17. Oktober 2017

"Versagen dürfen bedeutet Freiheit"

Interview geführt von

"Ogilala" heißt das zweite Solo-Album von William Patrick Corgan. Setzte das Oberhaupt der Smashing Pumpkins bei seinem ersten Alleingang "TheFutureEmbrace" 2005 noch auf Electronica, Rock und Shoegaze, kommt "Ogilala" im reduzierten Akustikgewand daher. Dafür hat er sich den bärtigen Meister der Reduktion an die Regler geholt, Sie wissen schon.

Eigentlich hatte Corgan vor, ein Smashing-Pumpkins-Album zu schreiben. Weil es nicht rund lief, brach er jedoch mittendrin den Schaffensprozess ab. Das hatte der 50-Jährige noch nie gemacht, er zog sich frustriert zurück. Er begann aber recht bald wieder damit, neue Stücke zu schreiben, ohne Marschrichtung und nur für sich selbst. Irgendwann merkte er, dass es hier um sein nächstes Soloalbum geht – ein akustisches obendrein. Wer das denn produzieren solle, fragte er seinen guten Freund Rick Rubin um Rat. Dessen Antwort, paraphrasiert: "Ich".

Für Corgan, der sonst eine ziemlich klare Vorstellung von seinem eigenen Werk und dessen Umsetzung hat, war es eine neue Erfahrung, einem Produzenten derart viel Entscheidungsfreiheit zu geben. Allerdings hat Rick Rubin in der Vergangenheit ja auch bei anderen Künstlern (Johnny Cash, Slayer, Beastie Boys etc.) bewiesen, dass er den richtigen, bartumrandeten Riecher hat – freie Hand für Rick also. Auch ein prominenter Gaststar gibt sich auf "Ogilala" die Ehre: Ex-Smashing-Pumpkins-Gitarrist und Gründungsmitglied James Iha. Mit dem versteht sich Corgan seit einiger Zeit wieder hervorragend.

Man merkt Corgan im Gespräch an, was für eine Erleichterung diese Platte für ihn darstellt und wie wichtig die Zusammenarbeit mit Rubin für ihn war. Zu Beginn der Aufnahmen habe er kein besonders großes Selbstvertrauen gehabt, erzählt er – "Ogilala" sei ein Wagnis gewesen, ein Projekt, bei dem man losging, ohne zu wissen wohin. Wir trafen Billy Corgan, Verzeihung, William Patrick Corgan zum Gespräch in Berlin.

Lass uns zu Beginn über das Stück "Zowie" reden – ist der Song ein Tribute an David Bowie?

Nein, das war ein klassischer Rolling-Stone-Irrtum. Die haben mich im Vorfeld gefragt, ob der Song "Zowie" etwas mit David Bowie zu tun hat. Ich sagte ja, ich habe den Song als Tribut so genannt, weil ich beim Schreiben an ihn dachte. Der Song erinnerte mich an die typischen Bowie-Akkordfolgen. Für mich war es eine schöne Art, David zu gedenken. Der Text handelt aber von etwas ganz anderem. Der Journalist schrieb dann aber gleich: "Es ist ein Tribute an David Bowie". Jetzt wird mein Song aber für immer ein Tribute an David Bowie sein – obwohl ich das so nie gesagt habe. Du bist die einzige Person, der ich das jemals so ausführlich erklären werde. Ab jetzt sage ich einfach, ja, es ist ein Tribut an David. Es ist schwer den Narrativ zu verändern, wenn der Narrativ vom Rolling Stone kommt.

Stört dich dieser Clickbait-Zentrismus im heutigen Musikjournalismus?

Nein, das war eh immer schon so. Es ist einfach schwer, akkurat zitiert zu werden. Ich glaube auch nicht, dass die Leute es absichtlich machen. Sie wollen die Dinge eben simplifizieren. Aber es bringt einen dazu, Dinge verteidigen zu müssen, die gar nicht stimmen. Aber nochmal zu Bowie – diese Akkordfolgen, D-Moll, Bb, das ist sehr Bowie, etwas, das Bowie tun würde. Diese Art von Modulation. Der Text hat mit ihm aber nichts zu tun.

