23. März 2005

"Manchmal ist Musik das kälteste Gewerbe der Welt"

Interview geführt von

Doch beim Gespräch über Comics, Namensfindung und Zuhälter tauen die charmanten, zuvorkommenden Musiker auf. Zunächst interessiert sich Mark für mein neues Hobby "Pimp My iPod". Fasziniert blickt er auf meinen nicht sehr coolen Chemical Brothers iSkin.

Mark: Wenn wir ganz neugierig sind stoßen wir manchmal mit der Nase gegen Dinge. Kerzen sind zum Beispiel nicht so gut.

Aber die kennt ihr ja jetzt schon.

Judith: Das war schmerzhaft.

Dann also lieber zu einem Thema, das garantiert nicht weh tut: Alles, was mit dem neuen Helden-Album zu tun hat (Single-Design, Cover-Artwortk, sogar das Heftchen, das die Presse vorm Interview bekam, Anm. d. Red.), zeigt die Band strikt in einem Design. Es erinnert stark an Tim und Struppi. War diese Assoziation beabsichtigt?

Judith: Der Gedanke dahinter war, dass wir gerne ein Comic-Cover haben wollten. Aber keine Knollen-Nasen. Wir können uns alle mehr für einen eher altmodischen Comic-Stil begeistern. Die Referenzen waren Little Nemo, aber auch belgische Comics. Am allermeisten die Ligne Claire, dieser Comic-Stil, der ohne viele Schraffuren und so arbeitet. Das bekannteste Beispiel ist da auf jeden Fall Tim und Struppi. Die haben da auch immer tolle Farben. Das war schon beabsichtigt, weil wir auch schon dieses Abenteurer-Ding haben wollten. Wir sind die Abenteurer, die unterwegs sind, um obstruse Schätze zu finden. Da war die Assoziation klar.

Wer ist bei euch dann Tim, und wer Struppi?

Ich bin Struppi, flüstert Judith, während Mark versucht deutlich zu machen, dass nicht jeder in der Band für einen der Comic-Charaktere steht.

Mark: So sehr ist das auch nicht an Tim und Struppi orientiert, dass wir uns auf Charaktere einigen müssen. Das haben wir bewusst vermieden.

Nur in einem sind sich beide einig. Relativ klar sei, wer Kapitän Haddock wäre: Pola.

Judith: Verblüffende Ähnlichkeit gibt es da auch im echten Leben.

Meckert der auch so viel rum?

Mark: Nein, und er trinkt auch gar nicht mal so viel Alkohol. Nur einfach Bart, schwarze Haare, der Seemann-Style.

Hattet ihr noch andere Titel, oder stand "Von Hier An Blind" von Anfang an fest?

Judith: "Gekommen Um Zu Bleiben" war als Albumtitel auch relativ weit vorne. Wobei wir unterschiedlich überzeugt davon waren, ob der Witz auch so weit trägt. Denn das Album ist in größeren Teilen ja auch sehr melancholisch geworden. Da waren wir sehr lange sehr unsicher. Und dann hat sich heraus kristallisiert, dass "Gekommen Um Zu Bleiben" die erste Single werden soll. Damit konnten wir den Witz schon mal machen, der war also schon versorgt. Es ist ja ganz fürchterlich, an einem Witz zu ersticken. Auf der anderen Seite fanden wir es auch blöd, beides so zu nennen. "Von Hier An Blind" war auch von Anfang an weit vorne. Das waren die beiden Favoriten. Wir hatten aber auch "Wir Sind Helden Und Die Familienjuwelen Von Castle Dirk".

Mark: Eine Albums-Titelsuche wird immer weiter nach hinten geschoben im Monatskalender. Wenn's dann drängelt, wird's auch im Wochenkalender nach hinten geschoben, und an dem Tag, an dem es dann stattfinden muss, wird es auch noch mal im Stundenkalender nach hinten geschoben, so dass man das eher abends bzw. nachts macht.

Judith: Bis vier haben wir gemacht, oder?

