laut.de-Kritik

Bianco, bianco.

Review von

Den Ruf Österreichs als Kulturnation verbinden heutige Gesellen ganz selbstverständlich mit Wanda, Bilderbuch und Crack Ignaz; deren Bezugspunkte liegen zumindest bei den beiden erstgenannten aber bei einer Generation an österreichischen Musikern, die in Deutschland peu à peu in Vergessenheit zu geraten drohen. Die Rede ist von der Austropopwelle, die Österreich und große Teile Süddeutschlands (Südtirol sowieso) seit Ender der 1960er erfasste. Vertreter gibt es ihrer viele, einsam an der Spitze stehen aber nur zwei: Georg Danzer und Wolfgang Ambros. Beide haben gleich mehrere unsterbliche Meisterwerke hervorgebracht. Nicht wenige finden, dass zumindest Wanda eigentlich in einer gerade Linie von diesen Herrschaften abstammen; dafür gibt es in der Exaltiertheit und ihrem Schmäh eine Vielzahl guter Gründe.

Es ist kein Geheimnis, dass selbst Peter Dohertys Nieren und Leber kapitulierten angesichts der Dosen, die sich Wolfgang Ambros in seinen wilden Jahren (die nie wirklich aufhörten) in die Goschen pfiff. Der Wolferl ist halt ein Lebemann, und um den Preis hat er sich meist unverzagt wenig geschert. 1980 ist Ambros kommerziell auf einem Höhepunkt und genießt den künstlerischen Gottesstatus in der insula felix Austria unter anderem für das Dylan-Cover "Wie Im Schlaf". Er veröffentlicht auf sehr hohem Niveau mit enormem Output, "Nie Und Nimmer" von 1979 mit seinem immer noch exzellenten Titelsong täuscht aber nicht darüber hinweg, dass eine künstlerische Weiterentwicklung seit 1972 eigentlich Mangelware blieb. Das fiel erstmal nicht weiter auf, war die Grundformel des jungen Ambros doch bereits komplex und textlich stets mit einem Augenzwinkern und einer Schmissigkeit versehen, dass mehr vom selben ausreichte.

Wie jeder große Künstler aber forderte sich Ambros irgendwann fundamental selbst heraus; und dieser Zeitpunkt kam 1980 mit "Weiss Wie Schnee". 18 Wochen in den österreichischen Charts, gar 20 in den deutschen, immerhin hoch bis auf Platz 31, in Österreich natürlich auf die Eins. Dieser Erfolg, den Ambros in dieser Dauer nie wieder erreichen sollte, verdeckt aber den viel wichtigeren Einfluss, den dieses Machwerk besonderer Grausamkeit ausübte und von welcher unerreichten Brillanz dieses Album war.

"Weiss Wie Schnee" ist österreichischer Folk-Emo, es ist das deutsche Rasierklingenpendant zu "Songs Of Love And Hate", denn ähnlich wie dieses wird sich nicht wie auf "A Crow Looked At Me" an irgendetwas anderes abgearbeitet als an der Egozentrik des Sängers – nur eben auf gänzendem Niveau und mit einem ganz selbstverständlichen Bedienen an einfach allen Stilen von Pop, Rock, Blues, Folk hin zu einer Verschmelzung, die immer originell und hochdramatisch klingt; angesichts der Texte bleibt auch wenig anderes übrig. Zwar legte Ambros bereits 1975 auf "Es Lebe Der Zentralfriedhof" mit "Heit Drah I Mi Ham" die endgültige Selbstmörderhymne vor, aber einen dermaßen brutalen Schlag in die Fresse wie "Weiss Wie Schnee" hat es in der Geschichte des geschriebenen und gesungenen Wortes selten gegeben.

