23. November 2012

"Von Plattenverkäufen habe ich keine Ahnung"

Interview geführt von

In einem beachtlichen Prozess hat sich Wankelmuts Asaf Avidan-Remix "One Day/Reckoning Song" vom Soundcloud-Upload zum Nummer-eins-Hit entwickelt. Längst stieg der nebenbei als DJ tätige Philosophiestudent Jacob Dilßner zum Vollzeitmusiker auf.In Telefoninterview spricht der 24-jährige Berliner über die Entstehung der Single, den unverhofften Hype, sein Mix-Album "Wankelmoods Vol. 1" und Auftritte vor 4.000 Menschen.

Du hast mit deinem Asaf Avidan-Remix völlig unverhofft den Sommerhit 2012 gelandet. Wie fühlt sich das jetzt an, wo du mit ein bisschen Distanz auf die Geschichte blicken kannst?

Es fühlt sich gut an, sehr gut sogar. Ich wurde in eine Lebenssituation katapultiert, die ich so nicht habe kommen sehen. Mit der ich jetzt aber zurecht komme und die mir unglaublich viel Spaß macht.

Die Entscheidung, Asafs "Reckoning Song" zu remixen, hast du auf einem Roadtrip durch die USA getroffen. Wie ist die Nummer anschließend entstanden? Im richtigen Tonstudio oder im WG-Zimmer?

Der Remix ist tatsächlich in meinem WG-Zimmer entstanden, sozusagen eine Bedroom Production. Ich hatte einen Laptop, ein Keyboard und Kopfhörer - also nicht mal Studiomonitore.

Das war dann aber noch nicht die Version, die als Single erschien?

Nee, die haben wir dann nochmal in einem professionellen Tonstudio abgemischt. Am Arrangement hat sich nichts mehr geändert, an den Sounds an und für sich auch nichts. Das Ganze wurde aber noch gemastert, das macht natürlich den großen Unterschied.

Über Soundcloud entwickelte sich der Track zuvor zum Hit und weckte die Aufmerksamkeit der großen Labels. Warst du sofort Feuer und Flamme, als das Major-Angebot sich auftat oder hattest du Bedenken?

Na, ja. Gedanken mache ich mir die ganze Zeit. Es ist ja nicht so, dass das einfach ankommt und man es mit offenen Armen empfängt. Das kann ich mir jedenfalls kaum vorstellen. Ich hab' mir auf jeden Fall Gedanken gemacht, ich war und bin da auch skeptisch. Aber ich bin ja jetzt auch nicht wirklich bei einem Majorlabel, sondern nur dieser eine Track ist da erschienen. Das musste ich mir auch erst einmal überlegen. Ich bin dann aber zum Schluss gekommen, dass das ganz gut passen würde.

Im Endeffekt war das eh Sonys Track, denn das Original ist dort erschienen. Ich hatte quasi nur zwei Optionen: Überhaupt gar nicht releasen - oder eben über Sony. Mir waren in gewissem Maße die Hände gebunden.

Du bist ständig am Auflegen. Mit "One Day" hat dich aber ein Remix ins Gespräch gebracht. Siehst du dich eher in der Rolle des DJs oder in der des Produzenten?

Ich bin überwiegend DJ. Zwar produziere ich regelmäßig Musik und bin auch wöchentlich im Studio, aber ich bin insgesamt viel mehr als DJ unterwegs. Das frisst im Moment auch noch viel mehr Zeit als das Produzieren. Ich könnte mich natürlich immer wieder abends hinsetzen und drei, vier Stunden in einen neuen Track investieren. Das mache ich auch ab und zu. Aber öfter verwende ich die drei, vier Stunden, um neue Musik zu finden, die ich auflegen kann. Noch verstehe ich mich also mehr als DJ.

Empfindest du diese Beschäftigung derzeit als stressig?

