laut.de-Kritik

Bling-Bling bleibt im Schmuckkästchen, aggressive Gangsterattitüden im Schrank.

Review von

"Keep your temper. Never lose control of yourself. Keep control. Be patient. If you learn to do these things you can master anything."

Wie treffend kann man eine Einleitung eigentlich wählen? Nachdem er wieder, wieder und wieder hinausgeschoben wurde, fiel es recht schwer, an einen Veröffentlichungstermin Anfang Dezember zu glauben. Seit "Iron Flag" ging so viel Zeit ins Land, dass eine ganze Generation Hip Hop-Heads nachwachsen konnte, die die Macht, mit denen einen ein neues Album des Wu-Tang Clan aus den Socken fegt, nur mehr aus Erzählungen kennt. Ich gestehe: Ich hatte ebenfalls vergessen, wie es sich anfühlt.

Meine Erwartungen an "8 Diagrams" bewegten sich in überschaubarer Höhe. Eine Einstellung, die sich in der Sekunde, in der im Opener "Campfire" der Bass einsetzt, in demütige Scham verwandelt hätte, bliebe auch nur eine Sekunde Zeit, sie zu überdenken. Allein: Ghostface Killah und Method Man lassen mich nicht. "I want you to listen carefully." Als ob in Knöchelhöhe wabernder Bass, grandios gewählte und platzierte Samples von obligatorischen Martial Arts-Movies bis hin zu Curtis Mayfields "Gypsy Woman", knarzende Sounds und zuckersüßer Gesang, eine Wahl ließen.

We will "Take It Back" with this: Der Titel prophezeit es zwar, die Erkenntnis, in welchem Tempo ich mich in die 36 Kammern zurückkatapultieren lasse, plättet mich trotzdem. Roh, sperrig und finster tönt es nicht nur hier: Was dem Hirn des RZA entspringt, gehorcht keinem Modediktat. Bling-Bling bleibt im Schmuckkästchen, aggressive Gangster- oder Prollattitüden im Schrank. Die Kinder werden ganz schön Augen machen: Solches hört man heute nicht alle Tage. Leider hört man es eigentlich gar nicht mehr.

Klar, dass sich Mr. Diggs das Heft nicht aus der Hand nehmen lässt: Sonnenklar, dass er und kein anderer auf dem Regiestuhl sitzt. Die Kombination aus funky Basslauf, Scratches und dem Gefühl sich immer wieder lichtender und verdichtender Nebelschwaden, die "Take It Back" durchzieht, hat allerdings Easy Moe Bee mitzuverantworten. Beim soulig glänzenden Beat zu "Stick Me For My Riches", der mit dem Auftritt jedes MCs eine ganz neue Wendung erhält, hat Mathematics, der zweite Reglerschieber des Clans, die ebenfalls begnadeten Finger im Spiel.

Doch nicht die für sich genommen schon betörende musikalische Basis bildet die Trumpfkarte, mit der die Bruderschaft wieder einmal den dicksten Stich im Rap-Game für sich einfährt. In den Schatten gestellt wird die produktionstechnische Leistung von dem neunköpfigen Drachen am Mikrofon. Überflüssig, sie einzeln aufzuzählen: Jeder der Herren für sich geht mittlerweile als Institution durch.

Ein aufdrehender Meth, ein alle an die Wand reimender Ghostface und ein Masta Killa, der entspannt seinen Senf dazugibt, bringen meine Sicht auf Hip Hop 2007 erstaunlich schnell zurück ins Lot. In Skills und Flows der Wu-Tang-Wortgewalten manifestiert sich eine unerschütterliche Selbstsicherheit, die mit anderenorts häufig zur Schau getragener, brüchig (weil hohl) scheinender Arroganz, nicht das Mindeste gemein hat.

Auch, wenn sich in "Rushing Elephants" musikalische Elemente gebetsmühlenartig wiederholen, hat Langeweile keine Chance: Die steten Wechsel am Mikrofon verlangen auf ganzer Länge ungeteilte Aufmerksamkeit. Kompromisslos zerrt der eindringliche Rhythmus im Verbund mit jaulenden Saiten an den Nerven, während sich Inspectah Deck und Raekwon die Bälle zuspielen: Wu-Tang is "Unpredictable".

Gitarren kommen weiter in "The Heart Gently Weeps" phänomenal zur Geltung. George Harrison steuert zu diesem unerwartet melodischen Gesamtkunstwerk, das zweifellos die Hip Hop-Grenzen (falls solche überhaupt existieren) sprengt, nicht nur das zugrunde liegende "My Guitar Gently Weeps" bei. Neben John Frusciante hören wir hier Harrison-Spross Dhani an der Gitarre. Die Hookline liefert Erykah Badu. Ich verstehe sofort, dass George Clinton auf einen Sprung sein Mothership verlässt, um eine Runde mit den Wölfen zu heulen ("Wolves").

