laut.de-Kritik

Vor Queens Of The Stone Age war Kyuss, aber was war davor? Diese Stoner Rock-Doku erklärt den Mythos.

Review von

Das Cover und der Titel "Lo Sound Desert" sind überraschend unprätentiös ausgefallen, bedenkt man, wie lange Stoner Rock-Fans schon auf ein filmisches Vermächtnis der heute mythenumrankten, kalifornischen Subkultur warten. Der deutsche Regisseur Jörg Steineck hat sich der gewaltigen Aufgabe angenommen, dem auch Desert Rock genannten Phänomen auf die Pelle zu rücken. Eine Musikrichtung, die in den 80er Jahren irgendwo im Nirgendwo, in der amerikanischen Wüste fernab von Los Angeles entstand.

Die Arbeit an dem Projekt begann bereits 2005, und es ist schwer vorstellbar, welchen Rückenwind dieser Film bekommen hätte, wäre er schon vor fünf Jahren fertig geworden, pünktlich zur ewig nicht für möglich gehaltenen Livereunion der Genre-Kultband Kyuss.

Die zu aktiven Zeiten kaum über Insiderstatus hinausgekommene und heute legendäre Gruppe tourte (ohne Josh Homme und Bassist Scott Reeder) als Kyuss Lives! europaweit durch ausverkaufte Clubs. Später folgten hässliche Gerichtsprozesse und ein neues Studioalbum, allerdings von einer Splitter-Besetzung, die sich aus rechtlichen Gründen Vista Chino nennen musste.

Inwieweit diese traurige Entwicklung Steinecks "Lo Sound Desert"-Projekt in die Quere kam, darüber kann nur gemutmaßt werden. Denn letztlich ist ihm eine vielschichtige, erhellende und sehr amüsante Dokumentation über das Genre und ihre Anfänge gelungen. Allerdings verzichtet sie komplett (!) auf Kyuss-Musik (vereinzelt werden Liveszenen hineingeschnitten, auf denen aber nur die an der Doku beteiligten Musiker zu sehen sind).

Vom Namen Kyuss geht heute eine enorme Anziehungskraft aus, die 1995 aufgelöste Band ist über die Jahre - dank des Erfolgs von Queens Of The Stone Age - zur Cashcow des Desert Rock-Genres gereift. Geld spielt da eine immense Rolle, was umso tragischer ist, da Steineck schön heraus arbeitet, wie verhasst gerade dieser Aspekt sämtlichen beteiligten Bands der Szene einst war.

Man wollte unter sich bleiben. Schon die Menschenmassen aus L.A. wollte im Coachella Valley Ende der 80er niemand auf den eigenen "Generator Parties" sehen. Dort ging es darum, mit hohen Volt- und Promillepegeln gegen die Langeweile und die Ereignisarmut der kargen Umgebung anzuspielen. Diesen Desert Spirit eingefangen zu haben, der immer mehr war als Kyuss oder irgendwelche talentlosen Epigonen, ist Steineck hoch anzurechnen.

Neben den Wüstenrock-Promis Homme, Reeder, Brant Bjork, Nick Oliveri und Alfredo Hernandez (Kyuss, QOTSA) kommen daher vor allem unbekannte Zeitzeugen zu Wort, die in der Szene damals unterwegs waren. Musiker wie Mario Lalli von Fatso Jetson, zu denen ein Josh Homme als Jugendlicher ehrfürchtig aufschaute oder Leute aus der Skate-Community wie John Sumners, der wohl die beste Anekdote über die andauernde Fehde mit der örtlichen Polizei parat hat.

Ein weiterer 'Star' der frühen Tage ist Sean Wheeler, der wie so viele später ungläubig verfolgte, wie das Wüstenkid Josh Homme plötzlich zum internationalen Rockstar wurde. Doch Wheeler ist voll des Lobes über den QOTSA-Boss: "Irgendwann fragte ich ihn mal nebenbei: Hey, kann nicht meine Band Throw Rag mit QOTSA auf Tour gehen? Und er meinte nur: Okay. Dabei hatte ich einfach nur gefragt."

Vor allem die Ursprünge der Bewegung werden ausführlich beleuchtet. Nachdem Punkrock es auch in diesen entlegenen Winkel der Zivilisation geschafft hat, ist für die Jugendlichen in den 80ern klar: Es muss rebelliert werden, gegen die Armada der Alten, die den Urlaubsort Palm Springs seit den 60er Jahren in Beschlag genommen haben und vor allem gegen die brutal vorgehende Polizei, die der Jugend sogar Skateboards entwendete und mit dem Polizeiwagen drüber fuhr (die "Generator Partys" endeten übrigens erst, als die 'Palm Springs Police' Hubschrauber und somit die Wüste in den Griff bekam).

Mit der Wut, die Bands wie The Germs, Dead Kennedys, Black Flag, Circle Jerks, Gun Club, aber auch Sabbath oder Chuck Berry in all die entlegenen Wüstendörfer brachten, fand bald zusammen, was später unter dem Begriff Desert Rock missverstanden wurde. Denn nicht der Kyuss-Sound steht in Wahrheit für Desert Rock, sondern die Vielschichtigkeit der von Punk und Metal durchsetzten Bandszene. Kyuss selbst wurden in ihren Anfängen als Yawning Man-Adepten geschmäht.

"Lo Sound Desert" lässt zum Thema eigentlich keine Fragen mehr offen, auch wenn zeitgleich der ähnlich geartete Crowdfunding-Streifen "Desert Age" des US-Filmemachers Jason Pine fertig geworden ist. Dort soll neben vielen hier vorgestellten Szenefiguren auch noch Dave Grohl seinen Senf dazugeben, wer auf dessen Meinung gesteigerten Wert legt. Welches Desert Rock-Album dem früheren Nirvana-Drummer am liebsten ist, weiß der eingeweihte Fan allerdings längst: Das zweite Kyuss-Album "Blues For The Red Sun" von 1992.

Trackliste

  1. 1. Chapter One: Backyard Rebellion
  2. 2. Chapter Two: The Outskirts Of Town

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1 Kommentar

  • Vor 7 Jahren

    RICHTIG gute Dokumentation im Stil der Klassiker Hype und The Year Punk broke! Besonders gut gefallen hat mir das "down-to-earth" Gefühl, das die ganze Zeit mitschwingt, kein heroisierender Zeitgeist Müll anderer Dokus. Der andere film kann da nicht mithalten, ist leider zu glatt und sensationslüsternd geraten.