Details

Datum: 19. — 21. August 2010
Location: Green Park
Kelsengasse
3100 St. Pölten
Website: Offizielle Homepage des Veranstaltungsorts
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Alle sangen, alle schwitzten, alle zogen sich aus!

Review von Anne Nußbaum

Eigentlich ein alter Hut: So groß die Freude auf ein Festival im Vorfeld sein mag, so anstrengend sind die Stunden unmittelbar vor Beginn: Sachen zusammensuchen, in den Rucksack quetschen, Zelt, Raviolidosen und Bierpaletten zum Auto schleppen und merken, dass man viel zu viel eingepackt hat.

Vier Stunden in der bullenheißen Karre über die Autobahn scheppern und weitere vier Stunden im Stau stecken. Danach verzweifelt einen Parkplatz suchen, um dann unter aufziehenden Wolken eine halbe Ewigkeit in der Schlange zu warten, und den ganzen Kram zum fünf Kilometer entfernten Zeltplatz zu schleifen, den man sich zuvor hart erkämpfte. Das Übliche eben.

Nur ärgerlich, dass Peaches ihren FM4 Frequency-Gig nur ein paar Meter entfernt hinter Gebüsch und Bauzäunen bereits spielt oder man Hot Chip komplett verpasst. Zumal: Alles schon voll, alle schon voll – nur man selbst nicht. Nach dem ersten Bier (und erfolgreichem Zeltaufbau) sieht die Welt aber schon wieder besser aus.

Heiratsanträge en masse

Bierselige Teenies und bekiffte Twens wälzten sich kollektiv ausgelassen in Richtung Race Stage und Green Stage, T-Shirts mit sinnfreien Botschaften, gratis dargebotene Umarmungen, free kisses und Heiratsanträge auf Schildern soweit das Auge reichte - Accessoires, die eigentlich längst dem Standardrepertoire eines jeden postpubertären Festivalgängers entschwunden sind, erfreuten sich noch immer großer Beliebtheit. Das junge Durchschnittsalter des Publikums war ein ständig spürbarer Begleiter der FM4-Sause.

Oder ist man selbst einfach nur zu alt geworden? Egal. Zum zehnten Geburtstag schenkte der Radiosender unseres Vertrauens ein veritabel besetztes Programm aus - das fast bot er schon ein bisschen zu viel. Man konnte sich kaum entscheiden: Yeasayer oder Klaxons? Massive Attack oder Tocotronic? Delphic oder Black Rebel Motorcycle Club? Zumindest bei Letzteren wurde einem die Entscheidung leider abgenommen: BRMC sagten ihren Gig aufgrund des plötzlichen Tods des Vaters ihres Bassisten ab.

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Am frühen Donnerstagabend fiel die Entscheidung dagegen leicht: Skunk Anansie kehrten mit einer dynamischen Show zurück. Als wäre kaum ein Jahr seit "Post Orgasmic Chill" vergangen, sang und sprang Skin über die Bretter, wo andere nur hinterher hecheln. Mit einer unglaublichen Energie lief die alterslose Glatze über die Hände der Massen wie Jesus übers Wasser.

Auf der kleinen Weekender Stage erfüllten The Drums derweil alle Erwartungen: geeky und freaky spackten sie in hochgeschlossenen Hemden samt schlechten Frisuren über die Bühne, bis die Oberbekleidung durchsichtig geschwitzt war. Den Leuten gefiels.

Wer sich dann dem vampirbedingten Hype um Muse verweigerte, wurde mit einer äußerst feinen Performance von Au Revoir Simone belohnt. Die drei schicken Damen aus New York füllten mit ihrem Charisma den Saal aus. Ihr bezaubernder, unaufgeregter Elektropop legte sich einem wärmendem Balsam gleich über die wundgehörten Ohren. Die anfänglichen Probleme beim Soundcheck überspielten die Grazien charmant und beförderten auf die Bühne geworfene Zuneigungsbekundungen in Form von weißen Unterhosen lächelnd zurück ins Publikum. Aus diesen Mündern klang sogar Don Henleys durchgenudeltes "Boys Of Summer" frisch wie der junge Morgen.

