23. April 2004

"Zu teure CDs lade ich natürlich runter!"

Interview geführt von

Nach dem legendären Interview, das Mengele und Schiedel 2001 mit Martin Gretschmann führten, liegt es nun an Straub, Friedrich und mir, unserem Elektro-Hero ähnlich unterhaltsame Anekdoten zu entlocken. Was sich als nicht besonders schwierig erweisen sollte. Erneut gilt: Für Star-Allüren hat dieser Mann keine Zeit. Stattdessen fragt er zwischendurch höflich "Rede ich zu viel?" Nein, lügen wir, denn genau an diesen Punkt wollten wir kommen.

Zunächst: Wie lautet dein Fazit zu deinem ersten Major-Release mit "Reset The Preset"?

Naja, die "Rocket In The Pocket" kam auch schon über Virgin raus damals. Das war die Zeit, als "14 Zero Zero" so abging und da fragten sie mich nach einem dazugehörigen Album. Ich sagte ich habe keins und so wurde eben "Rocket In The Pocket" mit dem Song nochmal rereleast. Das war für mich zwar eher ein Kompromiss, aber okay, die erste Trio kam ja mit "Da Da Da" auch nochmal raus, also gutes Vorbild. (allgemeines Lachen) Der Vertrag hat also mit der Platte angefangen und die zweite war jetzt die "Reset The Preset". Wie es jetzt aber genau weiter geht, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Momentan fällt Virgin ja gerade ziemlich auseinander, der Chef ist quasi übers Wochenende gekickt worden, also der Udo Lange, der das alles mit aufgebaut hat. Und auf sowas hab ich ja gar keinen Bock.

Aber wenn du das Feedback auf das Album mit einem Indie-Deal vergleichst, warst du sicher sehr zufrieden, oder?

Kommt drauf an, was das für ein Indie-Deal ist. Wenn du dir mal Morr Music anschaust, da passiert auslandsmäßig weitaus mehr als bei Virgin. Also, deutschlandweit lief alles super, gut Platten verkauft und so, aber im Ausland ... sehr mager. Seit Jahren wollen wir in Italien touren und schon beim letzten Mal wurde das alles gnadenlos versemmelt, erst wollten sie es machen, dann wieder nicht. Dann haben wir die Tour an Land gezogen, damit sie auch die Platte da rausbringen, dann ging's wieder nicht ... Und diesmal wieder genau dasselbe. Okay, mittlerweile gibt es die Platte dort, glaube ich zumindest. Und in Österreich lag sie für 30 Euro in den Läden, keine Ahnung, von wegen Doppel-CD und so. Die haben das ganze Prinzip nicht verstanden: zwei CDs, ein Preis. Für 30 Euro kaufe ich mir doch keine CD, da lade ich sie mir natürlich runter. Bei Morr Music habe ich ja ein bisschen Einblick, da verkauft sich zum Beispiel eine Lali Puna-Platte 20.000 Mal weltweit, davon vielleicht 4.000 in Deutschland. Und Console verkauft dann über Virgin 15.000 Platten, davon 13.000 in Deutschland.

Als ich vor Jahren in Barcelona war, fand ich im Plattenladen auch total viele deutsche Newcomer, alles eingeteilt nach Labels, ich musste zum Beispiel nur zum "Kitty Yo"-Fach gehen und fand Jeans Team ...

Klar. Wir waren ja gerade in Amerika auf Tour und da ... also, mich hat das auch alles so geärgert, ich meine, Virgin Megastore in Vancouver. Riesengroß, ja? Im Keller eine unglaublich große DVD-Abteilung, im ersten Stock Vinyl. Hey, da gibt's kein Console. Nichts! Nichts! Da findest du alles, du findest jeden deutschen Artist, echt alles. Und kein Console. Virgin Megastore. Vancouver. Find ich scheiße!

Jetzt bist du ja mit Acid Pauli unterwegs, hast also mehr Freiheiten als bei Console, stellst einfach dein DJ-Dance-Programm zusammen ...

Naja, im Prinzip könnten wir das auch mit Console machen, aber sprich ruhig weiter.

Ist es nicht so, dass du jetzt mit Hometrainer und Shuttle fernab irgendwelcher Bandgeschichten ein bisschen Party machst und auch wieder auftankst für neue Console-Tracks?