Der Reigen beginnt schon mit "Gezeichnet Fürs Leben", in dem Ambros gekonnt wie sonst nur Hesse die zunächst fast absurd geringfügigen Leiden einer Kindheit nachzeichnet, die so schleichend in immer düsteren Farben gemalt werden, dass die Erkenntnis den Hörer fast erschlägt. Zur Ablenkung trägt neben dem pushenden Klavierstakkato eines der energetischsten Gitarrensolos überhaupt aus den Händen von Peter Koller bei, das den Hörer so machtvoll auf eine Wolke hebt, nur um ihn dann abstürzen zu lassen ("und irgendwo im Woid / leg i mi ins Moos / mei Bluad wird langsam koid / und eia Sehnsucht graouß"). Ebenso sorgfältig konstruiert wie packend umgesetzt und vor allen Dingen glaubwürdig zeichnet Ambros hier den Entschluss eines jungen Selbstmörders nach, dass es einen schauert.

Der zweite Track "Original Clarks" bleibt einer der opaksten im gesamten Katalog von Ambros: Nur nach vielmaligem Zuhören ergeben sich die Schichten der Lyrics, die zum einen von einer verpassten Liebe handeln, der Ambros dann beraubt wurde, als er sie am meisten gebraucht hätte. So reminisziert er im Refrain "Original Clarks/ Desert Boots/ und dreckiche Hooar (dreckige Haare)" und versucht vergeblich, seinen Frieden damit zu machen, dass die Auserwählte ihn heute nicht einmal mehr grüßt. Der Kontrast zur fröhlichen Musik ist eines der Hauptmotive des Albums und kommt hier besonders fein zum Vorschein. Der tiefenentspannte Bass von Helmut Pichler ist schon zum Beginn des Lieds zum Verlieben, umspielt wird er von Glockenspiel und singender Gitarre.

"I Wü Frei Sein" schlägt noch stärker in diese Kerbe: Keyboard und Gitarre grüßen fast schon karibisch, bevor der Wiener rasch und explizit klarstellt, dass er für seine Freiheit gerne mit Blut zu zahlen bereit ist. En passant wird mit dem Vater abgerechnet ("Er wüll frei sein / er wüll lem' / oh yeah / oba er hods nur im Hirn / und i / i hob's im Gfühl") und ein ganz hintergründiger Hedonismus aufgestellt ("I scheiß auf Wos do war / und Wos no kummt") und sofort wieder verworfen, denn der ganze Song handelt ja von einem bornierten Fatalismus.

Wem das nicht reicht an Nabelschau, ist mit "Guten Morgen" gut beraten. Lauernd wie Shir Khan im Busch unterhalten der Bass und eine weit davonlaufende Klavierfigur fast eine Minute für sich, bevor Ambros einen fröhlichen Morgengruß auspackt: "Es kinndad sa (könnte sein) / i reiß a Bank'l (wienerisch für: sterben) / in letzter Zeit ist des modern"). Genau eine Zeile Hoffnung erlaubt er sich im Anschluss, bevor der kalte Griff um die eigene Seele endgültig überhandnimmt: "Es wird mar schlecht / bei dem Gedanken / an alles wos ma / heind no blühd". Die sich anschließende Ruhe-Vor-Dem-Sturm-Passage mit brillantem Bass leitet eine an Wut und blinder Zerstörungslust nur so strotzenden Orkan ein, mit dem Ambros Gewalt gegen alle und jeden und sich selbst legitimiert. Die völlige Überforderung, sein "Zwickt's Mi" 2.0, Misanthropie, die selbst Prezident zu viel wäre. Dazu hat die Band, getrieben vom Marsch spielenden Helmut Nowak am Schlagzeug, vor 40 Jahren Konzertsäle abgerissen.