Später in der Nacht sollte Diplo nach einer zähen Busfahrt vom Daypark zum Nightpark neue Energie in die müden Beine jagen. Doch er sorgte mit seinem enttäuschend eintönigen Ballerbudenset lediglich für müdes Zucken. Irgendwann muss man eben einsehen, dass es Zeit fürs Zelt ist.

"Fuck you and your money!"

Am Freitagnachmittag dröhnte Sergj Tankians vibratogeschwängertes Organ in den Ohren. Mit Messages à la "To all you capitalists: Fuck you and your money!" zeigte er sich gewohnt kämpferisch. Im Anschluss brachten die Indiedance-Schnösel von Delphic die Massen in Wallung, bis James Cook sein streng geknöpftes Hemd öffnete und damit den ein oder anderen Kollaps auf der weiblichen Seite verursachte.

Vor dem Gelände sammelte sich indes die Elektrofraktion zum Parkplatz-Rave: Trotz zwischenzeitlichem Alleinunterhaltercharme fuhr der DJ auf dem FM4-Van-Dach besonders durch seinen beneidenswerten Discokugelhelm ordentlich Jubel ein. James Murphy schlug dann beim Klassiker "Daft Punk Is Playing At My House" höchstpersönlich die Cowbells an. Dass LCD Soundsystems Auftritt zu den besten Momenten des Festivals gehörte, war nicht anders zu erwarten.

Erwartbar ruhiger ging es bei Massive Attack zu. Die Bristol-Heroen stießen mit ihren Botschaften über die Kosten des Irakkriegs, den Gewinn von BP und anderen Schreckenszahlen erneut eine Prise Systemkritik vor der Hauptbühne auf offene Ohren.

Heiß, heißer, Melissa

Der letzte Tag der Sause gestaltete sich nicht nur wettertechnisch heiß. Melissa Auf Der Maur schüttelte ihre rote Mähne und lapdancte ihre Bassgitarre, bis Fotografen und Publikum der Sabber aus dem Mund tropfte. Die sympathischen Bartträger von Goldheart Assembly teilten später ihren Rotwein mit dem Publikum, während Billy Talent sich freuten, auf derselben Bühne spielen zu dürfen wie Die Toten Hosen.

FM Belfast gaben die gewohnten Stimmungskanonen ab: Alle sangen, alle schwitzten, alle zogen sich aus. Im Nightpark potenzierte Ed Rush den Wobble-Faktor: Ein Set zwischen The Streets und Bar9, das zeigte, dass Noisia mit Recht zu den gefragtesten Lieferanten heißer D'n'B-Tracks gehört.

Indes durfte man sich als Pressefuzzi privilegiert fühlen: Während andere mit Einkaufswagen übers Gelände wackelten, um leere Bierdosen zu sammeln, die gegen Gratisbier getauscht werden konnten, kam man in der VIP-Area in den Genuss gemütlicher Liegestühle in schattiger Kühle mit Blick auf die Hauptbühne.

Massenhysterie und Jared Leto

Das Motto "Zwei Festivals in einem" entpuppte sich insgesamt als selbsterfüllende Prophezeiung. Zwar gabs wenig Überraschungen, dafür wurden alle Pop-Rock-Versprechen eingelöst: Wer etwa die letzten drei Songs von Muses fulminanter Spektakelshow mitbekam, konnte erahnen, was sich davor abgespielt haben muss.

Weshalb 30 Seconds To Mars eine an Massenhysterie grenzende Kreischorgie auslösten, bleibt rein inhaltlich betrachtet unverständlich: Zu sagen hatten sie nicht viel. Zu "Make some noise!", "Are you ready, Austria?" oder "Put your hands up in the air!" rissen sie ihr Standardprogramm herunter und waren sich dennoch zu fein, Fotografen in den Bühnengraben zu lassen.

Im Pressebereich fühlte man sich jedenfalls kaum zu Bewegung animiert – allerhöchstens, um die Kippe zum Mund zu führen. Doch Jared Leto und Co. lässt man sich am Ende eben dem nicht entgehen.

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