Auf jeden Fall. Momentan ist einfach eine Superzeit. Ich habe mein Studio ein bisschen auf Vordermann gebracht, bin umgezogen ... okay, nur ein Stockwerk tiefer, aber sowas gibt einem trotzdem immer einen Kick. Das war eh schon ein ausgebauter Regieraum da unten und jetzt klingt das halt alles noch viel geiler. Außerdem sind gerade keine Riesenprojekte am Start, Notwist beginnen erst Ende des Jahres wieder mit den Arbeiten an einem neuen Studioalbum. Da hat man endlich mal Zeit für andere Sachen. Und es gibt ja immer was zu tun. Hier ein bisschen Filmmusik für Jörg Adolph, der den Notwist-Film gedreht hat und gerade an einer neuen Doku arbeitet, für ihn sitze ich gerade an ein paar Collagen, alles superlow. Dann habe ich für Acid Pauli ein komplett neues Set zusammen gestellt und für Subtle, eine amerikanische HipHop-Band, mit denen wir drüben auf Tour waren, habe ich einen Remix gemacht. Einfach so, weil ich ihren Sound geil finde. Das kann man sich ja nicht immer leisten, weil man entweder keine Zeit hat oder eben pleite ist und Geld ranschaffen muss.

Jetzt macht man halt mal 'nen Remix und wenn's kein Geld gibt, auch okay. Demnächst mach ich dann wieder was mit dem Hometrainer, damit der auch endlich wieder 'ne Maxi rausbringt. Lauter kleine Sachen eben, die total viel Spaß machen. Jetzt geht ja Lali Puna gerade los und da ist eben Markus dabei, weswegen nix mit Notwist geht und Casper ist auch dabei, weswegen nix mit Console geht. Acid Pauli ist zwar einerseits auch anstrengend, weil man die ganze Nacht durchrockt, andererseits ist es auch ultrarelaxed. Beinahe schon wie Urlaub, is' halt geil. Und diese kleine Läden, das is' mir auch wieder aufgefallen, denn Notwist und teilweise auch Console, die spielen ja eher in großen Hallen, wo das Publikum nach dem Konzert um 12 wie Vieh nach draußen getrieben wird. Du triffst dann niemanden mehr und bei tausend Leuten wird's ja auch schwierig, du gehst mal raus und dann Autogramm oder was weiß ich was, okay, macht man halt, aber naja, is' anstrengend. Jetzt sind wir mitten unter den Leuten und da will ich auch sein.

Kollege Kraus ist bei deinem Set an Silvester in Peißenberg ja schier durch die Decke gegangen, als plötzlich ein Remix von Johnny Cashs "I See A Darkness" erklang.

Echt, der Dominik, is' ja lustig. Den Mix spiele ich heute auch, als vorletztes Stück, is' ziemlich schnell.

Kommt das Teil denn als White Label raus?

Eigentlich will ich's ja schon rausbringen. Am liebsten natürlich mit Cover. Als ich das gemacht habe, also das is' halt Johnny Cash und dann noch so'n Beat drunter, ganz monoton, noch'n Bass und ein paar andere Spuren. Aber das komplette Stück ist natürlich von ihm. Am Anfang war ich total unsicher, ich fand's schon geil so weil das Stück für mich eben Gott ist. Genial. Naja und dann ist der halt kurz davor gestorben und ich dachte nur "Oh scheiße" und "keine Ahnung, ob man das machen kann". Mein Zeug ist ja irgendwie 'ne ganz andere Soundästhetik. Dann hab' ich's dem Mario vorgespielt (Thaler, Produzent, Anm. d. Red.) und der meinte auch nur "voll Gänsehaut" und "spiel das auf jeden Fall" und so. Und das war wohl die Bestätigung, die ich gebraucht habe. Mittlerweile finden das ziemlich viele Leute geil und deshalb, bla bla bla, will ich es auch gerne rausbringen.

