18. April 2012

"Wir sind keine heiße Luft!"

Interview geführt von

Deutsche Texte gewinnen bei einer neuen Generation junger Musiker derzeit deutlich an Relevanz. Unumgänglich im Festivalsommer sind dieses Jahr Bands wie Kraftklub und Vierkanttretlager, die in ihrer Muttersprache texten und damit zahlreiche Zielgruppen für sich gewinnen.Kraftklub kombinieren Indierock mit Rap, suhlen sich in Selbstdarstellung und zeigen mit dem Finger auf die Welt. Vierkanttretlager kombinieren Indierock mit Poesie, suhlen sich im Husumer Watt und zeigen mit dem Finger zuerst auf sich selbst.

"Etwas, das viel zu kurz kommt, ist Selbstreflexion", befindet Sänger Max Richard Leßmann im Interview. "Die meisten Leute beschäftigen sich wenig mit sich selbst. Ich glaube, das würde schon viel verändern, wenn jeder sich am Tag eine halbe Stunde hinsetzen würde und darüber nachdenken würde, was er am Rest des Tages und am Rest seines Lebens gemacht hat. Das ist glaube ich der Grund, warum so viele kluge Menschen depressiv sind. Weil sie tatsächlich viel Selbstreflexion betreiben und sich ihrer Fehlerhaftigkeit bewusst werden."

Man erahnt: Die Poesie in Leßmanns Texten ist keine naseweise Fassade. Auch im Gespräch wählt er seine Worte mit Bedacht und scheut nicht davor, sein Schaffen mit tiefen Gedanken zu füllen und zu erklären – sofern das in zwanzig Minuten möglich ist. Ende Januar releaste das Quartett ihr Debüt "Die Natur greift an".

"Es geht darum, sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst zu werden. Alles, was um uns herum an natürlichen Prozessen stattfindet, versuchen wir, irgendwie zu unterdrücken oder in unsere Bahnen zu lenken. Wir müssen alles vereinfachen, alles effektiver machen, aber das einzige, was wir noch nicht geschafft haben zu verändern, ist, dass wir alle alt werden und sterben. Viele Menschen haben darum Angst vor dem Tod, ich glaube aber dass es mir persönlich eine große geistige Freiheit gibt.

Ich weiß, dass alles im größeren Ganzen keine Rolle spielt, was ich tue. Denn das große Ganze ist eigentlich nur eine Aneinanderreihung von Momenten, die enden, wenn der letzte Mensch stirbt. Und dass es dazu kommt, kann man sich relativ leicht ausrechnen." So fatalistisch, wie es im ersten Moment klinge, sei seine Auffassung nicht gemeint. "Ich finde, man kann dadurch den Moment sehr bewusst leben. Man kann sich alles Schöne herausnehmen und muss die bösen Sachen nicht so ernst nehmen." Nur das Schöne nehmen? Klingt ja fast zu gut, um wahr zu sein - ob man es sich damit nicht ein bisschen einfach macht? "Warum muss es denn schwer sein?"

"Es gibt keinen übergeordneten Kontext."

Glaubt man seinen Texten, hat der Mensch diesbezüglich noch einiges zu lernen. "Mensch sein heißt, ich sehe die kleine Schönheit nicht / Nur die große Qual", heißt es in "Keine Menschen Mehr". Einfach ist anders. Doch den perfekten Menschen könne es nicht geben. Von unbeeinflussbaren Dingen gesteuert, sei unsere Spezies am Ende nicht mehr als ein Säugetier. "Wir reden uns ein, einen freien Willen zu haben, aber nach manchen Handlungen frage ich mich: 'Warum habe ich das eigentlich gemacht?' Dadurch, dass der Mensch seine Triebe und tierischen Wurzeln verneint, nimmt er sich und sein Tun viel zu ernst. Wir sind ein wunderbares Ergebnis der Natur, aber fehlerhaft wie alles andere. Alles macht Sinn für einen gewissen Zeitraum, aber irgendwann hört es auf. Ich glaube nicht, dass es einen übergeordneten Kontext gibt. Jeder hat seinen eigenen, aber begrenzten Einflussbereich."