Mark: Da bekommt man dann immer mal wieder mal so manische Phasen, in denen du dich auf totalen Klamauk einlässt und billigend in Kauf nimmst, dass es dadurch alles immer länger dauert und einem alles scheißegal wird, und dann kommt eben so was raus wie "Wir Sind Helden Und Die Familienjuwelen Von Castle Dirk" oder "Die Drei rhythmischen Dreizehn Rhythmen-Sonstwas". Totaler Mist. Es war die Überlegung, einen inhaltlichen Bezug zu haben, oder wenn das Album schon aus Inhalt und Cover besteht, eben einen Cover-Bezug, der sich nur dadurch erklären lässt, dass das Cover eben aussieht wie ein Abenteuer-Comic. Irgendeinen Bezug soll es geben, finden wir.

Judith: Aber das haben wir einige müde Witze später wieder fallen lassen.

Mark: Da gehst du einmal Pippi machen, kommst wieder und findest es nicht mehr gut. Das ist das Problem.

Aber über das Coverartwork ein Gesamtbild zu kreieren, ist euch schon wichtig, oder?

Judith: Das war bei uns schon immer wichtig.

Mark: Wenn man sich einige alte Singles anschaut, kann man das gar nicht glauben.

Judith: Stimmt, da war aber auch oft Zeitnot mit im Spiel

Mark: Beim ersten Album waren wir zum Beispiel in Augsburg auf Tour, und wir haben mit Ach und Krach über eine Telefonleitung die letzten Änderungen zum Cover des letzten Albums, um die wir gebeten hatten, downloaden können. Diesmal war das wirklich so eine Album-Endproduktionsphase. Das war ein ganz anderes Thema. Nicht minder unter Zeitdruck, und wir mussten uns ja irgendwann entscheiden.

Judith: Ganz neu war bei diesem Album, dass wir uns so schnell einig waren. Das war so was von mühelos, dass wir das nicht glauben konnten. Das ging so: Comic - sehr gut, altmodischer Comic wäre gut, alle waren einverstanden. So mühelos haben wir lange nichts mehr entschieden.

Mark: Wenn man sich schnell einig wird, kann man seine Energie noch in andere Sachen stecken. Wir hatten ja fünf oder sechs potenztielle Szenerien in diesem Stil.

Judith: Und ob du einen Bart hast oder nicht, war auch noch eine Frage.

Mark: Pola hat ja schon einen Bart, und meine Haare sind ja auch was heller als Polas, aber in den Comics musste man die viel heller machen, damit man die Charaktere unterscheiden kann, usw, usw. ...

Das schien mir auch so, als ich das Album online vorab gehört habe.

Judith: Oh, du bist eine der wenigen

Mark: Wir haben alles erlebt: Leute, die es nicht gehört haben, das alte aber kannten. Und wir haben vorhin jemanden gehabt, der das alte Album nicht kannte, der nur das neue gehört hat.

Judith: Das war ganz geil, für den konnten wir ganz neu sein.

Ihr habt ein paar Stücke, die sind extrem beschwingt, noch beschwingter, als auf dem letzten Album. Und dann im Gegensatz dazu viel melancholischere Stücke. Wie kam es zu diesen krassen Gegensätzen?

Judith: Interessant

Mark: Sicherlich ist das nicht durch bewusstes Steuern entstanden. Ich glaube, so was kann man nicht wirklich erklären. Man könnte jetzt mutmaßen, dieses Album hätten wir im Winter im Hochparterre-Hinterhof aufgenommen und das andere im Sommer. Der Witz ist aber, dass wir dieses Album im Sommer komponiert haben. Die Melancholie würde sich also nicht durch die Art und Weise erklären, wie wir es aufgenommen haben. Denn der Moll-Akkord war schon drin, der bleibt! Egal ob du das mit Fanfaren machst, oder mit einem Banjo. Das ist das, was einem zu der Zeit durch den Kopf ging, und ich glaube nicht, dass wir melancholischer waren als sonst.

Wir hatten da sehr schöne Momente. Auch auf Tour. Wir zehren ja von den Tour-Erlebnissen. Und wenn man so was erlebt und dabei auch glücklich ist, hat man vielleicht ein weniger gespaltenes Verhältnis zur Melancholie, musikalisch wie textlich. Es war einfach eine schöne Zeit, als uns klar wurde, dass unser neuer, richtiger Beruf Musiker ist.