Du kanntest Bowie ja näher, hast auch mit ihm gesungen.

David war echt eine besondere Person. Bowie kam zu Virgin Records, als die Pumpkins gerade riesig waren. Er brachte einige tolle Platten über Virgin raus. Aber ich sah, wie ihn die Presse damals behandelte. "Ach, Bowie ist doch Vergangenheit", und in der selben Zeit wollte er sein Werk in die Zukunft bringen. Ich habe mit ihm darüber nicht wirklich gesprochen, aber ich habe hinter den Kulissen gehört, was damals vor sich ging. Label-Angelegenheiten, ich will dich damit nicht langweilen – aber es gingen eben hinter dem Vorhang gewisse Dinge ab und ich dachte mir nur: "Zur Hölle, da geht es um David Bowie! Warum geben ihm die Leute nicht mehr Respekt?".

Man sieht, wie seine Helden unangemessen behandelt werden, die Situation aber meistern und das Ruder rumreißen wie David es tat, der bis zum Ende sehr gute Musik gemacht hat ... ich bewundere ihn dafür. Er hätte auch einfach in der Vergangenheit leben können und sagen "Ich bin David Bowie, wen kümmert es ob ich nochmal einen guten Song schreibe?" Wie Neil Young und Bob Dylan auch bewundere ich ihn dafür, dass er immer auf der Suche nach einem starken Werk war. Das ist nicht leicht, wenn man eine Legende wie er ist.

Wann kam dir die Idee, ein akustisches Solo-Album zu machen?

Ich hatte bei der BMG für zwei Smashing-Pumpkins-Alben unterschrieben und arbeitete gerade am zweiten Album. Ich hatte bereits ein Drittel des Weges geschafft, es wäre ein sehr progressives Album geworden. Dann meinte ich: "Scheiß drauf, ich höre auf". Das hatte ich nie getan: mitten in einem Album aufhören. Aber genau das tat ich, und meine Freunde waren sehr überrascht. Ich habe ihnen den Grund erklärt, dann verstanden sie es. Ich bin für einige Wochen nach Hause gefahren, saß deprimiert im Garten rum. Dann wusste ich: Ich muss da durch, und wenn ich da nicht rauskomme, muss ich etwas anderes machen, ein Buch schreiben, jedenfalls keine Musik. Ich beschloss ein paar Songs nur für mich zu schreiben, für niemand anderen. Als ich den ersten Stapel fertig hatte, fand ich, dass sie wie ein Solo-Album klangen.

Ich rief Rick Rubin an, mit dem ich seit zwanzig Jahren befreundet bin – und erklärte ihm, dass ich diese Musik geschrieben hätte, für die ich einen Produzenten suche, der mir mit einem bestimmen Stil hilft. Er forderte mich auf, zu erklären, was ich vorhatte. Das tat ich und fragte, ob er mir jemanden empfehlen könne. Daraufhin meinte er: "Ich glaube, ich möchte das machen." Das ist so, wie wenn man seine Traumfrau anruft und eine Empfehlung von ihr will, sie einem aber sagt, dass sie dich heiraten möchte. Ich war geschockt, Rick ist so ein toller Produzent. Ich hätte ihn mit dieser Musik gar nicht nerven wollen, einfach weil ich mich zu dieser Zeit so schlecht fühlte. Er meinte nur: "Ich liebe diese Songs. Schreibe mehr". Ich schrieb also einen zweiten Stapel an Songs, schickte es ihm und er meinte: "Lass uns aufnehmen!" Ich hätte mir das nie so erwartet.

"Rick Rubin geht immer gleich ans Eingemachte"

Wie viele Songs hattest du am Ende beisammen?

