8. Juli 2016

"Axl Rose hat uns nie ein Haar gekrümmt"

Interview geführt von

Im August erscheint das Faith No More-Debüt "We Care A Lot" als Deluxe Edition mit neun Bonustracks. Wir sprachen mit dem "Pressesprecher" der Band, Bassist Billy Gould.

Während Mike Patton sicher wieder an drei Bandprojekten gleichzeitig arbeitet, schaut Faith No More-Bassist Billy Gould entspannt zurück. Auf 31 Jahre, um genau zu sein. 1985 erschien das Debütalbum der kalifornischen Band, das den musikalischen Genre-Begriff Crossover prägte. Der berühmte Sänger Patton stand damals noch nicht hinterm Mikro. Wir erreichen Gould an einem Montagmorgen, Ortszeit, in seinem Haus in San Francisco.

Billy, ich trete dir hoffentlich nicht zu nahe mit der Behauptung, dass "We Care A Lot" nicht gerade zu den beliebtesten Faith No More-Alben zählt.

Billy Gould: Oh nein, und ich schätze mal, es ist außerdem noch das unbekannteste von allen. Es ist die allererste Platte, die wir 1985 als Faith No More veröffentlicht haben, allerdings noch mit einem anderen Sänger. Im Jahr 1996 wurde das Ding zum letzten Mal nachgepresst. Wir sprechen also von 20 Jahren. Das hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Platte eher einem überschaubaren Kreis an Menschen bekannt ist.

Was gefällt dir an der Platte? Oder was ist dir zumindest nicht total peinlich?

Ich mag vor allem die Energie. Ich meine, es war 1985, wie alt war ich da? 23! Man hört, wie fokussiert wir damals waren, die Songs versprühen alle eine ganz bestimmte Energie. Es fühlt sich gut an, das heute anzuhören.

Wie kam es zum Re-Release?

Die letzten Jahre waren wir eigentlich nur damit beschäftigt, "Sol Invictus" aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Da blieb keine Zeit, um über Alben nachzudenken, die wir vor 30 Jahren mal gemacht haben. Aber wie das so ist auf Tournee, man bringt viele Sachen nach Hause und dann empfängt einen die Frau und meint, dass der Keller mal entrümpelt werden müsse (lacht). Bei der Gelegenheit fielen mir dann die Master-Tapes von "We Care A Lot" in die Hände. Ich hatte ganz vergessen, dass ich die besitze.

Dann hat mich aber einfach interessiert, wie es klingt, wenn man die alten Tonbänder digitalisiert. Ein gutes Studio in Berkeley ist spezialisiert auf solche Digital-Transfers. Dort habe ich das erst mal für mich privat machen lassen. Und es klang wirklich total gut, so dass ich zu den Jungs bin und meinte: Hey, wir müssen das Ding nochmal rausbringen, zumal es eigentlich noch besser klingt als das alte Master. Es gab keine Einwände.

Nur Mike Patton war es egal?

Ich weiß nicht, ob "egal" das richtige Wort ist, er fand auch, dass es eine gute Idee sei.

Und warst du mit Chuck Mosley, eurem alten Sänger, in Kontakt?

Ein bisschen. In den letzten Jahren haben wir wieder mehr Kontakt. Er fand es auch gut.

Wie stehen die Chancen, dass du im Keller auch noch Demos findest, die ihr mit Mike aufgenommen habt?

Gar nicht schlecht. Ich weiß, dass wir von "Angel Dust" einen Haufen Demos auf Tonbändern hatten, die ich dann mitgenommen habe. Die müssen also auch irgendwo sein. Es gibt dieses Material.

Kurios an euren Anfängen ist auch folgende Anekdote: Chuck Mosley damals ersetzte Courtney Love am Mikro.

Korrekt, aber sie war nur eine von vielen, ich glaube wir hatten fünf Sänger vor Chuck.

Was war damals bei euch los? Fünf Sänger in so kurzer Zeit?

Auch bei den Gitarristen ging es hin und her. Man muss wissen, dass wir damals keine normale Band waren, sondern eher eine Performance-Band, für die wir verschiedene Sänger engagierten. Das klang am Ende nicht mal annähernd wie der Sound auf dem Debütalbum, es waren vor allem repetitive Loops, schräge Soundcollagen, und darüber brüllte jemand was. Erst als Chuck zu uns stieß, begannen wir allmählich, sowas wie Songs zu schreiben.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, dass ihr damals von so gut wie keinem Club als Reaktion auf euer Demo Auftritte angeboten bekommen habt. Dennoch: Was ist deine schönste Konzerterinnerung dieser Zeit?

Von damals? Oh je. Unsere erste Tour war natürlich legendär. Vor allem eine Show in Mississippi fällt mir da ein. Wir spielten in einer Bar, die so einen Sound-Mix wie unseren ganz sicher vorher noch nie gehört hatte. Es war ein toller Abend. Ich bin immer wieder erstaunt gewesen, wie uns die Leute akzeptierten, nur wegen unserer Show. Im Vergleich dazu war es sehr schwer, nur von Platte eine Verbindung zu uns oder unserer Musik zu finden.