Der Titeltrack lässt eine kurze Pause zum Durchatmen, mit einer für Ambros (wie auch für Danzer) typischen Ballade für den Wert der Wahrheit. Der jedoch schon zur Mitte dröhnende Bass kündigt die kommende Lawine an, die Ambros in seinen mit einem bewundernswerten Niveau und einer Eleganz an Wortspielen dann tatsächlich als Motiv einführt: "Der Wald ist weit / zu weit zum Gehn" (um sich vor der Lawine in Schutz zu bringen). Ambros fährt ständig Motive parallel, lässt Gedanken fallen, greift sie später wieder auf und stellt so seine Lines erst in Verbindung, wie wenn auf die Lawine folgt: "Der beste Freind schaut weg / und nickt" (beim Kokainkonsum von Ambros und als dieser versucht, ihm sein Herz auszuschütten").

"Kaputt Und Munter" ist der Eckstein dieses Albums, er repräsentiert die Ambivalenz aus dynamischer Wut und völliger Verzweiflung von Ambros exemplarisch. Vergangenheit und Zukunft hätten für ihn keine Bedeutung mehr, bevor er direkt betont: "I hob scho so, so vüll bereut". Selbst als "der große Freudverleider" züchtigt der Sänger sich, es ist ein ständiges Hin und Her, das dem Hörer einiges abverlangt, gleichwohl so unendlich lohnend ist. Nicht nur die Lyrics, in diesem Fall Ambros selbst an der akustischen und Günter Dzikowski am Keyboard wogen ständig auf und ab und heben dafür stets am richtigen Zeitpunkt ab und hören wirklich ausnahmslos immer dann auf, wenn es am schönsten ist.

"Geteiltes Leid" ist wahrgewordene Rockwut: "Es ist a Blödsinn, dass i so blöd bin", sogar ins Falsett geht der damals 28-Jährige. Gerade als man denkt, der Rocker sei gut, habe aber weniger Ebenen als der Rest der bis zu diesem Zeitpunkt durchgehend spektakulären Songs, dreht Ambros den Song komplett auf links und verwandelt ihn in ein Wiener Stiegenlied. Spätestens beim großartig deplatziert futuristischen Keyboard-Solo wird klar: "Weiss Wie Schnee" bleibt perfekt und "Geteiltes Leid" geht gar in eine Polka über, weil hier einfach alles immer aufgeht.

Dementsprechend schadet es gar nicht, dass Josef Prokopetz, bekannt vom Watzmann, bei "Sodbrennerei" mitschreibt und wie oft in der Zusammenarbeit der beiden ein schmissiger Blödelsong zwischen Blues und Bar entsteht. Auf diesem Niveau geht sogar der auf, auch wenn er nicht der stärkste Song des Albums ist. Vor der Magensäure gibt es für den Künstler kein Entkommen, der Schlusstrack "A Grosses Werk" aber gibt sich tatsächlich unerwartet versöhnlich, stellenweise sogar hoffnungsfroh. Da brauchte es den Witz wirklich, um die Zäsur nicht allzu krass ausfallen zu lassen. Das Level ist nun wieder ganz oben, einmal, weil die erste Hälfte des Songs ein nicht aus dem Schädel zu kriegender Ohrwurm ist, aber seine Magie, die entfaltet der Song erst in der zweiten Hälfte, wenn Ambros an der Akustikgitarre wiederum im Duett mit Dzikowski Figuren im Dutzend raushaut, für die Mark Kozelek mit Freuden töten würde. Nie und nimmer fühlt sich das wie nur fünf Minuten an – Spa für die Seele, mitgeschrieben von Peter Koller.

Cargo Records und Bellaphon haben ein Vinyl-Reissue von "Weiss Wie Schnee" veröffentlicht – kauft es euch einfach, wenn ihr es dem eigenen Seelchen auch nur ein Stück weit zutraut. Dort befinden sich dann auch noch zwei italienische Interpretationen der Titel "Gezeichnet fürs Leben" und "Weiss wie Schnee" von Daniele Cimitan, die hier nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht von Ambros gesungen werden. Aber ja: Früher sangen Italiener deutschsprachige Lieder, nicht umgekehrt. Das sagt alles über die europaweite Strahlkraft dieses Meisterwerks.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Gezeichnet fürs Leben
  2. 2. Original Clarks
  3. 3. I Wü Frei Sein
  4. 4. Guten Morgen
  5. 5. Weiss Wie Schnee
  6. 6. Kaputt Und Munter
  7. 7. Geteiltes Leid
  8. 8. Sodbrennerei
  9. 9. A Grosses Werk