An die zwanzig Stücke. Es war interessant, Rick suchte Songs aus, die ich nicht ausgewählt hätte. Und bei Songs wiederum, bei denen ich überzeugt war, dass er sie machen wollen würde, meinte nur ... "Eeh". Es ist seine Stärke, dass die Songs, die er sich aussucht, eine bessere Geschichte bilden als die Geschichte, die ich aus diesen Stücken gemacht hätte. Wie beim Filmschnitt: Zwei Leute schneiden den selben Film – und seiner war viel besser als meiner. Das ist komisch, weil ich ja die Songs geschrieben habe. Er aber hörte etwas Höheres aus den Stücken heraus und das gab mir wiederum Selbstvertrauen. Ich wusste, dass etwas da sein musste, sonst hätte es ihn gar nicht interessiert. Mir tat das gut, er half mir wieder hochzukommen.

Wie ist es mit Rick zu arbeiten? Ist es wahr, dass er sich einfach auf die Couch legt, zuhört und etwas Zen-mäßiges sagt?

Ich habe mit Butch Vig, Flood, Alan Moulder, Roy Thomas Baker, mit all diesen legendären Produzenten gearbeitet. Rick unterscheidet sich dadurch von denen, dass er nicht der hemdsärmelige Typ am Mischpult ist. Normalerweise sind erfolgreiche Produzenten auch Tontechniker, die Musik nicht nur von der Song- sondern auch von der Klangperspektive her angehen. Rick geht es nur um den Song und um die Performance. Wenn du einen Song spielst, den du magst, und von dem du hoffst, dass der Produzent ihn wie die Beatles klingen lassen wird: Dafür ist Rick nicht der Typ. Wenn du ihm etwas gibst, zu dem er keine Verbindung aufbauen kann, sagt er nur "Versuch es noch einmal". Er ist mehr eine reagierende Kraft. Aber wenn du ihm etwas gibst, von dem er begeistert ist, dann bringt er dich an einen Ort, der klarer ist als der, den du alleine erreicht hättest.

Als Künstler – in Anführungszeichen – lässt du oft die kleinsten Dinge fallen. Nimm "Imagine" von John Lennon, ein simpler Song, von dem sogar er selbst gesagt hat, er hätte ihn von Beethovens Mondscheinsonate geklaut. Er ist die umgekehrte Mondscheinsonate. Einer der berühmtesten Songs der Welt, mit dem so viele Leute eine Verbindung haben. Einfach, weil nicht so viel passiert – es ist eben kein "Strawberry Fields Forever". Rick hört einen Song und sagt: "Da ist etwas sehr Spezielles drinnen und du musst das ganze Drumherum loswerden". Man muss aber auch lernen, Rick zu lesen, zu wissen, um was es ihm geht. Es geht um die emotionale Komponente. Wenn du weißt, dass ihn der Song traurig macht, dann kannst du das in deiner Performance rausarbeiten. Er sagt dann nur "Ich mag den zweiten Take", und man selbst denkt sich "Oh nein, da habe ich einen Fehler im Refrain gemacht", Rick ist das aber völlig egal. Er mag eben den zweiten Take. Er ist wie ein Zen-Meister.

Es geht also um die Mikro-Nuancen in der Performance.

Ja, und jeder einzelne Take auf dem Album ist live. Außer den Overdubs natürlich, aber die Takes sind alle live eingespielt. Ich fühlte die Takes, ich sah Farben – und er meinte nur "Eeh". Dann spielte ich es noch mal, genau gleich und plötzlich liebte er es. Was ich anders gemacht habe? Er mochte den Klang meiner Stimme. Einen Monat später hört man sich die Takes nochmal an und erkennt: Verdammt, Rick hatte Recht.

Die eigene Stimme zu beurteilen ist ja auch schwer, man nimmt sie subjektiv ja oft ganz anders wahr, als sie eigentlich klingt.

Das stimmt. Rick ist fast schon so etwas wie ein Übersetzer. Manchmal, wenn man Singles macht und die nicht funktionieren, wird man wütend aufs Publikum. Man ist Kompromisse eingegangen, hat Änderungen vorgenommen, um hier und da vielleicht einen Mitsing-Teil zu erschaffen – und ihr Idioten mögt das nicht? Was zur Hölle? Rick hat diese Ahnung davon, was der Typ im Truck gerne hört. Er kann sich emotional rein versetzen. Er hat das Gespür für populäre Musik, die nicht kompromittiert ist. Denk nur an Slayer, an Beastie Boys, Kanye – diese große Auswahl an Künstlern.