Anstrengend ist es auf jeden Fall, das zu verneinen wäre blöd. Es macht aber immer noch Spaß. Ich will mich auf keinen Fall beschweren, weil es einer der besten Jobs ist, den ich mir vorstellen kann: in der Gegend rumzureisen, Musik zu machen und davon auch noch leben zu können. Aber natürlich ist es manchmal etwas blöd, wenn man drei, vier, fünf Tage nicht zu Hause ist, anschließend noch mehr zu tun hat und Freunde, Freundin, etc. nicht mehr sehen kann.

"Ich werde nicht auf 'One Day' reduziert"

In einem Interview hast du erwähnt, dass du Asaf Avidan gerne treffen würdest. Ist es mittlerweile dazu gekommen?

Nee, es ist noch nicht dazu gekommen. Es gibt vielleicht im Dezember die Möglichkeit, wir schauen mal. Ich sehe es aber eventuell auch kommen, dass wir uns nächstes Jahr auf irgendeinem Festival begegnen, bei dem er auf der einen und ich auf der anderen Bühne spiele. Das wäre ganz lustig, dann könnte man sich mal die Hand geben. Ich bin gespannt drauf, wann das passiert.

Hast du eigentlich das Gefühl, dass ihr beide gleichermaßen vom "One Day"-Erfolg profitiert?

Das ist, glaube ich, einigermaßen ausgeglichen. Also, ich habe massiv davon profitiert. Vorher kannte man mich ein bisschen in Berlin, jetzt kennt man mich in was weiß ich wie vielen europäischen Ländern. Das ist schon ein massiver Sprung. Für Asaf Avidan ist es aber auch nicht schlecht gewesen, der hat jetzt auch eine viel größere Hörerschaft. Ich weißt nicht, wer da mehr von profitiert hat. Auf jeden Fall ist es für uns beide ganz gut.

Erkennst du an der ganzen Sache auch kritische Aspekte? Hast du beispielsweise manchmal das Gefühl, vom Publikum auf den einen Hit reduziert zu werden?

Ich werde da nicht drauf reduziert. Die meisten Leute wissen ja, dass ich mindestens zwei Stunden Musik mache. Die Sache ist: Ich merke ab und zu, dass zum Beispiel ein paar Leute da sind, die bisher noch nicht auf einer Techno-Party waren. Und dann hoffe ich, dass denen auch die zwei Stunden vor oder nach dem Song, das ganze Drumherum gefällt. So ist das halt. Vielleicht ist das eine Art pädagogisches Arbeiten, mit dem ich sozusagen bisherige Nicht-Techno-Fans konvertiere.

Gibt es denn nie Leute, die enttäuscht sind, wenn das Set eher das Gegenteil von "One Day" darstellt?

Ich hab' bisher eigentlich kaum Negatives gehört. Hier und da mal kleine Kritik, aber das ist ja auch in Ordnung. Es ist schließlich nicht jedes Set eine Bombe, ich mach' ja auch mal Fehler. Und manchmal passt oder funktioniert es einfach nicht. Aber ansonsten habe ich fast immer nur mitgekriegt, dass die Leute positiv überrascht waren. Das kam bei mir meistens an. Und dafür arbeite ich ja auch.

Fritz Kalkbrenner erwähnte letztens im laut.de-Interview, dass es zu der Nummer in der Szene durchaus geteilte Meinungen gibt. Hast du davon schon unmittelbar mitbekommen?

Ja, klar. Das polarisiert natürlich. In dem Moment, in dem so etwas in den Charts landet, ist der Schritt zum "Mainstream"- und "Kommerz"-Schrei natürlich extrem einfach getan. Keine Ahnung, man kann sich das nur begrenzt aussuchen. Und wer auch immer damit ein Problem hat, kann das gerne haben.

Ich empfehle natürlich jedem, der den Song nicht mag und mich deswegen verurteilt, sich erst mal ein Set von mir anzuhören. Denn das ist zum Teil ja durchaus andere Musik als "One Day". Ich kann mir vorstellen, dass das geteilte Meinungen auslöst. Aber das ist bei der Aufmerksamkeit, die der Track auf sich gezogen hat, auch nicht verwunderlich.

