laut.de-Kritik

Mit neuem Sänger geht es bei den Ja-Sagern den Bach runter.

Review von

Als Yes-Fan braucht es seit jeher ein gerüttelt Maß Geduld und ganz viel Leidensfähigkeit. 40 Jahre voller Missgunst, Kränkungen, Eitelkeiten, Rotation und Intrigen führen zu zwei Ergebnissen. Zum einen ist die Yes-Discographie - besonders im Vergleich zu vielen sich stetig repetierenden Artrock-Kollegen - unglaublich facettenreich, vielschichtig und in Teilen sogar stilistisch widersprüchlich geraten. Zum anderen hat die Firma Yes die ehemalige Rockband leider zur Interessengemeinschaft mit wechselndem Personal degradiert.

Auch 2011 bleibt Altersweisheit Fehlanzeige bei den exzentrischen Briten. Das 20. Studioalbum "Fly From Here" krönt allen Band-Irrsinn zu rasendem Wahnsinn. Verstehen kann man das nur mittels eines kurzen Blicks ins turbulente Line Up. Anderson, Bruford, Wakeman und Howe fuhren die künstlerische Artrock-Ernte ein. Mit Trevor Rabin an der Seite und Hi-NRG-Mogul Trevor Horn als Producer gab es 1983 den Überhit "Owner Of A Lonely Heart" plus längst verdienten kommerziellen Erfolg.

Egal, wer sich sonst noch im Boot befand - bis auf das kurze Intermezzo "Drama" (Vocals: Horn) hat ausschließlich der hyperaktive Kiekser-König Anderson die Stimme von Yes geprägt. Aus und vorbei: Anderson ist das nächste Opfer im Mobbingkarussell und damit raus aus der Band. Öffentliches Ego-Schlammcatchen aller Beteiligten inklusive.

Der englische Shouter tönt, man habe seine gesundheitlichen Probleme entweder ignoriert oder instrumentalisiert, um ihn extra für diese Schallplatte von Bord zu kriegen. Die Rumpfcrew betont indes, Anderson habe mentale Probleme und stehe unter dem Pantoffel seiner esoterisch-spirituellen Führerin Audrey Kitagawa. Kurz entschlossen präsentieren die Meuterer als Ersatz den Kanadier Benoit David; einen ehemaligen Yes-Tribute-Band-Vokalisten. Doch was schon bei Judas Priest oder Genesis ein lauer Aufguss war, geht bei den Ja-Sagern erst so richtig den Bach runter.

Zugestanden: der Nordamerikaner müht sich redlich. In Volumen, Charisma und Range kann er dem eigenen Vorbild dennoch in keiner Sekunde das Wasser reichen. Der Streber-like ermüdende Versuch, sich bauchladenhaft als die bessere Anderson-Schablone zu präsentieren, überschreitet nicht selten die Grenze zwischen 'peinlich uneigenständig' und erfrischend unfreiwilliger Komik. Anderson bleibt Dr Frankenstein; David nur sein stimmloses Geschöpf.

Der etwas bemühte Versuch der Combo, hier die Austauschbarkeit des ehemaligen Gefährten zu beweisen, gerät zum Bumerang für die gesamte Platte. Das konstante Deja Vu-Erlebnis nervt den Hörer zunehmend. Nahezu jede Silbe klingt wie das mediokre Plagiat einer geliebten Marke. Anstrengend und überflüssig!

Rabin und Buggles-Gründer Horn sind einander seit 30 Jahren ohnehin spinnefeind und deklamieren den "90125"er Erfolg gern je für sich allein. Was gestern gut war, klappt heute auch, denkt sich Letzterer (u.a. Erfinder von FGTH und Art Of Noise), holt den alten Kumpan Geoff Downes dazu und bläht ein zum Semi-Kult avanciertes sechsminütiges Buggles-Outtake von 1981 zum halben Yes-Album auf. Vorhang auf für die Freakshow Yes anno 2011: The Buggles spielen The Buggles mit einem Tribute-Sangesklon und vereinzelte Schatten von Yes-Aktivisten samt deren Soli. Schräg?