Man geht nicht zu Rick, um Kompromisse zu machen, sondern um Magie zu finden. Er geht nicht intellektuell heran und vielleicht würde er auch hassen, was ich sage, aber er weiß einfach, was bei einem Großteil der Menschen auf der Welt emotionale Resonanz findet. Ich weiß nicht, was es genau ist – es ist jedenfalls sehr rar. Ich gehe ja eher intellektuell an die Sache heran, höre und analysiere zu viel. Rick geht immer gleich ans Eingemachte: der Take ist gut. Und das Verrückte ist, er hat immer Recht damit. Manche Künstler mögen vielleicht frustriert sein, weil sie erwarten, dass Rick ihnen mehr geben müsse – aber man muss ihm mehr geben.

Da muss auch zwischenmenschlich eine Menge Vertrauen im Spiel sein.

Ich glaube, du könntest mir 100 Leute gegenüber stellen, mit 99 könnte ich nicht arbeiten. Man gibt zu viel Autorenschaft auf. In diesem Fall habe ich gerne Dinge aufgegeben.

Die Arrangements auf "Ogilala" sind sehr reduziert. Hast dir du dir manchmal gedacht: Wenn es nach mir ginge, könnten wir da noch mehr machen?

Natürlich, oft sogar. Hätte mich Rick angerufen, als wir nur die rohen Takes im Kasten hatten und gesagt "Wir sind fertig", hätte ich das akzeptiert. Aber er wollte Overdubs, also flog ich ein paar Monate später nochmal zu ihm nach Kalifornien. Zuerst wollte er mehr glitchy Elektronik-Zeugs haben – aber ich habe es gehasst. Nach einem Tag sagte ich: "Rick, das ist schrecklich". Er antwortete: "Nun, was würdest DU tun?" - "Normalerweise würde ich es orchestrieren." Er meinte "Zeig mir, wie du es machst". Ironischerweise erkannte ich, dass die Art, wie ich in den mittleren 1990ern viele Smashing-Pumpkins-Sachen orchestriert habe – und mir ging es immer mehr um Noten als um Instrumente – wieder funktionierte. Er liebte es. Okay, er mag also, wenn ich die 90er-"Tonight, Tonight"-Streicher mache. Aber wenn es ihm zu viel wurde, sagte er "genug". Es ging schnell. Er saß da, und ließ mich solange machen, bis ich sagte, okay, ich glaube ich hab's. Dann machte er sich zurück an die Arbeit.

Wie viele Takes brauchtest du im Schnitt?

Manche Songs sind First Takes, manche überhaupt Demo-Takes. Manche Takes entstanden am letzten Tag, als wir es nochmal durchgehört haben und ich sagte: "Der hier ist schlecht". Selbst, wenn er den Take mochte, fand er es okay, wenn ich es nochmal versuchte, er hatte schließlich einen Take, der ihm gefiel. Bei drei oder vier Songs habe ich am letzten Tag noch mal etwas verändert. Einfach, weil ich mit gewissen Sachen doch nicht leben konnte. Aber ich möchte das nicht überbetonen, es war so: Die Sekunde, als ich verstand, um was es Rick ging, konnte ich ihm mehr davon geben. Er musste nichts erklären, ich war bereit, es rauszufinden.

Welche Songs auf "Ogilala" waren First Takes?

"Archer" war beispielsweise ein First Take oder ein Demo-Take. Ich müsste mir die Tracklist mal ansehen, aber generell war es meistens der zweite Take, den wir genommen haben. Selten haben wir mehr als drei aufgenommen.

Welche Stimmung war im Studio?

