6. August 2003

Selbst Tocotronic sind nicht unangreifbar ...

Interview geführt von

Berlin, Berlin, ich fahre durch Berlin! Um von meiner Wohnung zum Café und Kino "Intimes" in Friedrichshain zu kommen, brauche ich schon anderthalb Stunden. Die Fahrt hat sich gelohnt: Auf mich warten Thomas und Nino in bester Redelaune. Der Wortfluss stoppt auch dann noch nicht, als meine Minidisc voll ist. Über eineinhalb Stunden erzählen mir die beiden ihre Sicht auf Sinn und Unsinn des Musikbusiness.

Eure Songs bewegen sich irgendwo zwischen romantisch und kitschig, und "Kitsch" ist ja oft eher ein Vorwurf. Könnt ihr den nachvollziehen?

Beide: Ja!

Und warum macht ihr's dann trotzdem?

T: Naja, weil wir's nicht kitschig finden, es aber trotzdem nachvollziehen können, dass es als kitschig empfunden wird. Wenn wir es nicht machen würden, würden wir uns ja nach dem richten, was die Leute wollen. lacht das machen wir ja gaaar nicht! Äh, nö, also ich find's nicht kitschig. Liebeslieder in deutscher Sprache, die sich nicht hinter der eigenen Sprache verstecken, sind immer irgendwie kitschig, das wirft man auch Blumfeld vor. Ich finde nicht zu Recht, aber viele meinen das halt. Aber immerhin haben wir es noch nicht geschafft, zu singen: "Ich liebe dich". Ganz so schlimm kann's noch gar nicht sein! lacht

Nino: Ein bisschen Kitsch ist ja auch ganz gut. Das kommt auch auf die Situation, in der man sich befindet, an. Viele Leute finden das scheiße, viele Leute finden die klaren Bilder aber auch gut. Darauf können sie sich einlassen, müssen nicht erst in Sekundärliteratur nachschlagen, worüber jetzt gesungen wird. Ich versuche kurz einzuwenden, dass ich's ja gar nicht schlecht finde, wenn's mal ein bisschen kitschig wird, Nino lässt sich aber überhaupt nicht aus dem Konzept bringen: Wir sind ja eine Band und keine Dichter! Es geht nicht darum, die Welt zu retten mit neuen Erkenntnissen über Zwischenmenschliches. Es geht darum, Emotionen weiter zu tragen. Das gelingt so am einfachsten. Man macht sich zwar angreifbar, aber das ist egal.

Thomas: Die Liedern sollen ja Zustände beschreiben. Andere beschreiben Missstände, das kommt bei uns auch mal durch. Aber oft geht es nur darum, Gegebenheiten, Zustände, Zufälle zu beschreiben, wie ne Beziehung ist, wie ne Beziehung sein könnte, wie man sich die vorstellt ... Je klarer man die Vorstellung ausdrücken kann, desto besser ist es eigentlich. Wenn das dann noch ein bisschen poetisch oder lyrisch verpackt ist, wenn sich das noch dem Lied anpasst, dann ist es doch super so. Das ist das eine. Und zum anderen sollte man sich das durchaus mal trauen. Thees Uhlmann (Kopf von Tomte, Anm. d. Red.) hat bei Fast Forward gesagt: "Wenn man singen muss: 'Die Bastarde, die dich nach Hause bringen', weil das genau das ist, das man beschreiben will, dann muss man das halt singen." Und es muss einem total egal sein, was die Welt da draußen von einem denkt. Wenn das der Satz ist, den er braucht, dann braucht er den. Und wenn der Satz um jemanden zu beschreiben "mit dir ist es dreifach schön" ist, dann ist es das halt. Das ist ja diese Form von Romantik, die sich jeder wünscht. Dass man seinem Partner irgend ein Kompliment macht, ihm sagt, wie viel er einem bedeutet. Und dass man dann noch sagt, wie das nicht jeder sagt: "Du bist toll" ... oder "Ick find' dick ..." Wenn man dann mal was hat, was nicht Standard ist, dann freut sich doch jeder.

