laut.de-Kritik

Akustischer Picknick-Korb für die Fahrt ins Grüne.

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Wie schnell doch so ein Jahr vergeht. Pünktlich zum heraufziehenden Sommer greifen die Damen und Herren von Tapete Records erneut in die Schubladen, um für die kleine Campingfahrt ins Grüne den akustischen Picknick-Korb zu packen. Müssen auch beim dritten Mal wirklich alle mit? Sieht so aus; zumindest sind die üblichen Verdächtigen Bernd Begemann, Tocotronic, die Sterne, Garish, Erdmöbel und Samba mit an Bord. Daneben nehmen reichlich neue Gesichter am Betriebsausflug teil. Na, dann: Bitte einsteigen. Die Türen schließen selbsttätig.

In der Tat tun sie das, die Türen, und verbreiten mit "Drinnen ist wie draußen" Synthiepop-Stimmung im Geiste der 80er Jahre. Nicht übel, zumal man mit Montags "Wie der Tag bricht" einen überaus entspannten Reiseantritt hatte, und sich auch "Du" von Das Pop gut hören ließ. Der lakonische Gesang steht in interessantem Gegensatz zum treibenden Rhythmus und den theatralischen Streichern der Nummer. So lass' ich mir das gerne gefallen.

Und dann? Hilfe! Überall Vögel! Ganz plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht! Erdmöbels deutsche Fassung von Burt Bacharachs "Close To You" verdient kein anderes Attribut als "zauberhaft" und entlässt mich mit breitem Grinsen auf dem Gesicht ... in die Durststrecke der Zusammenstellung. "Hoffentlich kehrt mein Gehirn zurück" texten Samba, und ich bete, meines möge sich damit Zeit lassen. Zumindest bis ich die furchtbaren, durchgenudelten Klee und die Purple-Schulz-Wiedergänger Tele überstanden habe. Im Ernst: "Es kommt ein Schiff"! Puh! Wenn sich das anhört, als schippere es direkt über die "Kleinen Seen" von einst, dann muss sich Tele-Sänger Francesco Wilking den Vergleich mit Purple Schulz einfach gefallen lassen, auch wenn er verständlicherweise nicht schmeckt.

"Ist das noch populär?" Ich weiß es nicht. Von Spar kämpfen gegen den Zweck, für das Recht auf Dummheit und noch mehr Fett, und das im Gewand einer sehr ok-en angepunkten Nummer, die zwar im Rahmen der angeblich "sonnigen" Songauswahl total fehl am Platz wirkt, dem Hörer aber den Tritt in den Hintern verpasst, der dringend nötig ist, um die nächsten beiden Tracks durchzustehen. Ich habe wirklich selten ein derart langweiliges Tocotronic-Stück gehört, und auch Klez.e reißen mich höchstens insofern vom Hocker, als dass ich umgehend die Flucht ergreifen möge: entsetzliche Stimme, vier Akkorde, keinerlei Dynamik im "Realfernsehen".

Wo ich eben am Schimpfen bin, kann ich auch noch gleich die Frage in den Raum werfen, warum sich Fink eigentlich nicht endlich jemanden suchen, der singen kann. In einer schönen Melodie angenehm dahinklimpernde Gitarren bei "Dies für Dich" hätten mit einem gelungenen Gesangspart mehr als Spaß machen können. Das gleiche gilt für "Raum" von Darlo: Der wäre in der Tat uneinnehmbar, tönte der Sänger nicht wie Udo Lindenberg nach einer ausgedehnten Kreidemahlzeit.

Dass es auch anders geht, zeigen die österreichischen Freunde von Garish: So will ich das hören. Thomas Jarmer lässt selbst in den relativ hohen Tonlagen, in denen er sich bewegt, keinerlei Unsicherheiten erkennen. Ebenfalls ausgesprochen gelungen präsentieren sich Wolke mit "Wir sind da". Bass und Piano bilden ein zwar minimalistisches, aber doch gediegenes Fundament für die Stimme von Oliver Minck. Sehr hübsch, das. Und alten Haudegen wie den Sternen und Tom Liwa kann man ebensowenig an den Karren fahren wie dem großartigen Bernd Begemann: So lange der noch kommt, kann der Leadsänger gerne wegbleiben. Und auch der Keyboarder.

Einige Grausamkeiten, zahlreiche Perlen also: Tapete Records Querschnitt durch die Arbeit des letzten Jahres kann sich hören lassen. Nur eine winzige Frage noch, den hab' ich nämlich sehr vermisst: Wo steckt eigentlich Knarf Rellöm? Sachdienliche Hinweise nehme ich jederzeit gerne entgegen.

Trackliste

  1. 1. Mon)tag – Wie Der Tag Bricht
  2. 2. Das Pop – Du
  3. 3. Die Türen – Drinnen Ist Wie Draußen
  4. 4. Erdmöbel – Nah Bei Dir
  5. 5. Samba – Aus Den Kolonien
  6. 6. Klee – Gold
  7. 7. Tele – Es Kommt Ein Schiff
  8. 8. Von Spar – Ist Das Noch Populär?
  9. 9. Tocotronic – Aber Hier Leben, Nein Danke
  10. 10. Klez.E – Realfernsehen
  11. 11. Wolke – Wir Sind Da
  12. 12. Anajo – Monika Tanzband
  13. 13. Fink – Dies Für Dich
  14. 14. Die Sterne – In Diesem Sinn
  15. 15. Ja König Ja – Jedes Wort
  16. 16. Darlo – Raum
  17. 17. Garish –Später Ist Egal
  18. 18. Kolkhorst – Mensch Ärgere Dich Nicht
  19. 19. Tom Liwa – U.A. Chinesischer Zirkus
  20. 20. Michel Van Dyke – Regen-Wahrscheinlichkeit 100%
  21. 21. Bernd Begemann & Die Befreiung – Unsere Band Ist Am Ende

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