Entweder als Whitelabel oder als Acid Pauli feat. Johnny Cash, das Ding also dann anmelden als ein Stück, komponiert und getextet von Johnny Cash. Eigentlich dürfte man das trotzdem nicht so ohne weiteres machen, aber für mich wäre das vertretbar. Es gibt ja viele Leute, die ganz tragende Samples benutzen, erst neulich hab' ich mal ein Stück von Ricardo Villalobos gehört: der benutzt ein Pink Floyd-Sample, legt 'nen Beat und 'nen Bass drunter und dann steht da: Musik und Text von Ricardo Villalobos. Bei so einem tragenden Element find' ich das schon uncool. Naja und bei dem Cash-Ding könnte mir halt immer noch das Label ans Bein pissen, das den Song veröffentlicht hat, denn die haben die Rechte an den Original-Aufnahmen, die ich benutze. Aber das Risiko könnte man eingehen. Wenn man das richtige Label findet, das genauso denkt.

Kürzlich kam ja die neue Naked Lunch-Platte raus und irgendwie hat uns das Gefühl beschlichen, dass da Samples von The Notwists "Neon Golden"-Platte weiter verwertet wurden ...

Also ich glaube, die haben nix von uns gesamplet. Ich habe die Platte vor Ewigkeiten auch schon mal gehört und da ist es mir nicht bewusst aufgefallen. Aber das haben jetzt schon ein paar Leute gesagt. Aber mei, is' halt Olaf Opal, also der gleiche Produzent wie bei uns und dann auch kurz nach der "Neon Golden". Manchmal macht man da halt bestimmte Dinge, man schickt Sounds durch dieses und jenes Gerät und am Ende ähneln sich manche Sachen vielleicht.

Wir haben ja vor drei Jahren schon einmal ein Interview mir dir ...

Ohje, euer Interview.

Wie?

Brutal. Das hängt mir heute immer noch so nach, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Mich haben auf das Interview hin so viele Leute angesprochen, echt Wahnsinn. Viele haben sich einfach Passagen rausgegriffen und kamen damit zu mir und so.

... und wollten wissen ob du das und das wirklich gesagt hast?

Klar, und ich hab' mich ja auch selber krank gelacht, als ich es zum ersten Mal gelesen habe. Ich dachte, das darf doch nicht wahr sein, die haben das ja wortwörtlich abgedruckt. (Genau Martin! Und jetzt wieder. Is' einfach geiler!, Anm. d. Red.) Aber im Endeffekt stehe ich natürlich voll dahinter.

Das war ja auch topsympathisch. Ich meine, ich war damals nicht mit dabei, kannte dich also nicht persönlich und lese dann diesen Text ... super!

Ich habe jedenfalls noch nie eine derartige Resonanz auf ein Interview bekommen wie auf dieses LAUT-Teil.

Aber doch hoffentlich positive Resonanz?

Ja klar. Okay, manchmal kam jemand und meinte "Du hast da das und das gesagt" und ich dann "Ähh, ja, das stimmt, kann ich nicht abstreiten." Aber dann fängt man wieder an zu schmunzeln.

Nun, worauf ich eigentlich hinaus wollte: in dem Gespräch kommt ja schon eine ziemliche Amerika-Phobie bei dir durch und jetzt warst du ja mit Notwist schon wieder drüben auf Tour.

Also grundlegend hat sich da auch nicht allzu viel dran geändert, aber heute sehe ich das schon nüchterner. Es wäre ja vermessen, wenn wir uns jetzt als die Tollen hinstellen und ablästern würden, was ich damals ja zweifelsohne gemacht habe.

Naja, du meintest damals, dass vor allem die ewig langen Fahrten nerven, um dann im besten Fall zwanzig bis dreißig Leute ins Konzert zu locken.

Okay, wenn du das mit den Konzerten meinst, das hat sich grundlegend geändert. Notwist läuft mittlerweile super in Amerika, jedes Konzert war ausverkauft und wir haben in super Läden gespielt. Das ist überhaupt kein Vergleich mehr zu damals. Konzerte und Publikum, das war der Wahnsinn. Jeden Abend vor 500-1000 Leuten. Einmal sind wir vom Essen zurück gekommen und plötzlich stand da eine fünfzig Meter lange Schlange vor dem Club und du denkst nur "Scheiße, wir sind hier in Seattle, wie kann das sein?" Man glaubt es einfach nicht. Obwohl wir so eine Odyssee wie dieses Mal auch noch nie erlebt haben. Also, da muss ich jetzt aber ausholen. (Ja! Tu es! Bitte!) Wir kamen an, New York, und kein E-Drum-Case da. Also erstmal in ein paar Musikgeschäfte, das Zeug kaufen, zum Glück war an dem Abend erstmal kein Gig. Micha lag mit 39,6 Fieber im Bett, stand dann am nächsten Abend immernoch mit 39 auf der Bühne. Also erst zweimal New York, dann Boston, ganz okay alles, dann gings nach Kanada. Stress an der Grenze natürlich. Dürfen wir einreisen, ja, nein, hin und her, und dann musste der Merchandise durch den Zoll.