Nach zwei Alben habt ihr Chuck als Sänger gefeuert. Seid ihr trotzdem befreundet geblieben?

Nun ja, wenn man den Sänger feuert ist es erst mal schwierig mit der Freundschaft (lacht dreckig). Das war wirklich der letzte Ausweg damals, es gab keine andere Option.

War sicher auch schwierig für ihn, mitanzusehen, wie die FNM-Rakete anschließend mit Patton als Sänger kommerziell zündete.

Schwer zu sagen. Kann sein. Aus meiner Warte ging es aber nur darum, die Band zu retten, und dafür war dieser Schritt leider notwendig.

"Es gab kein Problem mit Axl Rose"

Im Internet ist gerade ein altes Interview von Mike aufgetaucht, in dem er über eure Tournee Anfang der 90er Jahre mit Guns 'N Roses spricht. Darin gibt er unter anderem zu, backstage in den Fön von Axl Rose geschissen zu haben. Großartig, oder?

Ähh, ja, ich denke schon. Klar. (lacht)

Willst du das noch kommentieren oder hast du ähnlich harte Anekdoten auf Lager?

Oh, wir waren einfach eine total verrückte Liveband. Als "We Care A Lot" erschien, hatte die Hälfte von uns kein Zuhause, wir waren also schon aus diesem Grund heilfroh, dass wir auf Tournee gehen durften. Ich war damals berühmt dafür, bei Leuten einfach auf dem Boden zu pennen. Es war eine großartige Zeit, was mir erst letzte Woche wieder auffiel, als ich es erneut versucht habe. Leider kann ich es heute nicht mehr. So muss die Jugend sein: pleite, aber voller Energie und immer unterwegs. So ähnlich wie Zigeuner.

Okay, aber nochmal zurück zu der Mike-Geschichte: Was war euer Problem mit Axl Rose?

Es gab kein Problem mit Axl Rose. Wir kannten ihn eigentlich kaum, von daher konnte sich erst gar kein Problem ergeben. Er hat unsere Band damals sehr unterstützt. In dieser Zeit kamen wir zum ersten Mal aus dieser Club-Routine raus, wo man sich nach jeder Show völlig normal an die Bar hockte und mit den Fans quatschte. Plötzlich stehen wir in einem Stadion und sind ewig weit weg von allen Leuten. Damit hatten einige in der Band sicher ein Problem. Uns hat Axl jedenfalls nie ein Haar gekrümmt. (lacht)

Ihr seid aber kaum mit ihm in Kontakt gekommen, weil Guns 'N Roses damals schon diese super berühmte Stadion-Band waren?

So ungefähr. Aber man muss ihm hoch anrechnen, dass er uns damals in vielen Interviews als Lieblingsband bezeichnet hat. Er hat uns damit einen großen Gefallen getan. Aber jetzt so im Nachhinein war es natürlich schon eine sehr kuriose Kombination, wahrscheinlich hätten wir erst gar nicht zusammen touren sollen.

Mit "Sol Invictus" habt ihr eure alten Fans blendend bedient, gleichzeitig aber auch viele neue und jüngere Fans gewonnen, die 1985 vielleicht noch nicht mal geboren waren. Ist der Re-Release ein besonderes Geschenk an die nächste Fan-Generation?

Hoffentlich. Wenn man von Faith No More sprechen und gleichzeitig nur auf "Sol Invictus" schauen würde, wäre das absolut okay für mich. Ich bin so stolz auf diese Platte und habe unglaubliche Erinnerungen an ihre Entstehung und die anschließenden Konzerte weltweit. Gleichzeitig ist es aber nicht die ganze Geschichte der Band. Um nachvollziehen zu können, wie dieser Sound entstehen konnte, ist es einfach hilfreich zu wissen, wo wir herkommen.

Du kümmerst dich auch selbst um die Promo der Platte, ist das nicht sehr zeitaufwändig?

Doch, klar. Es zieht mir Zeit ab, in der ich Musik machen könnte, das ist sicher ein Nachteil. Aber es sind eben wir, es ist ein Produkt von uns allen, nenne es Familie.

Wie sieht ein normaler Tag im Leben von Billy Gould aus?

Ich stehe morgens auf und setze mich erst mal zwei Stunden an den PC, egal wo ich gerade bin. Mails checken. Mein Aufnahme-Equipment steht in dem Studio, in dem wir auch die Platte aufgenommen haben, da arbeite ich so gut wie jeden Tag und produziere andere Bands. Keine Ahnung, ich arbeite bis ich müde werde und dann gehe ich ins Bett. (lacht)

Vor kurzem hast du auf Facebook ein Interview mit Elektro-Pionier Gary Numan geteilt, in dem er über din Wandel der Musikindustrie spricht. Numan spricht von einer goldenen Ära für Bands und erteilt den Kulturpessimisten eine Absage. Wie stehst du zu dem Thema?