"Vom Auflegen kann ich gut leben"

Über Get Physical erschien Anfang November dein erstes Mix-Album "Wankelmoods Vol. 1". Nach welchen Kriterien hast du dafür die Songs ausgesucht?

Das sind alles Songs, die ich sehr mag und gerne gespielt habe. Ich habe mir für die Compilation natürlich ein Konzept überlegt. Sie soll schon widerspiegeln, was im Club läuft, muss aber auch auf der Couch und im Auto hörbar sein. Außerdem soll sie einen roten Faden haben und ausgeglichen wie abwechslungsreich sein. Es gab viele Anforderungen. Ich glaube, das ist ganz gut geworden. Ich bin auf jeden Fall zufrieden damit.

Welche Erwartungen hast du diesbezüglich? Denkst du auch an Plattenverkäufe?

Wenn ich ehrlich bin, mache ich mir darüber gar nicht so viele Gedanken. Das ist eher Label- und Management-Arbeit. Ich mache einfach, was ich kann und was ich gerne mache. Ich hoffe, ich mach's gut - und wenn es sich verkauft ist es um so schöner. Aber von den Zahlen habe ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung.

Wie leicht fällt es dir, von der Musik zu leben?

Vom Auflegen kann ich derzeit gut leben, das ist ganz angenehm. Von der Musik zu leben, das ist eine Situation, in der ich mich persönlich eigentlich nie gesehen habe. Aber so spielt das Leben halt ab und zu. Manchmal kommt so was halt und dann sollte man auch nichts dagegen tun. Im Moment läuft es ganz gut. Ich weiß zwar nicht, wie lange das so sein wird, aber derzeit kann ich mich nicht beschweren.

Werden die Auftritte schon deutlich größer? Oder legst du weiterhin lieber in vollen, kleinen Clubs auf?

Ich hatte letzte Woche, glaube ich, meinen größten Gig. Da waren circa 4.000 Menschen vor mir, das war schon eine ganz schöne Ecke. Die Clubgigs mag ich aber meistens lieber. Ich mag es lieber, wenn 250 Leute vor mir stehen und richtig ausrasten. Aber ich muss auch zugeben, dass große Bühnen irgendwie ihren Reiz haben. Es ist einfach ein krasses Gefühl, wenn du einen Song spielst und dann kommt der Drop und du siehst einfach, wie sich 4.000 Menschen bewegen. Das sieht wirklich beeindruckend aus. Es hat beides seine Vor- und Nachteile. Ich könnte mich jetzt nicht festlegen, wo ich hin will.

Du hast im Oktober in Paris aufgelegt. War das eine Art erster Schritt hin zu mehr internationalen Auftritten?

Paris war zwar nicht der erste Auftritt im Ausland. Ich war vorher in Norwegen und auch schon in Belgien. Aber ja, das ist schon ein großer Schritt, den viele DJs auch nach jahrelanger harter Arbeit nicht erreichen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Track mir diese Brücke gebaut hat. Dass ich einfach mal nach Frankreich fahren und da auflegen kann. Ich bin jetzt ein bisschen in Europa hin- und hergebucht. Mal schauen, vielleicht geht da noch mehr. Über die Zukunft kann ich, ehrlich gesagt, keine Aussagen machen.

Zum Schluss dennoch eine Frage in die Richtung: Willst du dein unterbrochenes Philosophiestudium noch irgendwann abschließen?

Das ist erst einmal auf Eis gelegt. Ich gucke mal, vielleicht mache ich nächstes Jahr weiter. Auch das hängt davon ab, wie das mit der Musik jetzt weiterläuft. Ich hätte schon Lust, das fertig zu machen, hätte schon gerne den Bachelor. Aber wenn es sich nicht ergibt, kann ich mit dem aktuellen Kompromiss auch gut leben.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Wankelmut

"One day, baby, we'll be old / oh baby, we'll be old / and think of all the stories that we could have told." Welch große Bedeutung diese Refrainzeilen …

Noch keine Kommentare