Ol' Dirty Bastard weilt zwar nicht mehr unter den Lebenden. Sein Geist weht jedoch deutlich spürbar nicht nur durch den aus den Archiven gezogenen, entsprechend angestaubt dumpf hallenden Gedenktrack "16th Chamber": Ein Gruß aus einer anderen Zeit.

"Frag nicht: Mir ist das alles zu berechnend." Derlei kritische Stimmen tropfen an meiner Begeisterung ab wie Wasser an Ölfarbe. Natürlich. Was sonst? Nie im Leben lieferte der RZA auch nur einen Track, der nicht von vorne bis hinten in Aufbau und Wirkung minutiös durchkalkuliert war. Brillanz und daraus resultierende Faszination liegen darin, wie geschmeidig seine Gleichungen regelmäßig aufgehen.

Wie lange referiere ich bereits? Die Sache lässt sich abkürzen: "Before you even had a name you were screaming Wu-Tang." Wu-Tang forever and ever. Amen.

Trackliste

  1. 1. Campfire
  2. 2. Take It Back
  3. 3. Get Them Out Ya Way Pa
  4. 4. Rushing Elephants
  5. 5. Unpredictable feat. Dexter Wiggle
  6. 6. The Heart Gently Weeps feat. Erykah Badu, Dhani Harrison and John Frusciante
  7. 7. Wolves feat. George Clinton
  8. 8. Gun Will Go feat. Sunny Valentine
  9. 9. Sunlight
  10. 10. Stick Me For My Riches feat. Gerald Austin
  11. 11. Starter feat. Sunny Valentine and Tashmahogany
  12. 12. Windmill
  13. 13. Weak Spot
  14. 14. Life Changes
  15. 15. Tar Pit
  16. 16. 16th Chamber - O.D.B. Special

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196 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Diesen Sommer; meisterwartetes Album 2007. :uiui:
    @Wiki & der RZA (« 8 Diagrams is the upcoming album by New York hip hop group Wu-Tang Clan, scheduled for release in Summer 2007 through Street Records Corporation. The album's title is derived from the Kung Fu film Eight-Diagram Pole Fighter. The Clan, who has not released an album since 2001's Iron Flag, signed a one-album deal with Steve Rifkind's SRC Records in December 2006. The group's four previous albums were all released on Rifkind's now-defunct Loud Records.

    8 Diagrams will feature eight of the Clan's original nine members: RZA, GZA, Inspectah Deck, Raekwon, U-God, Ghostface Killah, Method Man and Masta Killa. The Clan's ninth member, Ol' Dirty Bastard, died on November 13, 2004 of a drug overdose. The album will feature previously recorded material from ODB, as well as a tribute track titled "Life Changes."

    In a released statement, group leader RZA commented on the need for the Clan's return:
    "This is the perfect time for us to come back, the stars are aligned. It's like when we first started with Steve. We put out real hip hop at a time when it was turning into pop or R&B. We brought the focus back to the music in its rawest form, without studio polish or radio hooks. People want something that gives them an adrenaline rush. We're here to supply that fix. How could hip hop be dead if Wu-Tang is forever? We're here to revive the spirit and the economics and bring in a wave of energy that has lately dissipated." »):

    Damit keiner auf die Idee kommt, mir den Thread wegzuschnappen oder einen 2. zu erstellen, halte ich diesen oben, bis das Teil erscheint. Und wenn ich doch einen sehe, dann ist Alarm, Leute.

    [size=7:f41acfecb6]Wer braucht da bitte noch k-os?[/size:f41acfecb6]

  • Vor 17 Jahren

    GROßARTIG!! Das Album kann einfach nur genial werden, nach den letzten erstklassigen Soloalben von Wu-Mitgliedern wie Ghostface, Masta Killa oder Method Man... (ich hoffe, dass Raekwon ENDLICH nachzieht und Cuban Linx 2 releast!!).
    Das wird neben dem neuen Little Brother Album mein musikalisches Highlight dieses Jahr werden! Ich denke, dass nich nur ich das so sehe ;)

  • Vor 17 Jahren

    @Baudelaire («
    Damit keiner auf die Idee kommt, mir den Thread wegzuschnappen oder einen 2. zu erstellen, halte ich diesen oben, bis das Teil erscheint. Und wenn ich doch einen sehe, dann ist Alarm, Leute. »):

    Ich wart ja auch schon auf das Ding, aber ist dein Schwanz wirklich so klein, dass du nen Thread als Verlängerung brauchst?