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5 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    "Vertreter gibt es ihrer viele, einsam an der Spitze stehen aber nur zwei..." Hab ich da was überlesen oder euer Rezensent nicht mal in Eurem Archiv vernünftig recherchiert? Denn da gibt es auch noch einen gewissen, bekannteren und kommerziell weit erfolgreicheren Rainhard Fendrich, auf den sich Wanda ständig beziehen und der zusammen mit seinen damaligen besten Freunden Ambros und Danzer sogar die "Supergroup" Austria 3 (bei Euch im Archiv zu finden) formte. Von Gruppen wie STS oder auch der EAV ganz zu schweigen... Bloß was natürlich auch in dieser "Rezension" fehlt. Ambros hat 2011 maximal unsympathisch über den bereits bekannten Kokainkonsum von Fendrich in den 2000-ern gesprochen. Ich kann seine Musik seitdem nicht mehr hören, Fendrich kappte danach sofort auch jegliche Verbindung ihm und beendete das "geplante Revival" von Austria 3 (unter dem Titel Extra3 mit Eberhartinger von der EAV, da Danzer ja schon verstorben war). Die Erwähnung von all dem hätte dieser Rezension allein und nur wegen dem Titel des Albums auch sensationell gut getan. Meilensteine ist ja eine tolle Rubrik von Euch -aber dieser Text wohl so etwas wie ein absoluter Tiefpunkt.

    • Vor 6 Monaten

      1. Ist der Fendrich sicher nicht "kommerziell weit erfolgreicher" und 2. kann er Ambros nie und nimmer das Wasser reichen, was die Qualitaet seiner Musik angeht.

    • Vor 6 Monaten

      bei Punkt 2 ist das ja schlussendlich Geschmackssache und ich ziehe den Danzer-Joker ;-). Aber Fendrich war mit Ambros und Danzer, Teil der Austria3. Aber hat auch als Musiker die meiste Kohle gemacht und ist auch mehr Mainstream. Weit mehr als Ambros und Danzer zusammen. Da reicht ein Blick auf Wikipedia und da kann Ambros so lange wie er will Schifoan, denn es lebe der Sport ;-). Aber ich hab ja vor allem bemängelt, dass Fendrich in dieser Rezension komplett fehlt und gleiches gilt somit für Ambros eklatantes Fehlverhallten ihm ggü. dass Fendrich übrigens bemerkenswert souverän kommentierte. Und vor allem, dass all dies gerade in diese Art von "Rezension" gehört. Nicht nur bei diesem Album-Titel :-)))

    • Vor 5 Monaten

      Ambros hatte sich geärgert, dass Fendrich als sein Kokain-Konsum aufflog, das Wasser nicht halten konnte. So was passt nicht in die Welt von Ambros.

  • Vor 6 Monaten

    Habe das Album von Wolfgang Ambros angehört und der Meilenstein ist gerechtfertigt mir gefallen fast alle Lieder ausser das Lied Sodbrennerei ist nicht schlecht aber passt finde ich nicht ganz auf das Album Weiß wie Schnee.

  • Vor 5 Monaten

    Dieser Kommentar wurde vor 5 Monaten durch den Autor entfernt.

  • Vor 5 Monaten

    Das ist tatsächlich ein echter Meilenstein. Und der Song "Kaputt und munter" ist ein wahres Meisterwerk. Grandios. Gänsehaut.
    Ambros hat(te) die wohl beste Stimme aller deutschsprachigen Musiker, und er ist - wohl wahr - in jeglicher Hinsicht widerborstig.
    Beides macht ihn einzigartig. Für beides wird er von mir verehrt.