laut.de-Kritik

Arbeiter und Romantiker in hässlichen Pullovern.

Review von

Indie-Musiker sind selten richtig coole Zeitgenossen. Yo La Tengo sind selbst für eine Indie-Band ziemlich uncool. Rockstarposen und Exzesse sind der Band vollkommen fremd, und zerstörte Hotelzimmer stören bloß, wenn man sich nach dem Auftritt mit einem klugen Buch dahin zurückziehen will. Auch optisch würde man hinter dem Trio aus New Jersey nicht wirklich eine Rockband erwarten, sehen James McNew, Ira Kaplan und Georgia Hubley aus dem beschaulichen Hoboken in New Jersey doch immer ein wenig aus, als wären sie gerade auf dem Weg zum nächsten Elternabend.

Mit ihrem Album "I Can Hear The Heart Beating As One" hat das Trio allerdings nicht nur eines der vielschichtigsten Rockalben der Neunziger vorgelegt, sondern sich auch einen Platz auf dem Mixtape gesichert, das verschüchterte, von der Welt missverstandene Hipster-Kinder mit schwitzigen Händen der ersten großen Liebe in die Hand drücken. "We could slip away, wouldn't that be better?", singt Ira Kaplan da leise in Richtung seiner Frau, deren Blick ihn auf einer Party von der anderen Seite des Raumes trifft, "me with nothing to say, and you in your autumn sweater". Seit den Smiths zehn Jahre vorher hat wohl niemand die verschworene Gemeinschaft zweier Außenseiter gegenüber dem Rest der Welt schöner beschrieben.

Und eine verschworene und eingespielte Gruppe waren Yo La Tengo zweifellos, als sie 1997 ihr Meisterwerk aufnahmen. Kaplan und Hubley waren bereits verheiratet, als sie Mitte der Achtziger die Band gründeten, und auch Bassist James McNew war 1997 bereits seit mehreren Jahren festes Mitglied von Yo La Tengo. Dass das Trio auf seinem bereits achten Album noch einmal radikal neue Wege einschlagen würde, war also kaum zu erwarten. Zudem Yo La Tengo mit ihren letzten beiden Alben "Electr-O-Pura" und "Painful" erstmals größere Achtungserfolge bei Kritik und Publikum einfuhren.

Mit dem Intro legen Yo La Tengo eine falsche Fährte, denn "Return To Hot Chicken" nimmt in Melodie und Titel Bezug auf zwei Songs des vorhergehenden "Electr-O-Pura". Alles Auf Anfang also? Mitnichten. Was die Band in der kommenden Stunde auffahren wird, ist nicht nur ein Meisterwerk an Dynamik, sondern auch eine gleichsam krude wie stringente Mischung der verschiedensten Genres: von den vertrauten Noisejams über Dreampop, hin zu Krautrock, Sixties-Schlagern und sogar Bossa.

Stereolab-artig mäandernd kommt "Moby Octopad" daher. Untermalt von Hubleys polyrythmischer Begleitung und Kaplans exzessiven Rückkopplungen wird sie auch hier wieder besungen, die verschworene Gemeinschaft der Liebenden: "Locked in a kiss, outside eyes cease to exist". Spätestens mit dem darauffolgenden "Sugarcube" hat die Band ihre Hörer in einen hypnotischen Bann gezogen, aus dem sie sie nicht mehr entlässt. "I crumble like a sugarcube for you", singt Kaplan auf dem auf das Heftigste verzerrten und trotzdem zuckersüßen Stück Popmusik, und man weiß: es muss Liebe sein.