Sehr kalifornisch relaxt. Das Studio ist an der Küste, Malibu, ein historischer Ort. Es war alles sehr entspannt, kein Druck, außer der, den du dir selbst auferlegst. Im eigenen Tempo arbeiten, kein Stress. Bei Rick ist es so: Je weniger es sich nach einer Aufnahmesession anfühlt, desto besser. Es ist so, wie wir beide jetzt gerade hier sitzen – und dann würde einer aufstehen und in den Aufnahmeraum gehen und einen Take einspielen.

Auf "Ogilala" spielst du Gitarre und Klavier – auf welchem der beiden Instrumente komponierst du häufiger?

Ich wechsle hin und her. Sogar, wenn ich einen Song habe, der genau zur Gitarre passt, spiele ich ihn auch auf dem Klavier. Ich versuche dann alle verschiedenen Tonarten, das entsperrt eine Menge an Informationen. Selbst wenn du den Song dann wieder auf der Gitarre spielst: Du hörst am Klavier einen emotionalen Aspekt raus, den du dann wieder auf die Gitarre überträgst. Du spielst anders Gitarre, du singst anderes – eben weil du am Klavier etwas herausgehört hast, das du auf der Gitarre nicht gehört hättest. Ich oszilliere herum, versuche eine größe Palette an Farben zu finden. Ich fühle mich sehr wohl, das so zu machen, ich praktiziere das seit zwanzig Jahren. Lustigerweise habe ich viele Rocksongs auf der Akustikgitarre geschrieben. Ich glaube fest daran, dass wenn etwas auf dem Klavier oder der Akustikgitarre funktioniert, dann lässt es sich gut übersetzen.

Bei der diesjährigen Summer-NAMM hat Yamaha ja deine neue Signature-Akustikgitarre vorgestellt, die LC16BC. War die auf "Ogilala" eine deiner Hauptgitarren?

Nein. Ich schrieb eine Menge auf dieser Gitarre, ich mag sie wirklich gerne dafür. Zu den Aufnahmen brachte ich, neben der Yamaha, auch eine Reihe an Vintage-Gitarren. Wir haben einen Blindtest gemacht, jeden Song mit vier verschiedenen Gitarren. Rick wusste nicht, ob es sich um eine billige oder eine teure Vintagegitarre handelte, er sagte einfach, welchen Klang er am liebsten mochte. Meine Haupt-Akustikgitarre ist eine Epiphone aus den 1960ern, eine Art Vorgänger zu jenem Modell, das John Lennon bei The Beatles benutzte. Eine sehr laute Gitarre, die auf Aufnahmen fantastisch klingt. Die ist am Album die Hauptgitarre.

Würdest du dich selbst als Gitarrensammler bezeichnen?

Nein, ich habe sogar gerade viel von meinem Zeug verkauft. Ich habe viele Gitarren, die in nicht gerade gutem Zustand, aber zum Arbeiten toll sind.

Aber du hast doch sicher ein paar Modelle, die du nie mit auf Tour nehmen würdest, weil sie zu schade dafür sind.

Ja, absolut. Die meisten Gitarren, die ich auf den Aufnahmen benutze, würde ich nie auf die Bühne nehmen. Oder wenn ich merke, dass eine Gitarre einfach zu wertvoll wird, dann schicke ich sie in Bühnenpension und sie wird nur noch im Studio gespielt.

"James Iha und ich haben bereits seit längerem wieder Kontakt"

Wenn wir gerade von Gitarren sprechen: Du hast ja einen Gastgitarristen auf der Bühne, deinen alten Smashing-Pumpkins-Kollegen James Iha. Wie kam das zustande?

Wir haben bereits seit längerem wieder Kontakt, haben oft gesprochen. Er war immer ein Liebhaber akustischer Musik. Schon bevor ich Rick kontaktierte, spielte ich James einige Songs vor und fragte ihn um seine Meinung. Sehr wenige Leute verstehen meine Art zu schreiben – und wie gesagt hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht besonders viel Selbstvertrauen. Ich fragte James, ob er nicht ins Studio kommen könne. Er fand die Songs wirklich toll. Wenn du das von jemandem hörst, der dich kennt, seit du 19 Jahre alt bist, ist das sehr ermutigend.

