laut.de-Kritik

Als würden die Cardigans Black Sabbath covern ...

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Francois Truffaut, einer der Mitbegründer der Pariser Nouvelle Vague-Bewegung, verkündete 1957 in einem seiner frühen Beiträge für die "Cahiers du Cinéma" einen Satz, der zur Devise des noch taufrischen Filmgenres avancieren sollte: "Der Film von morgen wird ein Akt der Liebe sein". Den Pariser Musikern des Projektes Nouvelle Vague geht es zwar weniger um wuchtigen Pioniergeist, dafür um ähnlich viel Hingabe und Liebe zum Detail.

Die beiden Drahtzieher Marc Collin und Olivier Libaux mischen die französische Musikwelt bereits seit Anfang der 90er Jahre auf. Der eine musiziert mittlerweile als Solokünstler für das renommierte Naive-Label (Mirwais, Carla Bruni), der andere produzierte für Elektro-Acts wie Volga Select und Avril. Jung waren beide in den 80er Jahren, und was damals vor allem zu Beginn des Jahrzehnts an Songs aus der Punk-Bewegung hervor ging, fasziniert beide bis heute.

New Wave hieß das bald allüberall in Europa, "Nouvelle Vague" vermutlich nur in Frankreich, wo ein Computer bis heute ein "ordinateur" ist. Die Songs indes, die damals begeisterten, waren auch in Paris die gleichen, und bei deren Auswahl beweisen die Herren Collin und Libaux mindestens soviel Stil wie die alten Filmemacher. Dies gilt im Übrigen auch für ihre radikale Herangehensweise. Unter Mithilfe junger, weithin unbekannter Sängerinnen erdreisteten sie sich, alle Kultsongs so zu bearbeiten, dass man sie locker in die Pariser Seine-Cafés des Jahres 1965 einordnen könnte.

Das klingt dann mitunter so niedlich, als würden die Cardigans Black Sabbath covern. Was sie 1995 tatsächlich taten! Sinnvoll erschien den Franzosen auch die Idee, Sängerinnen auszusuchen, die die Originale nicht kennen. Wer nun grantelt, dass auch nur genau solche Menschen an "Nouvelle Vague" ihren Spaß finden können, liegt daneben.

Entgegen ersten Befürchtungen lösen sich die Interpretationen in ihrer unbefangenen Leichtigkeit beinahe durchgehend vom schweren Ballast des Originals. Depeche Modes "Just Can't Get Enough" trippelt aufgeregt im Bossa Nova-Rhythmus, und die wunderbar behäbig umgesetzte Clash-Nummer "Guns Of Brixton" vertreibt sogar den fiesen Cypress Hill-Ohrwurm "What's Your Number?" von diesem Sommer. Am Mikro ist hier übrigens die im Nachbarland gefeierte Sängerin Camille, die gleich mehrere Songs übernimmt und die Band auch auf Tour begleitet.

Sicher, "Love Will Tear Us Apart" ist Gott und brauchte keine weitere Coverversion und im internen Sisters-/Cure-Wettstreit um die lebensverneinendere Umsetzung tappert eindeutig das Xylophon lastige "A Forest" als Sieger aus dem Wald. Schier herzbrechend ist allerdings die Tuxedomoon-Hymne "In A Manner Of Speaking", der vor langer Zeit schon Martin Gore auf den zarten Pelz fühlte, romantisch "Making Plans For Nigel", sexy beschwingt "Too Drunk To Fuck", trip hoppig "This Is Not A Love Song" und einfach nur ergreifend die Umsetzung von Killing Jokes "Psyche", wofür man dem kratzigen Vortrag einer gewissen Sir Alice danken muss.

Dass den Franzosen dann noch der eher unbekannte Specials-Diamant "Friday Night Saturday Morning" am Herzen lag, muss beinahe noch mehr honoriert werden, als die gelungene Coverversion. Auch aus der Umarbeitung der Musik von gestern kann damit - dem Fingerspitzengefühl Collins und Libaux' sei Dank - so etwas wie ein Akt der Liebe entspringen.

Trackliste

  1. 1. Love Will Tear Us Apart (Joy Division)
  2. 2. Just Can't Get Enough (Depeche Mode)
  3. 3. In A Manner Of Speaking (Tuxedomoon)
  4. 4. Guns Of Brixton (The Clash)
  5. 5. This Is Not A Love Song (Public Image)
  6. 6. Too Drunk To Fuck (Dead Kennedys)
  7. 7. Marian (Sisters Of Mercy)
  8. 8. Making Plans For Nigel (XTC)
  9. 9. A Forest (The Cure)
  10. 10. I Melt With You (Modern English)
  11. 11. Teenage Kicks (The Undertones)
  12. 12. Psyche (Killing Joke)
  13. 13. Friday Night, Saturday Morning (The Specials)

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