Dass Yo La Tengo trotz kleiner Besetzung ein so vielschichtiges Soundbild erschaffen, liegt vor allem an dem virtuosen Spiel mit wechselnder Dynamik und verschiedenen Ebenen, die oft im Widerspruch zu stehen scheinen. Das Paradebeispiel auf "Heart Beating" ist "Damage". Vordergründig ist das Lied ein ruhig dahinfließendes Klagelied, in dem Kaplan melancholisch über verpasste Gelegenheiten flüstert. Im Hintergrund baut die Band allerdings eine anschwellende Wand aus Störgeräuschen und Feedback-Salven auf. Zwei zutiefst unterschiedliche Ebenen, die sich eigentlich gegenseitig ausstechen sollten und die doch gemeinsam auf wundersame Weise etwas Neues und Größeres erschaffen.

Ziemlich geradlinig kommt dagegen "Stockholm Syndrome" daher. Erstmals auf einem Album singt hier James McNew. Nicht nur was die stimmlichen Gefilde angeht, in die der Bassist sich schwingt, klingt das Stück, als hätte man ein verlorenes Neil Young-Outtake mit doppelter Geschwindigkeit abgespielt. Dazu zaubert Ian Kaplan ein Gitarrensolo, das gleichermaßen herrlich schief und unverschämt catchy ist.

Es folgt das unbestrittene Prunkstück der Platte, das eingangs angesprochene "Autumn Sweater". Eine Party, zwei Liebende, die sich in der Menge unwohl fühlen und ein Meisterwerk anspruchsvoller Popmusik, dass beim ersten Hören ins Ohr geht, aber auch beim zehnten Durchlauf noch versteckte Details offenbart. Dass der Song in die Riege der ganz großen Liebeslieder gehört, bleibt auch zwanzig Jahre später ein kleines Mysterium. Denn eigentlich ist "Autumn Sweater" rhythmisch schlicht viel zu verschachtelt für einen Popsong. Und wie kann derart offen zur Schau getragenen Menschenscheu trotzdem so warmherzig klingen?

Es spricht für die Selbstironie der Band, dass das Popjuwel nahtlos in das Beach Boys-Cover "Little Honda" übergeht. Yo La Tengo sind ehrliche Arbeiter und Romantiker. Mit Surfbrettern und der Sonne Kalifornien haben sie augenscheinlich wenig zu tun. Deshalb ist auch die Vorstellung, dass sich das intellektuelle Ehepaar heimlich von der Party rausschleicht, um sich aufs Motorrad zu schwingen und in die Abenddämmerung zu fahren, so absurd. Gut möglich, dass das Trio aus New Jersey das Lied einst als Gimmick in den Soundcheck aufgenommen hat. Aber was will man machen, wenn das Covern derart tief in der bandeigenen DNA verankert ist?

"Es ist einfach ziemlich gut geworden", meint McNew und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Irgendwie gelang es der Band Ende der 90er, alles, was sie anfassten, in den eigenen Sound zu integrieren. So erscheint es auch wie das Natürlichste der Welt, dass Yo La Tengo auf "One PM Again" mit Pedal-Steel Gitarre und Country-Ästhetik experimentieren, nur um sich zwei Stücke später dem Bossa Nova anzunehmen.

Man merkt dem Album deutlich an, dass viele der Songs zu Beginn des Aufnahmeprozesses bestenfalls halbfertig waren. Die raue und ungeschliffene Schönheit macht einen erheblichen Teil des Charmes von "Heart Beating" aus. Ob man die Improvisation dabei so weit treiben muss, wie auf dem ausufernden "Spec Bebop", daran scheiden sich die Geister. Über zehn Minuten ergeht sich die Band in einer wilden Mischung aus Krautrock, Ambient und Noiserock, die gegen Ende zwar ordentlich Fahrt aufnimmt, davor aber durchaus zur Belastungsprobe werden kann.

Den Epilog zum Album bildet ein weiteres Cover aus den Sechzigern. Mit "My Little Corner Of The World" verlässt die Band den Probenraum und zeigt, dass sie sich bei allen krachenden Rückkopplungen und all der harter Arbeit ihren unverwechselbaren naiven Charme erhalten hat. "Wir verkriechen uns in einem Zimmer und arbeiten wirklich lange", beschreibt Kaplan den Aufnahmeprozess der Band "dann kommen wir raus und blinzeln, weil es draußen sonnig ist".