Judith: Ein sicherer Grund, von dem man sich furchtloser trauen kann, sich auch auf traurige Sachen zu bewegen kann. Vielleicht entsteht auch dadurch der Kontrast: Die fröhlichen Lieder fangen die Stimmung ein, wie sie eigentlich über große Strecken war. Und die traurigen Lieder - da hat man dann den Mut, sich in sie reinfallen zu lassen.

Wenn ihr die Songs fertig habt, wie entscheidet ihr, dass ihr sie aufs Publikum loslassen könnt? Wen fragt ihr da?

Judith: Hauptsächlich uns gegenseitig. Wenn wir vier uns mal einig sind, dann wird das schon gut sein. Das reicht uns. Natürlich gibt es dann irgendwann ein Stadium, in dem man das ein paar Leuten zeigt, die einem wichtig sind. Aber da ist es dann quasi schon zu spät, da ist das Herz auch schon verschenkt.

Mark: Wir haben noch den Patti im Studio, Patrik Majer. Er ist für die ganze Aufnahmeseite zuständig. Aber Pattis Meinung ist uns auch sehr wichtig. Er ist der Produzent des Ganzen. Nicht der Produzent im Sinne von Dieter Bohlen, der alles macht. Wir sind ja eine Band, die das selbst arrangiert.

Aber wenn endgültig aufgenommen wird im Studio, und wir stecken fest und alle vier sagen. "Ich enthalte mich, ob die Gitarre da nun unbedingt hin muss, oder ob wir die nicht später bringen, oder sogar ganz sein lassen ..." Das sind die Punkte, an denen wir Patti vertrauen. Es ist enorm befreiend zu wissen: Wenn du nicht weiter weißt, wenn du das nicht entscheiden kannst, fragst du ihn. Er macht dann zumindest einen sicheren Eindruck. Es kann auch sein, dass - wenn vier festgefahrene Musiker dich mit abstehenden Haaren fragen, was sie tun sollen - dass er einfach nur eine gewisse Ruhe ins Spiel bringt. Er ist der fünfte Mensch, der sagt: Das ist fertig oder das ist nicht fertig.

Wenn man die Presse-Info über euch liest, bekommt man den Eindruck, ihr wärt euch immer total einig. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, immerhin sitzt ihr so viel aufeinander und noch viel gravierender, ihr müsst so viele kreative Sachen, an denen euer Herzblut hängt, entscheiden.

Judith: Wir stecken viel Energie da rein, uns zu einigen. Ich glaube, die grundlegende Einigkeit kommt daher, dass wir keine Angst haben, uns auseinanderzusetzen. Wir diskutieren uns die Hucke voll und das ist auch manchmal ganz anstrengend. Aber wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass es das wert ist und dass es sich tausendfach auszahlt. Aber das hat ganz viel mit Auseinandersetzung zu tun. Nicht unbedingt mit streiten. Streiten passiert auch, ist aber nicht unbedingt das Konstruktivste. Wir sind oft sehr unterschiedlicher Meinung und fechten das dann auch aus.

Habe ich das richtig gedeutet: Wenn man sich "Zuhälter" anhört und den Text dazu liest, ist das ein Vergleich zwischen Prostitutions-Gewerbe und Musik-Business. Ist das nicht ein bisschen krass?

Judith: Es ist eigentlich kein Vergleich zwischen dem Musik-Business und Prostitution. Aber es gibt einfach eine sehr deutliche Analogie zwischen Prostitution oder Zuhältern und den Leuten, die Musik verkaufen, ohne Musik zu lieben. Die also mit etwas handeln, was für andere Leute ihre große Liebe ist und die davon ein müdes Abbild verkaufen. Oder das, was einmal das Original war, in ein müdes Abbild verwandeln.

Und da finde ich den Vergleich überhaupt nicht zu krass. Wir sind ja in der glücklichen Lage, damit ganz wenig unschöne Berührungen gehabt zu haben. Aber wir sehen sehr viel, wir bewegen uns in einer Welt, in der das sehr viel passiert, und natürlich stoßen wir dadurch immer wieder an Ecken, an denen wir denken: "Das kann nicht sein". Dass so mit dem umgegangen wird, das wir am meisten lieben. An manchen Stellen blitzt das vor, das kälteste Gewerbe der Welt.