Als das Album fast fertig war und wir uns überlegten, ob es noch etwas gibt, das wir versuchen wollen, schickte ich ein paar Songs an James. Ich schrieb "Ich weiß ja nicht, ob du Interesse hast", aber die Songs waren einfach seine Art von Musik. Er suchte sich ein paar aus und machte Overdubs aus. Ich liebte es. Wenn er und ich zusammen spielen, dann entsteht da ein bestimmtes Gefühl. Es war wirklich cool und führte mir den Grund vor Augen, warum wir damals Erfolg hatten. Es hat immer etwas Psychedelisches, wenn wir beide zusammenspielen. Der Song auf dem er spielt: extrem subtiles Spiel. Man muss es fast suchen, aber dann findet man es. Dieses kleine Stück Schönheit, Geschmack, eine ganz spezifische Auswahl an Noten.

Diese Kollaboration hat viele Fans ziemlich glücklich gemacht.

Ich glaube, es ist genug Zeit vergangen. Wir können zurückblicken und sagen, dass wir immer gute Musik zusammen machen können. Ich hoffe, wir werden das auch weiterhin tun können. Ich habe Sachen von James gelernt und er von mir. Zu einem gewissen Zeitpunkt waren wir wie ein Gehirn. Zwei Gitarristen, aber ein Geist: wie wir unsere Stile zusammen bringen können, wie man diesen großen, psychedelischen Sound macht. Es ist cool zu sehen, dass das noch immer funktioniert. Ein Puzzle, das immer noch zusammenpasst. Er macht Dinge, die ich nie tun würde – aber sie funktionieren. Er hat eine ganz andere Perspektive, die sich mit meiner ergänzt. Das ist nicht bei vielen Leuten so, dass sie mich so ergänzen.

Wie sieht eigentlich das Billy-Corgan Archiv … entschuldige, das William-Corgan-Archiv aus?

Ich habe eine massive Datenbank erschaffen von allen Demos, all den Rough Mixes, all den unfertigen Ideen, Tonnen an Zeug. Aber ich bin kein Archivar. Ich war in den frühen 1990ern immer sehr sentimental, wenn es um die Band ging, mittlerweile habe ich diese Sentimentalität verloren. Die Erfahrungen der letzten sieben Jahre haben mir die Sentimentalität ein wenig verdorben.

Ich meinte das aber auch in Hinsicht auf aktuelle Ideen – nimmst du jedes noch so kleine Fragment auf und hast es später parat?

Auf eine gewisse Art und Weise schon. Aber eher um mich daran zu erinnern als um es irgendwann zu veröffentlichen. Manchmal wache ich mit dem panischen Gefühl auf, ob ich diese und jene Idee vergessen habe. Wenn ich sie irgendwo aufgenommen habe, brauche ich nicht mit einer Panikattacke in der Nacht aufzuwachen. Kurz nachdem ich mit "Ogilala" fertig war, habe ich ein weiteres Album aufgenommen, zwanzig Stücke. Ich habe alles parat.

Arbeitest du auch mal parallel an Projekten?

Ich kann parallel an Sachen arbeiten, wenn ich wirklich klar definierte Ziele habe. Wenn du mit mir ein Musical schreiben willst und ich gleichzeitig an einem Smashing-Pumpkins-Album schreibe, dann kann ich das tun. Wenn ich aber gerade ein Smashing-Pumpkins-Album mache und du nur jammen willst, um mal zu sehen, was daraus wird, dann funktioniert das nicht. Es müsste ein ganz anderer Film sein. Es könnten zwei, drei ganz unterschiedliche Filme sein, aber ich müsste genau wissen, um welche Filme es sich handelt. So arbeitet mein Gehirn. Normalerweise arbeite ich aber immer an nur einem Projekt, atme und lebe dieses Projekt und lasse mich davon in den Wahnsinn treiben.

Musst du beim Schreiben auch genau wissen, für wen du es schreibst?