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Return To Hot Chicken
  2. 2. Moby Octopad
  3. 3. Sugarcube
  4. 4. Damage
  5. 5. Deeper Into Movies
  6. 6. Shadows
  7. 7. Stockholm Syndrome
  8. 8. Autumn Sweater
  9. 9. Little Honda
  10. 10. Green Arrow
  11. 11. One PM Again
  12. 12. The Lie And How We Told It
  13. 13. Center Of Gravity
  14. 14. Spec Bebop
  15. 15. We're An American Band
  16. 16. My Little Corner Of The World

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5 Kommentare mit 5 Antworten, davon einer auf Unterseiten

  • Vor 4 Jahren

    großartiges musikerpaar. tolle rezi!
    das hier eines der alben von ihnen, die ich noch gar nicht kenne. bin von damals her eher firm mit den ersten fünf, sechs platten a la "may I sing with me". und mit den letzten beiden tollen werken ab 2015. das hier wird eine schöne entdeckungsreise. danke.

  • Vor 4 Jahren

    Schöne Würdigung einer unterschätzten Band, die in 90er-Retrospektiven oft vernachlässigt wird. Musterbeispiel für die stilistischen Grenzgänge in dieser großartigen Ära, denn Yo La Tengo bediente sich wirklich bei allen Genres. Allerdings kann man die zahlreichen Vorbilder (Sonic Youth, The Velvet Underground & Nico...) auch raushören.

    Beck sollte für seine frühen Alben auch mal einen Meilenstein bekommen, denn kein anderer Musiker steht so für die Überwindung von Genre-Schubladen und das 90s-Lebensgefühl wie er.

    • Vor 4 Jahren

      Plädiere für "Mellow Gold".

    • Vor 4 Jahren

      "Mellow Gold" hat mit "Loser" die Slacker-Hymne überhaupt, aber "Odelay" ist doch noch eine Nummer besser. Mit den Reifungsprozessen auf "Mutations" und "Sea Change" verschwand dann leider die unbekümmerte Leichtigkeit.

    • Vor 4 Jahren

      Bin auch für Mellow Gold, das

      1. neben Loser mit Fuckin With My Head, Soul Suckin Jerk, der Hilbilly-Nachbarn-Nummer und Motherfucker noch ein paar andere Granaten am Start und

      2. für mich irgendwie auch den Firstmover-Bonus hat.

      Odelay ist aber natürlich auch ein Mega-Album, sollte klar sein. Wenn man dann noch berücksichtigt, wie super auch Mutations, Midnite Vultures und - auf seine Art - auch Sea Change, das ich aber nie ganz so lieb gewonnen habe, waren und sind, wird es wirklich höchste Zeit für eine Würdigung. Das mit den Schubladen und dem 90er-Prototyp würde ich auch unterschreiben.

    • Vor 4 Jahren

      Was der Mann mit dem Hader-Profilbild sagt.

    • Vor 4 Jahren

      Mellow Gold war natürlich der Beginn, wenn auch von den Songs her noch nicht am Höhepunkt. Odelay ist das Pendant mit besseren Songs und Weiterentwicklung. Mutations war vom Stil her dann doch sehr anders: ruhiger, weniger Beats, mehr Gitarren und die songs waren nochmals etwas besser. Erst mit Midnight Vultures war er wieder im beatigen Fahrwasser, mit guten Songs. Mit Sea Change fuhr er wieder die Mutations Stile auf. Wirklich schlechte Alben hat er nicht gemacht. Mellow Gold gefällt mir persönlich nicht besonders. Meine Wahl würde auf Odelay fallen.

  • Vor 4 Jahren

    netter Indirock, aber auch nicht mehr. 3,5/5

  • Vor 4 Jahren

    Grandioses Album, hervorragende Band!