Mark: Wir bekommen auch mehr mit, als die Leute da draußen. Da wird ganz viel weitergesagt, was bei der Firma passiert ist, oder was der und der gemacht hat und was sie mit dieser Band angestellt haben. Wir sind ja schon wirklich konfrontiert worden mit total viel Know How. Was ist das für ein System, in dem Musik produziert, vermarktet, finanziert wird. Wir haben mit den Leuten, mit denen wir zusammen arbeiten, einen sehr natürlichen Weg gefunden.

Aber wir stecken so tief und mitten drin, dass wir ganz viele Geschichten auch mitbekommen. Auch über Leute, die rausfliegen. Und auf welche Art und Weise das passiert und wie mathematisch der ganze Laden auch ist. Und das ist im Begreifen der Strukturen auch ein neues Begreifen der Rauheit. Das darf man auch nicht weiter erzählen. Von Leuten, zum Teil die auch sehr bekannt sind. Das ist ein richtiges Gestrüpp.

Judith: Und das nicht nur bei Plattenfirmen, sondern auch bei Radios und Fernsehsendern. Es geht uns schon um alle Leute, die mit Musik arbeiten.

Mark: Die meisten, die man trifft, die lieben, was sie machen. Die meinen es auch wirklich gut und ernst. Aber diejenigen, die damit gemeint sind, sind versprenkelt verteilt über die ganze Bundesrepublik in allen möglichen Positionen, überall an wichtigen Knotenpunkten. Das ist schon beeindruckend, wenn man das mitbekommt und da mitten drin steckt.

Judith: Beeindruckend ist da ein schönes Wort.

Mit "Geht Auseinander" habt ihr auch eine Aufforderung zum Schluss machen auf eurem Album.

Judith, wie aus der Pistole geschossen: Ja!

Wie kommt man auf so was, warum schreibt man so was.

Judith: Ich muss das korrigieren. Es geht nicht nur ums Schluss machen, sondern es geht auch darum, einen Schritt zurück zu treten und erst mal dieses sich ineinander verbissene Knäuel aufzulösen. Was bei manchen Leuten dazu führen kann, dass sie dann sehen, dass sie vielleicht noch mehr Freundlichkeit füreinander haben, als sie in den letzten Jahren rausgelassen haben. Dann muss man sich auch nicht trennen. Es geht wirklich auch um das physische Trennen von Paaren, die sich so nahe sind, dass sie sich nicht mehr sehen können, die einander Schaden zufügen und sich nicht mehr respektieren und vielleicht vergessen haben, dass sie sich ursprünglich mal zusammen getan haben, um sich gegenseitig glücklich zu machen.

Musikalisch hat mich das ein wenig an ein Musical erinnert.

Judith singt ein bisschen, lacht, beide überlegen.

Das fand ich doch etwas konträr zum Inhalt. Aber anscheinend war das gar nicht eure Absicht.

Mark: Es kann sein, dass "Geht Auseinander" ... Judith redet dazwischen: Theatralische Elemente! ...

Mark: Der Teufel, der einen reitet, dann solche Fanfaren- und Querflöten-Aspekte mit reinbringt, die man dann nicht nachvollziehen kann. Kann ich nicht viel dazu sagen, das passiert einfach.

Mark: Das passiert sehr instinktiv.

Ihr als große Musical-Fans, da fließt so was schon mal in die Stücke rein ...

Judith, kichernd: Genau!

Mark: Ich bin ja zum Glück gar kein Musical-Fan, es gibt sicherlich gute Musicals, aber ...

Judith: Wobei ich beim Musical sicher sofort rausfliegen würde, weil ich so rumzetern würde. Das ist eines der Lieder mit wenig Gesang. Zumindest in den Strophen. Im Refrain hat es dann tatsächlich dieses Operettenhafte. Singt: "La-Laaa" und kichert noch mehr.

Mark: Die Strophe hat ja vorwiegend einen Ton. Der dann so lange geht, bis sich an der Stelle die In-Ohr-Härchen neigen und ein Tinnitus übrig bleibt oder eine Hörschwäche, die genau diese Frequenz darstellt.