Nino: Wir tolerieren ja auch nicht alles bei anderen Bands. Wir finden andere Texte auch mal kitschig. Selbst Tocotronic sind nicht unangreifbar. Nur weil die's vielleicht mit einem intellektuelleren, kryptischeren Ansatz machen.

Bei euch ist das aber schon ein bisschen mehr "heile Welt", ein bisschen verklärter als bei anderen Bands

Nino: Das liegt ja auch daran, dass es uns gut geht. Wir sind jung, wir sind gesund, wir haben viele Freunde und wir sind unterwegs als Band. Wir haben ein tolles Leben. Es wäre unglaubwürdig, wenn wir jetzt sagen würden "Ich sitz in meinem Zimmer und warte auf das Glück". Wir hören ja auch so Leid- und Jammer-Musik, und natürlich geht's uns auch mal schlecht. Aber das Grundgefühl bei uns als Band ist total positiv.

Thomas, sind deine Texte eigentlich alle biografisch? Schreibst du die Liebeslieder alle für deine Freundin?

Thomas: Alle für meine Freundinnen schmunzelt. Nee, andere machen das ja so. Hör dir ne Platte von Leonard Cohen an, da ist jedes Lied für ne andere Frau. Das sagen ja die Namen teilweise schon. Nee, die sind immer ein Stück weit autobiografisch, so weit wie ich das zulassen will. Sie sind natürlich immer persönlich, aber es geht ja nicht immer darum, den Zustand zu beschreiben, der da ist, sondern auch den Zustand, der sein könnte. Das habe ich mal in einem Tocotronic-Interview gelernt: Sie wurden gefragt, ob die Freundin wirklich gesagt hat, "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk". Als ich das Lied gehört hab, hab ich gedacht "Was für ein Satz, ich hoffe, ich hab mal ne Freundin, die das zu mir sagt ... und dann kann man ein Lied drüber machen." Und im Endeffekt war es so, dass der Bassist das im Proberaum zu Dirk (Tocotronic-Sänger, Anm. d. Red.) gesagt hat. Man nimmt halt was man hat, in ein Lied.

Die Getränke kommen und beide Jungs bedanken sich artig bei der Kellnerin. Sie wundern sich über meinen Kiba-Schorle. Nino befindet:Grausam! Thomas möchte mal kosten.

Ich finde, deine Texte hören sich an, als wären sie von einem Mädchen geschrieben

Thomas: Für?

Von!

Nino: Wir sind halt Frauenversteher!

Das war genau meine Frage, ob ihr alle Frauenversteher seid!

Nino: Na, wenn wir Lieder schreiben oder aufnehmen, dann denken wir schon: Das ist jetzt ein Stück, das Mädchen totaaaal toll finden. Und das ist eher ein Stück für Jungs. Bei Konzerten wird man dann eines Besseren belehrt, wenn so riesige Typen dastehen mit der Hand auf'm Herz und "Dreifach Schön" mitsingen. Dann fragt man sich schon: Warum denken wir in solchen Schubladen? Weil das alle tun. Es finden ja auch ganz viele Jungs die Platte und die Texte toll, was man vielleicht so gar nicht denkt im ersten Moment.

Dieses "Mädchen- und Jungsmusik" ist eigentlich sowieso ein Blödsinn!

Thomas: Wir haben natürlich schon mehr Mädchen als Hörer, bei Konzerten sind wir aber immer davon ausgegangen, dass genau so viel Jungs da sind, wie Mädchen. Wir haben das schon mal gezählt - in München. Da waren 60% Jungs und 40% Mädchen da. Dadurch, dass so oft geschrieben wird, dass wir Musik für Mädchen machen, kommen auch so viele Mädels.

Nino: Da kommen dann aber auch wieder mehr Jungs - weil Mädchen da sind!