Ich stehe nicht hinter jedem einzelnen Satz von ihm, aber hinter sehr vielen. Es kommt wie meistens immer auf die Perspektive an: Von der geschäftlichen Seite her betrachtet, stehen wir zweifellos vor einer großen Herausforderung. Keine Frage. Als Musiker zu überleben ist heutzutage nicht einfach. Auf der anderen Seite denke ich an meine Vergangenheit als Musiker in einem sehr wohlhabenden Geschäft: Da wurden Künstler ausgebeutet und zahllose unfaire Verträge verhandelt. Es arbeiteten Leute in dem Business, die sich einen Dreck für Musik interessierten, sondern nur ein volles Konto haben wollten.

Worüber Numan spricht ist die Entwicklung, dass Leute, die heute noch im Musikgeschäft arbeiten, auch genau dort sein wollen. Bands arbeiten mit Musikfans. Man macht es vielleicht am Ende des Tages für weniger Geld, aber es kommt mehr Freude dabei rum. Mir macht das alles mehr Spaß denn je.

"Ich teile Jesse Hughes' Meinung nicht"

Themenwechsel: Du giltst als politikinteressierter Mensch, kürzlich hast du die US-Präsidentschaftskandidatur des Demokraten Bernie Sanders unterstützt. Im November traf der Terroranschlag in Paris mit einem Konzert der Eagles Of Death Metal unmittelbar den musikalischen Unterhaltungsbetrieb. Seit dem Attentat auf den Nachtclub in Orlando schaut die ganze Welt nach Amerika und fragt sich, ob schärfere Waffengesetze erlassen werden. In eurem Land nehmen Waffen den Rang eines Statussymbols ein, ungefähr wie bei uns Deutschen das Auto. Wie fühlst du dich als Bürger nach diesen grausamen Vorkommnissen?

Interessante Frage. Das mit dem Statussymbol ist absolut korrekt. Ich habe im Prinzip nichts gegen Waffen an sich. Ich habe auch keine Angst vor Waffen. Aber die Organisation NRA ist in unserem Land sehr mächtig und mischt sich sehr in den tagespolitischen Betrieb ein. Mein Problem damit ist: Es geht der NRA mehr um die Herstellung von Waffen, als um die Interessen der Menschen. Und ich habe ein Problem mit jenen Waffen, die man sich einfach so nebenbei besorgen kann. Beantwortet das deine Frage?

Ja, zum Teil ...

Du willst wissen, ob ich für strengere Waffenkontrolle bin, oder? Ganz ohne Zweifel ist es viel zu leicht, in diesem Land an Waffen heran zu kommen.

Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, wie du in San Francisco das Haus mit einer Knarre verlässt.

Tue ich nicht, nein. Leider. (lacht) San Francisco ist keine Waffenstadt. Aber wo ich wohne, läuft es auch etwas anders als in gewissen anderen Teilen meines Landes.

Einige Musiker stützten Aussagen des EODM-Sängers Jesse Hughes nach dem Bataclan-Attentat, wonach sich für eine friedlichere Welt möglichst alle Menschen bewaffnen sollten. Vor allem in Europa stehen da vielen Beobachtern die Haare zu Berge. Wie stehst du zu der Aussage?

(Stöhnt) Ich verstehe das Problem vollkommen. Ich denke, dass jede Kultur versuchen sollte, eigene Lösungen für verschiedenste Probleme zu finden. Zu Jesse Hughes: Ich teile seine Meinung nicht. Aber es gibt Gegenden, in denen viele Menschen bewaffnet sind, und Statistiken belegen, dass dadurch viele Gewalttaten verhindert werden. Ich war vor kurzem im Libanon, wo wirklich extrem viele Menschen bewaffnet sind, aber ich habe dort zu keiner Sekunde eine Bedrohung gespürt. Es ist natürlich ein schwieriges Thema, und leider habe ich auch keine Lösung für das Problem.

Was hast du im Libanon gemacht?

Ich war alleine dort. Es ist ein wundervoller chaotischer Ort. Tolle Menschen. Sehr interessante Kultur. Und unglaubliches Essen natürlich.

Und die obligatorischen Fragen zum Schluss: Wird es ein neues Faith No More-Album geben oder eine Tournee? Wie sind die Pläne?

Oh, es gibt immer Pläne. Wir sprechen gerne über Pläne. Aber ich will fair zu meinen Bandkollegen sein: Wir verkünden immer erst etwas, wenn wir alle einen Beschluss gefasst haben. Daher kann ich dir hierzu nichts sagen.

Na gut, und wie ist die Stimmung in der Band derzeit?

Sehr gut, würde ich sagen. Wir sehen uns natürlich nicht so oft, aber wir sprechen viel miteinander. Das ist das Schöne an Dingen wie dem Internet und SMS.

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