Judith: Ein Song, der sich selbst zerstört ... lacht

Nach dreimaligem Hören könnt ihr ihn nicht mehr hören ...

Judith: ... Physisch.

Mark: Wir können das Album sowieso schon nicht mehr hören. Das ist auch nicht ernst gemeint, das Album.

Das ist ein Witz, oder? Das echte kommt dann in zwei Monaten.

Mark: Das wär doch mal was!

Judith: Dieses ist das lang angekündigte Achselfurzen-Album, das wir schon immer mal machen wollten.

Mark: Der Chili Peppers-Gitarrist John Frusciante hat ja ich vorgehabt, oder ist mitten drin, acht Alben zu schreiben.

Ja, so weit ich weiß, sind sieben davon schon draußen.

Mark: Man müsste erst mal ein Album raus bringen, und das dann wieder vom Markt nehmen. Und dann noch eins rausbringen und sagen, das sei jetzt das Richtige. Und dann denken die Leute, jetzt sei die Bombe geplatzt. Und das dann auch wieder vom Markt nehmen und ein neues bringen, das dann wieder das Richtige sein soll.

Judith: Das fände ich auch sehr schön. So dass immer nur 100 Leute das haben.

Viele Leute werden euch jetzt fragen: Spürt ihr nicht ziemlich viel Druck bei den Aufnahmen zu eurem zweiten Album? Mich interessiert, wie viel Druck nun auf euren Persönlichkeiten lastet. Immerhin wart ihr medial sehr präsent und werdet das wohl auch dieses Mal wieder sein. Da erwarten die Leute doch von euch, dass ihr einen bestimmten Charakter darstellt ...

Judith: Ich merke, dass ich mich zusammenreißen muss, jetzt, wo es wieder losgeht. In der Außenwahrnehmung merkt man wahrscheinlich nicht, dass wir jetzt vier Monate weg vom Fenster waren und wirklich nur an unserem Album gearbeitet haben ...

Was ja nicht wirklich lang ist, vier Monate!

Mark: Wenn man im Hochparterre im Hinterhof arbeiten muss, kann einem das schon lang vorkommen.

Judith: Auf jeden Fall ist das eine ganz andere Geisteshaltung, wenn man da so introvertiert vor sich hinbastelt. Ich merke, dass ich mich ein bisschen ausschütteln muss und selber ein bisschen ohrfeigen, um die Energie wieder aufzubringen, mich wieder nach draußen zu stellen. Ich finde das komisch, ich schlingere ein bisschen, mich da wieder umzustellen.

Was macht dir dabei am meisten Schwierigkeiten?

Judith: überlegt Ich empfinde das als schwierig, so viel über sich und über eine Platte zu reden und ... damit gezwungen zu sein, eine Person zu formulieren, die es so konsistent überhaupt nicht geben kann. Das ist völlig irreal, und je länger man das nicht gemacht hat, um so deutlicher wird das.

Mark: Hilfreich ist, dass wir von Anfang an, als es so vor zwei bis drei Jahren mit Interviews losging, bis heute nie den Fehler gemacht haben, etwas zu verzerren oder zu verwässern. Dass wir versuchen, dieses oder jenes zu sagen und eigentlich gar nicht zu wissen, was wir damit sagen wollen. Oder wir behaupten, wir hätten da und da gewohnt. Es gibt ja Künstler, die werden jünger gemacht, als sie sind, oder werden immer als Single dargestellt. Das sind die banalsten ...

Judith: ... Zuhältereien

Mark: Zuhälter-Aspekte. Es gibt dann auch Leute, die auf viel subtilerer Ebene versuchen, eine andere Persönlichkeit zu präsentieren. Wenn man das jahrelang macht, dann kann man sich ganz schön verstricken in dem ständigen Überlegen: "Was habe ich vor zwei Jahren erzählt, wie widerspreche ich mir jetzt nicht" und so. Ich glaube, dass wir uns davon befreit haben, indem wir uns so unterhalten haben, wie wir uns abends auch mal in der WG-Küche unterhalten würden. Das macht es, auch wenn es eine Umgewöhnung ist, leichter.