Thomas: Wir kokettieren ja auch ganz gerne damit. Als wir "Platten vor Gericht" für die Intro machen sollten haben wir bei den eigenen Faves jeder ein Mädchen genannt. Ne Schauspielerin, Moderatorin, Sängerin oder so! Und unsere Herbst-Tour wird unter anderem auch von Brigitte Young Miss präsentiert.

Ihr habt ja auch für alle und jeden Interviews gegeben ... Ich hab nur das in der Allegra gelesen. Und das war schrecklich.

Nino: So was kann man ja vorher nicht beeinflussen. Wir haben echt alles mitgenommen. Das war ja das erste Mal, dass wir Interviews hintereinander gegeben haben, eine ganze Woche lang. Die meisten haben auch nur die Promo-CD gekriegt, ohne großartig Infos oder Fotos. Die sind also hauptsächlich wegen der Musik gekommen und nicht, weil sie jetzt gedacht haben, "ach die sind aber jung oder süß oder so". Und wenn sie wegen der Musik kommen, kann man ja auch ein Interview geben, Man kann's ja jeder Zeit abbrechen. Aber wir waren positiv überrascht. Leute, die da arbeiten, sind ja meistens cool und hören ganz andere Musik als das, was dann am Ende in der Zeitung erscheint. Aber was dann halt draus gemacht wird, das kann man nicht beeinflussen.

Thomas: Allegra war die Zeitung, mit der wir einen ganz schrecklichen Phoner gemacht haben. Wir wären denen an den Hals gesprungen, hätten wir sie nicht nur an der Telefonleitung gehabt

Nino: Das Interview mit der Zeitschrift Mädchen war aber wahnsinnig cool!

Echt, was haben die euch so gefragt?

Thomas: Wir haben übers Ficken gequatscht.

Nino: Das war ein Mädchen. Und die hat nur erzählt: So Lederpeitsche ... und die ganzen Geschichten. Ich komm dann zu eurem Konzert und guck mal, ob an euch schon jemand dran rumgespielt hat, ihr seid doch noch so jung ... So ging das die ganze Zeit. Das Interview ist allerdings noch nicht erschienen.

Hm, bei einer Zielgruppe von 10-13-Jährigen oder so ... Anderes Thema: Thomas, wie ist es für dich, wenn Nino deine Songs singst?´

Thomas: Zum Kotzen. Wenn ich sie besser singen könnte, würde ich sie singen. Und insofern hab ich damit kein Problem, eigentlich. Es erfordert ein gewisses Maß an Zurückhaltung mit Autobiografischem. Dann hätte ich glaub ich ein Problem, wenn Nino meine Angebetete von der Bühne aus besingen würde, und sie würde nicht mal zu mir gucken bei dem Lied. Das wär natürlich schon eine ganz harte Nummer. Aber das ist ein Problem, das z.B. auch Depeche Mode und Oasis haben. Dass man in dem Lied etwas sieht, was der Sänger nicht sieht, und von dem man dann meint, "das muss doch aber so rübergebracht werden". Aber da kann sich halt immer nur der so rein versetzen, der sich das ausgedacht hat. Nino wird das nie 100% so rüberbringen können, wie ich das gerne hätte. Weil das halt nicht seine Gedanken sind. Oder?

Nino: Klar!

Gibt das dann nie Ärger? Versuchst du dann die ganze Zeit, an Nino rumzuverbessern?

Thomas: Ja klar versuchen wir ständig, an uns rumzuverbessern. Es ist ja auch so, dass man ja auch manchmal so ein Lied hat, was man nun gerne in eine Richtung gebracht hätte, die nicht seine Richtung ist, oder die seiner Stimme nicht liegt. Bei "Das Beste für alle" zum Beispiel wurde gekämpft.

Nino: Das war Arbeit. Wenn Thomas das Lied vorspielt hat natürlich jeder eine andere Vorstellung davon. Und wenn die nicht mit seiner übereinstimmt, muss man das halt zusammen bringen.

Thomas, hast du auch Bock mal was Solo zu machen?