Da hieß es dann: Über 500 Dollar an Wert darf man nicht einführen. Das wusste vorher natürlich wieder niemand. Themselves, die andere Band, die mit dabei war, hatte Shirts, die in Taiwan gefertigt worden sind. Die hörten dann: Waren oder Textilien aus Asien dürft ihr eh nicht einführen. Also mussten wir wieder zurück nach Amerika und das Zeug mit der Post nach Chicago schicken, denn dort war unser nächster US-Auftritt. Dann wieder zurück nach Kanada mit Schnee und Rush Hour, von Montreal nach Toronto, mitten auf der Strecke bleibt der Bus stehen. Motorprobleme. Da ham' wir dann drei Stunden auf dem Highway im Schneegestöber gewartet bis so ein ADAC-Typ kam und Toronto gerade noch so erwischt. Die Leute standen schon vor'm Club. Danach sollten wir um vier Uhr nachts losfahren, denn nach Chicago isses halt schon sehr weit. Ich bin dann so mittags im Bus aufgewacht und wundere mich schon, warum ich so gut geschlafen habe. Also bin ich vor zum Fahrer und der meint "Ja, wir sind gar nicht gefahren, es gibt Probleme mit der Batterie". Ei, toll! Irgendwie hab' ich auch den Eindruck, die können dort gar nicht rechnen.

Immer wenn du in Amerika unterwegs bist, heißt es: Okay, das sind 500 Meilen, das dauert um die acht Stunden. Aber du machst ja nicht mehr als 50 Meilen in der Stunde, denn mehr als 60 oder 65 sind ja nicht erlaubt und dann macht man ja auch noch Pausen und so. Du denkst also, das geht doch überhaupt nicht. Irgendwann mittags fuhr der Bus dann, und nach einer Stunde war wieder Motorschaden, mitten in der Pampa. Cambridge, Ontario, mitten im Schnee. Da saßen wir dann für den Rest des Tages. Damit war klar, Chicago fällt aus. Am Tag danach sollte Minneapolis stattfinden. Doch unser Ersatzbus aus Toronto war dann leider auch kaputt. Zwei ausverkaufte Konzerte in Chicago mit 1000 verkauften Karten waren also durch. Aber ab dann ging's langsam aufwärts. Den Busfahrer ham' wir mit seinem Bus erstmal nach Hause geschickt und uns Flüge nach Vancouver besorgt und uns dort dann mit Vans durchgeschlagen. Ja, aber warum hab' ich das jetzt eigentlich erzählt, kann mir das mal irgend jemand hier sagen?

Hmm, Notwist, Amerika, Tour-Phobie, ...

Genau, das wollte ich damit sagen: wir haben zwei Konzerte absagen müssen. Du stehst einfach da und merkst, du schaffst es nicht mehr, die Strecke ist zu weit. Sowas kann einem bei uns gar nicht passieren. Okay, ich weiß noch, dass einmal ein Tocotronic-Konzert ausgefallen ist, weil die irgendwo zwischen München und Dresden im Schneechaos stecken geblieben sind. Das passiert vielleicht ein einziges Mal.

FC Shuttle setzt sich zu uns.

Shuttle: Vor allem war es bei dieser Notwist-Tour ja so, dass alle sagten "Boah, jetzt hamse endlich mal 'ne richtige Tour mit Nightliner und geilen Städten und Vorverkauf und Doppelkonzert in New York". Man denkt also echt nur "Boah, cool! So muss 'ne Amerika-Tour sein." Irgendwann hab' ich Martin 'ne SMS geschrieben und gefragt wie alles so läuft, und dann hat er gleich zurück gerufen und sich 'ne halbe Stunde bei mir ausgeheult. (allgemeines Lachen) In solchen Fällen hilft halt nur noch Galgenhumor.

Das Interview führten Michael Schuh, Stefan Friedrich und Daniel Straub.

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