Eine Vorstellung, wie groß der eigene Wirkungsgrad noch werden soll, haben die vier Freunde aus dem Norden nicht. Eigentlich gab es nicht einmal den großen Plan, eine Band zu gründen. "Zufällig hatte Christian eine Gitarre in der Hand und ich habe gesungen. Und dann waren wir eine Band. In Husum kommt man auf sehr viele Ideen, weil man sehr wenig vorgekaut bekommt."

Im Karstadt und dem örtlichen CD-Laden, heutzutage gibt es beides nicht mehr, krallen sie sich alles, was ihnen unter die jungen Finger kommt. Einen gemeinsamen Nenner gibt es in den Geschmäckern bald nicht mehr – und doch ist das Resultat im Interesse aller. Auch Kritiker und Hörer loben das ambitionierte Debüt, logischerweise sehr zur Freude der Schaffenden. "Es freut mich sehr, dass wir so großen Anklang gefunden haben. Wir waren zwar nicht ängstlich, weil wir ja schon irgendwie davon überzeugt waren, dass es gut ist, was wir machen. Aber das große Medienecho hat uns kleine Band doch manchmal überwältigt."

Der volle Tourplan ist folglich ein verdienter Lohn. "Live spielen ist das, was uns am meisten Spaß macht. Ich schreibe zwar auch gern, aber auf der Bühne zu stehen und Herumzufahren mit seinen Freunden ist mit das Schönste. Man merkt, dass man gemeinsam etwas geschaffen hat. Es ist etwas sehr soziales und ein guter Ausgleich dazu, dass ich sonst alleine am Schreibtisch sitze und irgendwelche Sachen schreibe."

"Die deutsche Sprache wird unterschätzt!"

So dürfte es ein geselliger Sommer werden – Festivalgänger können Vierkanttretlager in dieser Saison schwer umgehen. Doch Angst, bloß ein weiterer Hype zu sein, herrscht nicht. "Wir sind keine heiße Luft. Wir sind ganz natürlich Stück für Stück größer geworden, und so lange es uns gibt, wird Qualität immer eine Rolle spielen." Einige wollen bereits die nächsten Tocotronic wittern. Ein häufig gewählter Vergleich – aber nicht der schlechteste, findet Max. "Das ist okay. Kategorisierungen sind ganz natürlich und auch sehr hilfreich. Es gibt ja nichts neues. Alles ist ja immer ein bisschen wie etwas anderes. Tocotronic sind da einer der angenehmsten Vergleiche, die es gibt."

Es ist wohl auch die deutsche Sprache, die den Vergleich begünstigt. Später, während des Auftritts in der Hamburger Prinzenbar, erzählt Leßmann die Geschichte ihres Songs "Hooligans". Geschlagene sechs Jahre ist der Text alt, geschrieben an einem Sommerabend 2006 im Rausch von Bier und Euphorie. Leßmann steckt zu der Zeit irgendwo zwischen Kindheit und Adoleszenz – und trotzdem stellt er sich Fragen über Heimat und Aufbruch. Es ist sein erster Text, dessen zweite Strophe heute von Deutschlands Lieblingsrapper Casper gesungen wird.

Dass sie mit deutschen Texten wenig Chancen auf einen Welthit haben, ist ihnen klar. Aber darum gehe es gar nicht, denn das Texten in einer Fremdsprache kommt für Max nicht in Frage: "Es gibt Bands, die singen in einer anderen Sprache, weil es sich cool anhört. Aber für mich zählt, dass du sagst, was dir wichtig ist. Wenn ich jetzt anfangen würde, Englisch oder schlimmstenfalls Spanisch zu singen, würde ich mich selbst ein Stück weit verneinen. Es würde zu viel auf der Strecke bleiben. Die deutsche Sprache ist so eine schöne und unterschätzte Sprache. Es macht mir Spaß, mit ihr umzugehen und ich spreche sie, seit ich ein kleines Kind bin. Das ist eben meine Sprache."

Und so supporten, touren und schreiben sie sich den Weg frei, Teil und vielleicht sogar Mitbegründer einer nächsten Generation neuer Deutschrockhelden zu werden. Große Pläne sind aber nicht ihr Ding: "Wir wissen, was wir tun; wir wissen, was wir können; wir wissen, dass es uns Spaß macht. Mehr wissen wir eigentlich nicht."

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