr schmerzvoll gewesen. Also versuchte ich, mich in ihre Situation zu versetzen und überlegte, was ich in dieser wohl empfinden würde. Das half, die Story zu erzählen.

Wie hat deine Mutter denn auf das Album reagiert?

Haha, witzig, dass du das fragst. Sie hat mir erst gestern Abend deswegen geschrieben, als ich kurz vorm Einschlafen war – ein super netter Text. Ich wartete damit, ihr das Album vorzuspielen, bis ich die fertige CD vorliegen hatte. Gestern konnte ich sie ihr überreichen. Die Songs haben sie sehr berührt, das war wunderbar zu hören.

Sowohl das "Jahr des Tigers" als auch "Shangri-La" sind Elemente asiatischer Kultur. Auch zwei deiner Tattoos – ein Drache und ein Koi-Karpfen – sind davon inspiriert. Woher kommt die Faszination dafür?

Ich glaube, die entwickelte sich nicht lange nach dem Tod meines Vaters. Mein Onkel Sherm – er war verheiratet mit der Schwester meines Vaters – reiste viel. Aus China brachte er einmal einen Spielzeug-Drachen mit. Damit fing das an. Seitdem fasziniert mich diese Region der Welt – Japan, China.

Stellt die asiatische Spiritualität für dich auch so etwas wie einen Gegenpol zum Christian Science-Hintergrund deiner Familie dar, der ja letztlich Teilschuld am frühen Tod deines Vaters trug? Nutzt du die Metaphern auch deshalb auf dem Album?

Ich weiß nicht, ob es sich wirklich auf dem Album niederschlägt, aber abseits davon definitiv. Ich fand viel Trost in einigen Facetten des Buddhismus. Zwar würde ich mich nicht als praktizierenden Buddhisten bezeichnen, aber ich habe definitiv einige Aspekte davon für mich entdeckt – Meditation, Achtsamkeit, Gegenwärtigkeit. Das erwies sich als sehr hilfreich für die Entwicklung meiner eigenen Spiritualität. Da ich kein praktizierender Christ, nicht an eine Gottheit oder ein Leben nach dem Tod glaube, wendete ich mich diesen Dingen zu.

Wie steht es mit fernöstlicher Musik?

Das ist etwas, in das ich gerne tiefer eintauchen würde, aber zu behaupten, ich wäre sonderlich bewandert in diesem Bereich, wäre schlicht falsch. Ich erinnere mich allerdings, dass wir in der Schule einmal Besuch von einigen Asiaten hatten. Sie brachten Instrumente aus ihrer jeweiligen Region mit, eine davon war Kyoto. Das fand ich damals ziemlich cool. Ich lernte, wie wichtig in diesem Zusammenhang die Dur-Pentatonik ist. Damit experimentierte ich ein wenig herum.

"Ein Mann und seine Gitarre gegen die Welt!"

Ich fragte danach, weil du auf "Year Of The Tiger" für Country- und Singer/Songwriter-Musik ungewöhnliche Harmonien und Texturen einsetzt. Einiges stammt sicher von deinem Jazz-Background. Auch etwas Post Rock meine ich herauszuhören.

Das ist wohl einfach Teil meiner musikalischen DNA. Als ich meinem Bruder als Album vorspielte, meinte auch er: "Du hast einen bestimmten Ansatz an Harmonien". Viel stammt wahrscheinlich aus meinen Jazz-Tagen, das stimmt. Ich lernte verschiedene Herangehensweisen, Dreiklänge und Standard-Akkorde auszubalancieren und auszuschmücken. Beim Melodienschreiben versuche ich das immer zu berücksichtigen.

Je weiter deine Karriere voranschreitet, desto zugänglicher wird deine Musik, habe ich das Gefühl. Fällt dir das selbst auch auf oder strebst du es vielleicht sogar aktiv an?

Puh, weiß ich gar nicht. Ich schätze, es kommt vor allem darauf an, wo mein Kopf gerade ist. Generell gehe ich nicht an etwas heran mit dem Ziel, es zugänglich zu machen. Es ist einfach abhängig von meinen Gefühlen im Moment. Bei Alter Bridge formen wir allerdings durchaus mal einen Song bewusst kürzer und einfacher, statt eine epische Reise anzutreten. Aber ich selbst versuche mich einfach musikalisch auszudrücken. Wenn das dann zugänglich wird, liegt das an meinem momentanen Gemütszustand.

Entscheidender Unterschied zu deinen bisherigen Projekten ist, dass du nun allein im Fokus der Öffentlichkeit stehst. Bei Alter Bridge verteilt sich die Aufmerksamkeit zwischen dir und Mark, bei Slash steht trotz deiner Rolle als Frontmann natürlich Slash im Vordergrund. Strebtest du die Isolierung an, oder ist das etwas, was dir eher Unwohlsein bereitet?

Einerseits finde ich es sehr befreiend. Andererseits lernst du Partnerschaften dadurch auch erst richtig zu schätzen. Beim Songwriting bist natürlich dein eigener Herr und kannst machen, was du willst. Gleichzeitig macht es den Prozess zu einer größeren Herausforderung, denn du läufst Gefahr, viel Zeit auf eine Idee zu verwenden, die sich schlussendlich als doch nicht so toll herausstellt. Ein Partner kann dir in solchen Fällen helfen, indem er sagt, was gut ist und was nicht.

Wie werden denn die Konzerte aussehen? Bei einigen Radioauftritten hat dich ein zweiter Gitarrist begleitet. Planst du das auch für die Tour oder stellst du vielleicht gar eine Band zusammen?

Für einige Tracks werde ich Tim (Tournier, Alter Bridge-Manager; Anm. d. Red.) auf die Bühne holen. Aber insgesamt wird es wohl eine sehr persönliche Angelegenheit – ein Mann und seine Gitarre gegen die Welt!

Planst du, die Solokarriere in Zukunft weiterzuverfolgen oder wird "Year Of The Tiger" eher ein Einzelstück bleiben?

Wir müssen natürlich abwarten, wie sich alles entwickelt. Doch die Erfahrung war so positiv für mich, dass es eigentlich eine Schande wäre, künftig nicht mehr in diese Richtung zu unternehmen. Wenn sich im Terminkalender ein Fenster öffnet, ich mich inspiriert fühle und etwas zu sagen habe, würde ich sehr gerne ein weiteres Soloalbum aufnehmen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Myles Kennedy

Nicht viele Sänger haben mit drei prägenden Gitarristen aus drei Generationen Rockgeschichte geschrieben. Noch weniger können dabei sich auch selbst …

2 Kommentare