Thomas: Ich denke, das wird nicht vorkommen. Wenn man sich jetzt anguckt, wie relativ erbärmlich Dave Gahan jetzt seine Platte rausgebracht hat. Erbärmlich war eigentlich auch Martin L. Gore, obwohl seine Platte schon besser ist, obwohl er - warum auch immer - keine eigenen Stücke drauf hat. Vielleicht hat er festgestellt, dass die Stücke, wenn er sie alleine macht, gar nicht das Spezielle haben, was Depeche Mode ausmacht.

Wie ist das bei euch mit dieser Indie-Sache. Davon seid ihr ja eigentlich weggekommen, wenn ihr Interviews mit Mädchen und Allegra macht ... Stört euch das? Ihr habt ja schon klar im Indie-Bereich angefangen!

Nino: Wir sind ja im Herzen immer noch Indie. Das heißt ja, im Herzen noch unabhängig zu sein und das zu machen, worauf man Bock hat. Wenn wir Mädchen und Popkorn machen müssten, dann wär das ein Problem. Aber wir machen das ja, weil wir das spannend finden. Und weil wir denken: Was sollen die ganzen Indie-Regeln, wir gucken einfach mal. Das ist ja genau das, was Indietum ausmacht: Nach seinen eigenen Maßstäben zu leben oder Musik zu machen. Nur weil wir jetzt bei ner großen Plattenfirma sind, bereisen wir ja nicht mehr nur Hotel-Pools und -Bars. So ist das ja leider nicht. Wenn wir die Platte bei einem Indie rausgebracht hätten, würde die genau so klingen. Denn wir waren in der Produktion schon sehr weit fortgeschritten, als Motor kam. Und das Video, das Artwork und die Fotos haben wir alles selber gemacht, da hat uns niemand reingeredet. Wahrscheinlich wäre das eine oder andere Interview nicht zustande gekommen. Aber nicht, weil wir mit einem anderen Ansatz rangegangen wären.

Thomas: Da heißt es ja schnell: Die waren bei VIVA Interaktiv und bei MTV Select, die haben sich verkauft! Das würde die Indie-Band doch auch machen, nur sie kriegt's nicht hin, was an MTV liegt.

Wart ihr da schon mal?

Thomas: Zu Select gehen wir demnächst!

Und bei Interaktiv?

Beide gleichzeitig: Nee!

Thomas: Das will ich auch nicht

Nino (gleichzeitig): Das würde keiner von uns wollen.

Thomas (wieder über Nino drüber): Das würde ich nicht wollen! Das sind mir zu blöde Moderatoren, blödes Konzept, du kommst nicht zu Wort. Das, was Indie ausmacht, ist ja, dass man sich eine bestimmte Form von Unabhängigkeit bewahrt. Wenn ich aber nicht zu Select gehe, weil ich Angst habe, dass meine Indie-Gemeinschaft die Nase rümpft, dann bin ich doch nicht mehr unabhängig!

Nino: So kriegst du Zugang zu den Leuten. Jeder will doch Publikum. Und natürlich ist es toller, vor 200 Leuten zu spielen, als vor fünfzehn. Man darf nicht alles mitmachen. Man muss man selbst bleiben. Wie die Ärzte. Die sind überall, aber dabei immer glaubwürdig geblieben. Weil sie immer alles cool gemacht haben. Die Leute, die abspringen, weil die Band zu groß wird, die haben irgendwas nicht gecheckt.

Thomas: Wobei es echt ein schwieriger Weg ist, den wir vorhaben. In Deutschland gibt es ja nur zwei oder drei Superseller, die sowohl im Mainstream, als auch bei der Szene anerkannt sind. In England ist das anders. Eine Band wie Coldplay oder Travis ...

Naja, Coldplay haben aber in England ein sehr komisches Stadionrock-Image

Nino: Stereophonics auch, die sind die Pur von England. So was gibt's in Deutschland nicht. Hier sind Mainstream und Indie nie zusammen gekommen. Das liegt auch an den Medien, dass die das hier so strikt trennen. In England wird ganz anders gehyped.