Es hilft zumindest. Kennst du das Sprichwort "Form folgt Funktion"? Ich weiß, dass es nicht jedem gefällt, wenn ich so rede. Aber ein Songwriter zu sein ist so, als wäre man ein Architekt. Du kannst mich damit beauftragen, ein Krankenhaus oder ein Restaurant zu entwerfen, das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Aber ich kann beides erledigen, wenn ich weiß, was es genau werden soll. Du kannst auch sagen, ich soll einfach loslegen und schauen wohin mein Herz mich führt – das war bei "Ogilala" so. Aber wenn du mich bitten würdest, ein Funk-Album zu schreiben, könnte ich das tun. Ich würde mich mental völlig reinversetzen, ich würde es schaffen. Es könnte sechs Monate oder ein Jahr dauern, aber ich würde schaffen. Ich kann aus einer ganz bestimmten Absicht heraus schreiben und ich mag es auch, so zu arbeiten. Es nimmt eine Menge Druck von mir. "Ogilala" war ein anderer Druck – die Frage, wohin wir gehen. Bis wir fertig waren, wussten wir das nicht. Die Songs sagten mir, wohin es gehen soll.

Ich gehe jetzt in den USA auf Akustiktour und spiele zwei Sets. Beim zweiten Set versuche ich, einen Song aus jeder Ära meines Lebens zu spielen. Das ist ganz schön eigenartig. Ich höre mich durch alle Stücke durch, und ich habe eine Menge seltsamer Stücke. Was ich daran mag ist das, was viele Fans daran nicht mögen: Wenn ich mich von einer Klippe stürze und nicht weiß wohin es geht außer, dass ich dieses dunkle Album über Amerika machen möchte, und schreibe, was auch immer rauskommen mag: Da schaffe ich oft meine besten Arbeiten. Wenn ich totale Freiheit habe, zu versagen. Als Kind wurde ich so erzogen, dass ich nicht versagen dürfe. Die Möglichkeit zu versagen bedeutet für mich Freiheit. Weil ich das als Kind nicht durfte. Wenn ich als Kind versagte, wurde ich geschlagen. Zu versagen ist für mich diese wunderschöne Freiheit, wie ein Kind zu sein, das außerhalb der Linien malt. Für jeden komischen Song den ich schrieb, habe ich einen großartigen geschrieben. Den schrieb ich aber aufgrund dieser Freiheit, nicht weil ich eine Hit-Single brauchte. Ich weiß, dass Fans Songs wie "1979" wollen – diese Stücke kommen vom Experimentieren, vom Risiken eingehen. Vielleicht sehen sie es anders und sagen "Wieso kannst du nicht mehr Sachen wie dieses und jenes schreiben?" Aber die seltsamen Stücke sind die Nebenprodukte, aufgrund des Eingehens von Risiken. Mir gefällt, dass ich das dokumentieren konnte.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Billy Corgan

Die einen bezeichnen ihn als exzentrischen und kontrollbesessenen Diktator mit übergroßem Ego, die andern preisen ihn als musikalisches Genie und Ausnahmekünstler.

1 Kommentar mit 3 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Eines der besten Interviews welche ich hier je gelesen habe...toll

    • Vor 6 Jahren

      Jupp... da kann ich dir voll und ganz recht geben!!!
      auch wenn ich früher eher das gefühlt hatte das der liebe herr corgan nicht alle latten am zaun hat... :-)

      aber diese interview hat meine ansichten doch ein wenig verschoben!!!

      es lohnt sich die zeit zu nehmen und es ganz durch zulesen!!!

    • Vor 6 Jahren

      Naja, wenns nicht um Politik geht (wo er sich offensichtlich gern mit Alex Jones abgibt) ist er ja ein gescheiter Kerl, in den Fall halt gut dass sich das Interview auf sein Fachgebiet - die Musik - beschränkt hat.

    • Vor 6 Jahren

      Jepp, top, das Interview! Wunderbare Arbeit, Herr Brandstätter! Fragen zur eigentlichen Arbeit sind für mich die interessantesten!