Judith: Trotzdem können Interviews, in denen man immer wieder das Gleiche sagt - was man wahnsinnig aufrichtig meint - die Wirkung haben, dass man sich das am Ende des Tages selber nicht mehr glauben kann. Es ist einfach komisch. Es ist eine komische Art der Kommunikation. So einseitig würde man sonst nie kommunizieren. Das ist eine ganz bestimmte Geisteshaltung, in die man sich wieder reinbegeben muss. Um das zu abstrahieren und zu akzeptieren, brauche ich erst mal wieder ein paar Tage.

Ich fand, dass du immer so extrem fröhlich gewirkt hast. Du hast immer gelächelt. Das hat mich richtig aggressiv gemacht. Judith lacht laut auf. Du hast immer gelacht, und ich hab mir gedacht: "Kann das überhaupt sein?"

Judith: Ich tendiere aber dazu. Oder? Fürchte ich!

Ich fand das fürchterlich und habe mich gefragt, ob so was echt sein kann. Ich habe angefangen, daran zu zweifeln.

Judith: Ich habe mich aber auch bombig amüsiert.

Ich glaube dir das jetzt völlig.

Judith: Ne, ich kann das total gut verstehen. Da würde ich vielleicht auch dran zweifeln. Ich überlege gerade, ob ich mich an einen Tag erinnern kann, an dem ich mich richtig zusammenreißen musste. So gute Mine zum bösen Spiel-mäßig. Ich habe einen starken Impuls, mich im Leben zu amüsieren. Funktioniert ganz gut. Lacht

Mark: Wir kitzeln sie auch andauernd.

Judith: Mark hat vorhin behauptet, ich wäre als Kind in einen Zaubertrank gefallen.

Mark: Es ging vorhin darum, ob wir wirklich so eine asketische Band wären, die ganze Zeit um acht Uhr ins Bett gingen. Irgendwie ist dieser Eindruck entstanden, dass wir nichts anderes machen, als eine ehrliche Klassenfahrt mit elf Leuten, also unseren Tour-Kollegen. Und Judith trinkt ja tatsächlich nichts. Man muss sich das dann so vorstellen, als wäre sie als Kind in einen Gin-Eimer geplumpst, weil man es ihr nicht anmerkt, dass sie nüchtern ist, wenn wir feiern. Sie meinte auch, dass sie uns das ebenfalls nicht anmerkt.

Judith: Ne, ich merke das nicht, wenn Leute betrunken sind.

Mark: Deswegen ist sie offensichtlich als Kind, wie Obelix seiner Zeit ...

Judith: Ja, ich bin grundbetrunken. Das habe ich mir irgendwann wahrscheinlich mal angetrunken.

... Als kleines Kind heimlich an Papas Schrank mit dem Alkohol ...

Judith: Davon zehre ich.

Ich habe gestern auf Bild.de entdeckt, dass eure Single da der "Download des Tages" war.

Judith: Wat? Bei Bild.de???

Mark: Da können wir dir versichern, dass das nicht in unserer Absicht steht. Das ist so eine Sache, die wir nicht beeinflussen können.

Judith: Das fängt jetzt an. Das ist ein interessanter Punkt. Da bin ich jetzt auch sehr gespannt, was da jetzt kommt. Von wegen. "Ist der Erfolg dann manchmal auch ein 'Mmmmm' und so?" Das ist tatsächlich sehr interessant, weil es jetzt vielleicht anfängt, dass wir in Medien vorkommen, mit denen wir überhaupt nicht gesprochen haben.

Da passiert ja nichts mit euch, die haben da nur einen Download-Shop.

Judith: Das ist ja harmlos und gar nicht so schlimm. Aber gestern stand irgendwas in einer Zeitung, was ich wirklich einfach niemandem gesagt hatte. Es war ein Boulevard-mäßiges Ding, wo dann stand: "Hat die Band-Liebe zwischen Judith und Pola gehalten?" oder so ein Scheiß halt. Ich habe dann angeblich gesagt, "Hach, wir sind immer noch total verliebt und brlrlrll" Judith macht ein sehr komisches Geräusch. Weißt du, so was würde ich nieeee sagen.

Mark: So eine VIP-Seite war das, blöder Krams!