Thomas: Und genau das, was in England ist, würde ich gerne hier haben. Ich würde gerne Coldplay oder Travis sein, auch wenn dann einige die Nase rümpfen. Aber ich weiß nicht, wie man das anpacken soll ... Falls wir überhaupt mal so berühmt werden. Dass du relevant bist für alle. Für die Spex, die Intro genau so wie für die großen Radios und die Top 10. Ich würde gerne einen Number One Hit haben, in der Bravo drin sein, aber eben auch in der Spex. Und das gibt's in Deutschland kaum.

Nino: Reamon hätten das machen können. Aber die hatten zu ihrer ersten Supersingle kein Profil. Naja, mit ihrem Image hätten sie schon was besser machen können. Wenn du sofort von 0 auf 100 gehst, rümpft jeder die Nase - es sei denn, du bist ne Hip Hop-Band, da geht das ...

Ich finde das trotzdem ganz schön heikel, was ihr da macht. Denn Bravo oder so, das sind ja schon Zeitschriften, die ner Band einfach ein Image aufsetzen. Da kann man doch nichts machen

Nino: Doch, da kann man schon was machen: Mann kann zum Beispiel sagen: a) ihr benutzt nur unsere Fotos, und b) wir wollen die Texte vorher lesen. Und wenn sie's nicht machen, dann machen sie's nicht. Da muss eine Band dann konsequent sein. Ich habe zum Beispiel früher Bon Jovi total geliebt. Und wenn so eine Band dann kommt und dich fragt, ob du mit auf Stadion-Tour willst - sollste dann nein sagen?

Thomas: Mir würde es schwer fallen bei Bon Jovi nein zu sagen, auch wenn das nicht unser Publikum ist ...

Nino: Die haben in München vor 70.000 gespielt, wenn davon 2 - 3.000 einen gut finden, was ist das für ein Gewinn für eine Band. Die Sportfreunde werden doch inzwischen auch von GTI-Fahrern gehört. Wenn's nur noch solche Leute sind, dann muss man sich Gedanken machen. So lange das gemischt ist, mein Gott!

Thomas: Coldplay haben ja auch noch Musikliebhaber unter ihren Hörern. Und so lange musst du dir keine Gedanken machen.

Das ist ja wie bei Robbie. Der hat als Ex-Take That-Schnösel auch Indie-Publikum!

Nino: Und der macht auch Mädchenmusik! Aber da würde keiner was dagegen sagen.

Thomas: Ich verstehe zum Bespiel den Hype um Kylie Minogue überhaupt nicht. Spex-Leute finden Kylie Minogue und Madonna toll, und die darf sogar aufs Cover rauf.

Ich kann das bei Madonna schon eher verstehen, als bei Kylie!

Thomas: Kylie ist ein gemachtes Produkt aus einer Daily Soap.

Die englischsprachige Jeanette Biedermann ...

Thomas: Kylie ist angesagt ... ich hab mehr Respekt vor Bon Jovie, obwohl die nichts mehr riskieren. Deshalb können wir die Frage jetzt nicht beantworten, ob wir mit Bon Jovi auf Tour gehen würden. Wir würden's aber auf jeden Fall in Erwägung ziehen. Warum ist Kylie cool und Bon Jovie nicht? Warum fänden das alle super, wenn wir mit Kylie auf Tour gingen?

Was ganz anderes: Wie habt ihr eure Eltern dazu bekommen, im Video zu "Nicht Von Schlechten Eltern" mitzuspielen?

Thomas: Wir haben gedroht, das ganze Jahr nicht mehr nach Hause zu kommen, wenn sie nicht mitspielen.