Doch es geht bei Yes nicht zuletzt um die strukturelle Qualität ihrer Musik. Diese pendelt eigentümlich zwischen angeschimmeltem Ärgernis und ein wenig Verzückung. Nicht neu, wenn der polarisierende 'Radiostar-Killer' Horn seine Finger im Spiel hat. Hier zerbricht seine Produktion am eigenen Anspruch, die kunstvolle Verspieltheit der 70er mit dem knochentrockenen Kommerzkalkül der 80er zu mischen. Schlussendlich ist es weder Fisch noch Fleisch.

Das angenehm melodische Grundthema schlängelt sich als roter Faden durch die konzeptionelle erste Hälfte der Scheibe. Doch kann man sich zu richtig straighten Melodien nicht recht durchringen. Um das angepeilt breite Publikum nicht zu verschrecken, ertränkt man gute Ansätze wie "Sad Night At The Airfield" in ganz furchtbarem Alan Parsons goes 90ies-Dressing.

Weitgehend sinnlose Kapriolen wie in "Madman At The Screens" taugen kaum zum poppigen Taschenspielertrick; geschweige denn zu gewohnt anspruchsvollerem Artrock. Höhepunkt des Grauens: Der Les Humphries-artige Barbecue-Pop von "Into The Storm". Vollkommen unter jedem Standard von Gitarrist Steve Howe oder Basskünstler Chris Sqier. Warum machen beide so was Halbgares nur mit?

Kurioserweise klingt die reine Buggles-Komposition "Life On A Film Set" noch am ehesten nach Yes. Mit Jon Anderson am Mikro hätte dieser Track einen Höhepunkt auf den unterschätzten Alben "Talk" oder "Big Generator" bedeutet. Die reinen Howe-Gewächse "Hour Of Need"/"Solitaire" fischen hernach noch einmal gekonnt in den Schubladen AOR und Alte Musik. Leider zu wenig, um als ernsthafter Ansatz beim Hörer anzukommen. Gibt es noch irgend etwas, was an dieser LP original Yes ist? Ja! Das Cover ist mal wieder ein typisches Augenbonbon vom alten Kitsch-Konditor Roger Dean. Ansonsten gilt: Nur als Kuriosität genießbar.

Trackliste

  1. 1. Fly From Here? Overture
  2. 2. Fly From Here Pt I - We Can Fly
  3. 3. Fly From Here Pt II - Sad Night At The Airfield
  4. 4. Fly From Here Pt III - Madman At The Screen
  5. 5. Fly From Here Pt IV - Bumpy Ride
  6. 6. Fly From Here Pt V - We Can Fly Reprise
  7. 7. The Man You Always Wanted Me To Be
  8. 8. Life On A Film Set
  9. 9. Hour Of Need
  10. 10. Solitaire
  11. 11. Into The Storm

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LAUT.DE-PORTRÄT Yes

Yes spielen Artrock. Die Band entsteht 1968 in London, als der Sänger/Gitarrist Jon Anderson (geb. 25. Oktober 1944) und der Bassist Chris Squire (geb.

8 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Es hätte nicht so viele Worte gebraucht, aber die Kritik passt...
    ...leider :-(

  • Vor 12 Jahren

    Ich bin auch ein Yes-Fan und kenne viele der alten Sachen. Klar, an die alten Sachen kommt "Fly from here" definitiv nicht dran, aber man muss sich eben daran gewöhnen, dass es die Yes von früher nicht mehr gibt. Und sooo schlecht finde ich das neue Album nicht, es ist eben anders, vor allem der Mehr-Teiler "Fly from here" ist toll. Es ist eben kein 08/15-Gedudel, was die Masse möchte, es ist und bleibt eben noch Progressiv Rock.

  • Vor 12 Jahren

    also da fand ich "magnification" schlechter... der gesang ist aber wirklich..ähm..gewöhnungsbedürftig.
    aber squire howe rocken auch auf diesem album die hütte!
    und als katermittel kann man dann ja wieder "fragile" zu gemüte führen :)