Judith: Komplett ausgedacht

Mark: Das geht so weit, dass Judiths Konterfeit neben 400 €-Stiefeln abgebildet wird und dazu ein erstunken und erlogenes Zitat. "Ich tragen diese Stiefel, weil ..."

Judith: "Weil sie mich an Wendy und Reitstunde erinnern." Das war wunderschön, ja.

Mark: Da kann man nur hoffen, dass sich Leute, die sich kritisch mit uns auseinandersetzen - auch Leute, die uns nicht mögen - auf so was achten. Auf solche Widersprüche. Dass die Leute das abstrakt genug wahrnehmen.

Judith: Medienkompetenz.

Mark: Du hast das echt nicht im Griff. Du kannst nur noch alles, was unmittelbar mit dir zu tun hat, beeinflussen. Du kannst natürlich entscheiden, mit wem du sprichst und mit wem nicht. Du kannst aber nicht unterbinden, was wo über dich geschrieben wird.

Judith: Man kann ihnen fröhlich hinterher klagen ... was wir auch tun. Aber es ist dann halt immer schon zu spät.

Mark: Theoretisch kann jeder auf ein Konzert kommen und eine Rezension schreiben und das dann drei Wochen auf den Titel nehmen, als hätten wir eine Kooperation mit der Zeitung. Also, naja.

Judith: Das ist ein ärgerlicher Aspekt.

Mark: Aber unterm Strich haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Judith: Die interessieren sich nicht für uns.

Mark: Man kennt sich, man lässt sich in Ruhe. Wie im Urwald. Judith lacht. Wie Tiere, die in der Nahrungskette nicht unbedingt benachbart sind. Alle lachen, Judith gackert inzwischen: Grundbetrunkenheit, räuspert sie sich.

Was ich ganz komisch finde, ist diese Wahrnehmung von Leuten, die euch in einen Topf mit Juli und Silbermond werfen. Versteht ihr das?

Mark: Seitdem es Musik gibt, gibt es Aufräumversuche. "Das klingt wie Metallica, nur mit mehr funky Bässen ..." Das ist immer so gewesen. Und dann gibt es für den groben Blickwinkel weniger auffällige Merkmale, wie: Was haben die für Tempi oder was für eine Instrumentierung. Und es gibt für den groben Beobachter deutlichere Eigenschaften als Sprache oder Männer-/Frauengesang.

Das führt dazu, dass viel Musik verglichen wird. Wir neigen auf jeden Fall nicht dazu, uns zu distanzieren, das ist auch relativ armselig zu sagen: "Wir sind etwas Besonderes, weil wir mit niemandem was zu tun haben wollen." Das ist auch nicht selten in der Musikszene. Allerdings halten wir das auch nicht für schlau oder gut beobachtet, diese Bands zu vergleichen. Ich finde, dass eine Band wie Silbermond viel eher mit Die Happy zu vergleichen ist, als mit ...

Judith: Und wir orientieren uns eher an den frühen CC Catch.

Mark: CC Catch und so was ... Judiths Lachen wird beängstigend hysterisch

Ihr wart ja auch als Dozenten an der Popakademie.

Judith: Wir waren da einmal und haben den jungen Leuten erzählt, dass sie nicht zu schnell Verträge unterschreiben sollen. Das war sehr lustig, weil wir uns sehr altväterlich vorkamen, Pola und ich.

Mark: Wir hatten jeder zwei Kinder, äh Jugendliche, auf dem Schoß. Einen hier, einen da.

Judith: Einen mit'm Bass in der Hand, einen mit'm Schlagzeug. Und haben ein bisschen den mütterlichen bzw. väterlichen Rat gegeben, doch erst mal eine anständige Band zu gründen und ein paar Konzerte zu geben und dann zu überlegen, wem man sein Zeug schickt. Und das hat irgendwie Spaß gemacht.

Im Anschluss unterhalten wir uns noch über kürzlich erlebte Konzerte. Mark möchte unbedingt wissen, wie sich Conor Oberst von den Bright Eyes live angestellt hat. Viel erfährt er nicht. Denn der ungeduldige Promoter hat noch mehr Journalisten in der Hinterhand, die die beiden müden und sympatischen Helden zu Comics, Silbermonden und Erwartungen befragen dürfen.

Das Interview führte Vicky Butscher

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