Nino: Die Idee ist im Tourbus bei einer Flachserei entstanden. Und dann hat das jeder zu Hause mal angesprochen. Erst nicht so konkret, aber irgendwann konnten sie dann nicht mehr zurück. Alle haben behauptet: "Die anderen Eltern machen aber alle mit und sind schon fleißig am Üben." Wir waren alle sehr überrascht, mit welchem Einsatz unsere Eltern da ran gegangen sind. Wir haben gedacht, das fordert viel mehr Alkohol und Überredungskünste. Wir waren begeistert!

Und sie?

Nino: Auch! Die Leute sind ja total abgegangen. Gut aussehendes Publikum, das einen anhimmelt - auch wenn's nur gefaked ist... Die haben halt einen Eindruck davon bekommen, was wir gerade so erleben, verstehen uns jetzt auch besser.

Thomas: So wie die Leute da abgegangen sind, so tun die das bei uns dreimal im Jahr: Auf dem Immergut-Festival, in Dresden und in Wien. Die Ur-Version des Videos ist sehr trashig, sehr sehr trashig. Zum einen aus finanziellen Gründen, zum anderen, weil Benjamin (Quabeck, Regisseur, u.a. "Nichts Bereuen", "Verschwende Deine Jugend", Anm. d. Red.) sich das so in den Kopf gesetzt hat. Er ist halt ein Künstler. Jetzt wurde es für MTV noch mal überarbeitet und sieht für meine Augen wesentlich besser aus. Passt auch besser ins Programm rein. Und trotzdem sieht man, dass es billig gemacht ist.

Bei VIVA seid ihr nicht in der Rotation, oder?

Nino: Da sind wir auch ehrlich nicht traurig drüber.

Thomas: Mittwochs entscheiden die Fernsehsender immer, was läuft. Und diese Woche wird noch mal geguckt, ob es läuft. Ich fänd eine kleine VIVA-Rotation nicht schlimm.

Ihr seid nicht so VIVA-Freundlich, oder?

Thomas: Nee, das ist einfach ein Kack-Sender.

Nino: Was dort läuft, so will man eigentlich nicht sein.

Thomas: So was ist für mich Mittel zum Zweck. So lang du aber nicht zu Interaktiv gehst und den ganzen Pocher-Scheiß und was da alles läuft, nicht mit machst, ist das ja eigentlich wurst. Mittel zum Zweck deshalb, weil sich Radiosender leider nach Fernsehsendern richten. Ein Radiosender wie XXL in Hessen nimmt einen in die Playlist rein, wenn du auf MTV oder VIVA läufst.

Dann seid ihr in Bundesländern ohne Eins Live, Fritz und FM4 ja kaum präsent?

Thomas: Ja, da laufen wir dann nur auf ganz kleiner Rotation. Dabei ist mir Radio echt wichtiger als Fernsehen. Denn nur so bist du lokal präsent. Das Fernsehen ist vor allem deshalb so wichtig, weil die Radios auf's Fernsehen gucken.

Hier bricht die Mini Disc ab. Die Jungs erzählen noch, dass Slut zum letzten Album bei Bärbel Schäfer waren, sie das aber nie machen würden. Sie sinnieren über ihre nächste Single, "Fast Wie Giganten" (radiotauglich) und "Dreifach Schön" (angeblich zu schleppend fürs Radio) stehen in ihrer Gunst oben. Schlussendlich ist es "Dreifach Schön" geworden. Die Single wird Mitte September veröffentlicht, die B-Seite ist ein Eins-Zwo-Remix. Außerdem erzählen sie, dass sie mal vor hatten, für eine Fotoreihe Cover anderer Bands, unter anderem der Backstreet Boys, nachzustellen. Einige meiner Fragen habe ich nicht mehr unter gebracht: Zum Beispiel ob Thomas wirklich mal Kinderbuchautor werden will, wenn er mit der Musikwelt aufgeräumt hat. Nachdem gezahlt wurde, machen sich die beiden auf den Weg in Richtung Bandprobe. Ich fahre den langen Weg zurück - einmal um den halben S-Bahn-Ring Berlins.

Das Interview führte Vicky Butscher.

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